OGH 4Ob231/23h

OGH4Ob231/23h27.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, den Hofrat Dr. Kikinger, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Hengstschläger Lindner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Walter Müller und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 69.647 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. Oktober 2023, GZ 4 R 121/23a‑26, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 30. Mai 2023, GZ 5 Cg 58/22g‑22, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00231.23H.0827.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit 2.729,40 EUR (darin 454,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war bei einem Unternehmen angestellt. Dieses sprach ab 30. 6. 2016 mehrfach die Kündigung des Dienstverhältnisses aus, was Arbeitsrechtsstreitigkeiten mit dem Kläger zur Folge hatte. Zwischen ihm und dem beklagten Rechtsanwalt bestand ab 7. 7. 2016 ein Vertretungsverhältnis. Die Schriftsätze in den Verfahren wurden aber von einem anderen Rechtsanwalt angefertigt, während der Beklagte nach außen hin als Vertreter des Klägers auftreten sollte. Der Kläger hatte sowohl mit dem Beklagten als auch mit dem anderen Rechtsanwalt Kontakt und Besprechungen in der arbeitsgerichtlichen Angelegenheit. Der Beklagte befasste sich inhaltlich mit den Eingaben (des anderen Rechtsanwalts) für die arbeitsgerichtlichen Verfahren, insbesondere in Vorbereitung der Verhandlungen sowie für die Besprechungen mit dem Kläger. Gegen die ausgesprochenen Kündigungen seines Arbeitgebers erhob der Kläger jeweils Feststellungsklagen. Unter anderem ging es um eine zum 30. 6. 2017 ausgesprochene Kündigung. Der Beklagte berücksichtigte nicht, dass für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis tatsächlich per 30. 6. 2017 enden würde (was dann aufgrund der Entscheidung zu 9 ObA 53/18m tatsächlich der Fall war), gewisse Ansprüche bereits zu diesem Zeitpunkt fällig werden. Er dachte auch nicht daran, dass man bezüglich dieser Beendigungsansprüche zusätzlich ein Eventualbegehren hätte erheben können. Letztlich kam es aufgrund der erst 2018 erfolgten Einklagung der Kündigungsentschädigung zur Teilabweisung im Umfang von 67.500 EUR und entsprechender Verpflichtung zum Kostenersatz. Dazu wäre es nicht gekommen, wenn die Klage vor dem 31. 12. 2017 eingebracht worden wäre oder im Vorverfahren ein Eventualbegehren hinsichtlich der zu diesem Zeitpunkt bereits fälligen Kündigungsentschädigung für die ersten drei Monate nach dem 30. 6. 2017 erhoben worden wäre. Der Beklagte verrechnete dem Kläger für seine Tätigkeit insgesamt 60.000 EUR brutto auf Basis eines Stundensatzes von 240 EUR brutto pro Stunde.

[2] Der Kläger begehrte vom Beklagten die Zahlung von 69.647 EUR. Er habe von den eingeklagten 135.000 EUR nur die Hälfte zugesprochen bekommen. Das Mehrbegehren von 67.500 EUR für den Zeitraum Juli bis September 2017 sei wegen Verfalls des Anspruchs abgewiesen worden und dem Kläger seien auch Kosten des Berufungsverfahrens von 2.147 EUR entstanden. Der Beklagte habe im Rahmen seiner Vertretung die ihm obliegende Pflicht zur Wahrung sämtlicher Interessen des Klägers nicht ausreichend wahrgenommen. Ein Rechtsanwalt habe stets vor der Gefahr der Verjährung bzw des Verfalls zu warnen.

[3] Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, es sei nicht seine Aufgabe gewesen, die Wirksamkeit der Kündigung zu prüfen und diesbezüglich relevante gerichtliche Schritte einzuleiten. Zwischen dem Kläger, dem Beklagten und dem anderen Rechtsanwalt sei vereinbart gewesen, dass der Beklagte den Prozess nach den Vorgaben des anderen Rechtsanwalts führen solle und dieser sämtliche Rechtsfragen abklären würde. Der Beklagte solle sich nicht um rechtliche Themen betreffend Kündigungsmöglichkeiten, Sonderkündigungsrechte oder die Möglichkeit von Klagsansprüchen und Klagebegehren kümmern. Es sei ausdrücklich vereinbart worden, dass der Beklagte keine Haftung übernehme.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Aufgrund seiner Stellung als bevollmächtigter Rechtsanwalt hafte der Beklagte in vollem Umfang auch für den Inhalt der von ihm eingebrachten Schriftsätze, auch wenn sie von einem anderen Rechtsanwalt vorbereitet worden seien. Die im Innenverhältnis vereinbarte Zusammenarbeit schränke die Verantwortlichkeit des Beklagten in Bezug auf eine sorgfältige Vertretung des Klägers nicht ein. Bei rechtzeitiger Geltendmachung der Ansprüche wäre dem Kläger ein weiterer Betrag von 67.500 EUR zugesprochen worden und hätte er keine Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen gehabt.

[5] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Verhandlung und Entscheidung auf. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es zur Frage der Haftung des Rechtsanwalts bei Einschränkung des vereinbarten Auftragsinhalts auf eine „bloße“ Prozessvertretung zu. Bei einer Arbeitsteilung zwischen Rechtsanwälten, von denen einer im Hintergrund die Fäden ziehe und einer nach außen hin auftrete, müsse auch letzterer zumindest kontrollierend eingreifen, wenn die Gefahr eines Fristablaufs drohe. Das Erstgericht habe aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine rechtliche Nachkontrolle der Vorgaben des anderen Anwalts nach der Vereinbarung zwischen den Streitteilen von den vom Beklagten zu besorgenden Pflichten ausgenommen sein sollte. Damit sei der Urteilssachverhalt in einem entscheidungswesentlichen Punkt unklar geblieben, was zur Aufhebung des Ersturteils zwinge. Auch zur Frage, ob im Fall einer Arbeitsteilung zwischen den beiden Rechtsanwälten ausnahmsweise von qualifizierten Mitwirkungs- und Prüfpflichten des Mandanten selbst auszugehen sei, werde die Sachverhaltsgrundlage zu verbreitern sein.

[6] Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt mit seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs ist, ungeachtet des – für den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts in Ermangelung von iSv § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig.

[8] 1.1. Der Beklagte beruft sich in seinem Rechtsmittel darauf, dass nach der Rechtsprechung die Sorgfaltspflicht des Rechtsberaters nicht überspannt werden dürfe. Dies ist zwar grundsätzlich zutreffend, allerdings ist bei der Beurteilung der Frage, was an Fleiß und Kenntnissen verlangt werden kann, der Auftrag und das im Einzelfall davon betroffene Geschäft zu berücksichtigen (RS0026584).

[9] 1.2. Ob ein Rechtsanwalt die gebotene Sorgfalt eingehalten hat, kann dabei nur nach den Umständen des Einzelfalls geprüft werden und stellt regelmäßig keine Frage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0026584 [T21]). Auch die Frage, wieweit die Aufklärungs- und Belehrungspflicht eines Rechtsanwalts jeweils reicht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0023549 [T16]).

[10] 1.3. Zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsanwalts, der eine Vertretung übernimmt, gehört die Belehrung des – meist rechtsunkundigen – Mandanten (RS0038682). Die Belehrungspflicht besteht grundsätzlich auch gegenüber solchen Mandanten, die über berufene Rechtsberatung von anderer Seite verfügen (vgl 8 Ob 664/92; 10 Ob 5/07v ua) oder die selbst über hinreichende Rechtskenntnisse und Rechtserfahrung verfügen (RS0038682 [T9]). Insbesondere gilt das, wenn für den Anwalt erkennbar ist oder wäre, dass die Beratung durch die andere rechtskundige Person unrichtig oder unvollständig ist (vgl RS0038682 [T5]). Die Belehrungspflicht entfällt erst dann, wenn der Rechtsanwalt mit Grund, insbesondere im Hinblick auf die Vorbildung der Partei, annehmen kann, dass sie die Rechtslage vollständig erfasst hat (RS0038682 [T7]).

[11] 2.1. Auf Basis dieser Rechtsprechung ist die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass auch eine Vereinbarung, wonach der andere Rechtsanwalt die Prozessstrategie ausarbeitet und der beklagte Rechtsanwalt nur nach außen hin für den Kläger auftritt, den Beklagten nicht davon entbindet, diese Prozessstrategie und die damit verbundenen Vorgaben einer kritischen rechtlichen Nachprüfung zu unterziehen.

[12] 2.2. Im Zusammenhang mit der Pflicht des Rechtsanwalts, seinen Mandanten vor drohenden Nachteilen zu schützen, ist jener auch dazu verhalten, über den ursprünglichen Auftrag hinausgehende Rechtshandlungen zu setzen, wenn das für die Abwendung eines Schadens unbedingt erforderlich ist, sodass sich der Anwalt nicht damit entschuldigen kann, dass er die vom Klienten aufgetragenen Schritte ohnehin ausgeführt habe, ihm aber weitere nicht aufgetragen worden seien (2 Ob 224/97y [Verjährung anderer Ansprüche]). Damit darf er die Wahrung wichtiger Fristen auch bei entsprechender Arbeitsteilung zwischen zwei Rechtsanwälten, von dem einer im Hintergrund die Fäden zieht und einer „nur“ nach außen hin auftritt, grundsätzlich nicht alleine dem Mandanten bzw dem zweiten beteiligten Rechtsanwalt überlassen, sondern muss zumindest kontrollierend eingreifen, wenn die Gefahr des Fristablaufs droht (vgl 10 Ob 5/07v).

[13] 2.3. Das Berufungsgericht ist auch davon ausgegangen, dass diese Grundsätze durch Parteienvereinbarung abbedungen werden können. Der Möglichkeit einer derartigen Haftungsfreistellung ist auch der Kläger nie entgegengetreten, der diesbezüglich eine entsprechende Vereinbarung bestreitet. Der Beklagte brachte wiederum vor, es sei zwischen den Parteien vereinbart worden, dass er im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Klagsansprüchen und Klagebegehren keine Haftung übernehme. Das Berufungsgericht vermisst diesbezügliche Feststellungen des Erstgerichts. Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RS0042179).

[14] 3. Auch zur Frage der Zurechnung des Verhaltens des anderen Rechtsanwalts als Mitverschulden des Klägers halten sich die Ausführungen des Berufungsgerichts im Rahmen höchstgerichtlicher Rechtsprechung.

[15] 3.1. Dem Geschädigten ist ein Gehilfenverhalten nur dann nach § 1313a ABGB als Mitverschulden zuzurechnen, wenn er sich des Gehilfen dazu bedient, Verpflichtungen oder Obliegenheiten aus einer Sonderverbindung mit dem Schädiger wahrzunehmen (RS0021766 [T3]; RS0026766 [T8]). Wird der Gehilfe im ausschließlichen Interesse des Geschädigten tätig und hat seine Tätigkeit nicht den Zweck, den Vertragspartner zu entlasten, erfolgt keine Zurechnung und scheidet auch ein Mitverschulden des Geschädigten aus (vgl RS0026766 [T8]; 6 Ob 84/16w; 4 Ob 88/13i).

[16] 3.2. Wenn das Berufungsgericht auf Basis dieser Rechtslage beim hier (bislang) gegebenen Sachverhalt davon ausgeht, dass den Kläger selbst keine qualifizierten Mitwirkungs- und Prüfpflichten trafen, sodass er gegenüber dem Beklagten als dem nach außen vertretenden Rechtsanwalt nicht für die besondere Fachkunde des von ihm zur Vorbereitung der Prozessführung beigezogenen anderen Rechtsanwalts einzustehen hat, wirft das keine erhebliche Rechtsfrage auf. Diese Haftung wäre nur bei einer diesbezüglichen konkreten Vereinbarung zwischen den Streitteilen zu bejahen. Das Berufungsgericht hat dem Erstgericht auch zu dieser Thematik die Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage aufgetragen.

[17] 3.3. Nur dann, wenn der andere Rechtsanwalt Pflichten oder Obliegenheiten verletzt hätte, die aufgrund vertraglicher Vereinbarung zwischen den Streitteilen den Kläger trafen oder von diesem nachträglich übernommen wurden, kommt eine Zurechnung der Sorgfaltswidrigkeit zum Kläger in Betracht (RS0021766 [T3]). Sollte der Beklagte eine derartige Vereinbarung nicht nachweisen können, hätte es – ebenso wie im Fall des mangelnden Nachweises der Vereinbarung einer Haftungsbefreiung des Beklagten (siehe oben 2.3.) – bei der umfänglichen Haftung des Beklagten zu bleiben und wäre der Klage stattzugeben. Ein allfälliges Verschulden des anderen Anwalts (im Zweifel gleichteiliges Verschulden mit dem Beklagten, vgl § 1304 ABGB) wäre dann nur in einem Regressprozess von Bedeutung (vgl 4 Ob 88/13i Pkt 4.).

[18] 4. Der Rekurs des Beklagten ist daher mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen. Da der Kläger auf die Unzulässigkeit hingewiesen hat, hat ihm der Beklagte die Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen (§§ 41, 50 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte