OGH 7Ob219/13a

OGH7Ob219/13a29.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** GmbH in Liqu., *****, vertreten durch Dr. Werner Loos, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*****gesellschaft mbH, *****, Deutschland, vertreten durch DDr. Wolfgang Doppelbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen 9.403,42 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. August 2013, GZ 1 R 245/12v‑20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 23. August 2012, GZ 15 C 695/10f‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin, die vor ihrer Liquidation im Transporthandel tätig war, beauftragte die Beklagte mit dem Transport von 19,5 t Schweinefleisch (Verladeort Firma S***** GmbH in Deutschland) und 2 t Hühnerfleisch (Verladeort Firma H***** a.s. in der Slowakei). Das Fleisch hätte um die Frachtpauschale von 1.730 EUR mittels Lkw an die Firma M***** S.R.L. in Rumänien transportiert werden sollen. Weder „Absender“ (gemeint wohl: Lieferant) noch Empfänger sollten voneinander wissen, „weshalb die I***** GmbH in Wien zwischengeschaltet werden sollte“. Die Klägerin vermerkte daher Folgendes auf dem Transportauftrag:

Supplier should not get to know the Customer ‑ Please instruct the driver to tell at the loading place, that he goes to Austria! Load Strict in Order I***** to Vienna, Delivery ‑ Strict neutral in Order I*****, ... Wien/please write a new CMR like sampler. Attention: By Infringement ‑ neutrality we must deduct EUR 150,00 from your Invoice! Delivery only with Neutral CMR + Trade Document.

Die Klägerin führte im Transportauftrag aus, dass der Vertrag ausschließlich österreichischem Recht unterliege. Sie schickte der Beklagten zur Durchführung des Frachtgeschäfts ein Muster des von ihr so bezeichneten „neutralen“ Frachtbriefs, in dem als Absenderin die I***** GmbH in Wien und als Empfängerin die M***** S.R.L. in Rumänien angeführt ist. Diese Urkunde war unterfertigt und gestempelt in der Rubrik des Absenders mit I***** GmbH samt Firmenstempel und als Frachtführer wird die Klägerin mit einem Firmenstempel ohne Benennung einer Rechtsform genannt. Sowohl der Transportauftrag als auch dieses Muster wurden der Beklagten ausschließlich per Telefax übersandt.

Die Beklagte nahm den Transportauftrag an und beauftragte ihrerseits mit dessen Durchführung ein rumänisches Unternehmen.

Die rumänische Subfrachtführerin holte das Transportgut an den Beladeorten in Deutschland und in der Slowakei ab. Am 31. 10. 2009 (Samstag) hielten die rumänischen Zollbehörden am Grenzübergang N***** den Fahrer und sein Fahrzeug an, um eine Kontrolle durchzuführen. Der Fahrer wies den einschreitenden rumänischen Organen zwei Frachtbriefe vor. In beiden Frachtbriefen wird die I***** GmbH nicht als Absenderin, sondern als Empfängerin angeführt. Als Absender werden die S***** GmbH und die H***** a.s. genannt. Darüber hinaus wies der Fahrer der Behörde ein sogenanntes „Trade‑Dokument“ und einen Lieferschein vom 29. 10. 2009 vor, die sich beide auf die Firma „I***** Österreich“ bezogen. Der Fahrer erklärte den rumänischen Beamten, dass die Ware für die Firma M***** S.R.L. in Rumänien bestimmt sei, was aber aus keinem der von ihm präsentierten Dokumente hervorging. Eine Nachschau der Zollbeamten beim rumänischen Finanzamt ergab, dass zu der in den CMR‑Frachtbriefen genannten I***** GmbH in Wien eine namensgleiche rumänische Gesellschaft gefunden wurde, die ihre Aktivität gestoppt hatte und einer rumänischen Stadt Steuern schuldete. Dem rumänischen Zoll war eine Identifikation des Empfängers aufgrund der vom Fahrer präsentierten Dokumente nicht möglich. Er beschlagnahmte die komplette Ware und verhängte über den Subfrachtführer eine Strafe. Die beschlagnahmte Ware wurde von den rumänischen Behörden noch am Wochenende verkauft.

Die Klägerin ersetzte der Versenderin der Waren, der I***** GmbH, den entstandenen Schaden (Warenwert) von 9.403,42 EUR (unstrittig).

Im Vorprozess wurde das Begehren der Beklagten (dort: Klägerin) gegen die Klägerin (dort: Beklagte) auf Zuspruch des Frachtlohns und Ersatz der Strafe, die der rumänische Zoll über den Fahrer der Subfrächterin verhängte, rechtskräftig abgewiesen.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten 9.403,42 EUR sA an Schadenersatz. Zusammengefasst brachte sie vor, das Fleisch sei vom rumänischen Zoll beschlagnahmt und entsorgt worden, weil die Beklagte auftragswidrig die Frachtbriefe unrichtig ausgestellt und unrichtige Angaben gemacht habe. Die Beklagte hätte entsprechend dem übermittelten Muster einen „neutralen“ CMR‑Frachtbrief ausstellen müssen. Verkäuferin der Ware sei die I***** GmbH in Wien und Käuferin die M***** S.R.L. in Rumänien gewesen. Tatsächlich sei in beiden Frachtbriefen die I***** Wien als Empfängerin aufgeschienen. Die Ausstellung von „neutralen“ CMR‑Frachtbriefen sei die einzige Möglichkeit, Kundenschutz durchzusetzen und im Frachtgeschäft üblich.

Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, der Auftrag der Klägerin an sie, einen tatsachenwidrigen CMR‑Frachtbrief auszufüllen, sei wegen Verstoßes gegen öffentlich‑rechtliche Normen sittenwidrig, nichtig und von ihr nicht zu beachten gewesen. Auch bei Einhaltung der Vereinbarung wäre es zur Beschlagnahme der Ware durch die rumänische Zollbehörde gekommen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zusätzlich zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es fest, die Beschlagnahme sei „unter anderem“ deshalb erfolgt, weil die Frachtbriefe vom Subfrächter der Beklagten weisungswidrig und unrichtig ausgefüllt worden seien. Dass bei auftragsgemäßem Ausfüllen der CMR‑Frachtbriefe als „neutrale“ Frachtbriefe das Transportgut von den rumänischen Finanzbehörden ebenso beschlagnahmt worden wäre, könne nicht festgestellt werden. Rechtlich führte es aus, der Subfrächter der Beklagten habe die CMR‑Frachtbriefe weisungswidrig und unrichtig ausgefüllt, was die Beschlagnahme durch die rumänischen Behörden zur Folge gehabt habe. Die Vereinbarung der „Neutralisierung“ sei nicht sittenwidrig. Es sei im Frachtgeschäft üblich, dass der Verkäufer seine Bezugsquelle dem empfangenden Käufer nicht offenlegen wolle.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm infolge der von ihm unterstellten Rechtskraft‑ und Bindungswirkung des Vorprozesses der Parteien die weiteren, vom Erstgericht getroffenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, zwischen den Parteien sei österreichisches Sachrecht vereinbart worden. Die CMR regelte nicht, wer den Frachtbrief nach Art 6 leg cit auszustellen habe. Den Frachtführer treffe im Fall der Verletzung einer vereinbarten Neutralisierungsverpflichtung eine Haftung gemäß § 429 UGB. Die Verpflichtung zur Ausstellung eines unrichtigen Frachtbriefs, nämlich durch Falschangabe des Absenders zur Vermeidung, dass der Empfänger des Guts die Bezugsquelle des tatsächlich absendenden Verkäufers erfahre, ändere nichts an der grundsätzlichen Gültigkeit des Frachtvertrags. Von der Beklagten sei im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht worden, dass die Vereinbarung der Parteien den Zweck gehabt habe, einem Dritten einen Vermögensschaden zuzufügen. Die Vereinbarung der Anführung eines unrichtigen Absenders zwischen dem tatsächlichen Absender (Auftraggeber des Transportauftrags) und dem Frachtführer (Vertragspartner, Werkunternehmer) „betreffend allfälliger Hoheitsrechte“ falle nicht unter den Straftatbestand der Täuschung. Die Beklagte könne keine konkrete Norm nennen, die eine zivilrechtliche Ungültigkeit der getroffenen Vereinbarung nach sich ziehen würde.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil die Gültigkeit der Vereinbarung einer „Neutralisierung“, mit welcher ein unrichtiger Absender in den Frachtdokumenten angeführt werde, einen erheblichen Teil der österreichischen Exportwirtschaft betreffe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel der Prozessgegnerin zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Gemäß Art 1 Abs 1 des „Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr“ (CMR; BGBl 1961/138 idF BGBl 1981/192) gilt dieses für jeden Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen, wenn der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung vorgesehene Ort, wie sie im Vertrage angegeben sind, in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen mindestens einer ein Vertragsstaat ist. Sowohl Deutschland und die Slowakei als auch Rumänien sind Vertragsstaaten ( de la Motte/Temme in: Thume, CMR‑Kommentar³, Vor Art 1 Rn 7; Schütz in Straube , UGB [I 4 ] CMR Vor Art 1 Rz 2), sodass die CMR auf den zu beurteilenden grenzüberschreitenden Transport anzuwenden ist.

2. Hingegen richten sich einzelne nicht von der CMR geregelte Fragen, die sich nicht durch Auslegung entscheiden lassen und für die auch nicht die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung für das jeweilige Problem vorgeschrieben ist, nach dem aufgrund internationalen Privatrechts anwendbaren Recht. Die Parteien vereinbarten im (unstrittig) im Oktober 2009 abgeschlossenen Güterbeförderungsvertrag die Anwendung österreichischen Rechts. Es handelt sich hierbei um eine Rechtswahl nach dem (hier noch anzuwendenden) Art 3 EVÜ (die Rom‑I‑VO gilt nach deren Art 28 für Verträge, die ab dem 17. 12. 2009 abgeschlossen wurden).

3. Die Beklagte übernahm im Frachtvertrag die Verpflichtung zur Ausstellung eines neuen CMR‑Frachtbriefs („please write a new CMR like sampler“) und hatte die Lieferung mit einem sogenannten „neutralen“ Frachtbrief durchzuführen („Delivery only with Neutral CMR + Trade Document“). Die CMR legt nicht fest, wen die Pflicht zur Ausstellung des Frachtbriefs treffen soll ( Helm , Frachtrecht II² CMR, Art 6 Rn 1). Jede der beiden Vertragsparteien ist berechtigt, den Frachtbrief auszustellen ( Koller , Transportrecht 8 [2013], Art 5 CMR Rn 2; Teutsch in: Thume , CMR‑Kommentar³, Art 5 Rn 6). Teutsch (aaO) verweist darauf, dass es der Praxis entspricht, dass der Frachtführer den Frachtbrief ausstellt. Aus § 426 Abs 1 UGB wird zwar abgeleitet, dass der Frachtbrief vom Absender auszustellen und auszufüllen ist, jedoch verweist Csoklich (in Jabornegg/Artmann , Kommentar zum UGB² § 426 UGB Rz 2) darauf, dass in der Praxis in aller Regel vom Frachtführer vorbereitete Musterdokumente (etwa die vom Güterbeförderungsverband entworfenen Muster für [CMR‑]Frachtbriefe) verwendet werden, die vom Frachtführer/Spediteur zur Verfügung gestellt und häufig auch von diesen zumindest teilweise vorausgefüllt werden. Dass die Beklagte die Ausstellung des CMR‑Frachtbriefs übernahm, ist somit nicht zu beanstanden.

4. Im Zusammenhang mit den Begleitpapieren wird dem Frachtführer häufig die „Neutralisierung“ der Dokumente aufgetragen. Dabei handelt es sich, etwa bei Streckengeschäften, um den Austausch des Frachtbriefs und der Ladepapiere (insbesondere der Rechnungen): Damit will der Zwischenhändler die Aufdeckung seiner Bezugsquellen und Einkaufskonditionen gegenüber dem Endabnehmer verhindern ( Csoklich aaO § 427 UGB Rz 4; siehe zu einem solchen Sachverhalt 7 Ob 89/08a = SZ 2008/54). Zwischenhändlerin und Versenderin der Ware war ‑ wovon auch die Beklagte in der Revision ausgeht ‑ die österreichische I***** GmbH. Diese verkaufte ‑ wie den unstrittigen Rechnungen Beilage ./3.1 und ./4.1 im Vorprozess (dort ON 7, AS 43) zu entnehmen ist ‑ das Fleisch an die rumänische M***** S.R.L. Offenkundig beauftragte sie die Klägerin mit dem Transport, die diesen Transportauftrag an die Beklagte weiterreichte. Die deutschen und slowakischen Lieferanten sowie die Käuferin der Ware sollten nicht voneinander wissen. Zu diesem Zweck übernahm die Beklagte die Verpflichtung, einen sogenannten „neutralen“ Frachtbrief auszustellen. Im per Telefax übermittelten Muster wird als Absenderin die I***** GmbH genannt, die diese Urkunde unterfertigte und mit ihrem Firmenstempel versah, als Empfängerin die M***** S.R.L. in Rumänien und als Frachtführerin die Klägerin. Dieses Frachtbriefmuster gibt zwar nicht den von der Beklagten übernommenen Frachtvertrag wieder, jedoch entsprechen die Angaben dem zugrunde liegenden Warentransport. Unstrittig hat die Beklagte ‑ entgegen der übernommenen Verpflichtung ‑ keinen solchen „neutralen“ Frachtbrief ausgestellt.

5. Nach den in der Berufung unbekämpften Feststellungen erfolgte die Beschlagnahme der Ware durch die rumänische Zollbehörde, weil die Identifikation des Empfängers aufgrund der vom Fahrer der Subfrächterin der Beklagten präsentierten Dokumente nicht möglich war. Dieser wies den rumänischen Zollorganen zwei Frachtbriefe vor, auf denen die I***** GmbH in Wien nicht als Absenderin angeführt wurde, sondern als Empfängerin. Empfängerin war aber nach dem Inhalt des von der Beklagten übernommenen Transportauftrags die M***** S.R.L. in Rumänien.

5.1. Gemäß Art 17 Abs 1 CMR haftet die beklagte Frachtführerin, die nach Art 3 CMR für Handlungen und Unterlassungen der von ihr beauftragten Unterfrachtführerin einzustehen hat, grundsätzlich für den zwischen der Übernahme des Gutes und seiner Ablieferung eingetretenen Verlust. Die Beschlagnahme des Gutes verbunden mit dem Verkauf der beschlagnahmten Ware durch den Zoll ist Verlust im frachtrechtlichen Sinn, weil sie den Frachtführer daran hindert, das Gut an den Empfänger abzuliefern ( Thume in: Thume , CMR‑Kommentar³ Art 17 Rn 65; Boesche in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn , Handelsgesetzbuch² [2009] Art 17 CMR Rn 3; in diesem Sinn 3 Ob 584, 585/83). Bei der Haftung nach Art 17 Abs 1 CMR handelt es sich um ein vermutetes Verschulden mit verschärftem Sorgfaltsmaßstab für die Zeit zwischen der Übernahme des Gutes zur Erfüllung der frachtrechtlichen Verpflichtungen und seiner Ablieferung (RIS‑Justiz RS0073792 [T3]). Die klagende Absenderin hat bewiesen, dass der Subfrachtführer der Beklagten das Gut unbeschädigt übernahm, dass sie einen Schaden erlitt und dieser Schaden vor der Ablieferung eintrat. Von der Obhutshaftung gemäß Art 17 Abs 1 CMR ist der Frachtführer dann befreit, wenn die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss nach Art 17 Abs 2 CMR vorliegen. Diese Haftungsbefreiung erfordert, dass der Verlust des Gutes durch ein Verschulden des Verfügungsberechtigten, durch eine nicht vom Frachtführer verschuldete Weisung des Verfügungsberechtigten, durch besondere Mängel des Gutes oder durch Umstände verursacht wurde, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Im Streitfall könnten ein Verschulden der Klägerin, die im Verhältnis zur Beklagten als Absenderin fungierte, und das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses maßgeblich sein.

5.2. Der Frachtführer wird nach dem vierten Haftungsausschlussgrund des Art 17 Abs 2 CMR von der Haftung für den Verlust des Frachtgutes nur befreit, wenn dieser auf einem unabwendbaren Ereignis beruht, es also dem Frachtführer auch durch Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu verhindern (RIS‑Justiz RS0073763; vgl RS0029824). Die Beweislast dafür trifft den Frachtführer (7 Ob 108/12a mwN). Dass die Beschlagnahme der Fracht ausschließlich eine gesetzwidrige Maßnahme war (vgl 3 Ob 584, 585/83 = RIS‑Justiz RS0073840) oder dass eine unverschuldete Wegnahme der Güter erfolgte (vgl 4 Ob 2278/96w), wurde weder vorgebracht noch steht dies fest. Nach der vom Berufungsgericht (mit gesetzwidriger Begründung) übernommenen Feststellung erfolgte die Beschlagnahme unter anderem deshalb, weil die beiden Frachtbriefe vom Subfrächter der Beklagten weisungswidrig und unrichtig ausgefüllt wurden. In diesem Fall wäre die Beschlagnahme der Güter wegen eines unrichtig ausgestellten Frachtbriefs nicht unabwendbar. Die Subfrächterin der Beklagten hätte dann den CMR‑Frachtbrief als Warenbegleitpapier fahrlässig falsch ausgestellt. Dass dann jeder Zollbeamte gerade bei unrichtiger Anführung einer nicht in Rumänien situierten Empfängerin argwöhnisch wird und dadurch eine Beschlagnahme erfolgt, liegt auf der Hand ( Thume aaO Art 17 CMR Rn 99; LG Hamburg 404 O 134/95 = TranspR 1996, 338).

5.3. Das Verschulden im Sinn von Art 17 Abs 2 erster Fall CMR setzt nicht voraus, dass der Verfügungsberechtigte (hier: die klagende Absenderin) gegen „echte“ Vertragspflichten verstößt. Es genügt vielmehr, dass er in vorwerfbarer Weise eine Obliegenheit zur Schadensverhinderung verletzt, das heißt die verkehrserforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat. Das dem Verfügungsberechtigten anzulastende Verhalten muss zudem kausal gewesen sein und kann sowohl den Eintritt als auch die Höhe des Schadens betreffen (BGH I ZR 152/09 = NJOZ 2011, 1153). Ein solches Verschulden ist bei unzulänglichen Eintragungen im Frachtbrief, etwa der unrichtigen Angabe der Empfängeranschrift, sowie bei Umständen, die gemäß Art 11 CMR die Haftung des Absenders begründen können, anzunehmen ( Jesser‑Huß , Münchener Kommentar zum HGB² [2009] Art 17 CMR Rn 33; zu Art 11 CMR auch BGH I ZR 152/09 = NJOZ 2011, 1153).

Gemäß Art 11 Abs 1 CMR hat der Absender dem Frachtbrief die Urkunden beizugeben, die für die vor der Ablieferung des Gutes zu erledigende Zoll‑ oder sonstige amtliche Behandlung notwendig sind, oder diese Urkunden dem Frachtführer zur Verfügung zu stellen und diesem alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Damit sind sämtliche Urkunden gemeint, die die beteiligten Hoheitsträger bei einem grenzüberschreitenden Transport zur Voraussetzung des Grenzübertritts gemacht haben. Dokumente, die lediglich die Abwicklung von Verwaltungsverfahren begünstigen oder den Grenzübertritt beschleunigen können, werden vom Wortlaut des Art 11 Abs 1 CMR nicht erfasst. Dementsprechend ordnet Art 11 Abs 2 zweiter Satz CMR eine verschuldensunabhängige Haftung des Absenders für alle Schäden an, die aus dem Fehlen, der Unvollständigkeit oder der Unrichtigkeit der nach Art 11 Abs 1 CMR erforderlichen Urkunden (und Angaben) entstanden sind (BGH aaO). Nach dem letzten Halbsatz des Art 11 Abs 2 CMR ist eine Haftung des Absenders jedoch ausgeschlossen, wenn den Frachtführer oder seine Leute (Art 3 CMR) ein Verschulden trifft ( Csoklich aaO Art 11 CMR Rz 11). Das ist dann der Fall, wenn der Frachtführer die erforderlichen Dokumente schuldhaft selbst fehlerhaft ausstellt ( Koller aaO Art 11 CMR Rn 3).

Hier kommt es darauf an, ob die vom Berufungsgericht ‑ mit unzutreffender Begründung ‑ übernommene Feststellung, dass die Frachtbriefe vom Subfrächter der Beklagten weisungswidrig und unrichtig (hinsichtlich der Empfängerin) ausgefüllt wurden, zutrifft.

6. Für die Haftung der Beklagten gemäß Art 17 Abs 1 CMR oder das Vorliegen eines Haftungsausschlussgrundes nach Abs 2 leg cit ist nicht maßgeblich, ob die von der Beklagten übernommene Neutralisierungsverpflichtung hinsichtlich des Frachtbriefs ‑ was sie behauptet ‑ nach rumänischem Recht gesetz‑ oder sittenwidrig gewesen sein könnte. Der Schaden trat nicht durch die unterlassene Ausfertigung eines sogenannten „neutralen“ Frachtbriefs ein, sondern dadurch, dass in den tatsächlich ausgestellten Frachtbriefen die I***** GmbH in Wien als Empfängerin aufschien, obwohl Empfängerin ‑ wie der Beklagten bekannt war ‑ die rumänische Gesellschaft M***** S.R.L. war. Die hinsichtlich dieser Frage und zur Negativfeststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass bei auftragsgemäßem Ausfüllen der CMR‑Frachtbriefe als „neutrale“ Frachtbriefe das Transportgut von den rumänischen Finanzbehörden ebenso beschlagnahmt worden wäre, gerügten Mängel des Berufungsverfahrens sind mangels Erheblichkeit nicht relevant.

7. Zutreffend rügt die Beklagte aber, dass das Berufungsgericht ihre Beweisrüge in der Berufung hinsichtlich der Feststellung, dass die Beschlagnahme „unter anderem“ deshalb erfolgt sei, weil die Frachtbriefe von ihrem Subfrächter weisungswidrig und unrichtig ausgefüllt worden seien, mit einer vom Gesetz nicht gedeckten Begründung verwarf. Das Berufungsgericht ging von einer Bindungswirkung der bereits im Vorprozess der Parteien getroffenen Feststellung auch für dieses Verfahren aus. Sachverhaltsfeststellungen früherer Entscheidungen aus anderen Verfahren äußern jedoch grundsätzlich keine Bindungswirkung für spätere Verfahren (RIS‑Justiz RS0123760). Die Feststellung von Tatsachen erfolgt in jedem Rechtsstreit ohne Bindung an die Beurteilung in einem Vorprozess (RIS‑Justiz RS0036826). Die Tatsachenfeststellungen eines Gerichts, die es als zur Gewinnung des für die Subsumtion erforderlichen Tatbestands benötigt, erwachsen nicht in Rechtskraft (RIS‑Justiz RS0041342; RS0118570). Die Grenzen der materiellen Rechtskraft können aus Gründen der „Entscheidungsharmonie“ allein nicht ausgeweitet werden. Mit dem Gedanken der „Rechtssicherheit“ ist es durchaus vereinbar, wenn eine für unrichtig erkannte Sachverhaltsgrundlage eines Urteils im Vorprozess der Entscheidung im Folgeprozess nicht mehr zu Grunde gelegt wird. Die gegenteiligen Thesen der älteren Rechtsprechung sind überholt (RIS‑Justiz RS0102102).

Das Berufungsgericht wird sich daher mit dieser Beweisrüge auseinandersetzen zu haben. Sollte diese Feststellung Bestand haben, würde die Beklagte gemäß Art 17 Abs 1 CMR für den der Höhe nach unstrittigen Schaden haften. Sollte jedoch diese Feststellung entfallen, ist zu beurteilen, von wem die Frachtbriefe (Beilagen ./E und ./F) unrichtig ausgestellt wurden. Sollte sich herausstellen, dass Aussteller die I***** GmbH oder die deutschen/slowakischen Lieferanten waren, die in den beiden von der Subfrachtführerin den rumänischen Zollbehörden vorgewiesenen Frachtbriefen aufscheinen, könnte sich die Beklagte mit Erfolg auf die Haftungsbefreiung nach Art 17 Abs 2 erster Fall CMR berufen, weil sich die Klägerin dann das Verschulden ihrer Gehilfen (Versenderin, Lieferanten) gemäß § 1313a ABGB zurechnen lassen müsste (vgl Csoklich aaO Art 17 bis 19 CMR Rz 9).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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