European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00196.24Y.1212.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Am 10. 1. 2019 ereignete sich im Bereich des Staplerplatzes einer Lagerhalle ein Unfall, bei dem der Kläger durch einen Gabelstapler schwer verletzt wurde.
[2] Die Vorinstanzen gaben dem Begehren des Klägers auf Schmerzengeld sowie Ersatz von Heilungs- und Fahrtkosten ebenso wie dem Feststellungsbegehren unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Viertel (rechtskräftig) teilweise statt. Sie sprachen dem unselbständig tätigen Kläger unter vom Beklagten eingewendeter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Sozialversicherungsträger Verdienstentgang für den Zeitraum von Jänner 2019 bis Dezember 2021 von (nur) 791,73 EUR sA (rechtskräftig) zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die gegen die teilweise Abweisung des Klagebegehrens gerichtete außerordentliche Revision des Klägers zeigt das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen nicht auf.
[4] 1. Unstrittig ist im Revisionsverfahren, dass der beklagte Verband für den Stapler nicht nach den Bestimmungen des EKHG haftet (vgl zu einem ähnlichen Sachverhalt 2 Ob 200/21g). Ebenso unstrittig ist, dass der Beklagte für das schuldhafte Verhalten des Arbeitskollegen des Klägers einzustehen hat.
[5] 2. Das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen seiner Einzelfallbezogenheit in aller Regel nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RS0087606). Bei der Aufteilung des Verschuldens entscheiden vor allem der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers, die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Verkehrs im Allgemeinen und im konkreten Fall (RS0027389; RS0026861). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt der Kläger nicht auf. Selbst wenn man sämtliche, von ihm in seiner Revision umfassend dargestellten rechtswidrigen Verhaltensweisen des Arbeitskollegen berücksichtigt, tritt das von den Vorinstanzen festgestellte Fehlverhalten des Klägers nicht derart in den Hintergrund, dass es zur Gänze vernachlässigt werden könnte (vgl RS0027202 [T1, T2, T12]). Dabei spielt vor allem der festgestellte Kenntnisstand des Klägers zu richtigem Verhalten in der Nähe von Gabelstaplern und der Umstand eine Rolle, dass der Kläger eine außerhalb der grundsätzlich nicht zu betretenden „Sperrfläche“ liegende Gehlinie wählen und dadurch den Unfall vermeiden hätte können.
[6] 3. Die Beurteilung der Höhe des angemessenen Schmerzengeldes ist eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet. Anderes gilt nur im Fall einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt (RS0042887 [T10], RS0031075 [T7]). Eine solche Fehlbemessung durch das Berufungsgericht zeigt der Kläger nicht auf:
[7] Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RS0031307). Schmerzperioden können zur Orientierung als Bemessungshilfe herangezogen werden, stellen jedoch keine Berechnungsmethode dar (RS0125618 [T2, T4]).
[8] Der Kläger nennt in seiner Revision keine einzige Entscheidung, in der der Oberste Gerichtshof bei vergleichbaren Verletzungen (hier: Milzriss mit anschließender Entfernung der Milz; Bruch des achten Brustwirbelkörpers; diverse Prellungen; leichte posttraumatische Belastungsstörung) ein höheres als das von den Vorinstanzen mit 32.000 EUR (ungekürzt) ausgemessene Schmerzengeld zugesprochen hätte. Der Argumentation des Berufungsgerichts, dass der erheblichen Geldentwertung zwischen dem Unfallszeitpunkt und dem Schluss der mündlichen Verhandlung durch Bedachtnahme auf die aktuellen, gegenüber dem Verletzungszeitpunkt ohnehin erhöhten Schmerzengeldsätze und die über diese Bemessungshilfe hinausgehende Ausmittlung der angemessenen Höhe hinreichend Rechnung getragen worden sei, hält der Kläger in der Revision nichts Stichhältiges entgegen.
[9] 4. Im Zusammenhang mit dem von den Vorinstanzen zur Anwendung gebrachten Quotenvorrecht der Sozialversicherungsträger releviert der Kläger ausschließlich, dass die Vorinstanzen den Grundsatz der zeitlichen Kongruenz nicht hinreichend beachtet hätten. Damit zeigt er aus folgenden Erwägungen keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[10] 4.1. Nach § 332 Abs 1 ASVG geht der Anspruch des Verletzten gegen den Schädiger nach dem Grundsatz der kongruenten Deckung insoweit auf den Sozialversicherungsträger über, als dieser an den Verletzten Leistungen zu erbringen hat (RS0030708). Der Geschädigte verliert in demselben Ausmaß, in dem sein Schaden durch die Leistungspflicht des Legalzessionars gedeckt ist, die Aktivlegitimation gegenüber dem Schädiger (RS0035295). Für die Beurteilung, ob und inwieweit zivilrechtliche Ersatzansprüche auf den Sozialversicherungsträger übergehen, sind nicht der Gesamtbetrag der zivilrechtlichen Ansprüche und der Gesamtwert der Sozialversicherungsleistung einander gegenüberzustellen. Vielmehr hat ein Vergleich der einzelnen zivilrechtlichen Ansprüche mit denjenigen einzelnen Sozialversicherungsleistungen zu erfolgen, die im parallelen Zeitraum dasselbe Schadensabdeckungsziel verfolgen. Es gibt keinen einheitlichen Deckungsfonds, sondern es gilt der Grundsatz der zeitlichen und sachlichen Kongruenz (2 Ob 228/21z Rz 14 mwN; vgl auch RS0085405).
[11] 4.2. Aufgrund des Grundsatzes der zeitlichen Kongruenz tritt der Forderungsübergang nur insofern ein, als der Schadenersatzanspruch des Verletzten mit den Leistungen des Sozialversicherers auch zeitlich übereinstimmt (RS0085383). Relevant für die Beurteilung der zeitlichen Kongruenz ist damit nach der Rechtsprechung des Senats vor allem, für welche konkreten Zeiträume Verdienstentgang begehrt wird (vgl RS0031446 und 2 Ob 195/60 [18 Monate]). Der heranzuziehende Vergleichsrahmen soll den gegebenen Sachzusammenhängen angepasst werden (8 Ob 67/83 SZ 56/137). In diesem Sinn erachtete der Senat das Abstellen auf einen etwas mehr als zwei Jahre umfassenden Zeitraum als unproblematisch (2 Ob 207/14a). Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 2 Ob 235/14v sah auch die Heranziehung eines (hier wie dort klagsgegenständlichen) Zeitraums von drei Jahren als nicht zu beanstanden an. Dass in der Literatur ausschließlich ein Betrachtungszeitraum von einem Jahr als maßgeblich angesehen würde, lässt sich den in der Revision zitierten Fundstellen nicht entnehmen. Da sich somit die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zum Ausreichen eines Abstellens auf den der Klage zu Grunde liegenden Zeitraum von drei Jahren im hier vorliegenden Sachzusammenhang als nicht korrekturbedürftig erweist, liegen die in der Revision in diesem Zusammenhang gerügten sekundären Feststellungsmängel nicht vor.
[12] 5. Die außerordentliche Revision war insgesamt zurückzuweisen.
[13] 6. Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der vom Senat nicht freigestellten Revisionsbeantwortung war gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abzuweisen.
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