VfGH B133/77,B250/78,B419/78

VfGHB133/77,B250/78,B419/78B133/77,B250/78,B419/78B133/77,B250/78,B419/7828.2.1981

Tir. Landes-Bauordnung; keine Bedenken gegen §18 Abs4;

AVG 1950; Planwechsel - kein Wechsel der "Sache" iSd §66 Abs4; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Gleichheitsverletzung

Normen

B-VG Art83 Abs2
AVG §66 Abs4
Bundes-GemeindeaufsichtsG
Tir LandesbauO §18 Abs4
Tir GemeindeO 1966 §1 Abs3
Tir GemeindeO 1966 §112, §112 Abs5
B-VG Art83 Abs2
AVG §66 Abs4
Bundes-GemeindeaufsichtsG
Tir LandesbauO §18 Abs4
Tir GemeindeO 1966 §1 Abs3
Tir GemeindeO 1966 §112, §112 Abs5

 

Spruch:

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes 1717 der KG L. (sog. "Hibler-Gangl"), das eine Breite von etwa 1,70 m hat und als Weg benützt wird. Dieses Grundstück grenzt nördlich an die im Eigentum des Beteiligten dieses Beschwerdeverfahrens, A.M., stehende Parzelle 158/1 und südlich an das Mag. I.F. gehörige Grundstück 157. Auf dem Grundstück 158/1 ist an der Grundgrenze zur Parzelle 1717 eine Garage errichtet.

Der Beteiligte suchte am 7. Oktober 1968 um die baubehördliche Bewilligung für die Aufstockung der Garage an; das gesamte Objekt sollte nicht mehr für Garagenzwecke verwendet werden. Die Bewilligung hiezu wurde am 9. Dezember 1968 vom Bürgermeister erteilt.

In dem seither abgewickelten Verwaltungsverfahren wurden bereits wiederholt der VfGH (siehe VfSlg. 7550/1975 und VfSlg. 7908/1976) und der VwGH (siehe VwGH 9. 11. 1970 Z 1107/69, 25. 11. 1975 Z 1926/73 und 25. 11. 1975 Z 1203/75) eingeschaltet. Das Verwaltungsverfahren stellt sich - auf das für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerden Wesentliche gekürzt - wie folgt dar:

2. a) Mit dem in einem ersten Rechtsgang erflossenen Bescheid vom 9. Dezember 1968 versagte der Bürgermeister der Stadtgemeinde L. dem Beteiligten M. die am 7. Oktober 1968 beantragte Baubewilligung. Auch im zweiten Rechtsgang lehnte der Bürgermeister mit Bescheid vom 30. Juli 1971 dieses Bauansuchen ab. Der Stadtrat der Stadtgemeinde

L. (im folgenden: Stadtrat) hat die dagegen am 17. August 1971 vom Beteiligten M. erhobene Berufung mit Bescheid vom 7. Oktober 1971 abgewiesen und ihm damit die Baubewilligung verweigert.

Die Tir. Landesregierung hat mit Bescheid vom 18. Februar 1977 der dagegen vom Beteiligten M. erhobenen Vorstellung Folge gegeben; sie hat den angefochtenen Bescheid des Stadtrates vom 7. Oktober 1971 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtrat verwiesen.

b) Gegen diesen Vorstellungsbescheid wendet sich die zu B133/77 erhobene Beschwerde an den VfGH.

3. a) In der Folge hat der Stadtrat neuerlich über die am 17. August 1971 vom Beteiligten M. erhobene Berufung entschieden und ihr Folge gegeben; er hat sein Bauansuchen - nach Änderung der Baupläne - unter Erteilung mehrerer Auflagen mit Bescheid vom 8. September 1977 genehmigt; die in den neuen Plänen eingezeichnete Terrasse samt Geländer wurde jedoch - offenbar von der Behörde entgegen dem Willen des Bauwerbers - gestrichen.

Mit Bescheid vom 15. März 1978 hat die Tir. Landesregierung die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen (im folgenden: "Vorstellungsbescheid Maier").

b) Gegen diesen Vorstellungsbescheid richtet sich die zu B250/78 eingebrachte Beschwerde an den VfGH.

4. a) Gegen den Bescheid des Stadtrates vom 8. September 1977 hat auch der Beteiligte M. Vorstellung erhoben. Dieser wurde mit Bescheid der Tir. Landesregierung vom 15. März 1978 (im folgenden: "Vorstellungsbescheid M.") Folge gegeben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtrat verwiesen.

Am 10. Mai 1978 hat der Stadtrat sodann nochmals über die Berufung des Beteiligten M. vom 17. August 1971 unter Bedachtnahme auf den "Vorstellungsbescheid M." vom 15. März 1978 dahin entschieden, daß der Berufungsbescheid des Stadtrates vom 8. September 1977 "insofern abgeändert" wird, als "die Streichung der Terrasse und des Geländers in den dem Baubewilligungsbescheid zugrunde gelegten Plänen, welche gegen den Willen des Bauwerbers vorgenommen worden ist, als ungültig erklärt und das gegenständliche Bauvorhaben ohne Einschränkung und Modifikation gemäß den dem Baubewilligungsbescheid zugrunde gelegten Plänen genehmigt wird".

Die Tir. Landesregierung hat die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Vorstellung mit Bescheid vom 13. Juni 1978 als unbegründet abgewiesen.

b) Dagegen wendet sich die zu B419/78 eingebrachte Beschwerde an den VfGH.

5. Alle Beschwerden werden auf Art144 B-VG gestützt. Die Beschwerdeführerin behauptet, durch die angefochtenen Vorstellungsbescheide in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein; sie begehrt die kostenpflichtige Aufhebung der drei Bescheide, allenfalls die Abtretung der Beschwerden an den VwGH.

6. Die belangte Behörde und der Beteiligte M. haben zu allen drei Beschwerden Gegenschriften erstattet, in denen sie die Abweisung der Beschwerden beantragen. Der Beteiligte begehrt überdies den Zuspruch von Kosten.

II. Der VfGH hat erwogen:

A) Zur Beschwerde gegen den Vorstellungsbescheid vom 18. Februar 1977

(B133/77)

1. Gemäß §56 der Tir. Bauordnung, LGBl. 42/1974 (TBO), sind Bauverfahren, in denen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes am 1. Jänner 1975 bereits eine Entscheidung der Behörde I. Instanz erlassen worden ist, nach den bisherigen Bestimmungen zu Ende zu führen.

Die erstmalige Entscheidung durch den Bürgermeister der Stadtgemeinde L. ist hier bereits mit Bescheid vom 9. Dezember 1968 erfolgt. Die Behörden hatten daher hier die Tir. Landes-Bauordnung, LGBl. 1/1901 (im folgenden: TLBO), in der bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der TBO geltenden Fassung anzuwenden.

§18 Abs4 TLBO lautet:

"In Orten (Ortsteilen), für die die offene Bauweise nicht vorgeschrieben ist, sind keinesfalls schmale Zwischenräume zwischen den Nachbargebäuden gestattet. Wenn nicht zusammengebaut werden kann, muß mindestens ein Raum von 6 m, vom Nachbarhause aus gerechnet, freigelassen werden. Von der Nachbargrenze muß der Bau jedenfalls 3 m entfernt bleiben. ..."

2. Der angefochtene Bescheid wird im wesentlichen damit begründet, daß die zitierte Gesetzesbestimmung nur für die geschlossene Bauweise Geltung habe, deren wesentliches Merkmal das Zusammenbauen von Gebäuden an der gemeinsamen Grundgrenze sei. Der Begriff "Nachbargebäude" könne nach der gegebenen Auslegung bezüglich der geschlossenen Bauweise nur so verstanden werden, daß es sich hiebei um Gebäude handelt, die auf benachbarten - somit durch gemeinsame Grundgrenze getrennten - Liegenschaften stehen. Das bedeute für das gegenständliche Verfahren, daß als Grundlage für die Bemessung des Seitenabstandes lediglich die Gpn. 158/1 und 1717, nicht aber die Gp. 157 maßgeblich seien. Der Eigentümer eines zur Verbauung ganz ungeeigneten schmalen Streifens mit Wegfunktion, auf dem ein Nachbarhaus weder besteht noch geplant werden kann, sei iS des Erk. des VwGH vom 9. November 1970, Z 1107/69, nicht berechtigt, die Einhaltung eines Abstandes zu verlangen; die Anrainerin (die Beschwerdeführerin dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens) verwende das "Hibler-Gangl" als Weg, sodaß ihre Interessen an dieser Verwendung durch den Anbau an die Grundgrenze nicht berührt würden. Es bestehe sohin für den Bauwerber als Eigentümer der Gp. 158/1 kein gesetzliches Hindernis, bis an die Grundgrenze (Gp. 1717) zu bauen. Dadurch, daß ihm der Stadtrat die Baubewilligung versagt habe, sei er in seinen Rechten verletzt worden; es sei daher der Vorstellung Folge zu geben gewesen.

3. Die Beschwerdeführerin behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein:

Die Gemeindeaufsichtsbehörde habe nach §7 Abs5 des Bundesgemeindeaufsichtsgesetzes, BGBl. 123/1967, nur dann das Recht, gemeindebehördliche Bescheide aufzuheben, wenn Rechte des Einschreiters verletzt worden sind. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, da die Entscheidung des Stadtrates zutreffend gewesen sei. Die von der Vorstellungsbehörde vorgenommene Auslegung des §18 Abs4 TLBO sei unrichtig.

Außerdem sei die belangte Vorstellungsbehörde nicht auf ihren (der Beschwerdeführerin) Einwand eingegangen, daß die Berufung des Beteiligten M. gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde L. vom 9. Dezember 1968 keinen begründeten Berufungsantrag enthalten habe.

4. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin nicht im Recht:

Das Bundes-Gemeindeaufsichtsgesetz, BGBl. 123/1967, ist hier nicht anzuwenden, da die Gemeindeaufsichtsbehörde nicht einen Vollzugsakt zu überprüfen hatte, der von der Gemeinde in einer aus dem Bereiche der Bundesvollziehung stammenden Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches erlassen worden ist (§1 Abs3 leg. cit.). Vielmehr hatte die belangte Behörde über die Vorstellung gegen einen in einer Baurechtssache ergangenen Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde L. zu entscheiden, sohin über den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereiche der Landesvollziehung. Es war sohin nicht das Bundes-Gemeindeaufsichtsgesetz, sondern - wie sich aus deren §112 ergibt - die Tir. Gemeindeordnung 1966, LGBl. 4 (TGemO), anzuwenden. Dem §112 TGemO zufolge war die Tir. Landesregierung zur Entscheidung über die erhobene Vorstellung zuständig. Ob ihre Entscheidung richtig war, berührt nicht das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (siehe die ständige Judikatur des VfGH, zB VfSlg. 7910/1976 und 8240/1978).

Die belangte Behörde hatte nämlich gemäß §112 Abs5 TGemO lediglich zu beurteilen, ob durch den Bescheid des Stadtrates vom 7. Oktober 1971 Rechte des Vorstellungswerbers M. verletzt wurden; mit diesem Bescheid wurde über die Berufung des Beteiligten M. gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde L. vom 30. Juli 1971 entschieden, nicht aber über die - in einem früheren Rechtsgang - ergangene Entscheidung des Bürgermeisters vom 9. Dezember 1968. Weder der Stadtrat noch die Gemeindeaufsichtsbehörde hatten sich daher hier mit dem zuletzt erwähnten Bescheid des Bürgermeisters und der dagegen gerichteten Eingabe des Beteiligten M. auseinanderzusetzen.

B) Zur Beschwerde gegen den "Vorstellungsbescheid Maier" vom 15. März 1978 (B250/78)

1. Der angefochtene Vorstellungsbescheid wird zunächst damit begründet, daß gemäß §112 Abs5 TGemO der Stadtrat bei seiner neuerlichen Entscheidung vom 8. September 1977 an die im Vorstellungsbescheid der Tir. Landesregierung vom 18. Februar 1977 vertretene Rechtsansicht gebunden war.

Dem Vorwurf der Vorstellungswerberin, daß der Stadtrat ein gegenüber den ursprünglichen Einreichplänen geändertes Bauprojekt genehmigt habe, wird im angefochtenen Bescheid entgegengehalten, daß ein derartiger Planwechsel zulässig sei; ein Planwechsel könne nicht als vollständige Änderung des ursprünglichen Bauwillens angesehen werden; das Verfahren zur Bewilligung des geänderten Vorhabens stelle kein neues Bauverfahren dar. "Ausgehend von dieser rechtlichen Einheit der Planänderung mit dem ursprünglich bewilligten Bauvorhaben" ergebe sich, daß für die Entscheidung über die Planänderung der Stadtrat als Baubehörde zweiter Instanz zuständig gewesen sei.

Das Bauvorhaben stehe mit dem gültigen Verbauungsplan der Stadtgemeinde L. nicht in Widerspruch. Es sei nicht ersichtlich, daß durch die beabsichtigte Erweiterung eines bestehenden Betriebes eine erhöhte Belästigung oder Gefährdung der Nachbarn eintreten könnte.

2. In der gegen den Vorstellungsbescheid erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, es sei verfassungswidrig, wenn der Stadtrat der Stadtgemeinde L. als Baubehörde zweiter Instanz unter Übergehung der ersten Instanz erstmalig über völlig neue Einreichpläne entscheide; ein derartiges - von der Vorstellungsbehörde gedecktes - Vorgehen verletze das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Außerdem habe die belangte Behörde durch den bekämpften Bescheid einen im Jahre 1965 anläßlich eines damals geführten baubehördlichen Verfahrens zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beteiligten M. abgeschlossenen Vergleich, das Grundstück nicht anders als für eine Garage zu benützen, "wieder außer Kraft gesetzt".

3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird auch dann verletzt, wenn die Gemeindeaufsichtsbehörde im Vorstellungsbescheid die Nichtzuständigkeit der Gemeindebehörden nicht wahrgenommen hat (vgl. VfSlg. 8229/1977).

Der bekämpfte Bescheid entscheidet über die Vorstellung gegen den Berufungsbescheid des Stadtrates vom 8. September 1977. Der Stadtrat als Baubehörde zweiter Instanz wäre zur Erlassung dieses Bescheides dann nicht zuständig gewesen, wenn er in einer Sache entschieden hätte, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Unterbehörde (des Bürgermeisters) gewesen wäre (vgl. zB VfSlg. 7948/1976, 8176/1977, 8188/1977 und 8475/1978).

Gemäß §66 Abs4 AVG 1950 hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung zu ändern. "Sache" ist immer die Angelegenheit, die Inhalt des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat (vgl. VfSlg. 8996/1980).

Der VfGH hat es im Erk. VfSlg. 7876/1976, S 103, bei der damals gegebenen Sachlage für zulässig erachtet, daß der Bauwerber im Zuge des Berufungsverfahrens die Baupläne geändert hat.

Der VwGH hat im Erk. vom 7. Dezember 1976 Z 1987, 1988/76 dargetan, daß die Berufungsbehörde ein Bauvorhaben noch als dieselbe Sache iS des §66 Abs4 AVG 1950 ansehen dürfe, wenn die angeordnete Verschiebung des Projektes in horizontaler und vertikaler Richtung das Bauvorhaben nicht als ein anderes beurteilen lasse. Der Wille des Bauwerbers, auf seiner Liegenschaft ein Wohngebäude mit einer bestimmten Bausubstanz zu errichten, sei damit nicht verändert worden, weil die Bausubstanz dieselbe geblieben sei und die Verschiebung kein Ausmaß erreicht habe, welches das Bauvorhaben als ein anderes beurteilen ließe. Der Wille des Bauwerbers, ein Wohngebäude mit einer bestimmten Bausubstanz errichten zu wollen, sei aber sowohl Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens als auch des Berufungsverfahrens gewesen, sodaß das Vorliegen einer anderen Sache nicht zu Recht angenommen werden könne.

Ähnliche Erwägungen liegen dem Erk. VwGH vom 11. April 1978 Z 1385/76 zugrunde. In diesem Fall hatte der Bauwerber seinen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung im wesentlichen eingeschränkt, sodaß das Bauvorhaben nicht als ein anderes zu beurteilen sei, wenngleich im Hinblick auf die Reduzierung der Baumaße verschiedene Veränderungen im Inneren des Gebäudes erforderlich wurden.

Der VfGH bleibt bei seiner Judikatur (VfSlg. 7876/1976) und teilt die Rechtsansicht des VwGH, die in dieselbe Richtung geht.

Diese Überlegungen gelten auch im vorliegenden Fall. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin leitet sich das Institut des Planwechsels nämlich nicht aus besonderen baurechtlichen Vorschriften ab, sondern aus §66 Abs4 AVG, der auch hier anzuwenden ist.

Es geht also um die Lösung der Frage, ob der Stadtrat das vom Beteiligten M. im Zuge des Berufungsverfahrens abgeänderte Bauvorhaben noch als dieselbe Sache iS des §66 Abs4 AVG 1950 beurteilen durfte. Diese Frage ist zu bejahen:

Die Baubehörde zweiter Instanz hatte aufgrund eines von ihr vorgenommenen Lokalaugenscheines festgestellt, daß die bisherige Bauausführung mit den seinerzeit vorgelegten Plänen nicht voll übereinstimme. Sie hat daher den Bauwerber (den Beteiligten M.) aufgefordert, den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechende Pläne beizubringen.

Dieser Aufforderung ist der Bauwerber nachgekommen. Die von ihm vorgenommenen Planänderungen betreffen - soweit das Bauansuchen samt den ihm nun zugrundeliegenden Plänen vom Stadtrat genehmigt wurde - die innere Raumverteilung und bewirkten keine nach außen wesentlich in Erscheinung tretende Änderung des Gebäudes.

Der Einwand der Beschwerdeführerin, der Beteiligte M. habe eine mit ihr getroffene Vereinbarung nicht eingehalten, weist - ohne daß dies einer weiteren Begründung bedarf - nicht nach, daß die Gemeindeaufsichtsbehörde im bekämpften Vorstellungsbescheid die Nichtzuständigkeit der Gemeindebehörde nicht wahrgenommen hätte.

C) Zur Beschwerde gegen den Vorstellungsbescheid vom 13. Juni 1978

(B419/78)

1. Der Vorstellungsbescheid vom 13. Juni 1978 verweist in seiner Begründung zunächst auf den "Vorstellungsbescheid M." vom 15. März 1978. An die dort vertretene Rechtsansicht sei der Stadtrat bei seiner neuerlichen Entscheidung gebunden gewesen.

Im übrigen setzt sich der Vorstellungsbescheid vom 13. Juni 1978 vor allem mit den Einwendungen der Beschwerdeführerin auseinander, daß der Stadtrat über ein im Zuge des Berufungsverfahrens geändertes Bauvorhaben entschieden hat.

2. Die Beschwerdeführerin behauptet auch hier eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Sie bringt vor, daß der Stadtrat als Baubehörde zweiter Instanz unter Übergehung der ersten Instanz erstmalig über völlig neue Bauvorhaben entschieden habe; dies betreffe insbesondere die nunmehr bewilligte Schaffung einer Terrasse samt Geländer. Außerdem hätte über die Bewilligung der Terrasse nicht vor Abschluß des zu B250/78 geführten verfassungsgerichtlichen Verfahrens entschieden werden dürfen.

3. Was die mit Bescheid des Stadtrates vom 10. Mai 1978 erteilte baubehördliche Genehmigung der Terrasse samt Geländer anlangt, ist §112 Abs5 TGemO zu beachten, wonach das zuständige Gemeindeorgan dann, wenn die Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde über Vorstellung einen gemeindebehördlichen Bescheid aufhebt, bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden ist. Nun hat die Tir. Landesregierung mit dem "Vorstellungsbescheid M." vom 15. März 1978 ihrer Meinung Ausdruck verliehen, daß die Streichung der Terrasse und des Geländers in den Plänen gegen den Willen des Bauwerbers (des Beteiligten M.) vorgenommen worden sei; da die Pläne einen integrierenden Bestandteil des Spruches des Bescheides darstellten, sei durch diese Vorgangsweise eine nicht zulässige Modifikation des Bauvorhabens vorgenommen worden. Damit hat die Gemeindaufsichtsbehörde ihre Ansicht ausgedrückt, daß auch die Terrasse und das Geländer zu bewilligen seien. Die Aufsichtsbehörde war bei der Entscheidung über die zuletzt erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den neuerlichen Berufungsbescheid des Stadtrates an diese Ansicht gebunden (vgl. zB VwGH 7. 3. 1979 Z 1774/78).

Der "Vorstellungsbescheid M." vom 15. März 1978 blieb unangefochten. Er hat im weiteren Verwaltungsverfahren auch die Vorstellungsbehörde selbst gebunden. Der Vorstellungsbescheid vom 13. Juni 1978 und der "Vorstellungsbescheid M." vom 15. März 1978 stimmen überein; es ist daher ausgeschlossen, daß in dieser Beziehung eine vom VfGH festzustellende Rechtsverletzung - auch nicht eine solche des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter - vorliegt.

Im Hinblick auf dieses Ergebnis erübrigt es sich, auf den Vorwurf der Beschwerdeführerin einzugehen, es habe ein Wechsel der "Sache" iS des §66 Abs4 AVG 1950 stattgefunden.

Auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, daß die belangte Behörde nicht vor Abschluß des beim VfGH zu B250/78 geführten Verfahrens hätte entscheiden dürfen, ist zu erwidern: Der VfGH hat der von der Beschwerdeführerin gegen den "Vorstellungsbescheid Maier" vom 15. März 1978, zu B250/78 erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt (Beschluß vom 9. Mai 1978). Jedenfalls unter diesem Umstand waren der Stadtrat und die Gemeindeaufsichtsbehörde nicht daran gehindert, auch nach Anfechtung dieses Vorstellungsbescheides beim VfGH das Verwaltungsverfahren fortzuführen.

D) Zusammenfassung

1. Die in allen drei Beschwerden behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat sohin nicht stattgefunden.

Zu dem in den Beschwerden zu B250/78 und B419/78 erhobenen Vorwurf, die angefochtenen Bescheide hätten die Beschwerdeführerin auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 7550/1975 und die dort zitierte Vorjudikatur) zu verweisen. Das Eigentumsrecht kann begrifflich nur durch einen in dieses Recht eingreifenden Bescheid verletzt werden. Mit den angefochtenen Vorstellungsbescheiden wurden Baubewilligungen nicht beseitigt, die nach Ansicht der Beschwerdeführerin nicht hätten erteilt werden dürfen. Das aber bedeutet keinen Eingriff in ihr Eigentumsrecht. Soweit der Beschwerdeführerin durch die der Erteilung der Baubewilligung und deshalb mittelbar auch durch die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Normen überhaupt subjektive Rechte eingeräumt werden, handelt es sich ausschließlich um öffentliche Rechte, die nicht den Schutz des Art5 StGG genießen (vgl. zB VfSlg. 7347/1974).

Der VfGH hat noch untersucht, ob die Beschwerdeführerin durch die bekämpften Bescheide im Gleichheitsrecht verletzt wurde. Eine Verletzung dieses Grundrechtes kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 7550/1975) nur vorliegen, wenn sich der Bescheid auf eine dem Gleichheitsgebot widersprechende Rechtsvorschrift stützt oder wenn die Behörde Willkür geübt hat. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der von der belangten Behörde herangezogenen Rechtsvorschriften (insbesondere gegen §18 Abs4 TLBO) sind aus der Sicht dieses Beschwerdefalles - insbesondere im Hinblick auf das Gleichheitsgebot - nicht entstanden (vgl. auch hiezu VfSlg. 7550/1975). Es haben sich aber auch keine Anhaltspunkte ergeben, die die Annahme rechtfertigen könnten, daß die belangte Behörde willkürlich vorgegangen wäre (vgl. hiezu die Rechtsprechung des VwGH VwSlg. 6788 A/1965 und die dort zitierte Vorjudikatur, wonach die Vorschrift des §18 Abs4 TLBO keine Anwendung finde, wenn die Nachbargründe durch einen öffentlichen Weg getrennt sind).

Auch die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hat offenkundig nicht stattgefunden.

Die Beschwerden waren sohin abzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte