OGH 2Ob117/25g

OGH2Ob117/25g18.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Lackner & Hausmann Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei P*, vertreten durch die oehner & partner rechtsanwaelte GmbH in Wien, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei H*, vertreten durch die Paulitsch Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 3.795.169,84 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 12. Mai 2025, GZ 2 R 153/24w‑72, mit welchem der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 3. Juni 2024, GZ 25 Cg 12/21m‑67, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00117.25G.0918.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei wird, soweit er sich gegen die Abweisung ihres Antrags auf Urkundenvorlage nach § 82 ZPO richtet, als unzulässigzurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den gegen die Abweisung des Antrags auf Urkundenvorlage nach § 303 ZPO und Durchführung eines Augenscheins gerichteten Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt 3.795.169,84 EUR sA aus dem Titel der Abschlussprüferhaftung und stellte unter Berufung auf §§ 82 und 303 f ZPO den Antrag, der Beklagten in Bezug auf eine mit der Klägerin verbundene Gesellschaft die Vorlage der Prüfungsdokumentation des Jahresabschlusses 2016 sowie der Konzernabschlüsse 2016, 2017 und 2018 einschließlich aller Aufzeichnungen, Unterlagen und elektronischen Dokumente aufzutragen, hilfsweise hinsichtlich der elektronischen Prüfdokumentation einen Augenschein unter Beiziehung eines Sachverständigen anzuordnen.

[2] Die Beklagte und der Nebenintervenient sprachen sich gegen diesen Antrag aus.

[3] Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag des Klägers ab. § 82 ZPO sei nicht einschlägig, weil die Beklagte in ihrem Vorbringen auf keine bestimmte Urkunde Bezug genommen habe. Die begehrten Urkunden seien keine gemeinschaftlichen Urkunden und es bestehe keine vertragliche Verpflichtung zur Ausfolgung dieser Urkunden. Die Beklagte unterliege zudem einer Verschwiegenheitspflicht, von der sie nicht entbunden worden sei.

[4] Das Rekursgericht wies den Rekurs des Klägers zurück. Die Rechtsrüge des Klägers gegen die Nichtanwendung des § 82 ZPO beschränke sich auf die pauschale Behauptung, das Erstgericht habe die Sache rechtlich unrichtig beurteilt, sodass sie insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt sei. Es liege sohin ein Beschluss nach § 303 ZPO vor, der nach § 319 Abs 2 ZPO nicht abgesondert anfechtbar sei. Entsprechendes gelte nach § 291 Abs 1 ZPO für den Beschluss, mit dem ein Augenschein abgelehnt wurde. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

[5] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin anstrebt, dass seinen Anträgen stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Das Rekursgericht sei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, wonach die Abweisung eines Antrags nach § 82 ZPO selbständig anfechtbar sei. Dies müsse auch für den Fall gelten, dass ein Gericht die Anwendbarkeit des § 82 ZPO verneine.

[6] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist, soweit er sich gegen die Abweisung des Antrags auf Urkundenvorlage nach § 82 ZPO richtet, jedenfalls unzulässig, im Übrigen aber entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; er ist insoweit im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Zur Urkundenvorlage nach § 82 ZPO

[8] 1.1. Nach § 82 Abs 1 ZPO ist eine Partei, wenn sie in einem Schriftsatz auf in ihren Händen befindliche Urkunden Bezug genommen hat, auf Verlangen des Gegners verpflichtet, ihm diese Urkunden in Abschrift zu übersenden oder in Urschrift bei Gericht zu hinterlegen. Der Normzweck des § 82 ZPO ist die Gewährleistung der Information des Prozessgegners (RS0121004). Gegen den Beschluss, mit dem einem Antrag nach § 82 Abs 1 ZPO stattgegeben wird, ist aufgrund der im Gesetz normierten unbedingten Vorlagepflicht kein Rechtsmittel zulässig (5 Ob 130/91; 1 Ob 80/18y). Demgegenüber ist die Abweisung eines Antrags nach § 82 Abs 1 ZPO nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs mit Rekurs anfechtbar (RS0036534). Dies gilt auch, wenn sich der Antragsteller auf § 82 ZPO beruft, das Gericht aber – wie im vorliegenden Fall – die Auffassung vertritt, dass die Voraussetzungen einer Vorlagepflicht nach § 82 Abs 1 ZPO nicht gegeben seien (5 Ob 131/91; 5 Ob 122/91; 5 Ob 130/91). Dementsprechend hätte das Rekursgericht den gegen die Abweisung seines Antrags auf Urkundenvorlage nach § 82 ZPO gerichteten Rekurs des Klägers nicht zurückweisen dürfen.

[9] 1.2. Die Zurückweisung eines Rekurses aus formellen Gründen ist kein bestätigender Beschluss im Sinne des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO und kann dahermit Revisionsrekurs angefochten werden, wenn eine sachliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht stattgefunden hat (RS0044232; RS0044456 [T8]). Hat das Rekursgericht die behaupteten Rekursgründe aber auch inhaltlich geprüft, liegt ein bestätigender Beschluss vor (RS0044456 [T4, T6, T11]). Dafür genügt die inhaltliche Überprüfung in einer Hilfsbegründung (RS0044232 [T16, T17]). In einem solchen Fall ist der Beschluss als Sachentscheidung anzusehen und der Revisionsrekurs nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO unzulässig(RS0044232).

[10] 1.3. Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht den gegen die Abweisung seines Antrags auf Urkundenvorlage nach § 82 ZPO gerichteten Rekurs des Klägers auch inhaltlich behandelt, indem es die darin enthaltene Rechtsrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt qualifizierte, sodass der Revisionsrekurs gegen die bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts über den Antrag auf Urkundenvorlage nach § 82 ZPO nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen war.

2. Zur Urkundenvorlage nach § 303 ZPO und Durchführung eines Augenscheins

[11] 2.1. Der Kläger stützt seinen Urkundenvorlageantrag auch auf § 303 ZPO, wonach das Gericht, wenn eine Partei behauptet, dass sich eine für ihre Beweisführung erhebliche Urkunde in den Händen des Gegners befindet, dem Gegner die Vorlage der Urkunde auftragen kann, und begehrt hilfsweise die Durchführung eines Augenscheins. Soweit das Erstgericht den Antrag des Klägers auf Urkundenvorlage nach § 303 ZPO einschließlich des Eventualantrags auf Durchführung eines Augenscheins abgewiesen hat, war dieser Beschluss nach § 319 Abs 2 bzw § 291 Abs 1 ZPO nicht abgesondert anfechtbar.

[12] 2.2. Wird eine nicht abgesondert anfechtbare Entscheidung mit einer abgesondert anfechtbaren Entscheidung in einem Beschluss vereinigt, so kann der Rekurs gegen die nicht abgesondert anfechtbare Entscheidung nach § 515 ZPO mit einem zulässigen Rekurs gegen die abgesondert anfechtbare Entscheidung verbunden werden (RS0043719). Da der gegen die Abweisung des Antrags nach § 82 Abs 1 ZPO gerichtete Rekurs des Klägers zulässig war, hätte das Rekursgericht auch den gegen die Abweisung seines Antrags auf Urkundenvorlage nach § 303 ZPO und Durchführung eines Augenscheins gerichteten Rekurs nicht zurückweisen dürfen.

[13] 2.3. § 515 ZPO gilt nach der Rechtsprechung auch für Entscheidungen des Rekursgerichts (RS0043724; krit G. Kodek, Der aufgeschobene Rekurs: Ein Plädoyer an den Gesetzgeber, Zak 2022/685 [369]; Sloboda in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 515 ZPO Rz 10; Werderitsch, Anm zu 1 Ob 231/22k, EvBl 2023/236 [808]). Die Zurückweisung eines Rechtsmittels ist aber stets abgesondert anfechtbar. Auch die Zurückweisung des Rekurses gegen einen nicht abgesondert anfechtbaren erstgerichtlichen Beschluss durch die zweite Instanz ist dementsprechend unter den Voraussetzungen des § 528 ZPO mit Revisionsrekurs bekämpfbar (7 Ob 62/01w; 7 Ob 64/05w; 1 Ob 10/06m; 9 ObA 82/12t; Sloboda in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 515 ZPO Rz 25).

[14] 2.4. Hat das Rekursgericht einen Rekurs als unzulässig zurückgewiesen, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, anlässlich der Entscheidung über den verfehlten Zurückweisungsbeschluss sogleich in der Sache selbst zu erkennen, wenn dadurch der Instanzenzug verschoben würde (RS0007037). Das ist hier der Fall, weil das Rekursgericht den gegen die Abweisung seines Antrags auf Urkundenvorlage nach § 303 ZPO und Durchführung eines Augenscheins gerichteten Rekurs des Klägers aufgrund einer verfehlten Rechtsansicht nicht inhaltlich behandelt hat. Der Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts war daher insoweit aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

[15] 3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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