VfGH B267/02 ua

VfGHB267/02 ua11.6.2002

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
VfGG §88
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
VfGG §88

 

Spruch:

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) ist schuldig,

  1. 1. der zu B267/02 und B275/02 beschwerdeführenden Partei sowie
  2. 2. der zu B268-274/02 beschwerdeführenden Partei

zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je € 1962,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführenden Parteien haben je geringfügig beschäftigte Dienstnehmer angestellt.

2. Mit Bescheiden vom 15. Februar 2002 bzw. vom 14. Februar 2002 sprachen die Oberösterreichische bzw. die Tiroler Gebietskrankenkasse aus, daß die zu B267/02 sowie B275/02 beschwerdeführende Partei für die bei ihr in den Kalenderjahren 1999 bis 2001 geringfügig beschäftigten Dienstnehmer Dienstgeber-Pauschalbeiträge gem. §53a Abs1 Z2 ASVG (idF 55. Novelle, BGBl. I Nr. 138/1998) in näher bestimmter Höhe zu entrichten habe.

Mit Bescheiden vom 15. Februar, 14. Jänner, 13. Februar, 18. Februar 2002 bzw. 14. Februar 2002 sprachen die Oberösterreichische, Wiener, Salzburger, Steiermärkische, Niederösterreichische, Kärntner sowie Tiroler Gebietskrankenkasse aus, daß die zu B268-274/02 beschwerdeführende Partei für die bei ihr in den Kalenderjahren 1998 bis 2001 geringfügig beschäftigten Dienstnehmer Dienstgeber-Pauschalbeiträge gem. §53a Abs1 Z2 ASVG (idF 55. Novelle, BGBl. I Nr. 138/1998) in näher bestimmter Höhe zu entrichten habe.

Dagegen erhoben die beschwerdeführenden Parteien Einspruch an den örtlich zuständigen Landeshauptmann, der diese Rechtsmittel jedoch als unbegründet abwies und die erstinstanzlichen Bescheide je vollinhaltlich bestätigte.

3. Gegen diese - letztinstanzlichen - Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden gem. Art144 Abs1 B-VG, in denen die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird. Begründend wird dazu im wesentlichen ausgeführt, der den Bescheiden zugrunde gelegte §53a ASVG sei verfassungswidrig.

4. Mit Erkenntnis vom 7. März 2002, G219/01, hat der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des §53a ASVG (idF 55. Novelle, BGBl. I Nr. 138/1998) zum Teil als verfassungswidrig aufgehoben (s. die Kundmachung BGBl. I Nr. 74/2002).

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, sind all jene Fälle gleichzuhalten, die zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986, 11.711/1988).

2. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G219/01 begann am 7. März 2002. Die vorliegenden Beschwerden sind bereits vor diesem Zeitpunkt (nämlich am 22. Februar 2002) beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, waren also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Nach dem soeben Ausgeführten stehen die Fälle daher einem Anlaßfall gleich.

3. Die belangten Behörden haben eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien nachteilig war.

Die beschwerdeführenden Parteien wurden also durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Jeder beschwerdeführenden Partei war der mit € 1.962,-- (incl. USt) pauschaliert bemessene (einfache) Beschwerdeaufwand zuzusprechen, weil es ihr sowohl in zeitlicher als auch in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht möglich gewesen wäre, eine gemeinsame Beschwerde gegen mehrere vom Sachverhalt und der rechtlichen Beurteilung her gleichgelagerte Bescheide einzubringen (vgl. VfGH 1. Oktober 2001, B544/01 ua. Zlen.; 12. Dezember 2001, B346/01 ua. Zlen.).

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von je € 327,-- enthalten.

Ein Ersatz der entrichteten Eingabengebühren war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zuzusprechen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte