European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00191.24Z.1218.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 1.146,19 EUR (darin enthalten 206,69 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte 2016 ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Wohnmobil, dessen Herstellerin die Erstbeklagte ist. Das Klagebegehren gegen die Zweitbeklagte als Motorherstellerin wurde rechtskräftig abgewiesen. Im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist die Haftung der Erstbeklagten (idF: Beklagte) für Schäden, die sich aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung ergeben.
[2] Der Kläger begehrte 30 % des von ihm bezahlten Kaufpreises, was dem objektiven Minderwert entspreche, der – bei Offenlegung der Manipulation – für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt bezahlt worden wäre. Die Beklagte hätte arglistig und sittenwidrig gehandelt und gegen Art 5 VO (EG) 715/2007 als Schutzgesetz verstoßen.
[3] Die Beklagte wendet – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – ein, dem Kläger stehe maximal ein Schadenersatz im Bereich von 5 bis 15 % des Kaufpreises zu; eine Wertminderung sei beim gegenständlichen Fahrzeug gar nicht eingetreten.
[4] Das Erstgericht sprach dem Kläger in Anwendung von § 273 Abs 1 ZPO Schadenersatz in Höhe von 5 % des Kaufpreises des von ihm erworbenen Fahrzeugs zu und wies das Mehrbegehren ab. Der Kläger nutze das Fahrzeug nach seinen eigenen Angaben nach wie vor völlig ungehindert, weshalb mit einem Schadenersatz am unteren Ende der von den höchstgerichtlichen Entscheidungen vorgegebenen Bandbreite das Auslagen gefunden werde. An die Ausführungen des im Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen, wonach für den Fall einer unzulässigen Abschalteinrichtung von einer Wertminderung von ca 20 % ausgegangen werden könne, fühle sich das Erstgericht nicht gebunden.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es erachtete die Ausführungen des Erstgerichts, wonach dieses sich an das Sachverständigengutachten „nicht gebunden“ fühle, als eine Negativfeststellung zu einer tatsächlich eingetretenen Wertminderung.
[6] Es ließ die ordentliche Revision – nachträglich – zur Frage zu, ob das Erstgericht den Schadenersatzbetrag gemäß § 273 Abs 1 ZPO festsetzen durfte oder Tatsachenfeststellungen zur allfälligen Wertminderung zu treffen gehabt hätte.
Rechtliche Beurteilung
[7] Da der Kläger in seiner Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[8] 1. Ob § 273 ZPO anzuwenden ist, ist eine rein verfahrensrechtliche Frage. Wurde die Anwendbarkeit des § 273 ZPO zu Unrecht bejaht, muss dies mit Mängelrüge bekämpft werden (RS0040282). Das Berufungsgericht hat die Vorgangsweise des Erstgerichts, den begehrten Schadenersatz – trotz Vorliegen eines Sachverständigengutachtens – nach § 273 ZPO festzusetzen, ausdrücklich gebilligt und die vom Kläger insoweit erhobene Mängelrüge verworfen. Ein vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel kann aber in dritter Instanz nicht mehr erfolgversprechend geltend gemacht werden (RS0043919; RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht folgte – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0042963 [T58]).
[9] 2. Das Berufungsgericht hat die Mängelrüge auch nicht mit einer von der Aktenlage nicht gedeckten Begründung (vgl RS0043166) verworfen. Es hat die Ausführungen des Erstgerichts, wonach es sich an das Gutachten „nicht gebunden fühle“, als Negativfeststellung zu einer konkreten Wertminderung verstanden. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall ist aber regelmäßig keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO (RS0118891). Die diesbezügliche Auslegung durch das Berufungsgericht ist jedenfalls vertretbar (vgl etwa 5 Ob 33/24z [Rz 25], wo die Auslegung der Wortfolge, dass das betreffende Fahrzeug um 10 % billiger angeboten hätte werden müssen, als keine ausreichende Festellung des Minderwerts durch das Berufungsgericht vom Obersten Gerichtshof ausdrücklich gebilligt wurde).
[10] 3. Dem Gericht kommt bei Anwendung des § 273 ZPO die Befugnis zu, die Höhe des Anspruchs nach freier Überzeugung festzusetzen (vgl RS0040459). Für die Ausübung des richterlichen Ermessens sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl RS0040494; RS0121220). Es können daher nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung auch noch in dritter Instanz an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0007104). Einen solchen Fehler zeigt der Kläger hier nicht auf:
[11] 3.1. Die zu 10 Ob 27/23b postulierte Ermittlung des Ersatzanspruchs nach den primär heranzuziehenden unionsrechtlichen Anforderungen der Ersatzleistung in der Höhe von 5 bis 15 % wurde mehrfach und von verschiedenen Senaten bestätigt und herangezogen (vgl RS0134498). Dabei wurde auch bereits ausgesprochen, dass ein Ausschöpfen der Bandbreite nach oben mangels besonderer Umstände nicht erforderlich sein wird, wenn der Käufer – wie hier – das Fahrzeug auch in Kenntnis des umweltschädlichen Mangels erwerben hätte wollen, es auch nach Aufdeckung behält und weiter so verwendet, als würde das Problem nicht bestehen (vgl etwa RS0134498 [T3]). Entgegen der Ansicht des Klägers hat das Erstgericht hier keinen unzulässigen Vorteilsausgleich vorgenommen, sondern diese Umstände bei der Festsetzung des Schadensbetrags berücksichtigt. Im Übrigen hat das Erstgericht auch zu berücksichtigen gehabt, dass eine konkrete Wertminderung im vorliegenden Fall nicht feststellbar war, was jedenfalls zur Ausmessung im unteren Bereich der vorgegebenen Bandbreite führen muss (vgl jüngst etwa 2 Ob 3/24s [Rz 19]).
[12] 3.2. Richtig ist, dass die Wertminderung nach der Rechtsprechung auch exakt festgestellt und vom Käufer verlangt werden kann (vgl etwa RS0134498 [T6]), woraus für den Kläger aber hier nichts gewonnen ist, weil keine tatsächliche Wertminderung feststeht, weshalb auch der Vergleich mit Entscheidungen (wie etwa 8 Ob 70/23m [Rz 3, 27]; 8 Ob 109/23x [Rz 9, 22]; 4 Ob 119/23p [Rz 27] oder 2 Ob 137/23w [Rz 3]) wo das der Fall war, nicht verfängt.
[13] 3.3. Die in der Revision weiters angeführte, etwa in der Entscheidung 6 Ob 19/24y (vgl Rz 16 mwN) zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht, wonach der Schaden jedenfalls nach der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln sei, bezieht sich auf die §§ 874 und 1295 Abs 2 ABGB als Anspruchsgrundlagen. Ein Schadenersatz nach diesen Bestimmungen wurde hier allerdings – vom Kläger unbekämpft – nicht zuerkannt.
[14] 4. Die Revision ist daher insgesamt mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
[15] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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