OGH 7Ob88/24b

OGH7Ob88/24b28.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. P*, vertreten durch Weinrauch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Gernot Murko, Mag. Christian Bauer, Mag. Gerlinde Murko, Mag. Daniel Klatzer, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. November 2023, GZ 5 R 124/23d‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. April 2023, GZ 87 Cg 31/22m‑8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00088.24B.0828.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.316,40 EUR (darin enthalten 219,40 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist als Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie tätig. Um seine berufliche Tätigkeit ausüben zu dürfen, braucht er gemäß § 52d ÄrzteG eine Berufshaftpflichtversicherung.

[2] Die Ärztekammer für Kärnten hat mit der Beklagten im Jahr 2011 eine Rahmenvereinbarung ua für niedergelassene Ärzte geschlossen, die auszugsweise lautet:

„1. Versicherungsnehmer:

Die UNIQA Österreich Versicherungen AG und die Ärztekammer Kärnten treffen eine Rahmenvereinbarung zum Abschluss von Ärzte-Haftpflichtversicherungen. Der Abschluss der einzelnen Versicherungsverträge erfolgt durch die Mitglieder der Ärztekammer Kärnten auf freiwilliger Basis.

[…]

3. Versicherungsumfang

3.1. Der Versicherungsschutz bezieht sich auf alle Tätigkeiten, zu denen der versicherte Arzt aufgrund der für seinen Beruf geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften berechtigt ist, ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeiten selbständig und/oder unselbständig ausgeübt werden.

3.2. Versichert gelten alle dem Vertrag beigetretenen Ärzte in ihrem jeweils angegebenen Fachgebiet. Tätigkeiten bzw. Fachgebiete, die der versicherte Arzt aufgrund seiner Berechtigungen ausüben darf und auch ausübt sind mitversichert, soweit dafür keine höhere Versicherungsprämie erforderlich ist.

[…]“

Rechtliche Beurteilung

[3] Der Kläger schloss mit der Beklagten auf Basis dieses Rahmenvertrags einen Berufshaftpflichtversicherungsvertrag.

[4] In seinem Antrag wählte er die im Formular vorgegebene Gruppe 5 der Fachgebiete aus, die wie folgt zusammengefasst wurde:

„Facharzt(ärztin) für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie (med. indiziert)

Nicht medizinisch indizierte Eingriffe sind nur auf Anfrage versicherbar.“

[5] Die Beklagte bietet auch eine höherpreisige Versicherung für nicht medizinisch indizierte Eingriffe an. Eine diesbezügliche Anfrage hat der Kläger nicht gestellt.

[6] Der Kläger begehrt Deckung für die Abwehr von Schadenersatzansprüchen einer Patientin aus einer behauptet fehlerhaften Nasenoperation.

[7] Die Beklagte wendet die mangelnde medizinische Indikation der gegenständlichen Operation ein.

[8] Das Erstgericht gab der Deckungsklage statt, weil das Vorliegen einer medizinischen Indikation nicht definiert und „die Klausel“ damit gröblich benachteiligend sei.

[9] Das Berufungsgericht hob das klagsstattgebende Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Berufshaftpflichtversicherung des Klägers umfasse zwar lediglich medizinisch indizierte Eingriffe, der Kläger habe aber auch vorgebracht, dass im konkreten Fall eine solche Indikation vorgelegen habe, womit sich das Erstgericht aufgrund seiner unrichtigen Rechtsansicht nicht befasst habe.

[10] Der Rekurs ist, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen im Sinn von § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[11] 1. Bei der Gruppenversicherung wird durch einen Vertrag einer Mehrzahl versicherter Personen für eine diese gemeinsam treffende Gefahr Versicherungsschutz gewährt. Schließt der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag zu Gunsten der Gruppenmitglieder, wird dies als „echte Gruppenversicherung“ bezeichnet. Diese stellt eine besondere Form der Versicherung für fremde Rechnung dar. Bei der „unechten Gruppenversicherung“ schließt eine Person hingegen nur einen Rahmenvertrag, der die Eckpunkte darauf beruhender Versicherungsverträge festlegt. Die Versicherungsverträge werden dann vom Versicherungsnehmer im eigenen Namen und im eigenen Interesse abgeschlossen (RS0134381). Hier liegt eine solche „unechte Gruppenversicherung“ vor; den Versicherungsvertrag hat der Kläger selbst abgeschlossen.

[12] 2. Der Antrag des Klägers und die Versicherungspolizze haben beide eine Versicherung für die Durchführung medizinisch indizierter Eingriffe zum Inhalt, sodass – mangels Abweichung (vgl RS0080309) – für die Anwendung von § 5 Abs 1 VersVG kein Raum bleibt.

[13] 3. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer des angesprochenen Adressatenkreises der Ärzte (vgl RS0008901) versteht den Begriff der „medizinischen Indikation“ und ist damit in der Lage, den für ihn passenden Versicherungsschutz auszuwählen. Eine gröbliche Benachteiligung ist darin nicht ansatzweise zu erblicken. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die dem Vertrag des Klägers zugrundeliegende Rahmenvereinbarung – dem Wesen der Berufshaftpflichtversicherung entsprechend – einen Versicherungsschutz für alle Tätigkeiten, zu denen der versicherte Arzt berechtigt ist, vorsieht, wäre es dem Kläger doch ohne weiteres möglich gewesen, gegen eine höhere Prämie Versicherungsschutz für medizinisch nicht indizierte Eingriffe zu erhalten. Darauf wurde er im Antragsformular auch ausdrücklich hingewiesen.

[14] 4. Soweit der Kläger wiederholt argumentiert, aus der Polizze und den Versicherungsbedingungen gehe eine Einschränkung auf medizinisch indizierte Behandlungen nicht hervor, ist er auf die Ausführungen zu seinem Versicherungsantrag zu verweisen.

[15] 5. Die Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung bedeutet auch nicht, dass die Beklagte zu überprüfen hätte, ob jeder geschlossene Versicherungsvertrag dieser Verpflichtung zur Gänze entspricht, ist es doch den Versicherungsnehmern unbenommen, auch andere Versicherungsverträge zu schließen. Es ist daher die Pflicht des Klägers, für ausreichenden Versicherungsschutz zu sorgen. Der Versicherer haftet demgegenüber gemäß § 158c Abs 3 VersVG auch in der Pflichtversicherung nur im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr (vgl RS0129256).

[16] 6. Die Beklagte hat gegenüber dem durch einen Versicherungsmakler vertretenen Kläger auch keine diesbezügliche Aufklärungspflicht getroffen. Gegenüber einem durch einen professionellen Versicherungsmakler vertretenen Versicherungsnehmer treffen den Versicherer nämlich grundsätzlich nur herabgesetzte Informationspflichten, die sich letztlich auf die Erbringung allgemeiner (formelhafter) Risikohinweise beschränken (vgl etwa 7 Ob 33/15a mwN).

[17] 7. Aus dem mittlerweile geänderten Inhalt der neuen – für den Kläger günstigeren – Bedingungen in der Rahmenvereinbarung ist für ihn nichts gewonnen, weil es grundsätzlich unzulässig ist, neuere Fassungen von Allgemeinen Vertragsbedingungen zur Auslegung älterer Allgemeiner Vertragsbedingungen heranzuziehen (7 Ob 83/04p = RS0008901 [T38]).

[18] 8. Der Rekurs des Klägers ist damit zurückzuweisen.

[19] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen (RS0123222 [T8, T14]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte