Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Nö BauO 1996 §6
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Nö BauO 1996 §6
Spruch:
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 32.200,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Schreiben vom 20. November 1997 beantragte die IRV GmbH bei der Stadtgemeinde Mödling die - nachträgliche - Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage, bestehend aus 4 Wohnblöcken mit insgesamt 41 Wohnungen und 42 PKW-Abstellplätzen in einem Tiefgeschoss auf dem Grundstück Nr. 956/2, KG Mödling.
Zur Bauverhandlung am 11. Dezember 1997 wurden auch die nunmehrigen Beschwerdeführer als Nachbarn im Sinne der Niederösterreichischen Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, (im Folgenden: NÖ Bauordnung 1996) unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des §42 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden: AVG 1991) geladen.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 1997 wandte der Zweitbeschwerdeführer bei der Baubehörde ein, dass das gegenständliche Grundstück noch kein Bauplatz sei, und der Flächenwidmungsplan für dieses die Widmungs- und Nutzungsart Grünland "oder die Widmung Bauklasse II" aufweise.
In der Bauverhandlung wiederholten beide Beschwerdeführer diese Einwendungen, und wandten weiters ein, dass
* der Bebauungsplan vom 27.6.1997 - mangels Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde vor dessen Kundmachung - nicht in Kraft getreten sei,
* die Verordnung über den Flächenwidmungsplan vom 27.6.1997 nicht
vorliege, oder zur Verhandlung nicht mitgenommen worden sei, * insgesamt 5 vollwertige Geschosse errichtet worden seien, was
der Bauklasse III widerspreche,
* der Winkel der Dachfläche über dem obersten Geschoss zur Lotrechten mehr als 45° betrage und eine Nachmessung dieses Winkels und der Gebäudehöhe beantragt werde,
* keine Errichtung geplant werde, da die Gebäude bereits
rechtswidrig errichtet wurden und gesetz- und verfassungswidrig nachträglich genehmigt werden sollten,
* im Bauansuchen und in seinen Beilagen die entsprechenden
Schnitte nicht beigefügt wurden, sodass der Bausachverständige kein Gutachten über die Bebauungshöhe erstatten konnte, und die vorgelegten Pläne nicht dem bereits errichteten Gebäude entsprächen,
* in den von der Baubehörde in Auftrag gegebenen Berechnungen
über die Gebäudehöhe handschriftliche Ergänzungen unklarer Herkunft enthalten seien und dass der Plan das Erscheinungsbild in der Natur nicht richtig wiedergebe,
* der Flächenwidmungs- und der Bebauungsplan nach wie vor
gesetzwidrig seien;
es werde die Abweisung des Bauansuchens beantragt.
Mit Bescheid vom 13. Jänner 1998 bewilligte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Mödling das beantragte Bauvorhaben und wies die Einwendungen der Beschwerdeführer mit der Begründung als unzulässig zurück, dass sie im Bauverfahren keine ihnen nach den Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1996 zukommenden subjektiv-öffentlichen Rechte geltend gemacht hätten. Gegen diesen Bescheid erhoben die nunmehrigen Beschwerdeführer Berufung.
Der Gemeinderat wies die Berufung mit Bescheid vom 2. März 1998 als unzulässig zurück. Die Beschwerdeführer hätten keine Verletzung eines ihnen aus der NÖ Bauordnung 1996 zukommenden subjektiv-öffentlichen Rechtes behauptet und daher im Bauverfahren keine Parteistellung erlangt.
Die dagegen eingebrachte Vorstellung der Beschwerdeführer wies die Niederösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 15. September 1998 als unbegründet ab. Der Gemeinderat sei zu Recht davon ausgegangen, dass diese im Baubewilligungsverfahren mangels rechtzeitiger Erhebung entsprechender Einwendungen keine Parteistellung erlangt hätten.
Die (damaligen) Vorstellungswerber besäßen nach der NÖ Bauordnung 1996 zwar einen Rechtsanspruch auf die Einhaltung einer bestimmten Gebäudehöhe, nicht jedoch auf eine von der Gebäudehöhe unabhängige Beschränkung der Geschosse.
Auch die in der Berufung erstmals erhobenen Einwendungen könnten eine Parteistellung in diesem Baubewilligungsverfahren nicht mehr begründen, da nach §6 Abs1 NÖ Bauordnung 1996 zur Erlangung der Parteistellung Einwendungen spätestens bei der Bauverhandlung erhoben werden müssten.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, die die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet.
Die Beschwerdeführer bringen vor, es liege ein qualifizierter Gesetzesverstoß und eine gehäufte Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde vor:
Sie habe §6 Abs1 und 2 NÖ Bauordnung 1996 verfassungswidrig ausgelegt, wenn sie davon ausgehe, dass nicht nur der Sachverhalt, der die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte darstellen könnte, dargetan werden müsste, sondern auch, inwieweit diese Rechte durch den betreffenden Sachverhalt beeinträchtigt würden. Dies stelle eine denkunmögliche Auslegung des §6 NÖ Bauordnung 1996 dar; die vorgebrachten Einwendungen der Beschwerdeführer hätten zur Erlangung der Parteistellung im Bauverfahren führen müssen.
Die Beschwerde behauptet weiters, eine Einschränkung durch den Landesgesetzgeber in der Weise, dass die Parteistellung nur durch ein bestimmtes Verhalten in der Bauverhandlung erreicht werden könne (§6 Abs1 vorletzter Satz NÖ Bauordnung 1996), bewirke einen Widerspruch zwischen §6 leg. cit. und §8 iVm §42 AVG 1991 idF BGBl. Nr. 51/1991 und verstoße daher gegen Art11 Abs2 B-VG.
Schließlich wird in der Beschwerde vorgebracht, der Zweck des Flächenwidmungs- und des Bebauungsplanes des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling, beide vom 27. Juni 1997, bestehe allein darin, die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14.084 (vom 10.3.1995) und VfSlg. 14.615 (vom 1.10.1996) zu frustrieren, da dadurch der verpönte Rechtszustand wiederhergestellt werde; die Pläne seien daher gesetzwidrig.
3. Die Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie ua. ausführt, die Beschwerdeführer hätten mit ihrem Vorbringen, dass das verfahrensgegenständliche Projekt "vier" Hauptgeschosse aufweise und somit der Bauklasse III widerspreche, keine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes geltend gemacht, und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Stadtgemeinde Mödling hat im Verfahren eine Äußerung erstattet, in der sie die Zurückweisung der Beschwerde mangels Antragslegitimation, in eventu die Abweisung der Beschwerde beantragt. Sie nimmt den Standpunkt ein, dass die Verordnungen des Gemeinderates vom 27. Juni 1997, womit der Flächenwidmungsplan und der Bebauungsplan für einen Teilbereich der Neusiedlerstraße abgeändert wurden, nicht gesetzwidrig seien, sowie dass der vorletzte Satz des §6 Abs1 NÖ Bauordnung 1996 nicht verfassungswidrig sei, und begehrt den Ersatz der Kosten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens.
Die mitbeteiligte Partei IRV GmbH hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Abweisung, in eventu die Ablehnung der Beschwerde sowie den Ersatz der Kosten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens beantragt.
Die Beschwerdeführer haben auf die Gegenschrift der belangten Behörde und auf die Äußerungen der mitbeteiligten Parteien repliziert.
Die belangte Behörde hat zur Replik der Beschwerdeführer eine Stellungnahme abgegeben.
4. Die sich bereits über mehrere Jahre erstreckende Vorgeschichte des Bauverfahrens lässt sich wie folgt zusammenfassen:
4.1. Auf Antrag der mitbeteiligten Partei IRV GmbH erteilte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Mödling mit Bescheid vom 3. Oktober 1990 die Baubewilligung zur Errichtung einer Wohnhausanlage und von PKW-Abstellplätzen in einem Tiefgeschoss auf dem Grundstück Nr. 956/2, KG Mödling. Die nunmehrigen Beschwerdeführer sind Nachbarn an der rückwärtigen Grundstücksgrenze.
In der mündlichen Verhandlung hatten sie ua. Einwendungen betreffend die Bebauungshöhe vorgebracht; diese wurden von der Erstbehörde als unbegründet abgewiesen.
Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling gab der dagegen erhobenen Berufung keine Folge. Die Niederösterreichische Landesregierung als Vorstellungsbehörde setzte sich mit der Frage der zulässigen Bebauungshöhe eingehend auseinander, hob den Bescheid des Gemeinderates auf und verwies die Angelegenheit ua. zwecks Einholung eines Gutachtens zur Gebäudehöhe an die Berufungsbehörde zurück.
Gegen diesen aufsichtsbehördlichen Bescheid erhoben die nunmehrigen Beschwerdeführer eine zu B1074/91 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
Aufgrund der Aufhebung durch die Aufsichtsbehörde erließ der Gemeinderat am 9. Juni 1992 einen Ersatzbescheid, mit welchem die Berufung der nunmehrigen Beschwerdeführer erneut abgewiesen wurde.
Der dagegen von ihnen erhobenen Vorstellung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 29. Dezember 1992 Folge, hob den Bescheid des Gemeinderates auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an diesen zurück. Die Vorstellungsbehörde brachte ua. die Auffassung zum Ausdruck, dass durch das Projekt die zulässige Bebauungshöhe überschritten werde.
Auch gegen diesen Bescheid der belangten Behörde erhob die nunmehrige Erstbeschwerdeführerin eine zu B140/93 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling erließ nach der neuerlichen Behebung durch die Aufsichtsbehörde am 8. März 1993 einen Ersatzbescheid, mit welchem der Berufung der nunmehrigen Erstbeschwerdeführerin abermals keine Folge gegeben wurde. Dagegen wurde erneut Vorstellung an die belangte Behörde erhoben.
4.2. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1993, VfSlg. 13.503, wurde - unter anderem das verfahrensgegenständliche Grundstück betreffend - die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling vom 11. November 1983 über die Änderung des Flächenwidmungsplanes hinsichtlich der Umwidmung eines bestimmten Gebietes von "Bauland-Wohngebiet" und "Bauland-Betriebsgebiet" in "Bauland-Kerngebiet" mangels wesentlicher Änderung der Planungsgrundlagen als gesetzwidrig aufgehoben. Im gleichen Erkenntnis wurde - dasselbe Gebiet betreffend - die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling vom 11. November 1983 über die Änderung des Bebauungsplanes von Bauklasse II auf Bauklasse III und von Bebauungsdichte 25% auf 50% mangels gebotener Anpassung an das geänderte örtliche Raumordnungsprogramm als gesetzwidrig aufgehoben.
4.3. Der Verfassungsgerichtshof hob sodann mit Erkenntnis vom 1. Juli 1993, VfSlg. 13.495, die Bescheide der belangten Behörde vom 24. Juli 1991 und vom 29. Dezember 1992 wegen Verletzung der Beschwerdeführer in ihren Rechten durch Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling vom 11. November 1983 über die Änderung des Bebauungsplanes) auf.
4.4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19. Oktober 1993 wurde erneut über die Vorstellungen der nunmehrigen Erstbeschwerdeführerin und des nunmehrigen Zweitbeschwerdeführers gegen die Bescheide des Gemeinderates vom 25. Februar 1991 und vom 9. Juni 1992 und erstmalig über die Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeinderates vom 8. März 1993 abgesprochen; in der Begründung dieses aufsichtsbehördlichen Bescheides wird von der belangten Behörde hervorgehoben, Kernpunkt dieses umfangreichen Rechtsstreites sei die zulässige Gebäudehöhe des Bauvorhabens. Die Vorstellungen wurden z.T. als unzulässig zurückgewiesen, z.T. wurde ihnen Folge gegeben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat zurückverwiesen.
Dieser Bescheid der belangten Behörde wurde aufgrund einer Beschwerde der mitbeteiligten Partei IRV GmbH durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1994, Z93/05/0276, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Die Vorstellungsbehörde hätte bei der Erlassung des (beim Verwaltungsgerichtshof) angefochtenen Bescheides vom 19. Oktober 1993 von der durch die aufhebenden Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes gegebenen Rechtslage auszugehen gehabt, wonach es für die zu bebauende Grundfläche die Widmung "Bauland-Kerngebiet" und einen Bebauungsplan mit der Festsetzung "Bauklasse III, Bebauungsdichte 50%" nicht gebe. Im Entscheidungszeitpunkt der Vorstellungsbehörde sei somit keine Widmung als Bauland vorgelegen, sodass der Auffangtatbestand der Grünlandwidmung des §19 Abs1 Niederösterreichisches Raumordnungsgesetz 1976 eingreifen musste.
4.5. Nach Aufhebung der (Ersatz-) Bescheide des Gemeinderates vom 9. Juni 1992 und vom 8. März 1993 durch den Vorstellungsbescheid der belangten Behörde vom 19. Oktober 1993 hatte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Mödling mit Bescheid vom 26. November 1993 der Bauwerberin unter Berufung auf §109 Abs3 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 den Auftrag erteilt, die Arbeiten an dem - als bewilligungslos anzusehenden - Bauvorhaben einzustellen und das bewilligungslos errichtete Bauwerk innerhalb einer bestimmten Frist abzubrechen. Der Berufung der Bauwerberin gegen diesen Bescheid gab der Gemeinderat mit Bescheid vom 10. Mai 1994 Folge und hob den Bescheid des Bürgermeisters auf. Die Vorstellung der nunmehrigen Beschwerdeführer gegen den Berufungsbescheid des Gemeinderates wies die Niederösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 10. August 1994 ab.
Die Behandlung der von den nunmehrigen Beschwerdeführern gegen diesen Vorstellungsbescheid erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 16. März 1995, B1918/94 abgelehnt.
4.6. Mit Verordnungen vom 10. Dezember 1993 legte der Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling für die betroffenen Gebiete erneut einerseits die Widmung "Bauland-Kerngebiet" bzw. andererseits die Bauklasse III und eine Bebauungsdichte von 50% fest.
4.7. Aufgrund eines zu V58/94 protokollierten (Individual-) Antrages ua. der nunmehrigen Beschwerdeführer wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 1995, VfSlg. 14.084, die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling vom 10. Dezember 1993, mit der "der Bebauungsplan für einen Teilbereich der Neusiedler Straße ergänzt" wurde, wegen Gesetzwidrigkeit, und zwar wegen der Unzulässigkeit der neuerlichen Herstellung der bereits als gesetzwidrig erkannten Rechtslage, aufgehoben, soweit mit ihr für die Grundstücke Nr. 2307, 2308, 841 und 956/2 die Bauklasse III und eine Bebauungsdichte von 50% festgelegt wurden.
4.8. Aufgrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1994 erließ die belangte Behörde den (Ersatz-) Bescheid vom 9. Mai 1994. Der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes folgend, wurde der Vorstellung des nunmehrigen Zweitbeschwerdeführers gegen den (Berufungs-) Bescheid des Gemeinderates vom 9. Juni 1992 und der Vorstellung der nunmehrigen Erstbeschwerdeführerin gegen den (Berufungs-) Bescheid des Gemeinderates vom 8. März 1993 Folge gegeben, diese Bescheide behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat verwiesen.
4.9. Die Behandlung der von den nunmehrigen Beschwerdeführern gegen den Vorstellungsbescheid der belangten Behörde vom 9. Mai 1994 erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 16. März 1995, Z B1359/94, abgelehnt.
4.10. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling wies aufgrund des Vorstellungsbescheides vom 9. Mai 1994 die Berufung der nunmehrigen Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 3. Oktober 1990 mit Bescheid vom 27. September 1994 neuerlich ab und erteilte - nach Maßgabe der neuerlich geänderten Planunterlagen - die beantragte baubehördliche Bewilligung.
Die Vorstellung der Beschwerdeführer gegen diesen Berufungsbescheid des Gemeinderates wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. März 1995 als unbegründet abgewiesen.
In diesem Bescheid setzte sich die belangte Behörde abermals mit der Frage der seitens der Vorstellungswerber vorgebrachten Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe eingehend auseinander.
4.11. Gegen diesen Bescheid der Vorstellungsbehörde richtete sich eine erneute, zu B897/95 protokollierte und auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde der nunmehrigen Beschwerdeführer, in der ua. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm, nämlich des Flächenwidmungsplans des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling vom 10. Dezember 1993, geltend gemacht wurde.
4.12. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Oktober 1996, VfSlg. 14.615 wurde die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling vom 10. Dezember 1993, mit der "der Flächenwidmungsplan für einen Teilbereich der Neusiedler Straße ergänzt" wurde, wegen Gesetzwidrigkeit aufgrund der Unzulässigkeit der neuerlichen Herstellung der bereits als gesetzwidrig erkannten Rechtslage aufgehoben, soweit mit ihr für das Grundstück Nr. 956/2 die Widmung "Bauland-Kerngebiet" festgelegt wurde.
4.13. Der Verfassungsgerichtshof hob sodann mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1996, Z B897/95, den Bescheid der belangten Behörde vom 9. März 1995 wegen Verletzung der Beschwerdeführer in ihren Rechten durch Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling vom 10. Dezember 1993 über die Änderung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Mödling, soweit sie sich auf das Grundstück Nr. 956/2 bezieht) auf.
4.14. Die belangte Behörde hob daraufhin den Bescheid des Gemeinderates vom 27. September 1994 auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde zurück; diese gab letztlich der Berufung der nunmehrigen Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 3. Oktober 1990 Folge und wies den Antrag der mitbeteiligten Partei IRV GmbH auf Erteilung der Baubewilligung ab.
4.15. Mit Verordnungen des Gemeinderates der Stadtgemeinde Mödling über die Änderung des Flächenwidmungs- und des Bebauungsplanes, beide vom 27. Juni 1997, wurde für das Grundstück Nr. 956/2, KG Mödling, die Widmungs- und Nutzungsart "Bauland-Wohngebiet", sowie für die Grundstücke Nr. 2307, 2308, 841 und 956/2 die Bauklasse II bis III und keine Bebauungsdichte festgelegt.
4.16. Am 20. November 1997 beantragte die IRV GmbH bei der Stadtgemeinde Mödling die unter I.1. erwähnte - nachträgliche - Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage, bestehend aus 4 Wohnblöcken mit insgesamt 41 Wohnungen und 42 PKW-Abstellplätzen in einem Tiefgeschoss auf dem Grundstück Nr. 956/2, KG Mödling.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerdeführer bringen vor, die belangte Behörde habe in ihrem Bescheid §6 NÖ Bauordnung 1996 eine denkunmögliche Auslegung gegeben, weil sie sich mit dem Begriff der Einwendungen in der verwaltungsgerichtlichen Judikatur, nicht aber mit dem Begriff der "Geltendmachung dieser Rechte" in §6 Abs1 NÖ Bauordnung 1996 auseinander setze. Während der Begriff der Einwendung in der Judikatur des Verwaltungsgerichshofes so gesehen werde, dass dem Vorbringen zu entnehmen sein müsse, dass überhaupt die Verletzung eines subjektiven Rechtes behauptet werde, ferner, welcher Art dieses Recht sei, und damit insbesondere Erklärungen ausgeschlossen seien, in denen der Erklärende sich für einen späteren Zeitpunkt die Ausführung der Rechte vorbehalte, liege in §6 NÖ Bauordnung 1996 ein anderes Regelungskonzept vor. Die potentielle Partei werde unter den Voraussetzungen Partei, dass sie Nachbar sei, durch das Bauwerk in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werde und dieses spätestens in der Verhandlung geltend mache.
Die belangte Behörde unterstelle aber §6 Abs1 iVm Abs2 leg. cit. die Bedeutung, dass nicht nur der Sachverhalt, der die Verletzung subjektiver Rechte darstellen könnte, erklärt werden müsse, sondern dass darüber hinaus durch eine Bezeichnung der Einzelnen in §6 Abs2 leg. cit. genannten Rechte dargetan werden müsse, inwieweit diese Rechte durch den betreffenden Sachverhalt beeinträchtigt würden.
Dies stelle einen qualifizierten Gesetzesverstoß der belangten Behörde dar.
2. Die belangte Behörde beruft sich im angefochtenen Bescheid ua. auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, indem sie ausführt, eine Einwendung im Sinne der anzuwendenden Gesetzeslage liege nur dann vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines konkreten subjektiv-öffentlichen Rechtes im Sinne des §6 Abs2 NÖ Bauordnung 1996 durch das den Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens bildende Vorhaben geltend mache. Dem betreffenden Vorbringen müsse jedenfalls entnommen werden können, dass überhaupt die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes behauptet werde, und ferner, welcher Art dieses Recht sei.
Mit dem Vorbringen des Vorliegens von fünf Hauptgeschossen, welche der festgelegten Bauklasse III widersprächen, hätten die Beschwerdeführer kein subjektiv-öffentliches Recht geltend gemacht, da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Nachbar zwar einen Rechtsanspruch auf Einhaltung bestimmter Gebäudehöhen, nicht aber auf eine von der Gebäudehöhe unabhängige Beschränkung der Geschosse besitze.
Zu der konkreten Einwendung der Beschwerdeführer, dass "der Winkel der Dachfläche über dem obersten Geschoß zur Lotrechten weit mehr als 45 Grad, nach vorsichtiger Schätzung 60 Grad" betrage und daher eine Nachmessung dieses Winkels und der Gebäudehöhe beantragt werde, vertritt die belangte Behörde die Auffassung, dass die Beschwerdeführer dadurch die Verletzung eines ihnen aus der NÖ Bauordnung 1996 erfließenden subjektiv-öffentlichen Rechtes gar nicht behauptet hätten, "zumal diesen Erklärungen nicht zu entnehmen ist, in welchen konkreten durch Vorschriften der NÖ Bauordnung 1996 geschützten subjektiv-öffentlichen Rechten sich die Beschwerdeführer tatsächlich verletzt erachten".
Auch der Behauptung, der Bausachverständige könne kein Gutachten über die Gebäudehöhe erstellen, komme die rechtliche Eigenschaft einer Einwendung nicht zu. Die Nachbarn könnten dadurch allenfalls gehindert sein, die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes näher zu begründen, nicht aber eine Verletzung überhaupt zu behaupten.
3. Mit dieser Auffassung ist die belangte Behörde nicht im Recht:
Im Baubewilligungsverfahren erlangen die Nachbarn zufolge des §6 Abs1 NÖ Bauordnung 1996 (in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Stammfassung LGBl. 8200-0) dann Parteistellung, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in §6 Abs2 leg. cit. erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden und sie diese Rechte spätestens in der Bauverhandlung geltend machen.
§6 Abs2 NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, lautet:
"Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die
- 1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs1 Z. 4)
sowie
- 2. den Schutz vor Immissionen (§48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§63) ergeben,
gewährleisten und über
- 3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§4 Z. 9) der Gebäude der Nachbarn dienen."
In der Bauverhandlung vom 11. Dezember 1997 haben die Beschwerdeführer laut Verhandlungsschrift ua. folgende Einwendungen gegen das Projekt erhoben:
"Beim Lokalaugenschein hat sich durch die Begehung auch einer der obersten Wohnungen ergeben, daß insgesamt 5 vollwertige Geschosse errichtet wurden, was der Bauklasse III widerspricht. Der Winkel der Dachfläche über de(n)m obersten Geschoß zur Lotrechten beträgt weit mehr als 45 Grad, nach vorsichtiger Schätzung 60 Grad. Er beantragt daher eine Nachmessung dieses Winkels und der Gebäudehöhe.
(...)
Im Bauansuchen und in seinen Beilagen sind die entsprechenden Schnitte (nicht) beigefügt, sodaß der Bausachverständige kein Gutachten über die Bauhöhe erstatten kann."
4. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987).
Der Verfassungsgerichtshof vermag im Ergebnis aus verfassungsrechtlicher Sicht der Ansicht der belangten Behörde nicht zu folgen, wonach den oben wiedergegebenen Einwendungen der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 1997 nicht zu entnehmen sei, dass dadurch überhaupt die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes behauptet werde und welcher Art dieses Recht sei.
Anders als die belangte Behörde bei der gegebenen Ausgangslage nun offenbar annimmt, ist der Verfassungsgerichtshof nicht der Auffassung, dass es sich bei den vorgebrachten Einwendungen ausschließlich um solche betreffend die zulässige Geschossanzahl handelt, auf deren Einhaltung der Nachbar nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kein subjektiv-öffentliches Recht besitzt, bzw. dass die Beschwerdeführer keine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes geltend gemacht haben.
Es ist vielmehr offensichtlich, dass die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwendungen sich auf die durch den Bebauungsplan vom 27. Juni 1997 festgelegte zulässige Gebäudehöhe beziehen. Dieses Vorbringen hätte bei richtiger Beurteilung durch die belangte Behörde zur Anerkennung der Parteistellung der Beschwerdeführer im Verfahren führen müssen:
Angesichts der bereits ausführlich beschriebenen Vorgeschichte des Bauprojektes, im Zuge derer sich die belangte Behörde im vorangegangenen Baubewilligungsverfahren wiederholt eingehend mit Einwendungen der Beschwerdeführer hinsichtlich der zulässigen Gebäudehöhe zu befassen hatte, und dabei selbst ua. die Aussage traf, dass diese den Kernpunkt dieses umfangreichen Rechtsstreites darstelle, erachtet der Verfassungsgerichtshof mit Blick auf das konkrete Vorbringen der Beschwerdeführer die Verneinung der Parteistellung wegen mangelnder Geltendmachung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes im Sinne der NÖ Bauordnung 1996 als gehäuftes Verkennen der Rechtslage und daher als willkürliches und dadurch in die Verfassungssphäre eingreifendes Verhalten der belangten Behörde.
Sie hätte jene konkret und in mehreren Varianten vorgebrachte Einwendung als solche der Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe und somit sehr wohl als Geltendmachung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes im Sinne des §6 Abs2 Z3 NÖ Bauordnung 1996 qualifizieren und den Beschwerdeführern die Parteistellung im Verfahren zuerkennen müssen.
Durch den Versuch, dem Vorbringen der Beschwerdeführer eine andere Bedeutung zuzumessen und sie dadurch an jeder weiteren Teilnahme am Baubewilligungsverfahren und an der Geltendmachung der Gesetzwidrigkeit der im Baubewilligungsverfahren angewendeten Raumordnungspläne zu hindern, hat die belangte Behörde Willkür geübt.
Sie hat die Beschwerdeführer dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen einzugehen war.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten sind Streitgenossenzuschlag in der Höhe von
S 2.250,-, Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.950,- und eine Eingabegebühr in der Höhe von S 2.500,- enthalten. Den mitbeteiligten Parteien war der Ersatz der Kosten für die Erstattung ihrer Äußerungen nicht zuzusprechen, da sie zur Rechtsfindung keinen Beitrag leisten konnten (vgl. VfSlg. 10.228/1984).
6. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)