OGH 10ObS75/24p

OGH10ObS75/24p19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Mag. Franjo Schruiff, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Krankengeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. April 2024, GZ 9 Rs 93/23 x‑14, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 3. Juli 2023, GZ 1 Cgs 22/23s‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00075.24P.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Krankengeld. Strittig ist nur, ob bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage Sonderzahlungen zu berücksichtigen sind.

[2] Der Kläger ist seit 12. Juli 2017 als Arbeiter zur Sozialversicherung gemeldet. Seit 27. Mai 2022 ist er arbeitsunfähig.

[3] Von 27. Mai 2022 bis 6. September 2022 erhielt der Kläger von seinem Dienstgeber volle Entgeltfortzahlung und von 7. September 2022 bis 4. Oktober 2022 Fortzahlung des halben Entgelts. Nach dem anwendbaren Kollektivvertrag bleibt sein Anspruch auf Sonderzahlungen auch für Zeiten eines Krankenstands ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung ungeschmälert aufrecht.

[4] Die beklagte Österreichische Gesundheitskasse gewährte dem Kläger in der Zeit von 7. September 2022 bis 4. Oktober 2022 ein Krankengeld von 17 EUR, im Zeitraum von5. Oktober 2022 bis 31. Dezember 2022 von 34 EUR und seit 1. Jänner 2023 von 35,98 EUR (je brutto täglich). Bei der Berechnung des Krankengeldes wurde kein Zuschlag nach § 125 Abs 3 ASVG berücksichtigt.

[5] Mit Bescheid vom 17. März 2023 wies die Beklagte den Antrag des Klägers, ihm ein höheres Krankengeld zu gewähren, ab.

[6] In seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger, ihm ab 27. Mai 2022 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Die Beklagte habe den in § 125 Abs 3 ASVG vorgesehenen Zuschlag für Sonderzahlungen nach § 49 Abs 2 ASVG von (nach § 21 Abs 2 der Satzung der Beklagten) 17 % zu Unrecht nicht berücksichtigt, weil dieser nicht davon abhänge, ob der Versicherte während der Arbeitsunfähigkeit weiterhin einen Anspruch auf Sonderzahlungen habe.

[7] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass ein Zuschlag nach § 125 Abs 3 ASVG nur zu berücksichtigen sei, wenn während der Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch auf Sonderzahlungen bestehe, weil nur dann ein Entgeltausfall ausgeglichen werden müsse.

[8] Das Erstgericht schloss sich der Ansicht des Klägers insofern an, als es die Beklagte verpflichtete, ihm ab 27. Mai 2022 (zusätzlich zum gewährten Krankengeld auch) die sich nach Berücksichtigung des Zuschlags nach § 125 Abs 3 ASVG ergebenden (Differenz‑)Beträge zu zahlen. Das Begehren auf Gewährung eines noch höheren Krankengeldes infolge einer kollektivvertraglichen Lohnerhöhung wies es rechtskräftig ab.

[9] Das nur von der Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die Beklagte verpflichtete, dem Kläger ab 7. September 2022 Krankengeld laut der im Bescheid anerkannten (und bisher geleisteten) Höhe zu zahlen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Der Anspruch des Klägers auf ungeschmälerten Bezug von Sonderzahlungen auch während seiner Arbeitsunfähigkeit führe zwar nicht zum Ruhen das Krankengeldes, weil § 143 Abs 1 Z 3 ASVG diese Konsequenz nur an Geld- oder Sachbezüge iSd § 49 Abs 1 ASVG und nicht auch an den Bezug von Sonderzahlungen iSd § 49 Abs 2 ASVG knüpfe. Er wirke sich aber sehr wohl auf die Höhe des Krankengeldanspruchs aus. Denn Ziel der Erhöhung der Bemessungsgrundlage nach § 125 Abs 3 ASVG sei es, den Ausfall der Sonderzahlungen wegen Krankheit oder eines Arbeitsunfalls auszugleichen. Das sei beim Kläger nicht erforderlich, weil er den vom Gesetz unterstellten Ausfall tatsächlich nicht erleide. Ohne einen zu kompensierenden Entgeltverlust und ein damit verbundenes Sicherungsbedürfnis sei die Bemessungsgrundlage nicht zu erhöhen, andernfalls käme es zu einem unerwünschten Doppelbezug zu Lasten der Versichertengemeinschaft.

[10] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, ob die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Anspruchs auf Krankengeld gemäß § 125 Abs 3 ASVG auch dann zu erhöhen sei, wenn der Versicherte gegen seinen Arbeitgeber Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen auch in entgeltfreien Zeiten habe, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers mit dem Antrag, der Klage vollinhaltlich stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[13] 1. Das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769; RS0112921). Eine bei Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO verliert daher ihre Erheblichkeit, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Das ist hier der Fall.

[14] 2.  Der Oberste Gerichtshof hat sich erst kürzlich in der Entscheidung 10 ObS 95/24d ausführlich mit der hier strittigen Frage befasst, ob die Bemessungsgrundlage auch dann gemäß § 125 Abs 3 ASVG zu erhöhen ist, wenn der Versicherte weiterhin Sonderzahlungen bezieht. Er kam dabei zu folgendem Ergebnis:

[15] Mit dem Krankengeld soll lediglich der durch die Arbeitsunfähigkeit erlittene Entgeltverlust (wenigstens zum Teil) kompensiert werden. Es soll damit aber nicht zu einer grundsätzlich unerwünschten „Überversorgung“ kommen. Fehlt es an einem auszugleichenden Einkommensausfall, weil der Versicherte – aufgrund kollektiv- oder einzelvertraglicher Regelungen – ausnahmsweise auch noch während der Zeit des Krankengeldbezugs Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen gegenüber seinem Arbeitgeber hat, ist § 125 Abs 3 ASVG insofern teleologisch zu reduzieren, als bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes Sonderzahlungen außer Betracht zu bleiben haben. In dieser Konstellation kommt § 125 Abs 3 ASVG nicht zur Anwendung.

[16] 3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen damit im Einklang.

[17] 3.1. Zwar unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt insofern von jenem, der der Entscheidung zu 10 ObS 95/24d zugrunde lag, als das Arbeitsverhältnis dort während des laufenden Krankengeldbezugs beendet wurde. Dieser Umstand ist angesichts der Regelung des § 122 Abs 1 Satz 3 ASVG aber nicht von Bedeutung. Die Revision trägt im Wesentlichen auch keine Argumente vor, die nicht schon zu 10 ObS 95/24d berücksichtigt worden wären.

[18] 3.2. Soweit sich der Kläger darüber hinaus noch auf die Ruhens- und Vorrangbestimmungen des ASVG, konkret auf § 143 Abs 1 Z 3 ASVG, beruft und meint, dieser beziehe sich nur auf Geld- und Sachbezüge (§ 49 Abs 1 ASVG) und nicht auf Sonderzahlungen (§ 49 Abs 2 ASVG), ist das schon deshalb nicht stichhältig, weil das Ruhen eines Anspruchs erst in Betracht kommt, wenn dieser überhaupt besteht. Aus dem Wortlaut eines Ruhenstatbestands lässt sich für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 125 Abs 3 ASVG daher nichts Entscheidendes ableiten.

[19] Mit den Gründen, die den Gesetzgeber zur pauschalen Berücksichtigung von Sonderzahlungen bewogen haben, hat sich der Oberste Gerichtshof zu 10 ObS 95/24d schon ausführlich befasst. Warum das mit § 125 Abs 3 ASVG verfolgte Ziel, die Berechnung zu vereinfachen, die Annahme rechtfertige, der Gesetzgeber sei damit vom grundlegenden Prinzip des Einkommensersatzes stillschweigend abgegangen, legt der Kläger nicht stichhältig dar.

[20] 3.3. Der vorliegende Fall gibt daher insgesamt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.

[21] 4. Soweit sich der Kläger noch dagegen wendet, dass das Berufungsgericht zwischenzeitige Gehaltserhöhungen aufgrund Änderungen des anwendbaren Kollektivvertrags nicht berücksichtigt habe, ist darauf nicht weiter einzugehen. Der Kläger übersieht, dass dieser Anspruchsteil bereits vom Erstgericht abgewiesen wurde und er kein Rechtsmittel dagegen erhoben hat. Der neuerlichen Geltendmachung steht daher die Rechtskraft des insofern abweisenden Ersturteils entgegen. Dass das Berufungsgericht die nunmehr gänzliche Abweisung des (teils auf § 125 Abs 3 ASVG, teils auf § 125 Abs 1 letzter Satz ASVG gestützten) Begehrens auf ein höheres Krankengeld (zur besseren Verständlichkeit) in einem Spruchpunkt zusammengefasst hat, ändert an der bereits eingetretenen Teilrechtskraft nichts (vgl 3 Ob 112/87).

[22] 5. Zwar kann ein Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG auch dann erfolgen, wenn das Berufungsgericht die ordentliche Revision zugelassen hat, der Oberste Gerichtshof diese jedoch mangels einer Rechtsfrage iSd § 502 ZPO zurückweist (RS0085898 [T2]). Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden jedoch nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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