OGH 1Ob99/24a

OGH1Ob99/24a25.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der K*, geboren am * 1934, *, vertreten durch Dr. Florence Burkhart, Rechtsanwältin in Salzburg, über den Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 16. April 2024, GZ 22 R 198/22d‑45, mit dem der Rekurs der Betroffenen zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00099.24A.0925.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird in ihrem Punkt I (Zurückweisung des Rekurses „der für die Betroffene bestellten Verfahrenshelferin“) aufgehoben.

Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den durch die Verfahrenshelferin namens der Betroffenen erhobenen Rekurs unter Abstandnahme vom angezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht sprach aus, dass die von der Betroffenen (ihrer Tochter) erteilte Vorsorgevollmacht beendet sei, und bestellte einen Rechtsanwalt zum Erwachsenenvertreter. Die Betroffene sei kognitiv erheblich beeinträchtigt und erhalte eine 24-Stunden-Pflege. Es bestünden (näher dargelegte) Zweifel, ob ihre Tochter die Vorsorgevollmacht vor allem in Vermögensangelegenheiten im Interesse der Betroffenen ausübe.

[2] Die Betroffene beantragte die Bewilligung der Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwalts zur Erhebung eines Rekurses gegen diese Entscheidung. Das Formular des Verfahrenshilfeantrags sowie das Vermögensbekenntnis füllte die Vorsorgebevollmächtigte für die Betroffene aus. Eingebracht wurde der Antrag durch jene (von der Vorsorgebevollmächtigten für die Betroffene beauftragte) Rechtsanwältin, die später zur Verfahrenshelferin bestellt wurde. Das Erstgericht bewilligte die Verfahrenshilfe. Die Verfahrenshelferin erhob namens der Betroffenen Rekurs. Außerdem erhob auch die Vorsorgebevollmächtigte einen Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung.

[3] Das Rekursgericht wies den von der Verfahrenshelferin namens der Betroffenen erhobenen Rekurs (in Punkt I) zurück, weil die Betroffene bei Einbringung des Verfahrenshilfeantrags durch die Vorsorgebevollmächtigte nicht wirksam vertreten gewesen sei. Diese habe sich nämlich „aufgrund der gegenständlich im Raum stehenden Zweifel an der Ausübung dieser [Vorsorge-]Vollmacht im Sinne der Betroffenen nicht auf ihre Vollmacht berufen können“. Der Verfahrenshilfeantrag sei daher nicht wirksam gestellt und die Verfahrenshilfe nicht wirksam bewilligt worden. Eine nachträgliche Genehmigung des Verfahrenshilfeantrags durch die Betroffene komme mangels Verfahrensfähigkeit nicht in Betracht. Der von der Verfahrenshelferin für diese eingebrachte Rekurs sei daher zurückzuweisen.

[4] Den Rekurs der Vorsorgebevollmächtigten wies das Rekursgericht (in Punkt II) teilweise zurück und teilweise ab. Soweit es diesen auch als für die Betroffene erhoben ansah, wies das Rekursgericht das Rechtsmittel (in Punkt III) als unberechtigt ab.

[5] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nur gegen die (in Punkt I ausgesprochene) Zurückweisung des von der Verfahrenshelferin namens der Betroffenen erhobenen Rekurses zur Frage zu, „ob die für Bevollmächtigungen geltende Rechtslage auch für eine Vertretung im Rahmen der Verfahrenshilfe angewandt werden könne“.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Betroffenen ist zulässig und berechtigt, weil das Rekursgericht zu Unrecht davon ausging, dass die Betroffene von der für sie zur Einbringung eines Rechtsmittels bestellten Verfahrenshelferin nicht wirksam vertreten worden sei.

[7] 1. Die Vorsorgevollmacht wird nach § 245 Abs 1 ABGB wirksam, wenn und soweit der Eintritt des Vorsorgefalls im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis eingetragen ist. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen erfolgte ein solcher Eintrag hier am 3. September 2018. Die Vorsorgebevollmächtigte war seitdem gesetzliche Vertreterin der Betroffenen. Gemäß § 246 Abs 1 Z 2 ABGB endet die Vertretungsbefugnis des Vorsorgebevollmächtigten mit gerichtlicher Entscheidung, worunter zweifellos (vgl auch § 43 Abs 1 AußStrG) nur eine rechtskräftige Entscheidung verstanden werden kann (Weitzenboeck in Schwimann / Kodek 5 [2018] § 246 ABGB Rz 9; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 [2019] § 246 Rz 18; Traar/Pesendorfer/Lagger-Zach/Fritz/Barth , Erwachsenenschutzrecht2 [2023] § 246 ABGB Rz 10; s auch RS0006229 [T18] zur Enthebung des Erwachsenenvertreters). Eine vorläufige Verbindlichkeit iSd § 44 AußStrG erkannte das Erstgericht seiner Entscheidung, mit der es die Beendigung der Vorsorgevollmacht aussprach, nicht zu.

[8] 2. Die Vorsorgevollmacht der Betroffenen war somit bei Beantragung der Verfahrenshilfe durch diese noch wirksam. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwalts ist daher keinesfalls aus dem Grund einer unwirksamen Vertretung der verfahrensunfähigen Betroffenen durch die Vorsorgebevollmächtigte bei Beantragung der Verfahrenshilfe unwirksam. Inwieweit ein solcher Mangel des Verfahrenshilfeantrags nach rechtskräftiger Entscheidung über die Verfahrenshilfe überhaupt noch berücksichtigt werden könnte, kann daher ebenso dahingestellt bleiben, wie die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob die Beantragung der Verfahrenshilfe durch einen prozessunfähigen (und nicht wirksam vertretenen) Betroffenen der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts durch eine solche Person gleichzuhalten sei.

[9] 3. Warum die Vorsorgebevollmächtigte die Betroffene bei Beantragung der Verfahrenshilfe trotz wirksamer Vorsorgevollmacht „aufgrund der […] im Raum stehenden Zweifel an der Ausübung dieser Vollmacht im Sinne der Betroffenen“ nicht wirksam vertreten hätte können, ist nicht ersichtlich und wird vom Rekursgericht auch nicht nachvollziehbar begründet. Der Verweis auf die Judikatur zum kollusiven Zusammenwirken von Vertreter und Drittem (RS0019576) ist nicht zielführend.

[10] 4. Die angefochtene Entscheidung ist somit in ihrem Punkt I aufzuheben und dem Rekursgericht – wie im Revisionsrekurs primär beantragt – die neuerliche Entscheidung über den von der Verfahrenshelferin namens der Betroffenen erhobenen Rekurs unter Abstandnahme vom angezogenen Zurückweisungsgrund aufzutragen.

[11] 5. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass es keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels begründet, dass neben dem von der Verfahrenshelferin namens der Betroffenen erhobenen Rekurs auch von der Vorsorgebevollmächtigten (nach dem Verständnis des Rekursgerichts) für diese ein Rekurs erhoben wurde. Erheben sowohl der Vertreter (hier die Vorsorgebevollmächtigte) für die betroffene Person als auch diese selbst (allenfalls – wie hier – vertreten durch einen Rechtsanwalt) ein Rechtsmittel, sind gemäß § 116a Abs 1 AußStrG beide einer inhaltlichen Beurteilung zu unterziehen (RS0132628; RS0126515).

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