European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0230DS00006.24W.1204.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
[1] Mit – unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem – Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 6. Februar 2024, GZ D 23/24-8, wurde über * die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß § 19 Abs 1a DSt verhängt, die am 15. Februar 2024 in Kraft trat.
[2] Nach Durchführung einer mündlichen Anhörung am 2. August 2024 (ON 28), zu der der Beschuldigte erschien, wurde diese einstweilige Maßnahme mit Beschluss vom 8. August 2024, GZ D 23/24-29, gemäß § 19 Abs 4 letzter Satz DSt um sechs Monate, somit – vorbehaltlich früherer rechtskräftiger Beendigung des Disziplinarverfahrens (§ 19 Abs 5 DSt) – bis zum Ablauf des 15. Februar 2025, verlängert.
[3] Zum verfahrensgegenständlichen Sachverhalt verwies der Disziplinarrat (zulässig; vgl RIS‑Justiz RS0124017 [insb T2, T3, T4]) auf den zuvor bezeichneten Beschluss vom 6. Februar 2024.
[4] Danach bestand (zusammengefasst) der Verdacht* habe
A./ als Treuhänder im Zusammenhang mit der Abwicklung eines Liegenschaftskaufvertrags den Großteil eines von der *bank * eGen (kurz: *bank *) treuhändig überwiesenen Betrags von 3.500.000 Euro, nämlich 3.200.000 Euro, am 13. Juni 2023 an ein Schwesterunternehmen der von der Bank finanzierten Käuferin „VM* GmbH“, und zwar an die „V* GmbH“, dienicht Partei des zugrunde liegenden Kaufvertrags, aber in der Treuhandbuch-Mitteilung vom 16. Mai 2023 als „weitere Begünstigte“ genannt worden war, ausbezahlt, obwohl weder die Auszahlungsbedingungen des Treuhandauftrags der *bank * vom 31. Mai 2023, konkret die Verbücherung eines Pfandrechts im ersten Rang für die Kreditgeberin im Höchstbetrag von 4.500.000 Euro und die Einbringung von 3.500.000 Euro Eigenmitteln durch die Käuferin, noch die Kaufvertragsbedingungen bezüglich der Anwendung des BTVG über die Zahlung nach Ratenplan, erfüllt gewesen seien;
B./ am 10. Jänner 2024 Kontoauszüge des Treuhandkontos per 29. September 2023 und 31. Dezember 2023 an die *bank * übermittelt, die ein Guthaben in voller Höhe des Darlehensbetrags (abzüglich Spesen, zuzüglich Habenzinsen) am Treuhandkonto auswiesen, obwohl tatsächlich weit geringere Beträge (nämlich per 29. September 2023 300.000 Euro und per 31. Dezember 2023 299.315,54 Euro) auf dem Konto erlagen, und die finanzierende Bank solcherart zu täuschen versucht.
[5] Der Disziplinarrat kam in seiner Entscheidung zum Ergebnis, dass sich seit Verhängung der Maßnahme die Verdachtslage nicht zugunsten des Beschuldigten verändert habe. Vielmehr sei zwischenzeitig eine „Reihe weiterer Anzeigen verschiedener Bankinstitute“ eingelangt. Nach deren Inhalt habe * zudem bei anderen – gleichfalls Gesellschaften aus dem auch hier beteiligten „V*-Bereich“ betreffenden – Finanzierungen als Treuhänder fungiert und dabei die Auszahlungen von Kreditmitteln „praktisch ohne Rücksichtnahme auf die detailliert getroffenen Treuhandvereinbarungen“ und „ohne die im Treuhandvertrag bedungenen Sicherungsschritte für die Treugeber/Finanzierungsbanken zu setzen“ vorgenommen. Weiters habe er (zumindest teilweise) auch in diesen Fällen im Anschluss daran den finanzierenden Banken durch Übermittlung gefälschter Bankbelege vorgetäuscht, dass die treuhändig überwiesenen Beträge in voller Höhe auf den jeweiligen Treuhandkonten erliegen würden.
[6] Es bestünde demnach insoweit der Verdacht der treuwidrigen Auszahlung von Finanzierungsmitteln in großem Stil, wobei der Beschuldigte nach der „erheblichen Verdachtslage“ zusammen mit den einander nahestehenden Kaufvertragsparteien „offenkundig“ bewusst zum Nachteil der Finanzierungsbanken agiert habe, um Geldmittel zu generieren, die ansonsten nicht geflossen wären.
[7] Daraus zog der Disziplinarrat den Schluss, dass das dem Beschuldigten im gegenständlichen Verfahren angelastete Verhalten nicht – wie ursprünglich von ihm behauptet (ON 6) – eine einmalige (auf einem bloßen Irrtum beruhende) Fehlleistung darstelle. Vielmehr ließe sich aus diesen gleichgelagerten Vorgängen im Zusammenhalt mit der nachfolgenden Verwendung gefälschter Belege zur Täuschung der Kreditgeber eine „methodische“ Vorgangsweise erkennen (BS 2 f).
[8] Der Disziplinarrat äußerte schließlich den „dringenden“ Verdacht eines „Systems“ an wahrscheinlich fingierten Kaufverträgen und darauf basierenden Bankfinanzierungen für diese möglichen „Fake-Käufer“, zu dem auch der Beschuldigte als (vermeintlich) „vertrauenswürdiger Rechtsanwalt“ gehört habe (BS 4 f).
[9] Insgesamt sei nach wie vor mit schweren Nachteilen für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung zu rechnen und damit die Verlängerung der einstweiligen Maßnahme unbedingt erforderlich (BS 6).
Rechtliche Beurteilung
[10] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, mit der er im Wesentlichen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verlängerung der einstweiligen Maßnahme „mangels unbedingter Erforderlichkeit“ bestreitet.
[11] Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.
[12] Bei der Entscheidung über die Verlängerung einer bereits getroffenen einstweiligen Maßnahme hat der Disziplinarrat nicht nur die Natur und Schwere der disziplinarrechtlichen Vorwürfe zu prüfen, sondern auch, ob es die Gefahr eines ernsthaften Schadens für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung gibt, welche es unbedingt erforderlich macht, eine bereits getroffene einstweilige Maßnahme zu verlängern. Die Verlängerung unterliegt also strengeren Anforderungen als die Verhängung (§ 19 Abs 4 DSt; vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO11 § 19 DSt Rz 33).
[13] Im Fall der Verhängung (sowie Verlängerung) einer einstweiligen Maßnahme auf Grundlage des § 19 Abs 1a DSt hat die verlangte Gefahr eines ernsthaften Schadens für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung konkret in der dringenden Besorgnis einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens zu bestehen (§ 19 Abs 1a iVm Abs 4 DSt; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO11 § 19 DSt Rz 18 f), die der Disziplinarrat – der Beschwerde zuwider – unter Hinweis auf die Befürchtung weiterer (euphemistisch als „kreative Treuhandabwicklungen“ bezeichneter) Angriffe auf fremdes Vermögen ausdrücklich bejahte (BS 6 f).
[14] Soweit sich die vom Disziplinarrat angenommene Verdachtslage mit jener, die dem Beschluss vom 6. Februar 2024 zugrunde lag, deckt, wird sie vom Beschuldigten gar nicht bestritten.
[15] Entgegen dem Beschwerdestandpunkt sind jedoch auch die Verdachtsannahmen zu den zwischenzeitig gegen den Beschuldigten erhobenen weiteren – hier nicht verfahrensgegenständlichen – Vorwürfen durch den Hinweis auf die Anzeigen wegen „gleichgelagerter Vorgänge“ und deren – wenn auch bloß pauschale – Beschreibung (BS 3) unter Anführung der Aktenzahlen der diesbezüglich gegen den Beschuldigten geführten Disziplinarverfahren, in denen in zwei Fällen bereits – ihm im Übrigen zugestellte – Einleitungsbeschlüsse gefasst wurden und in drei weiteren Fällen Erhebungen durch den Untersuchungskommissär laufen (BS 4; vgl auch ON 22 und 26 sowie die Beilagen zu ON 33), hinreichend determiniert. Im Übrigen räumt der Beschuldigte in der Beschwerde selbst ein, im Zuge der Anhörung am 2. August 2024 „in mehreren Fällen … die vorzeitige Auszahlung von Treuhandgeldern als Fehler bestätigt“ zu haben (BS 16).
[16] Dass der Disziplinarrat angesichts diesesVerdachts wiederholter massiver Verstöße gegen Treuepflichten zum Nachteil verschiedener Banken, jedoch stets zum Vorteil von Unternehmen einer – zwischenzeitig in Konkurs befindlichen – Unternehmensgruppe, auch im hier verfahrensgegenständlichen Geschehen nicht von einem „Einzelfall“ oder einem auf einem Irrtum beruhenden „Fehler“ (im Sinne von Fahrlässigkeit), sondern davon ausging, der Beschuldigte habe „bewusst zum Nachteil der Finanzierungsbanken agiert“ (BS 3), begegnet keinen Bedenken. Ebenso wenig zu beanstanden ist, dass der erkennende Senatdiese (neu hervorgekommenen) Umstände zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 19 Abs 1a und Abs 4 letzter Satz DSt heranzog, gerade darin die bestimmten Tatsachen erblickte, die sowohl in Bezug auf den objektiven Sachverhalt als auch hinsichtlich der inneren Einstellung des Beschuldigten (vgl dazu auch Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 28) zu einer ungünstigen Prognose führen, und insgesamt daraus den Schluss zog, die einstweilige Maßnahme sei weiterhin unbedingt erforderlich (BS 6).
[17] Davon abgesehen würden im vorliegenden Fall jedoch bereits die dem Beschluss vom 6. Februar 2024 zugrunde liegenden Verdachtsannahmen die Verlängerung der einstweiligen Maßnahme – auch ohne das Hinzutreten weiterer Verdachtsmomente – rechtfertigen. Jede Nichteinhaltung einer Treuhandvereinbarung stellt grundsätzlich einen schweren Verstoß gegen die in § 9 Abs 1 und § 10 Abs 2 RAO, §§ 13, 43 Abs 2 RL-BA normierten Pflichten dar (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO11 § 1 DSt Rz 56 mwN), der Kernbereich der Treuhandanforderungen – wird unabhängig von einem tatsächlichen Schadenseintritt – bereits durch ein Zuwiderhandeln gegen die (formalen) Vorgaben der Treuhandeinrichtungen verletzt. Die dem Beschuldigten hier vorgeworfene gänzliche Missachtung der Treuhandbedingungen lässt aber einen so schwerwiegenden (zumindest) sorglosen und sorgfaltswidrigen Umgang mit bindenden Vereinbarungen und den finanziellen Interessen Schutzbefohlener erkennen, dass bereits dadurch – verbunden mit dem anschließenden Versuch der Verschleierung durch Vorlage gefälschter Urkunden – die dringende Besorgnis begründet wird, die weitere Berufsausübung durch den Beschuldigten würde zu einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten Vermögens führen.
[18] Soweit der Beschuldigte ins Treffen führt, die treuwidrigen Auszahlungen stets auf „Anweisung des Mandanten an diesen bzw an eine seiner Gesellschaften und nicht aus eigener Initiative oder im Hinblick auf persönliche Bereicherung“ vorgenommen zu haben, vermag ihn das gleichfalls nicht zu entlasten. Denn der Rechtsanwalt hat als Treuhänder und damit Beauftragter beider Parteien mit mitunter gegensätzlichen Interessen mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten, dass keinem der Beteiligten aus dem Treuhandvertrag Nachteile erwachsen (RIS-Justiz RS0072005 [T4]; vgl RS0010472; RS0010417 [T3]).
[19] Zum Beschwerdeeinwand, es sei bis dato kein Zivilverfahren gegen * anhängig, genügt der Hinweis auf das gegen ihn zu AZ 83 St 1/23g der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geführte Strafverfahren.
[20] Mag sich der Beschwerdeführer auch kooperativ verhalten und bislang nicht wegen ähnlicher Verfehlungen in Erscheinung getreten sein, so ist dem Disziplinarrat dennoch zuzustimmen, dass gelindere Mittel vorliegend nicht ausreichen (BS 5), um die in § 19 Abs 1a und Abs 4 DSt beschriebene Gefahr hintanzuhalten. Angesichts des Verdachts, er habe den finanzierenden Banken sogar falsche Kontoauszüge der Treuhandkonten übermittelt (BS 3 iVm ON 8 S 4), kann weder eine Selbstverpflichtungserklärung des Beschuldigten des Inhalts, keine Treuhandschaften zu übernehmen, noch die Sperre der beim eATHB gemeldeten Treuhandschaftendie einstweilige Maßnahme substituieren, wobei zudem darauf hinzuweisen ist, dass die anwaltliche Tätigkeit die Verantwortungsübernahme für anvertrautes fremdes Vermögen auch in anderem Zusammenhang als in Bezug auf Treuhandschaften umfasst.
[21] Die Zurücklegung der Zeichnungsberechtigung für die ehemals als OG agierende Kanzleigemeinschaft steht der zutreffenden Prognoseentscheidung durch den Disziplinarrat aus den genannten Gründen ebenso wenig entgegen wie die behauptete Aufkündigung sämtlicher Mandatsverhältnisse zu der hier involvierten Unternehmensgruppe.
[22] Dass eine Kontrolle der Kanzleiführung als gelinderes Mittel nicht in Frage kommt, ergibt sich schon aus dem Umfang der Schadensfälle, der damit verbundenen Anzahl und Komplexität der Sachverhalte und der Unmöglichkeit einer Überwachung, worauf auch der ehemalige Kanzleipartner des Beschuldigten hinweist (ON 26). Dieses Schreiben, inhaltlich dessen es sich um 17 Schadensfälle mit neun verschiedenen Banken handle, bei denen mittlerweile sämtliche Käufergesellschaften und Verkäufergesellschaften in Konkurs gegangen seien, und die „Restkanzlei“ mit der von * „verursachten Katastrophe“ überfordert sei, ist auch dem Beschwerdevorwurf entgegenzuhalten, die Erwägungen des Disziplinarrats seien „unsachlich und alles andere als objektiv“.
[23] Angesichts der dargestellten Schwere der Vorwürfe erweist sich die Verlängerung der einstweiligen Maßnahme als verhältnismäßig.
[24] Der Beschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.
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