European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00061.24D.0813.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt seit Juli 2005 eine Berufsunfähigkeitspension samt Ausgleichszulage. Über Hinweis des Versorgungswerks der Ärztekammer Schleswig‑Holstein, dass sie einen Rentenanspruch ab 1. 7. 2021 erworben habe, und gleichzeitige Aufforderung, einen Rentenantrag zu stellen, damit die Auszahlung der Rente veranlasst werden könne, stellte die Klägerin am 13. 12. 2022 einen entsprechenden Antrag. Daraufhin gewährte das Versorgungswerk der Ärztekammer Schleswig‑Holstein der Klägerin mit Bescheid vom 24. 1. 2023 eine Altersrente ab 1. 7. 2021 und überwies für den Zeitraum von Juli 2021 bis Jänner 2023 eine Nachzahlung von 8.480,01 EUR. Davon informierte die Klägerin die Beklagte am 7. 2. 2023.
[2] Mit Bescheid vom 14. 6. 2023 stellte die Beklagte fest, dass vom 1. 7. 2021 bis 31. 12. 2022 kein Anspruch auf Ausgleichszulage bestanden habe, setzte diese ab 1. 1. 2023 mit 16,84 EUR monatlich fest und erklärte, den von 1. 7. 2021 bis 31. 5. 2023 entstandenen Überbezug von 8.669,21 EUR in monatlichen Raten von 56 EUR von der laufenden Leistung abzuziehen. Die Klägerin habe die Änderung des Nettoeinkommens nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist gemeldet, weshalb der Überbezug zurückzufordern sei.
[3] In ihrer gegen diese Kürzung gerichteten Klage bringt die Klägerin zusammengefasst vor, sie habe keine Meldepflicht verletzt.
[4] Die Beklagte hält dem, gestützt auf §§ 103, 107 ASVG entgegen, die Zuerkennung der Altersrente habe rückwirkend ab 1. 7. 2021 zum Entfall bzw zur Verminderung des Anspruchs der Klägerin auf Ausgleichszulage geführt; selbst wenn ihr keine Meldepflichtverletzung anzulasten wäre könne die zu Unrecht erbrachte Ausgleichszulage rückgefordert werden.
[5] Das Erstgericht gab der Klage statt.
[6] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klageabweisenden Sinn ab. Es bejahte die Aufrechenbarkeit des Überbezugs der Ausgleichszulage mit den von der Beklagten zu erbringenden Geldleistungen und ließ die Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage fehle.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist nicht zulässig.
[9] 1. Das Berufungsgericht hielt die Aufrechnung – entgegen der Rechtsansicht der Klägerin sowie des Erstgerichts – für zulässig: Die Rückforderung des Überbezugs folge teilweise aus einer schuldhaften Verletzung der Meldepflicht iSd § 107 Abs 1 Satz 1 ASVG, die allerdings lediglich für die Auszahlung einer (überhöhten) Ausgleichszulage für Dezember 2022 und Jänner 2023 kausal gewesen sei. Doch auch in Ansehung der vorangegangenen Auszahlungen seit Juli 2021 sei die Klägerin zur Rückzahlung verpflichtet, und zwar nach Maßgabe des – zumindest sinngemäß anwendbaren – § 107 Abs 1 Satz 2 ASVG, wonach Geldleistungen zurückzufordern sind, wenn und soweit sich wegen eines nachträglich festgestellten Anspruchs auf Weiterleistung der Geld‑ und Sachbezüge herausstellt, dass sie zu Unrecht erbracht wurden. Das Berufungsgericht verwies dabei auf das aus den Gesetzesmaterialien hervorgehende rechtspolitische Motiv hinter dieser durch die 31. ASVG‑Novelle (BGBl 1974/775) eingeführten Bestimmung sowie auf die darauf aufbauende höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach der Tatbestand nicht auf die Rückforderung des Krankengeldbezugs aufgrund eines nachträglich festgestellten Anspruchs auf Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit eingeschränkt sei, sondern für alle Konstellationen gelte, in denen sich zufolge einer nachträglichen Feststellung ergäbe, dass zwei einander ausschließende (Sozialversicherungs‑)Leistungen für denselben Zeitraum gewährt wurden (vgl RS0084379). Im Ergebnis sei daher auch die nachträgliche Feststellung eines Anspruchs auf eine (ausländische) Altersrente unter den Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 Satz 2 ASVG zu subsumieren, der jedenfalls im Bereich des Ausgleichszulagenrechts Art 72 DVO (EG) 987/2009 bzw § 296 Abs 4 ASVG ergänze. Dem Hinweis der Klägerin auf einen gutgläubigen Verbrauch der zu Unrecht bezogenen Ausgleichszulagen hielt das Berufungsgericht entgegen, wenn ein Rückforderungstatbestand erfüllt sei, könne sich der Leistungsempfänger nicht auf Gutgläubigkeit berufen (10 ObS 278/99a).
[10] 2. In ihrer Revision wendet sich die Klägerin zwar mit näheren Argumenten gegen die Annahme des Berufungsgerichts, sie habe sich eine Verletzung ihrer Meldepflicht iSd § 107 Abs 1 Satz 1 ASVG zuschulden kommen lassen. Der selbständig tragfähigen Begründung der angefochtenen Entscheidung, es sei zugleich der Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 Satz 2 ASVG heranzuziehen, hält sie demgegenüber bloß den Wortlaut der Bestimmung entgegen, die sich ausdrücklich nur auf „Geld‑ und Sachbezüge“, also auf den Arbeitsverdienst, beziehe, und postuliert darüber hinaus lediglich allgemein, die Ausklammerung jeglicher subjektiver Komponente, namentlich auch des gutgläubigen Verbrauchs, widerspreche „herrschenden Rechtsgrundsätzen“.
[11] Diese nicht näher begründeten Ausführungen geben keinen Anlass, von der vom Berufungsgericht zutreffend angeführten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abzugehen, wonach der Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 Satz 2 ASVG (nachträglich festgestellter Anspruch) auch in jenen Fällen zur Anwendung kommt, in denen sich infolge einer nachträglichen Feststellung ergibt, dass zwei einander ausschließende sozialversicherungsrechtliche Leistungen mit Einkommensersatzfunktion für einen identen Zeitraum gewährt werden (vgl insbesondere 10 ObS 51/88; 10 ObS 238/03b [zu der § 107 Abs 1 ASVG nachgebildeten Rückforderungsbestimmung des § 76 Abs 1 GSVG]; zuletzt etwa 10 ObS 119/16x; RS0084379 [insb T3, T4]; zustimmend I. Faber/Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 107 ASVG Rz 23 [Stand 15. 1. 2023, rdb.at]; zu § 76 Abs 1 GSVG s weiters Ficzko in Brameshuber/Aubauer/Rosenmayr‑Khoshideh, SVS‑ON § 76 GSVG Rz 20 [Stand 1. 1. 2024, rdb.at] ua). Dass der Leistung der Ausgleichszulage nach deren Zweckrichtung ebenso Einkommensersatzfunktion zukommt wie dem damit ergänzten Pensionsbezug, hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen und stellt auch die Klägerin in ihrem Rechtsmittel nicht in Abrede.
[12] Auch die Ansicht des Berufungsgerichts, ein allfälliger gutgläubiger Verbrauch des Überbezugssei für die Frage der Rückforderung unmaßgeblich, steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach sich der Zahlungsempfänger bei Verwirklichung eines im Sozialversicherungsrecht vorgesehenen (objektiven) Rückforderungstatbestands – mangels Anwendbarkeit der Grundsätze des Judikats 33 neu (SZ 11/86) – nicht mehr auf einen gutgläubigen Verbrauch der zu Unrecht empfangenen Leistungen berufen kann (RS0114485 ua). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Position findet in der Revision ebenso wenig statt.
[13] Schließlich legt die Klägerin nicht nachvollziehbar dar, inwieweit im Rahmen der Rückforderung nach § 107 Abs 1 Satz 2 ASVG andere subjektive Momente zu berücksichtigen sein sollen (vgl zur objektiven Ausgestaltung dieses Tatbestands 10 ObS 51/88; 10 ObS 353/97b; 10 ObS 154/08g ua).
[14] 3. Damit verabsäumt es die Klägerin aber, eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
[15] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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