European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00097.24V.1106.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Kind lebt mit seinem Vater in Österreich. Die Mutter lebt in Irland und ist geldunterhaltspflichtig.
[2] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens im vorliegenden dritten Rechtsgang ist ausschließlich die Frage, ob der Unterhaltsanspruch des Kindes ab 1. 9. 2019 auf Grundlage einer verminderten Bemessungsgrundlage der Mutter („Mischunterhalt“) zu bemessen ist. Während die Mutter auf dem Standpunkt steht, die höheren Lebenshaltungskosten in Irland machten die Bildung eines Mischunterhalts erforderlich, vertritt das Kind die Rechtsansicht, die Kaufkraftdifferenz erreiche die erforderliche Erheblichkeitsschwelle nicht.
[3] Das Rekursgericht ging von einem im Vergleich zu Österreich nicht höheren Einkommen der Mutter als Lehrerin in Irland bei höheren Lebenshaltungskosten aus. Es minderte die Unterhaltsbemessungsgrundlage für die Jahre 2019 sowie 2020 um 10 % und ab dem Jahr 2021 um 15 % und bemaß die Unterhaltsbeiträge ausgehend von der herabgesetzten Bemessungsgrundlage.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Kindes ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
[5] 1. Zutreffend haben die Vorinstanzen den Unterhaltsanspruch des in Österreich lebenden Kindes gemäß Art 3 HUP 2007 nach österreichischem Recht beurteilt (RS0128723).
[6] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung sollen bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs im Ausland lebender Kinder eines im Inland wohnenden Elternteils die Unterhaltsbeiträge einerseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft im Heimatland der Kinder stehen und andererseits die Kinder am Lebensstandard des in Österreich lebenden Unterhaltsverpflichteten teilnehmen lassen (RS0111899 [T1, T7]). In solchen Fällen ist ein Mischunterhalt zu bilden, der sich nach den Bedürfnissen der Unterhaltsberechtigten und dem besseren Nettoeinkommen der Unterhaltspflichtigen richtet. Gleichzeitig muss auch auf den Umstand Rücksicht genommen werden, dass im Aufenthaltsstaat des Unterhaltsberechtigten ein niedrigeres Kaufkraft- und Preisniveau (vgl RS0111899; 4 Ob 191/20x [Rz 31]; 2 Ob 10/23v [Rz 11] EF‑Z 2023/104, 225 [Nademleinsky]) beziehungsweise Einkommens- und Preisniveau herrscht (3 Ob 109/20f [Rz 27]; vgl 10 Ob 26/18y [ErwGr 3]).
[7] Nichts anderes kann umgekehrt gelten, wenn die Kinder in Österreich leben und es das Wohnsitzland des Unterhaltspflichtigen ist, in dem ein höheres Einkommens- und Preisniveau herrscht (2 Ob 10/23v [Rz 11]).
[8] Bei der Unterhaltsbemessung nach diesen Grundsätzen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts ohne konkretes Berechnungssystem (2 Ob 10/23v [Rz 11]; vgl RS0111899 [T12]). Ob die Billigkeit die Bildung eines den beiderseitigen Verhältnissen angemessenen Mischunterhalts verlangt, ist aufgrund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls zu beurteilen (vgl 3 Ob 109/20f EF‑Z 2021/16, 33 [Gitschthaler]). Ganz allgemein ist zu berücksichtigen, dass der Unterhalt nicht mathematisch zu berechnen, sondern vielmehr nach den von Billigkeitsüberlegungen getragenen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einzelfall auszumitteln ist (4 Ob 191/20x [Rz 33]; RS0057284 [T6, T9, T14]).
[9] 2.2. Der Oberste Gerichtshof erachtete in einem Fall, in dem die unterhaltsberechtigten Kinder in Österreich, der unterhaltspflichtige Elternteil in Dänemark lebte, einen Abzug von 20 % von der Unterhaltsbemessungsgrundlage als sachgerecht, um das (dort festgestellte) um 30 bis 34 % höhere Preisniveau in Dänemark im Vergleich zu Österreich angemessen zu berücksichtigen (8 Ob 30/16v EF‑Z 2017/125, 229 [Nademleinsky]).
[10] Im Fall eines Unterhaltsanspruchs nach § 69 EheG, in dem der unterhaltspflichtige geschiedene Ehegatte in der Schweiz lebte, der unterhaltsberechtigte in Österreich, billigte der Oberste Gerichtshof einen Abzug in Höhe von 30 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage als angemessenen Ausgleich für das vom Unterhaltspflichtigen erzielte hohe Einkommen bei gleichzeitig um 52,9 % höheren Lebenshaltungskosten (9 Ob 48/22g iFamZ 2022/188, 253 [Deixler‑Hübner]; vgl ebenfalls das Verhältnis Schweiz‑Österreich betreffend 2 Ob 165/22m iFamZ 2023/79, 120 [Fucik]).
[11] Jüngst stellte der Oberste Gerichtshof in einem Fall, in dem der unterhaltspflichtige Elternteil in Dänemark, das Kind in Österreich lebte, klar, dass in der Rechtsprechung zum Mischunterhalt unter dem Begriff „Kaufkraftdifferenz“ in der Regel die Differenz zwischen den Preisniveaus in den beiden Ländern verstanden wurde (2 Ob 10/23v [Rz 12] EF‑Z 2023/104, 225 [Nademleinsky] unter Hinweis auf 8 Ob 30/16v). Für die Bildung eines Mischunterhalts ist entscheidend, ob der Unterhaltspflichtige höhere Kosten zur Finanzierung des täglichen Lebens aufwenden muss als ein in Österreich lebender Unterhaltspflichtiger. Ausgehend von einem (dort festgestellten) um 25 % höheren Preisniveau in Dänemark erachtete der Oberste Gerichtshof eine Reduktion der Unterhaltsbemessungsgrundlage um 15 % als sachgerecht (2 Ob 10/23v [Rz 14] EF‑Z 2023/104, 225 [Nademleinsky]).
[12] 2.3. Das Kind erblickt eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darin, dass das Rekursgericht auf das Verhältnis der Lebenshaltungskosten in den Wohnsitzstaaten der unterhaltspflichtigen Mutter und des Kindes und nicht auf das Verhältnis der Kaufkraft abgestellt und deshalb zu Unrecht eine Reduktion der Unterhaltsbemessungsgrundlage der Mutter vorgenommen habe.
[13] 2.4. Damit wird eine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht dargetan:
[14] Das Abstellen auf die Lebenshaltungskosten steht im Einklang mit der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 10/23v [Rz 14] EF‑Z 2023/104, 225 [Nademleinsky]). Ob das – konkret festgestellte – Einkommen der Mutter als Lehrerin in Irland gleich hoch ist wie das in Österreich als Lehrerin erzielbare Einkommen, ist daher hier nicht entscheidend. Soweit der Revisionsrekurs auf die festgestellten Kennzahlen zur Kaufkraft abstellt, ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht, dass diesen die im Revisionsrekurs angeführte Definition (als jener Gütermenge, die für eine Geldeinheit gekauft werden kann) zugrunde liegt (vgl 2 Ob 10/23v [Rz 14] EF‑Z 2023/104, 225 [Nademleinsky]). Schon aus diesem Grund können aus den festgestellten Kennzahlen zur Kaufkraft (die, wie sich aus den vom Erstgericht zitierten Urkunden ergibt, zudem aus Indizes stammen, die unterschiedliche Tatsachen abbilden) nicht die im Revisionsrekurs behaupteten Schlüsse gezogen werden.
[15] 2.5. Nicht nur die Frage, ob die Billigkeit die Bildung eines Mischunterhalts verlangt (vgl 3 Ob 109/20f EF‑Z 2021/16, 33 [Gitschthaler]), sondern auch die Beurteilung, wie hoch die Erheblichkeitsschwelle der unterschiedlichen Verhältnisse anzusetzen ist, kann nur nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl 2 Ob 165/22m iFamZ 2023/79, 120 [Fucik]).
[16] Der Entscheidung 8 Ob 30/16v kann nicht entnommen werden, dass bei den im vorliegenden Fall festgestellten Lebenshaltungskosten in Irland, die im Vergleich zum Basiswert im Vergleich zu Österreich um rund 15 % (im Jahr 2019), 20 % (im Jahr 2020), 26 % (im Jahr 2021) und 33 % (im Jahr 2022) höher waren, die Erheblichkeitsschwelle für die Bildung eines Mischunterhalts nicht erreicht gewesen wäre.
[17] Die vom Rekursgericht vorgenommene Reduktion der Bemessungsgrundlage um 10 % für die Jahre 2019 (soweit in diesem Jahr eine Geldunterhaltspflicht der Mutter dem Grunde nach bestand) und 2020 sowie um 15 % ab dem Jahr 2021 ist daher vertretbar und steht nicht im Widerspruch zur dargestellte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[18] Die vom Rekursgericht in seiner Zulassungsbegründung angeführte und im Revisionsrekurs des Kindes wiederholte Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG liegt daher nicht vor.
[19] 3. Das Rekursgericht ist – in Übereinstimmung mit dem Rekursvorbringen der Mutter – auch im dritten Rechtsgang davon ausgegangen, dass der Mischunterhalt ab 1. 9. 2019 zu bilden war. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung wird in diesem Zusammenhang, in dem das Kind erstmals im Revisionsrekurs von einem sekundären Feststellungsmangel zum Übersiedlungszeitpunkt ausgeht und daraus einen insgesamt geringfügig höheren Unterhaltsrückstand ableitet, schon deshalb nicht dargetan, weil Unterhalt nicht nach mathematischen Grundsätzen zu berechnen, sondern zu bemessen ist und eine grob unbillige Beurteilung des gesamten für das Jahr 2019 zu beurteilenden Unterhaltsanspruchs nicht dargetan ist.
[20] 4. Das Revisionsrekursvorbringen zur „Antragsüberschreitung“ ist im Hinblick auf das Vorbringen der Mutter im Schriftsatz vom 27. 4. 2023 aktenwidrig.
[21] 5. Die Tatsachenfeststellungen – hier: die Feststellung zur Höhe der von der Mutter bis zum Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen erstinstanzlichen Beschlusses geleisteten Unterhaltszahlungen – können im Revisionsrekurs nicht bekämpft werden, weil der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RS0108449 [T2]; RS0007236; RS0006379 [T4]).
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