European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00175.24X.1120.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Streitteile sind Frachtführer im internationalen Straßengütertransport und stehen miteinander seit 2018 in laufender Geschäftsbeziehung. Die Beklagte ist auf Transporte von Europa nach Russland spezialisiert.
[2] Die V* Spa mit Sitz in Italien (in der Folge Erstauftraggeberin) erteilte der Klägerin den Auftrag, Waren (Polysterol) im Wert von 42.741,40 EUR von Italien nach Lipetsk (Russland) zu transportieren. Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit der Durchführung des Transports, die wiederum eine slowenische Unternehmerin beauftragte.
[3] Nach der Beladung am 22. Februar 2022 fuhr der LKW nach Ungarn. Dort erreichte er am Morgen des 24. Februar 2022 die Grenze zur Ukraine. Nach Abschluss der Zollverfahren in Ungarn und der Ukraine setzte der LKW am Vormittag die Fahrt durch die Ukraine fort. Am selben Tag erfolgte die russische Invasion der Ukraine. Der LKW wurde von den ukrainischen Behörden beschlagnahmt. Der genaue Hergang der Beschlagnahme ist ebenso wie das Schicksal und der Aufenthalt des russischen Fahrers und der Verbleib von LKW und Ware nicht bekannt.
[4] Die Erstauftraggeberin hat die Klägerin in Höhe des Warenwerts in Anspruch genommen.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[6] Das Berufungsgericht gab der Klage statt, die Beklagte hafte gemäß Art 17 Abs 1 CMR, der Ausschlussgrund gemäß Art 17 Abs 2 vierter Fall CMR liege nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten.
[8] 1.1. Gemäß Art 17 Abs 1 CMR haftet die beklagte Frachtführerin, die nach Art 3 CMR für Handlungen und Unterlassungen der von ihr beauftragten Unterfrachtführerin einzustehen hat, grundsätzlich für den zwischen der Übernahme des Gutes und seiner Ablieferung eingetretenen Verlust. Bei dieser Haftung handelt es sich um eine für vermutetes Verschulden mit verschärftem Sorgfaltsmaßstab für die Zeit zwischen der Übernahme des Gutes zur Erfüllung der frachtrechtlichen Verpflichtungen und seiner Ablieferung (RS0073792 [T3]). Die Beschlagnahme des Gutes verbunden mit dem Verkauf der beschlagnahmten Ware durch den Zoll ist Verlust im frachtrechtlichen Sinn, weil sie den Frachtführer daran hindert, das Gut an den Empfänger abzuliefern (7 Ob 219/13a; Thume in Thume, CMR Art 17 Rn 65).
[9] 1.2. Dassdie Subfrachtführerin der Beklagten das Gut unbeschädigt übernommen hat, dieses vor der Ablieferung in Verlust geraten ist und die Klägerin einen Schaden in Höhe des Klagsbetrags erlitten hat, ist nicht strittig.
[10] 2.1. Von der Obhutshaftung gemäß Art 17 Abs 1 CMR ist der Frachtführer dann befreit, wenn die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss nach Art 17 Abs 2 CMR vorliegen.
[11] 2.2. Der Frachtführer wird nach dem vierten Haftungsausschlussgrund des Art 17 Abs 2 CMR von der Haftung für den Verlust des Frachtgutes nur befreit, wenn dieser auf unabwendbaren Umständen beruht, es also dem Frachtführer auch durch Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falls möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu verhindern (RS0073763 [insb auch T9]). Es fehlt daheram Merkmal der Unvermeidbarkeit auch dann, wenn die Beobachtung jeder nach den Umständen möglichen Sorgfalt eine auch an sich nicht voraussehbare Schadensursache unwirksam gemacht haben würde (Thume in Thume, CMR Art 17 Rn 9 mwN). Unabwendbarkeit des Ereignisses bedeutet aber nicht dessen absolute Unvermeidbarkeit; vom Frachtführer werden keine wirtschaftlich unzumutbaren oder absurden Maßnahmen gefordert (RS0029824 [T5]).
[12] 2.3. Die Beweislast für die Unabwendbarkeit trifft den Frachtführer (RS0073763 [T10] = 7 Ob 219/13a; 7 Ob 108/12a; Csoklich in Artmann, UGB³ Art 17–19 CMR Rz 8).
[13] 2.4. Beschlagnahme durch staatliche Behörden ist im Regelfall nur dann unabwendbar, wenn sie rechtswidrig oder willkürlich erfolgt (vgl 3 Ob 584, 585/83 = RS0073840; 4 Ob 2278/96w; 7 Ob 219/13a; Thume in Thume, CMR Art 17 Rn 99; Zehetbauer in Zib/Dellinger, UGB Art 19 CMR Rz 100).
[14] 2.5. Nach dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt begann die russische Invasion am Morgen des 24. Februar 2022, der LKW passierte aber erst am Vormittag (ca 10:30 Uhr) die ukrainische Grenze. Die Korrespondenz zwischen den Streitteilen zeigt auch, dass die Beklagte von der angespannten politischen Situation wusste und selbst davon ausging, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine sehr wahrscheinlich ausbrechen wird. Soweit die Beklagte daher in der Revision behauptet, der Angriff Russlands auf die Ukraine sei für sie unvorhergesehen gewesen, widerspricht dies den getroffenen Feststellungen. Dass die Beschlagnahme der Fracht ausschließlich eine gesetzwidrige oder willkürliche Maßnahme der ukrainischen Behörden war, steht ebenfalls nicht fest.
[15] Die Klägerin fragte die Beklagte als Expertin für Russland-Transporte auch dezidiert vor Erteilung des Transportauftrags, ob sie sich traue, das Risiko des Transports einzugehen und machte klar, ihr Auftraggeber werde bei hohem Risiko die Ware nicht auf der Straße lassen, sondern auf bessere Zeiten nach dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine warten. Daraufhin antwortete die Beklagte, sie denke, dass es bisher keine Risiken gebe, die eine Fahrt nach Russland verhindern würden. Die Einschätzung der Beklagten war somit ausschlaggebend für die konkrete Beauftragung durch die Klägerin. Schließlich hätte auch eine Route über Weißrussland gewählt werden können, die zwar etwas länger (rund 300 km) und teurer (Gebühren für Straßenbenützung), aber offenkundig sicherer gewesen wäre, weil über diese Route ein am Folgetag stattgefundener Transport geführt wurde. Die Änderung der Route wäre daher keine wirtschaftlich unzumutbare Maßnahme gewesen. Die Behauptung der Beklagten, die Beschlagnahme hätte auch auf dem Staatsgebiet von Weißrussland stattfinden können, weshalb diese Routenführung ex ante betrachtet nicht sicherer gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar, zumal es dafür keine Anhaltspunkte im Sachverhalt gibt und Weißrussland ein Verbündeter Russlands ist.
[16] 2.6. Dass die Heranziehung von § 9 EKHG bei Auslegung eines internationalen Übereinkommens nicht maßgeblich ist, mag zwar grundsätzlich richtig sein (vgl Csoklich in Artmann, UGB³ Art 17–19 CMR Rz 12), allerdings hat das Berufungsgericht Art 17 Abs 2 vierter Fall CMR ohnehin nicht anhand von § 9 EKHG ausgelegt.
[17] 2.7. Zusammengefasst bedarf daher die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht nachweisen können, dass es ihr auch bei Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falls möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt unmöglich war, die Beschlagnahme des LKW und damit den Verlust der Ware zu verhindern, keiner Korrektur.
[18] 3.1. Wenn der Schaden auf ein Zusammenwirken von haftungsbegründendem Frachtführerverschulden und haftungsbefreienden Transportgefahren zurückzuführen ist, sieht Art 17 Abs 5 CMR eine Schadensteilung vor (RS0107143). Art 17 Abs 5 CMR greift also immer dann ein, wenn der eingetretene Schaden sowohl auf haftungsausschließenden Umständen der Art 17 Abs 2 und 4 CMR beruht, als auch auf solche Umstände zurückzuführen ist, für die der Frachtführer nach Art 17 Abs 1 (ggf iVm Abs 3) CMR einzustehen hat (Thume in Thume, CMR Art 17 Rn 227; Zehetbauer in Zib/Dellinger, UGB Art 19 CMR Rz 182).
[19] 3.2. Das Berufungsgericht verneinte eine Mitverantwortung der Klägerin mit der Begründung, eine allgemeine Verpflichtung der Klägerin, die von der Beklagten als Frachtführerin geschuldeten Leistungen zu überprüfen, habe nicht bestanden; eine allfällige Mitwirkungstätigkeit des Absenders hätte zum Gegenstand des Frachtvertrags gemacht werden müssen, was hier nicht erfolgt sei. Gegen diese Rechtsansicht des Berufungsgerichts führt die Beklagte in der Revision kein Argument ins Treffen, sondern wiederholt lediglich ihre bisherigen Ausführungen, sodass sie auch damit keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt.
[20] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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