European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020NC00066.24I.1119.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die von der * im Verfahren zu AZ * angezeigten Gründe sind nicht geeignet, die Besorgnis ihrer Befangenheit zu begründen.
Begründung:
[1] Das im Spruch genannte Verfahren ist im * Senat des Obersten Gerichtshofs angefallen, dessen Mitglied * ist. Im Verfahren erhebt die klagende Bundesarbeitskammer gegen die beklagte Betreiberin mehrerer Fitnessstudios ein Unterlassungsbegehren, das sich auf die einseitige Erhöhung des Mitgliedsbeitrags ohne entsprechende Änderungsvereinbarung, die Wertung von Schweigen oder Unterbleiben einer außerordentlichen Kündigung als Zustimmung zu einer Preiserhöhung und das Einziehen von Geldbeträgen ohne ausdrückliche und freiwillige Zustimmung der Kunden bezieht. Weiters stellt die Klägerin ein auf § 15 UWG gestütztes Begehren auf Informierung der Verbraucher über die unzulässiger Weise vorgenommenen Preiserhöhungen.
[2] Das Berufungsgericht ließ die Revision unter anderem zur Klärung der Frage zu, unter welchen Voraussetzungen § 15 UWG einer nach § 14 Abs 1 Satz 2 UWG klagebefugten Amtspartei einen Folgenbeseitigungsanspruch in Form einer Verpflichtung des beklagten Unternehmers zur Information über wettbewerbswidrige Vertragsklauseln mit Aufklärungsschreiben einräume.
Rechtliche Beurteilung
[3] In ihrer Anzeige möglicher Befangenheit führt * aus, dass ihr langjähriger Lebensgefährte Partner bei einer Rechtsanwalts GmbH sei und dort das „Bankrechtsteam“ leite. Er trage auch zum Bankrecht vor, publiziere in diesem Bereich regelmäßig und sei Mitherausgeber bankrechtlicher Fachzeitschriften. Mehrere seiner Publikationen würden den Themenkomplex „Servicepauschale und Kreditbearbeitungsgebühr“ betreffen. Aus der Rückforderung von Kreditbearbeitungsgebühren bzw der Servicepauschalen von Telekom-Anbietern sei nahezu ein eigener Geschäftszweig geworden. Bei der Servicepauschale gehe es teils ebenfalls um die Zulässigkeit von Beseitigungsansprüchen wie die hier geltend gemachten. Die Bundesarbeitskammer habe auch Verbandsklagen gegen drei Mobilfunkanbieter eingebracht, in denen es – medial kolportiert – um Rückforderungsbeträge im dreistelligen Millionenbereich gehe. Die Frage des Bestehens eines Beseitigungsanspruchs habe für die Telekom‑Branche größte Bedeutung. Ihr Lebensgefährte trete neben seiner Publikationstätigkeit als anwaltlicher Vertreter in Kreditbearbeitungsfällen auf und sei seit Längerem in verschiedensten beratenden Funktionen zu den Themen Kreditbearbeitungsgebühren, Servicepauschale und Beseitigungsanspruch tätig. Zwar werde die bloße Parallelität von Rechtsfragen mit jenen, zu denen ihr Lebensgefährte vertrete, berate oder publiziere, in der Regel nicht zu Befangenheit führen. Dies könnte wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Problematik, der ungewöhnlichen emotionalen Aufladung und Öffentlichkeitswirksamkeit im Anlassfall aber allenfalls anders zu beurteilen sein. Durch die Mitwirkung könnte für Außenstehende der Eindruck entstehen, dass ihre Entscheidung durch sachfremde Motive oder äußere Interessen beeinflusst werde.
Die Befangenheitsanzeige ist nicht begründet:
[4] 1. Ein zureichender Grund, die Unbefangenheit eines Richters iSv § 19 Z 2 JN in Zweifel zu ziehen, liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10]; RS0045949 [T2, T6]), dies auch dann, wenn der Richter tatsächlich (subjektiv) unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]). Dabei ist zur Wahrung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzuwenden (vgl RS0045949). Zu beachten ist jedoch, dass die Vermutung für die Unparteilichkeit des Richters spricht, solange nicht Sachverhalte dargetan werden, die das Gegenteil annehmen lassen (RS0046129 [T1, T2]).
[5] 2. Als Befangenheitsgründe kommen in erster Linie private persönliche Beziehungen zu einer Prozesspartei oder ihren Vertretern in Betracht, die ein Naheverhältnis begründen, das bei objektiver Betrachtung zumindest geeignet ist, den Anschein einer Voreingenommenheit zu begründen (RS0045935). Nach ständiger Rechtsprechung bildet es hingegen keinen Ablehnungsgrund, wenn der Richter schon eine bestimmte Rechtsansicht in einem Rechtsstreit geäußert (RS0045916) oder in Form wissenschaftlicher Abhandlungen veröffentlicht hat (RS0045916 [T2]). Eine Besorgnis der Befangenheit liegt erst dann vor, wenn der Richter zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht bereit wäre, seine bereits vertretene Rechtsansicht erneut selbstkritisch zu überprüfen und gegebenenfalls seine Meinung zu ändern (RS0036155 [T3]; RS0045916 [T9]; vgl 6 Nc 18/11s zur Rechtsprechung des EGMR in diesem Zusammenhang).
[6] 3. Ausgehend von diesen Grundsätzen bieten die Ausführungen in der Anzeige möglicher Befangenheit keinen Grund zur Annahme, dass sich * bei einer Entscheidung über das Rechtsmittel der Beklagten von sachfremden Motiven leiten lassen könnte. Wie die zu Punkt 2. dargestellte Rechtsprechung zeigt und die Richterin selbst in ihrer Anzeige möglicher Befangenheit betont, indiziert der Umstand, dass zu bestimmten Rechtsfragen bereits Rechtsansichten artikuliert wurden und nunmehr diese Rechtsfragen bei Bearbeitung eines Akts zu lösen sind, keine Befangenheit. Weder die Publikationstätigkeit ihres Lebensgefährten noch dessen umfassende Beratungstätigkeit „zu den Themen Kreditbearbeitungsgebühr, Servicepauschale und Beseitigungsanspruch“ bieten einen Anhaltspunkt dafür, dass die ihre mögliche Befangenheit anzeigende Richterin nicht bereit wäre, unbefangen an die im Anlassfall zu lösenden Rechtsfragen heranzugehen. Im Übrigen lässt sich die Frage allfälliger Befangenheit immer nur im Zusammenhang mit dem konkreten Verfahren und dessen Parteien beurteilen (8 ObA 20/07k), wobei hier keine Hinweise für eine das konkrete Verfahren betreffende persönliche Nahebeziehung der Richterin zu den Parteien oder deren Vertretern bestehen. Dass sich die Richterin von der von ihrem Lebensgefährten vertretenen Rechtsansicht leiten lassen würde, kann der Anzeige, die keine subjektive Befangenheit releviert, nicht entnommen werden und ist im Hinblick auf die von einem Richter zu erwartende professionelle Trennung zwischen Beruflichem und Privatem (vgl RS0045970 [T7]) auch nicht anzunehmen. Es war daher selbstbei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs auszusprechen, dass die angezeigten Gründe nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (§ 22 Abs 3 GOG iVm § 19 Abs 2 JN).
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