VfGH B66/81

VfGHB66/8124.6.1982

Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz 1955; gleichheitswidrige Auslegung des §2 Abs2 Z4 iVm §3 Z2 Grunderwerbsteuergesetz 1955

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ErbStG 1955 §2 Abs2 Z4
GrESt 1955 §3 Z2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ErbStG 1955 §2 Abs2 Z4
GrESt 1955 §3 Z2

 

Spruch:

Die Beschwerdeführer sind durch den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 19. Dezember 1980, GZ GA 11-2193/1/80, soweit mit ihm der Erstbeschwerdeführerin gemäß §8 Abs4 ErbStG Erbschaftssteuer von S 5.000,- und dem Zweitbeschwerdeführer gemäß §14 Abs1 GrEStG Grunderwerbsteuer von S 43.910,- vorgeschrieben wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird daher insoweit aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) K. F. - der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin F. F. (Erstbfin.) und Vater des Zweitbeschwerdeführers, des mj. H. F. (Zweitbf.) - ist am 10. Juli 1977 verstorben. In seinem Testament vom 21. April 1972 hatte er die Erstbfin. zur Universalerbin eingesetzt und den Zweitbf. auf den Pflichtteil beschränkt.

Am 30. April 1979 schlossen die Beschwerdeführer ein Pflichtteilsübereinkommen, demzufolge der Zweitbf. zur Abgeltung seines Pflichtteils in Höhe von S 1,848.848,- aus dem Nachlaß die beiden Liegenschaften EZ 648, KG O., Grundstück Nr. 1305/10 mit einem Verkehrswert von S 1,350.000,- und EZ 1581, KG F., Haus in der Senefeldergasse CNr. 1581, Grundstück Nr. 780, Bauarea mit einem Verkehrswert von S 360.000,-, unter Übernahme der im Grundbuch einverleibten Pfandrechte zugunsten der Ersten Österreichischen Spar-Casse im zum Todestag aushaftenden Betrag von insgesamt S 485.493,- erhielt. Der noch ausstehende Differenzbetrag wurde durch die Hingabe von Wertpapieren im Verkehrswert von S 138.949,50 berichtigt.

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 7. Mai 1979 wurde der Nachlaß auf Grund des erwähnten Testamentes der Erstbfin. zur Gänze eingeantwortet.

b) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 19. Dezember 1980 wurden für diese Erwerbsvorgänge folgende Steuern vorgeschrieben:

Der Erstbfin.

Erbschaftssteuer gemäß §8 Abs1 ErbStG

7% von S 1,726.900,- = S 120.883,-

Erbschaftssteuer gemäß §8 Abs4 ErbStG

1% von S 500.000,- = S 5.000,-;

dem Zweitbf.

Erbschaftssteuer gemäß §8 Abs1 ErbStG

7% von S 1,818.840,- = S 127.319,-

Grunderwerbsteuer gemäß §14 Abs1 GrEStG

2% von S 2,195.493,- = S 43.910,-

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

Bekämpft werden nur jene Teile des Bescheides, mit denen der Erstbfin. gemäß §8 Abs4 ErbStG Erbschaftssteuer von S 5.000,- und dem Zweitbf. gemäß §14 Abs1 GrEStG Grunderwerbsteuer von S 43.910,-

vorgeschrieben wird. Nicht angefochten werden hingegen jene Bescheidteile, die die Erstbfin. zur Bezahlung von Erbschaftssteuer gemäß §8 Abs1 ErbStG und den Zweitbf. zur Bezahlung von Erbschaftssteuer verpflichten. Über diese - trennbaren - nicht bekämpften Bescheidteile war daher vom VfGH nicht abzusprechen.

3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid wird im wesentlichen wie folgt begründet:

Gemäß §2 Abs1 Z1 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955, BGBl. 141 (ErbStG) unterliege der Erwerb durch Erbanfall, durch Vermächtnis oder auf Grund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruches als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftssteuer. Der Erstbfin. sei als Alleinerbin der gesamte Nachlaß angefallen. Der Erwerb durch Erbanfall iS des §2 Abs1 Z1 ErbStG setze voraus, daß der Abgabepflichtige auf Grund des Gesetzes, einer letztwilligen Verfügung oder auf Grund eines Erbvertrages als Erbe eingesetzt worden ist. Dies treffe zwar bei der Alleinerbin zu, nicht jedoch beim Pflichtteilsberechtigten. Der Pflichtteilsanspruch bestehe nämlich nicht in einem Anspruch auf einen quotenmäßigen Teil des Nachlasses, sondern in einer Forderung auf einen verhältnismäßigen Teil des Nachlaßwertes in Geld. Es seien somit die im Nachlaß enthaltenen Liegenschaften der Alleinerbin angefallen, während der Pflichtteilsberechtigte keinen Anteil am Nachlaßvermögen, sondern einen schuldrechtlichen Anspruch auf Geld erworben habe. Wenn der Pflichtteilsanspruch auf Grund des mit der Alleinerbin abgeschlossenen Übereinkommens neben der Überlassung von Wertpapieren durch Hingabe von zum Nachlaß gehörigen Liegenschaften berichtigt wird, so sei darin eine Hingabe an Zahlungs Statt zu erblicken. Der Pflichtteilsberechtigte habe dann diese Liegenschaften nicht von Todes wegen nach dem Erblasser erworben, sondern durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden von der Alleinerbin. Es könne daher auch die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach §3 Z2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1955, BGBl. 140 (GrEStG), nicht zum Tragen kommen. Im Wege der grammatikalischen Interpretation des §2 Abs2 Z4 ErbStG ergebe sich, daß nur das als vom Erblasser zugewendet gilt, was als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch von dritter Seite gewährt wird. Ein solcher Sachverhalt liege aber im gegenständlichen Fall nicht vor.

Die Einbeziehung der übernommenen Pfandrechte im zum Todestag aushaftenden Betrag von S 485.493,- in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer erfolge deshalb, weil die Grunderwerbsteuer gemäß §10 Abs1 GrEStG vom Wert der Gegenleistung zu berechnen sei und zur Gegenleistung alles zähle, was der Erwerber aufzuwenden hat, um die Liegenschaft zu erwerben. Dazu würde die Übernahme der Verbindlichkeiten aus einem nach §7 Mietengesetz gewährten Darlehen auch dann zählen, wenn dieses von den Mietern des Hauses zu tilgen sei, denn maßgebend sei nur, wer Darlehensschuldner sei.

2. a) Der Zweitbf. erblickt die behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes und des Eigentumsrechtes zusammengefaßt in folgenden Umständen:

aa) "Nach wörtlicher und teleologischer Auslegung des §2 Abs1 Z1 ErbStG stellt der Erwerb des Pflichtteils - wenn auch in Form eines Pflichtteilsübereinkommens - einen Erwerb von Todes wegen, sohin von dem Erblasser, dar. Dieser Erwerb des Pflichtteilsberechtigten kann nur der ErbSt und nicht auch der GrESt unterliegen. Die Auslegung der belangten Behörde durch zusätzliche Belastung mit GrESt ist denkunmöglich.

Sollte dieser Subsumtion des Sachverhalts nicht gefolgt werden, würde dem Gesetz fälschlicherweise ein gleichheitswidriger Inhalt unterstellt, da Gleiches, nämlich der Erwerb von Todes wegen, verschieden behandelt wird.

Sollte hingegen das Gesetz den Erwerb von Todes wegen durch den Pflichtteilsberechtigten bei Zuteilung einer Liegenschaft mit ErbSt und GrESt belasten, wäre §3 Z3 GrEStG verfassungsgesetzlich wegen Verletzung des Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz bedenklich."

bb) Die erwähnten Grundrechte seien auch dadurch verletzt worden, daß die belangte Behörde als "Gegenleistung" das im Grundbuch einverleibte Darlehen im aushaftenden Betrag von S 485.453,- bei Berechnung der Grunderwerbsteuer miteinbezogen habe.

b) Die Erstbfin. begründet ihre Behauptung, im Gleichheitsrecht und im Eigentumsrecht verletzt worden zu sein, mit dem Hinweis auf die vorstehenden Ausführungen; die Grundstücke seien nicht ihr, sondern dem Zweitbf. von Todes wegen zugekommen.

3. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

b) aa) §3 GrEStG lautet auszugsweise:

"Von der Besteuerung sind ausgenommen:

...

2. der Grundstückserwerb von Todes wegen ...,

3. der Erwerb eines zum Nachlaß gehörigen Grundstückes durch Miterben zur Teilung des Nachlasses. ..."

bb) Nach §1 Abs1 Z1 ErbStG unterliegt der Erbschaftssteuer der "Erwerb von Todes wegen". Dem §2 Abs2 Z4 dieses Gesetzes zufolge gilt als vom Erblasser zugewendet (und damit als "Erwerb von Todes wegen") ua. "was als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch ... gewährt wird".

c) Die belangte Behörde argumentiert im wesentlichen damit, daß der Pflichtteilsberechtigte (der Zweitbf.) kein Erbe sei. Sein Anspruch sei eine Forderung auf einen verhältnismäßigen Teil des Nachlaßwertes in Geld, jedoch kein Anspruch auf einen aliquoten Teil des Nachlasses. Der Anspruch des Zweitbfs. auf die Grundstücke sei erst durch Rechtsgeschäft unter Lebenden begründet worden. Die Befreiungsbestimmung des §3 Z2 GrEStG komme für ihn nicht zum Tragen, da es sich eben nicht um einen Erwerb von Todes wegen gehandelt habe; daher sei er grunderwerbsteuerpflichtig.

Aus diesen Überlegungen folge auch, daß die Grundstücke, die die Erstbfin. ihrem Sohn zur Abgeltung seines Pflichtteilsanspruches überlassen hat, von ihr durch Erbanfall erworben worden und gemäß §20 Abs1 ErbStG in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen gewesen seien. Die Erstbfin. habe die beiden Grundstücke sohin von Todes wegen erworben; daher habe sich nach §8 Abs4 lita ErbStG die sich nach den vorangehenden Absätzen ergebende Erbschaftssteuer um 1 v. H. des Wertes der durch die Zuwendung erworbenen Grundstücke erhöht.

d) Hätte das Gesetz tatsächlich diesen - von der Behörde angenommenen - Inhalt, so wäre es gleichheitswidrig. Es gibt nämlich keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß derjenige, der den Pflichtteil geltend gemacht hat und in Abgeltung (Abfindung) desselben (daher nicht darüber hinaus) eine Liegenschaft erhält, abgabenrechtlich anders behandelt werden soll als jener - in der gleichen wirtschaftlichen Lage befindliche - Pflichtteilsberechtigte, der Verzicht auf seinen Anspruch gegen das Versprechen leistet, für den Verzicht eine bestimmte Liegenschaft zu erhalten. Der Erwerb der Liegenschaft durch einen solchen (Verzicht leistenden) Pflichtteilsberechtigten ist aber zufolge §2 Abs2 Z4 ErbStG auf Grund des klaren und eindeutigen Gesetzeswortlautes zweifelsohne als Erwerb von Todes wegen anzusehen, daher erbschaftssteuerpflichtig und gemäß §3 Z2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit (vgl. Dorazil, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, 2. Aufl.,

S 36).

Durch eine am Sinn des Gesetzes orientierte - durch seinen Wortlaut nicht ausgeschlossene - Interpretation der beiden Bestimmungen läßt sich dieses gleichheitswidrige Ergebnis aber vermeiden. §2 Abs2 Z4 ErbStG kann nämlich extensiv dahin ausgelegt werden, daß diese Vorschrift nicht bloß für jenen Pflichtteilsberechtigten gilt, der für seinen - ausdrücklichen Verzicht auf seinen Pflichtteilsanspruch ein Grundstück erhält, sondern auch für einen Pflichtteilsberechtigten, der - wie der Zweitbf. - als Abfindung für seinen Pflichtteilsanspruch eine Liegenschaft bekommt, bei dem also ohne solchen formellen Verzicht wirtschaftlich Gleiches bewirkt wird. Diese Interpretation hat zur Folge, daß einerseits bei jedem der genannten Pflichtteilsberechtigten (hier auch beim Zweitbf.) ein Grundstückserwerb von Todes wegen vorliegt, der erbschaftssteuerpflichtig und grunderwerbsteuerfrei ist, und daß andererseits kein Grundstückserwerb von Todes wegen beim Erben (hier der Erstbfin.) gegeben ist.

Zum gleichen Ergebnis kommt übrigens - worauf die Beschwerdeführer zutreffend hinweisen - auch der deutsche Bundesfinanzhof in seinem kürzlich - in Abkehr von seiner bisherigen Judikatur - ergangenen Urteil vom 30. September 1981, II R 64/80.

Zusammenfassend ist festzuhaltenn daß die belangte Behörde dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte. Ihre auf einer restriktiven Auslegung beruhende Auslegung war verfehlt, da sie sich nicht der möglichen und daher gebotenen verfassungskonformen Interpretation bediente.

Die Beschwerdeführer wurden daher durch die angefochtenen Teile des Bescheides (s.o. I.2.a) im Gleichheitsrecht verletzt. Diese Bescheidteile waren daher als verfassungswidrig aufzuheben.

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