European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00129.25I.1111.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
[1] Der vierjährige T* und die drei Jahre alte M* leben im Haushalt ihrer Eltern C* und R*, denen die gemeinsame Obsorge zukommt.
[2] Die väterlichen Großeltern beantragten mit Schreiben vom 23. 11. 2023 eine gerichtliche Kontaktregelung zu ihren Enkelkindern. Die Eltern untersagten ihnen den Kontakt. Die Mutter versuche, T* gegenüber dem Großvater zu entfremden. Ihre Vorwürfe, es hätten sexuelle Übergriffe stattgefunden, hätten sich als haltlos erwiesen; das Ermittlungsverfahren sei eingestellt worden.
[3] Die Eltern sprachen sich gegen ein Kontaktrecht der väterlichen Großeltern aus. Der Kontakt zu ihnen sei – zur Hintanhaltung einer Gefährdung der Kinder – unterbunden worden, nachdem ab Februar 2023 Äußerungen und Gebärden von T* den Verdacht eines sexuellen Übergriffs seitens des väterlichen Großvaters hätten aufkommen lassen. Bereits zuvor sei unpassendes, im Nachhinein betrachtet bedenkliches Verhalten des väterlichen Großvaters gegenüber T*, konkret eine wiederholte öffentliche Sexualisierung des Kleinkindes, aufgefallen: Er habe ihm unter anderem einen pornografischen Film am Mobiltelefon gezeigt, mehrfach Bezug auf T*s Penis genommen und sich wörtlich dahin geäußert, dass T* ihn „schon ganz geil“ mache und dieser (in neu gekauften Jeans) einen „geilen Arsch“ habe. Schon dieses ungebührliche Verhalten sei regelmäßiges Streitthema zwischen den Eltern gewesen. Zugleich sei die Paarbeziehung seit der Geburt der Kinder durch Einmischung der väterlichen Großeltern in die Erziehung (bis hin zur Wahl des Nachnamens und der Religionszugehörigkeit der Kinder) sehr stark belastet worden. Das Aufkommen des Vorwurfs eines sexuellen Übergriffs im Februar 2023 habe die Spannungen zwischen den Eltern und den väterlichen Großeltern noch vergrößert: Beide Großelternteile würden schlecht über die Eltern sprechen und der Mutter vorwerfen, den Vater (über die Kinder als „Druckmittel“) zu manipulieren. Der väterliche Großvater bezeichne die Mutter nur noch als „Drecksau“ und lehne jeden künftigen Kontakt zu ihr ab. Zugleich verfolge er die Familie seit Februar 2023 beharrlich; jeden Tag komme er zur Beobachtung und Einschüchterung bis zu achtmal am Wohnhaus vorbei und zeige sich gegenüber der Mutter und den Kindern auch täglich am Weg in den Kindergarten sowie am Heimweg. Die Situation belaste die an Multipler Sklerose erkrankte Mutter stark, die gerade dazu angehalten sei, sich keinesfalls Stress auszusetzen, um weitere Krankheitsschübe zu vermeiden. Das angestrebte Kontaktrecht hätte angesichts des vollständigen Zerwürfnisses zwischen den väterlichen Großeltern und den Eltern der Kinder massive negative Auswirkungen auf die Familienbeziehung innerhalb der Kernfamilie. Die Wiederaufnahme der großelterlichen Kontakte zu den Kindern würde zu einer Störung nicht nur der Paarbeziehung der Eltern, sondern auch der Eltern‑Kind‑Beziehung führen, drohten die Kinder doch einem Loyalitätskonflikt ausgesetzt zu werden. Die väterliche Großmutter solidarisiere sich völlig unkritisch mit dem väterlichen Großvater und teile seine Ablehnung der Mutter.
[4] Das Erstgericht räumte im zweiten Rechtsgang den väterlichen Großeltern ein Kontaktrecht zu beiden Enkelkindern im Ausmaß von zwei Stunden, unter der Woche, an einem Wochentag, 14‑tägig, ein, wobei in den ersten sechs Monaten das Kontaktrecht in Anwesenheit einer professionellen Besuchsbegleitung sowie in Abwesenheit der Eltern stattzufinden habe. Zugleich ordnete das Erstgericht nach sechs Monaten und positiver Evaluierung der Besuchskontakte ein zumindest 14‑tägiges unbegleitetes Kontaktrecht an und bestimmte weiters, dass bis zum sechsten Geburtstag von T* der väterliche Großvater unbegleitete Besuchskontakte zu beiden Minderjährigen nur im öffentlichen Raum und in Anwesenheit der väterlichen Großmutter wahrzunehmen habe. Schließlich trug es den Eltern eine Elternberatung im Ausmaß von zehn Einheiten auf.
[5] In Anlehnung an das Gutachten der beigezogenen Sachverständigen stellte das Erstgericht zusammengefasst fest, „aus psychologischer Sicht“ habe sich ergeben, dass sich die Mutter bereits vor dem 15. 2. 2023 durch das Verhalten der väterlichen Großeltern stark belastet und eingeschränkt gefühlt und einen großen Leidensdruck verspürt habe. Damals habe aber noch eine gute Beziehung zwischen T* und den väterlichen Großeltern bestanden. Es sei „naheliegend [...], dass die Idee, der väterliche Großvater könne dem Kind etwas angetan haben, die Mutter (und auch den Vater als Reaktion) aktiviert habe, verstärkt auf Signale in diese Richtung zu achten und eine selektive Wahrnehmung zu entwickeln“. Die Entstehungsgeschichte des Vorhalts der Eltern gegenüber dem väterlichen Großvater sei – angesichts der suggestiven Befragung des Kindes seitens der Mutter und der durch das junge Alter erhöhten Fehleranfälligkeit in der kindlichen Aussage – höchst fraglich. Der damalige Vorwurf lasse sich nicht klären. „Aus fachlicher Sicht“ sei das Wohl der Kinder durch den Kontakt zu den väterlichen Großeltern aktuell unter folgenden Rahmenbedingungen nicht gefährdet: Anfängliche Besuchsbegleitung werde – angesichts des schon geraume Zeit zurückliegenden Letztkontakts – „empfohlen“. Es bedürfe zudem einer Evaluierung, um den Eltern (die zur Ermöglichung unbelasteter Kontakte der Kinder zu den Großeltern nötige) Sicherheit zu geben. Elternberatung sei erforderlich, weil ein Aufrechterhalten der massiven Abneigung der Eltern (insbesondere der Mutter) gegenüber den väterlichen Großeltern dem neuerlichen Entstehen einer Bindung zwischen Kindern und Großeltern im Weg stehe und die Kinder mit der Zeit zwangsläufig in einen Konflikt bringe. Um das Aufkommen neuerlicher Vorhalte zu verhindern, werde die Wahrnehmung unbegleiteter Kontakte des väterlichen Großvaters zu den Kindern bis zum sechsten Geburtstag von T* nur im öffentlichen Raum oder in Anwesenheit der väterlichen Großmutter „empfohlen“. Es sei „zu hoffen, dass die Zeit (und die Elternberatung) bis dahin dazu beiträgt, dass sich die Fronten aufweichen und die wechselseitigen Vorhalte beiseite gelegt werden können“. Schließlich sei „dringend zu empfehlen“, dass die väterlichen Großeltern davon Abstand nehmen, die Familie „durch deren Beobachtungen zu belasten, wie dies aktuell passiert“. Es werde „geraten, das Haus der Familie nicht näher zu umkreisen […]“, trage dieses Verhalten doch lediglich zu einer Belastung, nicht zu einer Deeskalation der Situation bei.
[6] Aus diesen Erwägungen folgerte das Erstgericht rechtlich, es liege kein triftiger Grund für eine Versagung des Kontaktrechts vor. Das Wohl der Kinder lasse den persönlichen Kontakt mit den väterlichen Großeltern wünschenswert erscheinen. Von den Eltern sei zu verlangen, eine Atmosphäre zu schaffen, die einen solchen Kontakt ermögliche. Natürlich hätten auch die Großeltern alles zu vermeiden, was zu einer Störung des Familienlebens oder ihrer Beziehungen zu dem Kind führen könnte.
[7] Das Rekursgericht betätigte den Beschluss des Erstgerichts. Es verneinte – unter Verweis auf das dem Pflegschaftsrichter zukommende Beweisaufnahmeermessen – die gerügten Verfahrensfehler erster Instanz. Das den Großeltern eingeräumte Kontaktrecht sei gemäß § 187 Abs 2 iVm § 188 Abs 1 Satz 1 ABGB einzuschränken oder zu untersagen, wenn konkrete Umstände eine Gefährdung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes besorgen ließen. Völlig eindeutig komme die Sachverständige in ihrem Gutachten zum Schluss, dass das Kindeswohl durch das Kontaktrecht zu den Großeltern (im empfohlenen Ausmaß) nicht gefährdet sei. Die Relevanz der behaupteten (sexualisierten) Verhaltensweisen des väterlichen Großvaters vor dem (ungeklärt gebliebenen) Vorwurf des sexuellen Übergriffs im Februar 2023 verneinte das Rekursgericht unter Verweis auf die ohnedies angeordnete Einbindung einer neutralen Person, die sicherstelle, dass die Kinder durch die Kontakte zu den väterlichen Großeltern nicht „überfordert oder in ihrer Entwicklung gefährdet werden“. Ebenso wenig treffe die Kritik zu, das Erstgericht habe die ungebührliche Einmischung der väterlichen Großeltern in das Familienleben, die beharrliche Verfolgung und die negative Auswirkung der Situation auf die Familienbeziehung unberücksichtigt gelassen: Den väterlichen Großeltern sei gerade empfohlen worden, die Eltern mit ihren Kindern nicht mehr durch deren Beobachtungen zu belasten. Auch die Einmischung der väterlichen Großeltern in der Vergangenheit und die damit einhergehende Belastung der Mutter sowie der Paarbeziehung der Eltern seien ohnedies bereits in das Sachverständigengutachten, in die darauf gestützten Feststellungen, letztlich daher auch in die Beurteilung des Kindeswohles eingeflossen. Die zu diesen Themenkreisen gewünschten zusätzlichen Feststellungen seien rechtlich nicht relevant.
[8] Gegen diesen Beschluss wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Eltern, mit dem sie die Abweisung des Kontaktrechtsantrags anstreben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die väterlichen Großeltern beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihn abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[11] 1. Nach ständiger Rechtsprechung hat § 188 Abs 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 zu keiner inhaltlichen Änderung des Kontaktrechts der Großeltern geführt (RS0048015 [T1]; RS0048004 [T8]; 7 Ob 251/18i ErwGr 1.). Dieses kann auch weiterhin eingeschränkt oder untersagt werden, wenn dadurch das Familienleben der Eltern oder deren Beziehung zum Kind gestört würde (§ 188 Abs 1 Satz 2 ABGB). Das Kontaktrecht der Großeltern ist daher schwächer als jenes der Eltern (RS0048015). Ob und inwiefern es ihnen zusteht, hängt in erster Linie vom Wohl des Kindes ab; dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen (RS0048004 [T9]).
[12] 2. Die negative Einstellung der Eltern (bzw des betreuenden Elternteils) zum Kontaktrecht der Großeltern ist nicht entscheidend (RS0048003 [T3]). Der alleinige Umstand, dass sich Großeltern und Eltern (bzw der das Kind betreuende Elternteil) nicht verstehen, reicht damit grundsätzlich nicht für eine Versagung oder Einschränkung des Kontaktrechts. Wenn das Wohl des Kindes den persönlichen Kontakt mit den Großeltern wünschenswert erscheinen lässt, muss nämlich auch von den Eltern verlangt werden, dass sie eine Atmosphäre schaffen, die einen solchen Kontakt ermöglicht (RS0048003; 4 Ob 19/08k ErwGr 1.).
[13] Anderes gilt nur, wenn zwischen Eltern und Großeltern so schwerwiegende Konflikte und Spannungen bestehen, dass dadurch die Entwicklung des Kindes gestört werden könnte, mit anderen Worten eine Kontaktregelung in einer zum Wohl des Kindes geeigneten Weise nicht durchführbar ist (vgl 3 Ob 209/11y ErwGr 2.; 1 Ob 98/14i ErwGr 3.). Gegen einen Kontakt von Minderjährigen zu den Großeltern spricht nach der Rechtsprechung, wenn dieser die Familienbeziehung innerhalb der Kernfamilie stören oder einen Loyalitätskonflikt bedeuten würde (4 Ob 19/08k ErwGr 2.; 1 Ob 98/14i ErwGr 3.; 4 Ob 52/15y mwN).
[14] 3. Gerade auf ein solches – durch das bisherige Verhalten der väterlichen Großeltern verursachtes – tiefgreifendes Zerwürfnis und die daraus drohende Belastung nicht nur ihrer eigenen Paarbeziehung, sondern auch ihrer Eltern-Kind-Beziehung bei Wiederaufnahme des Kontakts zwischen Kindern und Großeltern haben sich die Eltern im Verfahren gestützt. Sie führen dabei nicht nur den (nicht verifizierbaren) Verdacht eines sexuellen Übergriffs im Februar 2023 ins Treffen, sondern berufen sich – neben einer regelmäßigen Einmischung der väterlichen Großeltern in die Kindererziehung – auch auf einen schon in der Vergangenheit mehrfach sehr problematischen Umgang des väterlichen Großvaters mit T*, der bereits damals Streitpunkt zwischen den Elternteilen gewesen sei und nun auch im Lichte des im Februar 2023 hervorgekommenen Verdachts Bedenken wecke. Zugleich behaupten sie eine Vertiefung und Vervollständigung des Zerwürfnisses mit beiden (väterlichen) Großelternteilen nach Februar 2023, die insbesondere die Mutter schlechtmachen, ihr Manipulation des Vaters vorwerfen und künftigen Kontakt zu ihr ablehnen würden. Schließlich mache der väterliche Großvater – mit dem sich die Großmutter unkritisch solidarisiere – auch nicht vor öffentlichen Beschimpfungen der Mutter halt und stelle ihr und den Kindern im Alltag nach, obwohl ihr durch den damit einhergehenden Stress schwerwiegende körperliche Schäden drohten.
[15] 4. Zu diesen von den Eltern erhobenen Vorwürfen haben die Vorinstanzen bisher nur rudimentäre Feststellungen getroffen, zumal sich das Erstgericht in seinem Beschluss darauf beschränkte, die weitgehend in Form von Empfehlungen abgefassten gutachterlichen Schlussfolgerungen der psychologischen Sachverständigen zu den in Frage stehenden Geschehensabläufen und der dadurch bedingten nunmehrigen Konfliktsituation zu übernehmen.
[16] Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts kommt diesen Vorwürfen sehr wohl rechtliche Relevanz zu: Sollten sie zutreffen, wäre angesichts des letztlich von beiden väterlichen Großelternteilen ausgehenden Verhaltens zu befürchten, dass eine Aufnahme von Kontakten der väterlichen Großeltern zu den Kindern mit massiven Belastungen für die Familienbeziehung innerhalb der Kernfamilie einhergehen würde. Wie es nämlich den Eltern in der von ihnen behaupteten anhaltenden Konfliktsituation (die – gegebenenfalls – gerade nicht bloß auf einer negativen Einstellung der Mutter gegenüber den väterlichen Großeltern beruhen würde) möglich und zumutbar sein sollte, eine Atmosphäre zu schaffen, die einen für die Kinder gedeihlichen Kontakt ermöglicht, zeigt das Rekursgericht nicht auf und ist auch nicht ersichtlich.
[17] 5. Da erst nach Verbreiterung der Tatsachengrundlage abschließend entschieden werden kann, sind die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Pflegschaftssache ist zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
[18] Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren eindeutige Feststellungen zu den verschiedenen von den Eltern relevierten Vorwürfen gegenüber den väterlichen Großeltern und zu den Auswirkungen der beantragten Kontaktrechtsausübung auf die Familienbeziehung innerhalb der Kernfamilie zu treffen haben.
[19] Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Pflegschaftsrichter – ungeachtet der Anordnung des § 13 AußStrG und des ihm im Außerstreitverfahren zukommenden Beweisaufnahmeermessens (vgl RS0006319 [T2]) – von der Aufnahme einzelner beantragter Beweismittel nur dann Abstand nehmen kann, wenn auch auf andere Weise eine (ausreichend) verlässliche Klärung möglich ist (RS0006319 [T6]). Die Einvernahme der Eltern und väterlichen Großeltern erweist sich im vorliegenden Fall zur Abklärung des Sachverhalts als unerlässlich. Insoweit verbietet es sich, von der Ausschöpfung dieser angebotenen Beweise abzusehen.
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