OGH 9Ob69/24y

OGH9Ob69/24y22.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl in den verbundenen Rechtssachen der 1.) im führenden Verfahren AZ 30 Cg 38/22p klagenden Partei D*, 2.) im verbundenen Verfahren AZ 30 Cg 93/22a klagenden Partei R*, und 3.) im verbundenen Verfahren AZ 33 Cg 42/22y klagenden Partei A*, alle vertreten durch Aziz Breitenecker Kolbitsch Rechtsanwältinnen in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) K*, 2.) Diözese *, beide vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 3.) Stadt *, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, sowie dem Nebenintervenienten auf Seiten der drittbeklagten Partei Land *, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen ad 1.) 152.800 EUR sA, ad 2.) 199.200 EUR sA und ad 3.) 55.400 EUR sA, jeweils Zahlung einer monatlichen Rente (Streitwert jeweils 72.000 EUR) und jeweils Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. April 2024, GZ 16 R 250/23m‑36, mit dem infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 31. Juli 2023, GZ 30 Cg 38/22p‑25, verbunden mit AZ 30 Cg 93/22a und 33 Cg 42/22y, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0090OB00069.24Y.0122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

1. Der Revision wird gegenüber der Erstbeklagten Folge gegeben. Das Teilurteil des Berufungsgerichts sowie das Ersturteil werden in diesem Umfang aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

2. Die Revision wird gegenüber der Zweitbeklagten zurückgewiesen.

Die Kläger sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Zweitbeklagten die mit 2.335,87 EUR (darin 389,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die damals zwei, knapp vier und fünf Jahre alten Kläger waren ab 1. 6. 1991 für sechs, zehn und sieben Jahre in einem vom erstbeklagten Orden betriebenen Kinderheim untergebracht. Dieses war ein bis 2014 bestehendes Vertragsheim der drittbeklagten Stadt. Die Drittbeklagte als Kinder- und Jugendhilfeträger war im Zeitraum der dortigen Unterbringung der Kläger für diese obsorgeberechtigt.

[2] Am 29. 1. 2019 suchte der Erstkläger, nachdem er sich zuvor bei einer Opferschutzorganisation wegen einer möglichen Entschädigung erkundigt hatte, die Ombudsstelle der Erzdiözese * für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche auf. Er gab dort an, dass er während seiner Zeit im Kinderheim täglich körperliche Gewalt habe erleben und mitansehen müssen. Als Beschuldigte nannte er drei Ordensschwestern sowie eine weltliche Erzieherin und einen unbekannten Priester. Er habe deshalb diverse Beziehungs- und sonstige Probleme.

[3] Der Zweitkläger und der Drittkläger suchten, nachdem sie vom Erstkläger über diese Möglichkeit informiert worden waren, am 1. 4. 2019 die Ombudsstelle der zweitbeklagten Diözese auf. Auch sie berichteten über regelmäßige körperliche Gewalt ua durch die bereits vom Erstkläger genannten Schwestern und die weltliche Erzieherin und gaben an, deshalb Beziehungs- sowie sonstige Probleme zu haben.

[4] Die Kläger begehrten mit den jeweils am 4. 8. 2022 eingebrachten Klagen ua die Feststellung der Haftung der drei Beklagten zur ungeteilten Hand für sämtliche zukünftigen Nachteile, welche aus den von den Klägern im jeweiligen Zeitraum ihres Aufenthalts im Kinderheim durch zahllose psychische und physische Misshandlungen seitens der Schwestern des erstbeklagten Ordens erlittenen Körperverletzungen resultierten. Außerdem begehrten sie jeweils, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von Schmerzengeld und Verdienstentgang sowie einer monatlichen Verdienstentgangsrente zu verpflichten. Sie seien von der Drittbeklagten im von der Erstbeklagten betriebenen und in den territorialen Zuständigkeitsbereich der Zweitbeklagten fallenden Kinderheim untergebracht worden. Die Kläger hätten erst ab dem Erstgespräch bei der Ombudsstelle erkannt, dass ein Zusammenhang zwischen den traumatischen Kindheitserfahrungen und den konkreten Problemen, die sie ihr Leben lang begleiteten, bestehen könnte. Der Kausalitätszusammenhang sei den Klägern erst bei Erhalt eines Sachverständigengutachtens im August bzw Oktober 2021 bewusst gewesen.

[5] Die Erstbeklagte und die Zweitbeklagte wandten ein, die Kläger hätten die behaupteten Misshandlungen nicht erlitten. Die von den Klägern beschuldigten Personen seien weder untüchtig gewesen noch habe die Erstbeklagte um deren allfällige (aber nicht gegebene) Gefährlichkeit gewusst. Die geltend gemachten Ansprüche seien verjährt. Die Zweitbeklagte habe kein Visitationsrecht über die Erstbeklagte gehabt.

[6] Die Drittbeklagte wandte mangelnde Passivlegitimation ein. Sie habe zudem aufgrund der Bewilligung und der regelmäßigen behördlichen Aufsicht durch die * Landesregierung darauf vertrauen dürfen, dass die Einrichtung den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe, es seien ihr keine Missstände mitgeteilt worden. Die Ansprüche seien zudem verjährt.

[7] Der Nebenintervenient auf Seite der Drittbeklagten wandte ein, es habe sich nicht um seine Einrichtung gehandelt. Bei der jährlichen Überprüfung und auch sonst habe es keine Hinweise auf physische oder psychische Gewalt des Betreuungspersonals gegenüber den Kindern gegeben. Die Ansprüche seien zudem verjährt.

[8] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Der Erstbeklagten und der Zweitbeklagten komme (unstrittig) Rechtspersönlichkeit zu. Der Zweitbeklagten sei keine Aufsichtspflichtverletzung vorzuwerfen. Hinsichtlich der Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten komme den Klägern die lange Verjährungsfrist von 30 Jahren nicht zugute. Der Anspruch sei nach der dreijährigen Verjährungsfrist verjährt. Eine Hemmung der Verjährung sei zu verneinen. Zudem sei die Klagseinbringung nicht unverzüglich erfolgt und die Ablaufshemmung nicht geeignet, die Verjährungsfrist bis zum Klagseinbringungstag zu hemmen. Ein Anerkenntnis durch die Zweitbeklagte aufgrund eines Zuspruchs von entgeltlicher Entschädigung und Therapiestunden durch die Stiftung Opferschutz liege nicht vor.

[9] Das Berufungsgericht gab den dagegen von den Klägern erhobenen Berufungen hinsichtlich der Erst- und Zweitbeklagten nicht Folge, hinsichtlich der Drittbeklagten erging ein (nicht angefochtenes) Zwischenurteil nach § 393a ZPO, wonach die Ansprüche hinsichtlich der Drittbeklagten nicht verjährt seien. Die Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten seien nach der dreijährigen Frist verjährt. Die Kläger hätten schon zu den Zeitpunkten 29. 1. 2019 bzw 1. 4. 2019 Kenntnis von ausreichenden Sachverhaltselementen gehabt, um erfolgreich Klage zu erheben. Die 30‑jährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB komme nicht zur Anwendung, da in Bezug auf die behaupteten tätlichen Übergriffe ein Eigenhandeln der juristischen Person nicht denkbar sei. Eine Haftung der Zweitbeklagten scheide schon dem Grunde nach aus. Diese habe keine Visitationspflicht getroffen. Die Kläger hätten zudem gar nicht behauptet, dass der damalige Diözesanbischof Kenntnis von Missständen gerade in diesem Kinderheim gehabt habe, worauf die Zweitbeklagte bereits in erster Instanz mehrfach hingewiesen habe. Ein behauptetes Organisationsverschulden der katholischen Kirche und der Zweitbeklagten im Sinn einer Verpflichtung zur Setzung von Compliance‑Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch stelle eine unzulässige Neuerung dar.

[10] Die Revision wurde, soweit relevant, vom Berufungsgericht zugelassen, weil eine Klarstellung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Anwendbarkeit der 30‑jährigen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 ABGB bei nicht das Vermögen betreffenden Straftaten auf juristische Personen angezeigt erscheine und zur Frage der Aufsichtspflicht einer Diözese über ein Ordensinstitut päpstlichen Rechts keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

[11] Gegen das Teilurteil hinsichtlich der Erst- und Zweitbeklagten richtet sich die Revision sämtlicher Kläger mit dem Antrag, ein (die Verjährung verneinendes) Zwischenurteil zu fällen, in eventu wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

[12] Die Erst- und Zweitbeklagte beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist gegenüber der Erstbeklagten zulässig, sie ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.

[14] Gegenüber der Zweitbeklagten ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

I. Zur Revision gegenüber der Erstbeklagten

[15] Die Revision macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass aus der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht geschlossen werden könne, dass die lange Verjährungsfrist gegenüber juristischen Personen ausschließlich im Falle eines Vermögensdelikts zur Anwendung komme. Der Schluss, dass „jedenfalls“ ein wirtschaftlicher Vorteil eingetreten sein müsse, decke sich nicht mit der bisherigen Rechtsprechung und widerspreche dem Normzweck des § 1489 ABGB. Zudem sei auch die kurze Verjährungsfrist von drei Jahren zum Zeitpunkt der Klagseinbringung noch nicht abgelaufen gewesen.

1. Zur kurzen Verjährungsfrist

[16] 1.1. Gemäß § 1489 Satz 1 ABGB ist jede Entschädigungsklage in drei Jahren von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schaden und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde. Zum Beginn der dreijährigen kenntnisabhängigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:

[17] Die kurze Verjährungsfrist wird durch die Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen sowie des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und dem schadensstiftenden Verhalten in Gang gesetzt (RS0034374 [auch T4]). Wann dies jeweils der Fall ist, hängt naturgemäß von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (RS0034524 [T41]).

[18] Diese Kenntnis muss den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kausalität zwischen Schaden und einem bestimmten Verhalten des Schädigers und jene Umstände, aus denen sich ein Verschulden des Schädigers ableiten lässt (RS0034951 [T7]). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten dabei nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, eine Klage mit Aussicht auf Erfolg zu führen (RS0034366 [insbesondere T19]; RS0034524), wobei auch die Möglichkeit der Einbringung einer Feststellungsklage in Betracht zu ziehen ist (RS0034524 [T2, T17]).

[19] Sobald sich dem Geschädigten die Möglichkeit bietet, ist ihm schon vor Kenntnis der genauen Höhe seines Schadens die Erhebung einer Feststellungsklage abzuverlangen, um die Unterbrechung der Verjährung zu bewirken (RS0034524 [T40]). Die Frage des Beginns der Verjährungsfrist bei Schadenersatzansprüchen kann nur für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden (vgl RS0034524 [T60]).

[20] 1.2. Nach den Feststellungen nannten sämtliche Kläger bereits im Zuge der Gespräche bei der Ombudsstelle am 29. 1. 2019 (Erstkläger) sowie am 1. 4. 2019 (Zweit- und Drittkläger) die geistlichen und weltlichen Erzieherinnen der Erstbeklagten, die ihnen Leid angetan hätten, beschrieben die körperlichen Übergriffe und teilten mit, dass sie „deshalb“ soziale bzw Beziehungsprobleme hätten. Der Erstkläger gab auch an, deshalb ein Alkoholproblem zu haben. Sie äußerten zudem alle den Wunsch, eine Entschädigung zu erhalten. Den Klägern war somit spätestens zu diesen Zeitpunkten klar, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den körperlichen Übergriffen und ihren psychischen Problemen bestand, sie kannten somit sowohl den Schaden (wenn auch unter Umständen nicht in voller Höhe) als auch die Schädigerinnen und den Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und dem schadensstiftenden Verhalten. Dass die Kläger aufgrund der Einholung eines Sachverständigengutachtens im Herbst 2021 sodann eine neuerliche Überprüfung der Angelegenheit durch die Ombudsstelle erreicht haben sollen, ist für den Beginn der Verjährungsfrist irrelevant. Die behauptete Ablaufshemmung scheitert schon daran, dass aus den Feststellungen die Führung von Vergleichsgesprächen mit der Erstbeklagten oder einem ihrer Vertreter nicht abzuleiten ist und derartiges Vorbringen hinsichtlich der Erstbeklagten in erster Instanz auch nicht erstattet wurde. Eine Anscheinsvollmacht hinsichtlich der Erstbeklagten wurde von den Klägern in erster Instanz ebenso nicht behauptet und würde schon an einem von der Erstbeklagten gesetzten Verhalten, das auf eine Bevollmächtigung schließen lassen würde, scheitern (vgl RS0020145). Im Übrigen wurde der Einwand der Sittenwidrigkeit der erhobenen Verjährungseinrede auch nur hinsichtlich der Zweitbeklagten erhoben.

[21] 1.3. Soweit die Revision das Fehlen weiterer Feststellungen zur Frage der Kenntnis von Schaden und Schädiger sowie zur von der Ombudsstelle hinsichtlich des Erstklägers nicht anerkannten bzw „nicht festgestellten“ Kausalität bemängelt, wendet sie sich tatsächlich zum einen gegen die in dritter Instanz nicht mehr anfechtbare Beweiswürdigung, zum anderen ist die Frage, ob die Ombudsstelle die Kausalität hinsichtlich des Erstklägers anerkannte oder nicht, für die Kenntnis der Kläger nicht relevant.

[22] 1.4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die kurze Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits abgelaufen war, hält sich somit im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.

2. Zur langen Verjährungsfrist

[23] 2.1. Grundsätzlich gilt die 30‑jährige Verjährungsfrist nach § 1489 Satz 2 zweiter Fall ABGB dann, wenn der Ersatzanspruch aus einer gerichtlich strafbaren Handlung stammt, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen kommt es auf die konkrete vom Täter gerade dem Geschädigten gegenüber (RS0034432 [T2]) verwirklichte Straftat an (RS0120829). Eine strafgerichtliche Verurteilung ist für die Anwendung der langen Verjährungsfrist nicht erforderlich (RS0034432).

[24] 2.2. Die 30‑jährige Frist des § 1489 ABGB gilt grundsätzlich nur gegenüber dem Verbrecher selbst, nicht aber gegen Dritte (RS0034393). Demnach lösen von Funktionären oder Erfüllungsgehilfen ausgeübte strafbare Handlungen juristischen Personen gegenüber die 30‑jährige Verjährungsfrist nicht aus (vgl RS0034393 [T4] = RS0034423 [T4]).

[25] 2.3. Der Oberste Gerichtshof hat sich jedoch mittlerweile der in der Literatur bereits überwiegend vertretenen Argumentation angeschlossen (RS0133754; RS0133583) und ausgesprochen, dass der Anspruch gegen eine juristische Person erst in 30 Jahren verjährt, wenn deren Organ einen Dritten durch eine qualifiziert strafbare Handlung iSd § 1489 ABGB schädigt. Dies gilt auch, wenn die den Schaden herbeiführende Handlung vor Inkrafttreten des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (iW mit 1. 1. 2006) gesetzt wurde, jedenfalls dann, wenn der wirtschaftliche Erfolg der strafbaren Handlung im Vermögen der juristischen Person eintrat (RS0133754). Beim Handeln eines Organs für die juristische Person geht es – anders als bei der Haftung für Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313a ABGB oder für Repräsentanten – nämlich nicht um das Einstehen-Müssen für fremdes Verhalten, sondern um Eigenhandeln der juristischen Person selbst (2 Ob 253/23d Rz 4; 6 Ob 92/21d Rz 20; 7 Ob 113/21z Rz 29; 8 Ob 28/21g Rz 15; vgl auch 5 Ob 99/19y Pkt 2.1.).

[26] 2.4. Im vorliegenden Fall stellt sich hinsichtlich des erstbeklagten Ordens die Frage, ob dieser für ein allfälliges strafbares Verhalten seiner Ordensschwestern, welches in den 1990er Jahren gesetzt worden sein soll, noch zur Haftung herangezogen werden kann, ob somit die 30‑jährige Verjährungsfrist auch für diesen gilt.

[27] Die 30‑jährige Verjährungsfrist wäre zum Zeitpunkt der Klagseinbringung unstrittig noch nicht abgelaufen gewesen (vgl § 1494 Abs 2 Satz 2 ABGB). Ebenso unstrittig ist, dass der erstbeklagte Orden Rechtspersönlichkeit besitzt und grundsätzlich zur Haftung für den begehrten Schaden herangezogen werden kann. Nach dem Vorbringen der Kläger wäre den Ordensschwestern der Erstbeklagten ein strafbares Verhalten iSd § 92 StGB vorzuwerfen, somit ein Verhalten, das mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.

[28] 2.4.1. Wie die Revision zu Recht ausführt, muss nicht jedenfalls ein wirtschaftlicher Erfolg eingetreten sein, um eine 30‑jährige Verjährungsfrist der juristischen Person auch für strafbare Handlungen, die vor dem Inkrafttreten des VbVG gesetzt wurden, zu bejahen. Zwar hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 239/20w, in der es um eine Wirtschaftsstraftat ging, dargelegt, dass § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB unter Bedachtnahme auf das Erfordernis einer Strafdrohung von mehr als einjähriger Freiheitsstrafe auch ein breites Spektrum an mittelschweren und schweren Wirtschaftsstraftaten abdeckt, bei denen eine besondere (psychische) Belastung des Geschädigten, die zur Verzögerung der Anspruchsdurchsetzung führen könnte, typischerweise nicht zu befürchten ist. Normzweck ist aber insbesondere der Schutz des Opfers im Zusammenhang mit qualifizierten Sexual- und anderen Gewaltdelikten, dem aufgrund der damit verbundenen Belastung, Scham, Angst, Verdrängung oder aus anderen Gründen die Anspruchsverfolgung innerhalb der kurzen Frist nicht zugemutet werden soll (6 Ob 239/20w Rz 27).

[29] Es würde auch eine unsachliche, aus der Bestimmung des § 1489 ABGB nicht ableitbare Differenzierung darstellen, eine Verlängerung der Verjährungsfristen für ein der juristischen Person aufgrund eines Handelns eines ihrer Organe, somit eines rechtlichen Eigenhandelns, zwar für Vermögensdelikte zu bejahen, wenn der wirtschaftliche Erfolg der strafbaren Handlung im Vermögen der juristischen Person eintrat, nicht jedoch für die körperliche Unversehrtheit verletzende Delikte, die gerade in Erfüllung einer die juristische Person selbst treffenden Pflicht gesetzt wurden, im vorliegenden Fall der Pflege und Erziehung von aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung anvertrauten Kindern. Auf einen wirtschaftlichen Erfolg aus dem geschlossenen Vertrag zwischen Erst- und Drittbeklagter kommt es somit nicht an.

[30] Eine Ausuferung der Haftung der juristischen Person außerhalb des Anwendungsbereichs des VbVG ist schon deshalb nicht zu befürchten, weil die juristische Person nur für ein in erkennbarem Zusammenhang mit der Organfunktion stehendes (Eigen‑)Handeln einzustehen hat (vgl RS0106863; zuletzt 5 Ob 99/19y Pkt 2.2.; siehe auch Lehner, Zur 30‑jährigen Verjährungsfrist für Schadenersatz-ansprüche gegenüber juristischen Personen, JBl 2023, 264 [269]; ebenso für eine Anwendung der langen Verjährungsfrist für juristische Personen bei einem qualifiziert strafbaren Verhalten eines Organs Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1489 Rz 24 mwN; siehe auch bereits M. Bydlinski, Deliktshaftung der juristischen Person und lange Verjährung, RZ 1982, 218; Koziol, Haftpflichtrecht I4 D.6. Rz 35; Leitner, Zur Schadenersatzverjährung bei Zurechnung fremder strafbarer Handlungen, VbR 2014/19; aA Madl, EAnm zu 6 Ob 239/20w VbR 2021/74 sowie noch vor der Rechtsprechungsänderung Ch. Rabl, Die Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 zweite Alternative ABGB auf Schadenersatzansprüche gegen eine juristische Person, ÖJZ 2002, 547 und Vollmaier, Zum Anwendungsbereich der langen Verjährung nach § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB, VbR 2013/26). Entscheidend ist, dass der Täter die strafbare Handlung als Organ der juristischen Person gesetzt hat, er also für diese tätig war (M. Bydlinski/Thunhart in Rummel/Lukas/ Geroldinger, ABGB4 § 1489 Rz 35), somit im Rahmen der ihm übertragenen Tätigkeit handelte und ein Bezug zur dienstlichen Tätigkeit besteht (Spitzer, Auswirkungen der Verbandsverantwortlichen auf das Zivil- und Zivilprozessrecht in WiR, Haftung im Wirtschaftsrecht [2013], 29 [41] mwN).

[31] 2.4.2. Es kommt somit entgegen der Ansicht der Revisionswerber für die rechtliche Beurteilung im vorliegenden Fall nicht so sehr auf den Verbandszweck an, sondern ist auf die die Erstbeklagte treffende vertragliche Verpflichtung aufgrund des Heimvertrags mit der Drittbeklagten, die im Zeitraum der Unterbringung der Kläger im Kinderheim für diese obsorgeberechtigt war, abzustellen.

[32] 2.4.3. Der vorliegende Fall ist, da durch die behaupteten „Erziehungsmethoden“ gerade eine vertragliche Pflicht der Erstbeklagten, nämlich ihre Fürsorgepflicht der ihrer Obhut unterstehenden Kinder verletzt worden wäre, insofern auch nicht mit der Entscheidung 7 Ob 25/21h vergleichbar, in der der Kläger als Minderjähriger von einem Priester über mehrere Jahre im Pfarrhaus der erstbeklagten Pfarre sexuell missbraucht worden war, da selbst wenn der Täter als Repräsentant der zweitbeklagten Diözese anzusehen gewesen wäre, seine Tat mit der Repräsentantenfunktion in keinem erkennbaren Zusammenhang gestanden wäre.

[33] 2.5. Allerdings kann die Frage der Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB mangels entsprechender Feststellungen zur genauen Funktion und Organstellung zumindest einer der behaupteten Täterinnen derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden.

[34] 2.5.1. Nach den Feststellungen nannten sämtliche Kläger mehrere Ordensschwestern, eine weltliche Erzieherin und der Erstkläger zudem die Oberin sowie einen unbekannten Priester als Täter der von ihnen behaupteten massiven und jahrelangen körperlichen Übergriffe. Die Kläger brachten dazu bereits in erster Instanz vor, dass die körperlichen Misshandlungen mit Zuspruch und Mitwirkung der Oberin erfolgt seien und die Erstbeklagte für ihre gesetzliche Vertreterin, die Oberin, hafte.

[35] 2.5.2. Aus den Feststellungen geht jedoch nicht hervor, ob es sich insbesondere bei der als Oberin bezeichneten Schwester um ein Organ der Erstbeklagten gehandelt hat und ob die sonstigen genannten Ordensschwestern eine organschaftliche Funktion bei der Erstbeklagten ausgeübt haben oder nicht.

[36] Diese Feststellungen sind jedoch wesentlich, um beurteilen zu können, ob ein allfälliges Fehlverhalten der Ordensschwestern der Erstbeklagten als eigenes Fehlverhalten zuzurechnen ist oder nicht und ob somit aufgrund einer „primären“ oder „selbständigen“ Haftung der Erstbeklagten (und nicht einer abgeleiteten Haftung iSd §§ 1313a, 1315 ABGB; vgl dazu bereits 6 Ob 239/20w Rz 31) die 30‑jährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelangt oder nicht. Es liegt diesbezüglich ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen gegenüber der Erstbeklagten führen muss und ist dem Erstgericht in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

[37] 2.5.3. Ob „sämtliche am * stationierten Angehörigen des erstbeklagten Ordens von den Misshandlungen“ Kenntnis gehabt hatten, ist entgegen der Ansicht der Revisionswerber insofern für die rechtliche Beurteilung nicht von Bedeutung, als für die Zurechenbarkeit des strafbaren Verhaltens als Eigenhandeln der juristischen Person nur ein solches eines Organs der Erstbeklagten relevant wäre (vgl 2 Ob 253/23d = RS0133754 [T1]).

II. Zur Zulässigkeit der Revision gegenüber der Zweitbeklagten

[38] Die Revision macht als erhebliche Rechtsfrage hinsichtlich der Zweitbeklagten geltend, dass zu klären sei, ob die katholische Kirche kraft des Konkordats tatsächlich eine Struktur schaffen dürfe, die sie letztlich von jeglicher Verantwortung gegenüber und Aufsicht über Orden päpstlichen Rechts befreie oder ob sie nicht vielmehr aufgrund der zahlreichen, seit den 1970er Jahren publik gewordenen Missbrauchsfälle im klagsgegenständlichen Zeitraum nicht bereits Präventivkonzepte etabliert hätte haben sollen, die Schicksale wie jene der Kläger verhindern oder zumindest unwahrscheinlicher gemacht hätten.

[39] Die Kläger sind in der Ausführung ihrer Rechtsmittelgründe zwar nicht auf die vom Berufungsgericht formulierte Rechtsfrage beschränkt, sodass diese in die Prüfung der Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO miteinzubeziehen sind (vgl RS0042392). Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zeigen die Kläger in der Revision jedoch nicht auf. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Zur „Struktur“ der katholischen Kirche und der Frage der Verantwortlichkeit gegenüber und Aufsicht über Orden päpstlichen Rechts

[40] 1.1. Es ist unstrittig, dass sowohl die Erst- als auch die Zweitbeklagte Rechtspersönlichkeit genießen. Des weiteren ist im vorliegenden Fall nicht strittig, dass der erstbeklagte Orden ein (Ordens‑)Institut des geweihten Lebens ist, das – im Gegensatz zu einem Institut diözesanen Rechts – vom apostolischen Stuhl errichtet wurde und daher ein sogenanntes „Institut päpstlichen Rechts“ darstellt. Es ist auch unstrittig, dass eine Streitigkeit wegen Schadenersatzes für körperliche und psychische jahrelange Misshandlungen durch Angehörige des erstbeklagten Ordens den innerkirchlichen Bereich nicht berührt (so auch bereits 7 Ob 25/21h Rz 39, 43) und hat bereits das Berufungsgericht ausdrücklich und richtig ausgesprochen, dass sowohl die Erstbeklagte als auch die Zweitbeklagte grundsätzlich zur Durchsetzung von schadenersatzrechtlichen Ansprüchen aufgrund von allgemein und jedermann verbotenen Handlungen ihrer Organe oder ihr zurechenbarer Personen vor staatlichen Gerichten in Anspruch genommen werden können.

[41] 1.2. Nach Can 397 § 2 CIC 1983 kann der Bischof einer Diözese die Mitglieder von Ordensinstituten päpstlichen Rechts und ihre Niederlassungen nur in den Fällen visitieren, die im Recht ausdrücklich genannt sind. Eine Visitationspflicht ist hieraus bereits nach dem Wortlaut nicht ableitbar (siehe auch Bier in MünstKomm zum CIC [1998] Can 397 Rz 7), allerdings kann nach Can 683 § 2 CIC 1983 der Diözesanbischof, wenn er „etwa Missstände entdeckt hat“, nach ergebnislos gebliebener Mahnung des Ordensoberen kraft eigener Autorität selbst Vorkehrungen treffen (vgl Lederhilger, Autonomie und Aufsicht. Vermögensverwaltung von Ordensgemeinschaften und kirchliche Sorgfaltspflicht, öarr 2017, 260 C.3).

[42] Allerdings fehlt es, wie bereits das Berufungsgericht richtig ausführte, an einem klägerischen Vorbringen in erster Instanz, dass der damalige Bischof der Zweitbeklagten Kenntnis von den behaupteten Missständen gehabt habe und der Zweitbeklagten eine Verletzung allfälliger Aufsichtspflichten vorwerfbar wäre. Auf die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage kommt es im vorliegenden Fall somit nicht an. Die Beantwortung bloß abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2, T3]). Dass die Zweitbeklagte kein generelles Aufsichtsrecht über die Erstbeklagte hatte, ergibt sich zudem bereits aus den einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen und der einhelligen Literatur. Eine erhebliche Rechtsfrage wird damit ebenso nicht aufgezeigt (vgl RS0042824).

2. Zur Frage eines Organisationsverschuldens der Zweitbeklagten und allfälliger Präventivkonzepte

[43] Die Kläger machen als erhebliche Rechtsfrage in ihrer Revision weiters geltend, dass bereits seit den 1970er Jahren Missbrauchsfälle publik geworden wären und daher seitens der Kirche in den 1990er Jahren bereits Präventivkonzepte hätten etabliert sein sollen.

[44] Diesbezüglich sind sie darauf zu verweisen, dass damit schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird, weil sie mit diesem Vorbringen gegen das Neuerungsverbot verstoßen. Nach ihrem Vorbringen in erster Instanz waren (erst) in den 1990er Jahren Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs ehemaliger Schüler eines Knabenseminars gegen den damaligen Erzbischof von Wien bekannt geworden.

[45] 3. Sonstige erhebliche Rechtsfragen zeigt die Revision nicht auf. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[46] III.1. Der Kostenvorbehalt hinsichtlich der Erstbeklagten gründet auf § 52 Abs 1 ZPO.

[47] III.2. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Zweitbeklagten beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Diese hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Da die Beklagten eine vom gemeinsamen Anwalt erstellte gemeinsame Revisionsbeantwortung unter Verzeichnung des Streitgenossenzuschlags erstatteten, war den Klägern gegenüber anzunehmen, dass jede von ihnen die Hälfte der Kosten dem Vertreter zu zahlen habe (RS0036216).

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