VfGH B347/90

VfGHB347/9024.9.1990

Verletzung der Beschwerdeführerin im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme und Anhaltung; kein hinreichender Verdacht auf Rauschgiftschmuggel; keine Verdunkelungsgefahr

Normen

StGG Art8 SuchtgiftG §12 StPO §175 Abs1 Z3
StGG Art8 SuchtgiftG §12 StPO §175 Abs1 Z3

 

Spruch:

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß sie am 8. Februar 1990 um ca. 19.45 Uhr, in ... Wien, G-straße ..., von Organen der Bundespolizeidirektion Schwechat festgenommen und bis 9. Februar 1990, ca. 16.15 Uhr angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Vertreters die mit S 15.000,-

bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. S M begehrt in ihrer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, sie sei in Wien durch Amtshandlungen von Organen der Bundespolizeidirektion Schwechat, nämlich ihre Festnahme am 8. Februar 1990, um ca. 19.45 Uhr und ihre Anhaltung in Haft bis zum 9. Februar 1990, ca. 15.00 Uhr im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nach Art8 StGG verletzt worden.

2. Die Bundespolizeidirektion Schwechat als belangte Behörde legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde eintrat.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Aufgrund des übereinstimmenden Parteienvorbringens sowie der Einsichtnahme in den Akt II-167/90 der Bundespolizeidirektion Schwechat, Suchtgiftgruppe, nimmt der Verfassungsgerichtshof folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Am 8. Februar 1990 wurde ein österreichischer Staatsbürger auf dem Flughafen Wien-Schwechat festgenommen, als er versuchte, Kokain nach Wien zu schmuggeln.

Der Festgenommene nannte als Auftraggeber bzw. Geldgeber den österreichischen Staatsbürger F W K - den Lebensgefährten der Beschwerdeführerin -, welcher in weiterer Folge aufgrund eines richterlichen Haftbefehls in der "Klinik ..." festgenommen wurde. Nach der Festnahme des F W K nahmen Organe der Bundespolizeidirektion Schwechat in dessen Wohnung in ... Wien, G-straße ..., in der die Lebensgefährtin des F W K, S M sowie deren Schwester C M anwesend waren, eine Hausdurchsuchung vor. Aufgrund der Angaben, die F W K auf der Fahrt zu seiner Wohnung machte, nämlich, daß er seiner Lebensgefährtin S M einen Teil von früher geschmuggeltem Suchtgift übergeben hätte bzw. dieses mit ihr gemeinsam konsumiert hätte, entstand bei den einschreitenden Beamten der Verdacht, daß die Beschwerdeführerin vom nunmehrigen Schmuggel wußte und die Möglichkeit für sie bestand, "weitere Abnehmer" zu warnen. Aus diesem Grund sowie aufgrund dessen, daß die Aussagen der Beschwerdeführerin bezüglich ihres früheren Rauschgiftkonsums zunächst widersprüchlich waren, nahmen die einschreitenden Organe der Bundespolizeidirektion Schwechat die Beschwerdeführerin fest, ohne daß jedoch ein richterlicher Haftbefehl vorlag, da die Beamten bereits in der "Klinik ..."

vergeblich versucht hatten, den Journalstaatsanwalt (- bzw. den Journalrichter -) am Mobiltelefon zu erreichen.

In weiterer Folge wurde die Beschwerdeführerin in das Sicherheitszentrum der Bundespolizeidirektion Schwechat gebracht und dort am 9. Februar 1990 um 14.30 Uhr zu ihrer Person und zur Sache vernommen. Danach wurde die Beschwerdeführerin um ca.

16.15 Uhr - und nicht, wie sie selbst behauptet, bereits um 15.00 Uhr -, nachdem andere Beteiligte ausgeforscht und zum Teil auch festgenommen worden waren, aus der Haft entlassen.

2. Das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen im Sinne des §4 leg.cit. sind u.a. die §§175 bis 177 StPO.

Der Verfassungsgerichtshof geht bei der rechtlichen Beurteilung der in Beschwerde gezogenen Festnahme und Anhaltung davon aus, daß die Beschwerdeführerin im Dienste der Strafjustiz ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen und verwahrt wurde. Gemäß §177 Abs1 StPO dürfen ausnahmsweise auch Organe der Sicherheitsbehörden die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in dem hier von den einschreitenden Sicherheitswachebeamten und von der belangten Behörde (S. 3 der Gegenschrift) ausdrücklich herangezogenen und damit allein in Betracht kommenden und maßgebenden (s. VfSlg. 5232/1966, 10229/1984, 11526/1987; VfGH 9.6.1988 B746/87; vgl. auch VfSlg. 9393/1982, 10975/1986) Fall des Haftgrundes der Verdunklungsgefahr nach §175 Abs1 Z3 StPO zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch ohne schriftliche Anordnung verfügen.

3. Der Beurteilung der primär zu lösenden Frage, ob der im §175 (Abs1 Z3) StPO für eine Festnahme zwingend vorausgesetzte Tatverdacht (hier: nach §12 SuchtgiftG) vertretbarerweise angenommen werden durfte, ist - nach der gefestigten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - jener Sachverhalt zugrundezulegen, der sich den einschreitenden Behördenorganen im Zeitpunkt der Amtshandlung darbot (zB VfSlg. 8633/1979, 10.976/1986; s. auch VfSlg. 7818/1976, 10.547/1985).

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes kann im vorliegenden Fall jedenfalls keine Rede davon sein, daß zur Zeit der Vornahme der angefochtenen Amtshandlung mit gutem Grund ("vertretbar") angenommen werden durfte, die Bescherdeführerin sei des Verbrechens nach §12 Suchtgiftgesetz verdächtig: Die belangte Behörde meint in ihrer Gegenschrift, es habe bei der Beschwerdeführerin der "Verdacht bestanden, daß sie von dem Schmuggel wußte" und daß daher für sie "die Möglichkeit bestand, weitere Abnehmer zu warnen". Weiters meint die Behörde, der "Tatverdacht" hätte sich auf die Angaben der Beschwerdeführerin sowie die des F W K gestützt. Die belangte Behörde bringt jedoch überhaupt nicht zum Ausdruck, hinsichtlich welchen Vergehens oder Verbrechens gegen die Beschwerdeführerin ein Tatverdacht bestanden haben soll. Selbst wenn die Beschwerdeführerin nach anfänglich widersprüchlichen Angaben einen früheren Rauschgiftkonsum zugegeben hat, so vermochte dies keine Grundlage für die mit dem Rauschgiftschmuggel in Zusammenhang stehende Verhaftung zu bilden, auch konnte hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin zugegebenen früheren Delikts nach §16 SuchtgiftG keinesfalls Verdunklungsgefahr angenommen werden.

Der Verfassungsgerichtshof vermag sohin unter voller Zugrundelegung der Sachverhaltsschilderung der belangten Behörde hinsichtlich der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht zu erkennen, daß ein im Zusammenhang mit dem von der Behörde relevierten Haftgrund der Verdunklungsgefahr stehender dringender Tatverdacht vorlag.

Zusammenfassend folgt daraus, daß die angefochtene Festnehmung und Anhaltung schon deswegen gesetzwidrig waren, weil - der Rechtsmeinung der belangten Behörde zuwider - ein (über rechtsstaatlich irrelevante Mutmaßungen hinausgehender) hinreichender Verdacht gegen die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens nach §12 Suchtgiftgesetz nicht gegeben war.

4. Demgemäß wurde die Beschwerdeführerin durch ihre Festnahme und Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art8 StGG verletzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in einer der Bestimmung des §7 Abs2 litc VerfGG 1953 genügenden Zusammensetzung vom Verfassungsgerichtshof getroffen werden.

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