Normen
B-VG Art90 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StVO 1960 §5 Abs6
MRK Art8
StVO 1960 §99 Abs1 litc
B-VG Art90 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StVO 1960 §5 Abs6
MRK Art8
StVO 1960 §99 Abs1 litc
Spruch:
Der Bf. ist durch die am 5.7.1987 über Veranlassung von Organen der Bezirkshauptmannschaft Weiz vorgenommene Blutabnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung seines Privatlebens gemäß Art8 Abs1 MRK verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bf. wurde am 5.7.1987 nach einem Verkehrsunfall in bewußtlosem Zustand in das Krankenhaus Weiz eingeliefert. Über Ersuchen von Beamten des Gendarmeriepostenkommandos St. Ruprecht/Raab wurde am - bewußtlosen - Bf. eine Blutabnahme zum Zwecke der Feststellung des Blutalkoholgehaltes durchgeführt.
2. Mit seiner an den VfGH gerichteten Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG begehrt der Bf. die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch die Blutabnahme "in seinen Grundrechten auf Gleichbehandlung, körperliche Unversehrtheit, fair trial sowie Schutz der Privatsphäre und Freiheit der Person verletzt wurde".
3. Die Bezirkshauptmannschaft Weiz als bel. Beh., der das Ersuchen um Blutabnahme durch Exekutivbeamte des Gendarmeriepostenkommandos St. Ruprecht/Raab zuzurechnen ist, erstattete eine Gegenschrift, in der der geschilderte Sachverhalt außer Streit gestellt, gleichwohl die Abweisung der Beschwerde mangels Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes beantragt wird.
II. Der VfGH hat zur Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:
1. Gemäß Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person.
Bei der von Exekutivbeamten veranlaßten Blutabnahme zwecks Blutalkoholbestimmung handelt es sich um eine straßenpolizeiliche, in Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzte Maßnahme, die sich gegen eine bestimmte Person, nämlich den Bf., richtete. Mag auch die Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen den Bf. - anders als bei dem vom VfGH zu B502/85 am 26.9.1986 entschiedenen Fall einer behördlichen Blutabnahme - wegen der Bewußtlosigkeit des Bf. zum Zeitpunkt der Blutabnahme ohne Überwindung eines dagegen gerichteten Widerstandes erfolgt sein, so ändert dieser Umstand nichts daran, daß die von der bel. Beh. verfügte Blutabnahme beim Bf. ohne dessen - auch nur vermutbare - Zustimmung erfolgte und schon deswegen eine nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG vor dem VfGH anfechtbare behördliche Maßnahme vorliegt. Ist es doch auch aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes nach Art144 B-VG schlechterdings ausgeschlossen, eine bewußtlose Person, gegen die sich eine behördliche Maßnahme richtet, schlechterzustellen als eine im Besitze des Bewußtseins befindliche Person. Der Umstand, daß bei einer bewußtlosen Person eine die Anfechtbarkeit der behördlichen Maßnahme nach Art144 Abs1 B-VG ausschließende Zustimmung zu der von der Behörde verfügten Maßnahme von vornherein unmöglich ist, kann nicht dazu führen, bei bewußtlosen Personen eine derartige Zustimmung zu fingieren.
2. Gemäß §82 Abs2 VerfGG 1953 idF der Nov. BGBl. 311/1976 kann die Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG gegen einen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangenen Verwaltungsakt nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen erhoben werden. Diese Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, soferne er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung.
Der Bf. gelangte seinen unbestritten gebliebenen Behauptungen zufolge frühestens am 2.9.1987, und zwar nach Bevollmächtigung seines Vertreters und nach der von diesem vorgenommenen Akteneinsicht zur Kenntnis der am 5.7.1987 stattgefundenen, von der Behörde veranlaßten Blutabnahme. Die am 14.10.1987 zur Post gegebene Beschwerde wurde sohin binnen der Frist von sechs Wochen ab Kenntnis der beim Bf. vorgenommenen behördlichen Blutabnahme eingebracht.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:
1. Gemäß Art8 Abs1 MRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatlebens.
Wie der EGMR in seinem Urteil vom 26.3.1985 im Fall X u. Y gegen Niederlande, EuGRZ 1985, 298 aussprach, ist Schutzobjekt des Art8 MRK das "Privatleben", "das die körperliche und geistige Unversehrtheit der Person ... einschließt." Die EKMR hat daher auch zwangsweise medizinische Eingriffe, selbst wenn sie von untergeordneter Bedeutung sind, als Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art8 Abs1 MRK qualifiziert (Appl. Nr. 8278/78, ÖJZ 1980, 470). In ihrer Entscheidung vom 4.12.1978, Appl. Nr. 8239/78, hat die EKMR auf gesetzlich vorgesehene, zwangsweise Bluttests nach dem Niederländischen Straßenverkehrsrecht ausdrücklich die Garantie des Art8 Abs1 MRK für anwendbar erklärt und derartige Eingriffe mit Rücksicht auf den Gesetzesvorbehalt des zweites Absatzes des Art8 MRK für zulässig befunden, insofern sie zum Schutz der Rechte anderer notwendig sind.
Der VfGH hat in VfSlg. 5295/1966 und 8671/1979 für andere, nicht auf die zwangsweise Blutabnahme zielende behördliche Maßnahmen zur Feststellung der Alkoholisierung von Verkehrsteilnehmern gemäß §5 Abs2 StVO bzw. zur damit in Zusammenhang stehenden vorläufigen Abnahme des Führerscheins nach §76 Abs1 KFG festgestellt, daß diese dem Art8 MRK nicht widersprechen, weil es sich (zwar) um Eingriffe in das Privatleben handelt, die (jedoch) dem Schutz der Öffentlichkeit vor alkoholisierten Fahrzeuglenkern dienen und damit im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Art8 Abs2 MRK gerechtfertigt sind.
Auch in der Literatur (Frowein in: Frowein-Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 1985, 197 f.; Kopetzki, Blutabnahme am Bewußtlosen zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung - eine Richtigstellung, Österreichische Richterzeitung 1985, 54; Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, 1988, RdNr. 556) werden "Zwangsuntersuchungen und zwangsweise Blutentnahmen (als) Verletzungen der Privatsphäre" bezeichnet, die "der Rechtfertigung nach Art8 Abs2 (bedürfen)" (so Frowein, a.a.O.).
Der VfGH ist ebenfalls der Auffassung, daß eine behördliche Blutabnahme zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingreift, weil dadurch die zur Privatsphäre zählende physische Integrität des Menschen von hoher Hand beeinträchtigt wird.
2. Nach Art8 Abs2 MRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes (auf Achtung des Privatlebens) neben anderen, materiellen Voraussetzungen nur statthaft, "insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist". Der VfGH hatte daher zu prüfen, ob eine Blutabnahme bei Bewußtlosen durch §5 Abs6 StVO oder eine andere Rechtsvorschrift gesetzlich vorgesehen ist.
Dies ist aus folgenden Gründen nicht der Fall:
Ebenso wie die Weigerung, sich einem Alkotest zu unterziehen, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 7499 und 7509/1975, 8231/1977) lediglich verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden, aber nicht durch Anwendung physischen Zwanges durchzusetzen ist, darf auch die Verweigerung einer Blutabnahme nach der Verfassungsbestimmung des §5 Abs6 StVO zum Zwecke der Feststellung des Blutalkoholgehaltes von der Behörde nur im Wege des §99 Abs1 litc StVO durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe sanktioniert werden. Die dementsprechende Absicht des Verfassungsgesetzgebers läßt sich eindeutig den parlamentarischen Materialien zu §5 Abs6 StVO entnehmen. Im Ausschußbericht an das Plenum des Nationalrats (AB 240 BlgNR IX. GP, S. 4) heißt es nämlich: "Der §5 Abs6 des vorliegenden Entwurfes begründet die Rechtspflicht, sich unter bestimmten Voraussetzungen Blut abnehmen zu lassen. Er sieht jedoch keine Sanktionen zur Durchsetzung dieser Rechtspflicht vor und ist daher - für sich betrachtet - eine lex imperfecta. Die Sanktion für Zuwiderhandlungen gegen die in §5 Abs6 begründete Rechtspflicht enthält der §99 Abs1 litc. Durch diese Bestimmung wird der Zwang, sich Blut abnehmen zu lassen, effektiv ...".
Daß für eine zwangsweise, trotz Weigerung der betroffenen Person von der Behörde veranlaßte Blutabnahme §5 Abs6 StVO keine hinreichende Rechtsgrundlage bildet, ergibt sich aber auch systematisch gesehen aus dem Charakter dieser Verfassungsbestimmung als Ausnahmevorschrift zu Art90 Abs2 B-VG. Wie der VfGH unter Berufung auf seine Erkenntnisse VfSlg. 5235 und 5295/1966 in VfSlg. 9950/1984 und 10291/1984 ausgeführt hat, bewirkt das auch im Verwaltungsstrafverfahren in seiner materiellen Bedeutung anzuwendende Anklageprinzip nach Art90 Abs2 B-VG, daß der Beschuldigte eines Strafverfahrens nicht Objekt dieses Verfahrens, sondern Subjekt, also Prozeßpartei ist. Jeder gegen einen Beschuldigten gerichtete behördliche Eingriff, der diesen unter Strafsanktion verpflichtet, an der Wahrheitsfindung durch ein mündliches Geständnis oder dergestalt mitzuwirken, daß er seinen Körper für medizinische Eingriffe, mit anderen Worten als Beweismittel (gegen sich selbst) zur Verfügung stellt, widerspricht dem Anklageprinzip (so auch VfSlg. 10976/1986). Mit Rücksicht auf diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz mußte der Verfassungsgesetzgeber (wie im zitierten AB, S. 3 f., zum Ausdruck gelangt und von Weiler, Die zwangsweise Blutabnahme in der Strafrechtspflege als verfassungsrechtliches Problem, Zeitschrift für Verkehrsrecht 1958, 183 ff., vorher literarisch in überzeugender Form dargelegt wurde) §5 Abs6 StVO als Verfassungsbestimmung beschließen und bezeichnen, um damit zum Zwecke der erleichterten strafrechtlichen Verfolgung von Verkehrsdelikten eine Ausnahmebestimmung zu schaffen.
Es würde jedoch dem Charakter des §5 Abs6 StVO als Ausnahmebestimmung zu Art90 Abs2 B-VG (vgl. auch VwGH v. 25.5.1964, Zl. 1839/1962) widersprechen, in extensiver und dem Willen des historischen Gesetzgebers (wie gezeigt) zuwiderlaufender Auslegung dieser Bestimmung die Ermächtigung zur zwangsweisen behördlichen Blutabnahme gegen den Willen des Betroffenen zu entnehmen.
Ist jedoch eine zwangsweise Blutabnahme ohne Einwilligung des Betroffenen auf Grund §5 Abs6 StVO in Verbindung mit Art90 Abs2 B-VG ausgeschlossen, so kommt eine Blutabnahme bei bewußtlosen Personen unter Berufung auf diese Rechtsvorschrift von vornherein nicht in Betracht. Wenn §5 Abs6 StVO zwar unter bestimmten Voraussetzungen eine Verpflichtung festlegt, sich einer Blutabnahme zu unterziehen, und im Verein mit §99 Abs1 litc StVO für den Fall der Verletzung dieser Pflicht eine Verwaltungsstrafe vorsieht, ohne jedoch die Verwaltungsbehörde zum Zwecke der Blutabnahme mit direkten Zwangsbefugnissen auszustatten, scheidet eine Blutabnahme bei bewußtlosen Personen schon deswegen aus, weil bei diesen (wie unter II.1. dargetan) eine Blutabnahme zum Zwecke der Blutalkoholfeststellung von vornherein lediglich als unmittelbare behördliche Zwangsmaßnahme denkbar und möglich ist.
Auch eine andere gesetzliche Grundlage für eine behördliche Blutabnahme bei Bewußtlosen zum Zweck der Blutalkoholbestimmung ist in der österreichischen Rechtsordnung nicht vorhanden.
3. Der durch die zwangsweise Blutabnahme beim Bf. bewirkte behördliche Eingriff in dessen verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Achtung des Privatlebens konnte sich sohin auf keine gesetzliche Grundlage im Sinne des Art8 Abs2 MRK stützen. Der Eingriff war gesetzlos und verletzte den Bf. in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung seines Privatlebens gemäß Art8 Abs1 MRK.
4. Über die Beschwerde war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von
S 1.000,-- enthalten.
6. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VerfGG 1953 idF der Nov. BGBl. 297/1984 abgesehen, weil nach der Aktenlage zu erkennen ist, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt.
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