OGH 1Ob118/24w

OGH1Ob118/24w24.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj T* G*, geboren * 2021, vertreten durch die Mutter A* C*, vertreten durch Mag. Martin Divitschek und andere Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, Vater O* G*, vertreten durch die Prutsch‑Lang & Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 5. April 2024, GZ 1 R 62/24f‑31, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 19. Februar 2024, GZ 102 Pu 72/23y‑27, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00118.24W.0724.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts, der im Übrigen in Rechtskraft erwachsen ist, wird dahin abgeändert, dass dem Vater O* G* anstelle der entsprechenden Teilabweisung aufgetragen wird, seinem mj Sohn T* G* binnen 14 Tagen über die bereits zugesprochenen Beträge hinaus für den Zeitraum 10. September 2023 bis 30. September 2023 einen Unterhaltsbetrag von 360 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. September 2023 zu leisten.

 

Begründung:

[1] Die Eltern des dreijährigen Kindes leben seit 10. 9. 2023 – dem Auszug des Vaters – getrennt. Der Minderjährige hält sich seither überwiegend im Haushalt der Mutter in Pflege und Erziehung auf. Der Geldunterhaltsanspruch des Sohnes gegenüber seinem Vater beträgt – im Revisionsrekursverfahren unstrittig – monatlich 540 EUR. Der Vater zahlte im Zeitraum 10. 9. 2023 bis einschließlich 30. 9. 2023 keinen (Geld‑)Unterhalt an seinen Sohn.

[2] Zu klären ist im Revisionsrekursverfahren allein die Frage, ob dem unterhaltsberechtigten Kind nach der Haushaltstrennung des Vaters bereits für den Zeitraum 10. 9. 2023 bis Ende September 2023 (anteiliger) Geldunterhalt zusteht.

[3] Der Minderjährige begehrte für den Zeitraum vom 10. 9. 2023 bis 30. 9. 2023 Geldunterhalt von 442 EUR (ausgehend von einem monatlichen Unterhaltsanspruch von 632 EUR), wobei der Unterhaltsanspruch der Höhe nach mittlerweile rechtskräftig für die Folgemonate mit 540 EUR monatlich feststeht. Im Revisionsrekursverfahren ist nur mehr ein Betrag von 360 EUR für den Zeitraum 10. 9. bis 30. 9. 2023 (540 EUR : 30 Tage x 20 Tage = 360 EUR) strittig.

[4] Das Erstgericht erkannte dem Minderjährigen den Geldunterhaltsanspruch nicht wie von ihm beantragt mit 10. 9. 2023, sondern erst ab 1. 10. 2023 zu, weil zwar seit 10. 9. 2023 getrennte Haushalte bestünden und der Vater seit der räumlichen Trennung keinen Unterhalt geleistet habe, der Geldunterhaltsanspruch gegenüber dem Vater jedoch erst ab dem darauffolgenden Monatsersten (Umstandsänderung) bestehe.

[5] Das Rekursgericht schloss sich der Rechtsmeinung des Erstgerichts an. Aus § 1418 ABGB werde abgeleitet, dass sich Umstandsänderungen, die nicht bereits am Monatsersten (dem Tag der Fälligkeit des Unterhalts), sondern erst während des Monats eintreten, erst ab dem folgenden Monat auf den Unterhaltsanspruch auswirkten. Im vorliegenden Fall ändere sich infolge der Haushaltstrennung die Naturalunterhaltspflicht des Vaters in eine Geldunterhaltspflicht. Da sich aber Umstandsänderungen, die während des Monats eintreten, erst ab dem folgenden Monatsersten auf den Unterhaltsanspruch auswirkten, sei der vom Vater zu leistende Geldunterhalt erst ab 1. 10. 2023 zuzusprechen.

[6] Das Rekursgericht erklärte nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs doch für zulässig, weil zur Thematik Haushaltstrennung und der damit verbundenen Änderung der Naturalunterhaltspflicht in eine Geldunterhaltspflicht während eines laufenden Monats keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag, ihm Geldunterhalt von 360 EUR sA für den Zeitraum 10. 9. 2023 bis 30. 9. 2023 zuzusprechen. Hilfsweise stellte es einen Aufhebungsantrag.

[8] Der Vater begehrte in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel seines Sohnes nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Frage, ob im Fall der Haushaltstrennung der Geldunterhaltsanspruch bereits für das laufende Monat zusteht, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht beantwortet wurde. Er ist auch berechtigt.

[10] 1. Lebt das unterhaltsberechtigte Kind mit den unterhaltspflichtigen Eltern in aufrechter Haushalts‑gemeinschaft, haben beide Elternteile Naturalunterhalt zu leisten (6 Ob 11/13f mwN [Punkt 1.]; 8 Ob 39/16t [Punkt 1.]; vgl RS0034807). Naturalunterhalt ist die Befriedigung der angemessenen Kindesbedürfnisse durch Sach‑ und Dienstleistungen. Bei Haushaltstrennung oder Verletzung der Unterhaltspflicht ist anstelle des Naturalunterhalts Geldunterhalt zu leisten (8 Ob 39/16t [Punkt 2.] mwN).

[11] Der Vater ist am 10. 9. 2023 aus dem gemeinsamen Haushalt mit der Mutter ausgezogen und leistete danach in diesem Monat keinen Unterhalt.

[12] 2. Nach § 1418 Satz 2 ABGB sind Alimente wenigstens auf einen Monat im Voraus zu bezahlen.

[13] Nach der älteren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 219/55 = RS0033452; 5 Ob 239/70, EFSlg 13.749) und der herrschenden Meinung (Reischauer in Rummel/Lukas 4 § 1418 ABGB Rz 3, 10; Stabentheiner/Kolbitsch‑Franz in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 1418 Rz 6; A. Heidinger in Schwimann/Kodek 4 § 1418 ABGB Rz 2; aA und unklar Rudolf in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1418 ABGB Rz 3, 7) betrifft diese Fälligkeitsregelung des § 1418 ABGB nur Geldzahlungen. Lebt der Unterhalts‑berechtigte im Haushalt des Unterhaltspflichtigen, so ist die Unterhaltspflicht grundsätzlich in natura zu entrichten und insofern § 1418 Satz 2 ABGB nicht anzuwenden. Nur der Gedanke der Vorausleistung des § 1418 Satz 2 ABGB ist auch sinngemäß auf den Naturalunterhalt anwendbar (Reischauer aaO § 1418 ABGB Rz 10; Stabentheiner/Kolbitsch‑Franz aaO).

[14] Die Vorausleistung soll rechtzeitig die Mittel gewähren, sodass der Unterhaltsberechtigte keinen Mangel leidet (Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie IV [1813], 123; Reischauer in Rummel/Lukas 4 § 1418 ABGB Rz 16; A. Heidinger in Schwimann/Kodek 4 § 1418 ABGB Rz 1).

[15] 3. Die Rechtsprechung leitet aus § 1418 Satz 2 ABGB ab, dass für Geldunterhalt einerseits der Zeitraum eines Monats – und hier gemeint eines Kalendermonats – als regelhafte Unterhaltszahlungsperiode bestimmt ist und andererseits Unterhaltsleistungen bereits am Monatsersten im Vorhinein fällig sind. Aus dieser vereinfachend auf Kalendermonate abstellenden Judikatur zur Vorauszahlungspflicht ergibt sich weiters, dass sich die Änderung der für die Unterhaltspflicht maßgebenden Verhältnisse erst mit dem darauffolgenden Monatsersten auswirkt, also erst mit dieser geringfügigen zeitlichen Verzögerung eine Erhöhung oder Herabsetzung der Unterhaltspflicht auslösen kann. Nach § 1418 Satz 2 ABGB entfalten daher geänderte Verhältnisse, also auch Gründe, die eine Herabsetzung oder Einstellung des Unterhalts rechtfertigen, ihre Wirksamkeit immer erst mit dem darauffolgenden Monatsersten (10 Ob 23/14a [Punkt 2.]; 10 Ob 44/23b [Rz 11], jeweils mwN; ua). Diese Rechtsprechung betrifft jedoch – ebenso wie die korrespondierende Rechtsansicht in der Literatur (Reischauer in Rummel/Lukas 4, § 1418 ABGB Rz 31; Stabentheiner/Kolbitsch‑Franz in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 1418 Rz 5, 13 und 14) – Änderungen der für die Geldunterhaltspflicht maßgebenden Verhältnisse, bezieht sich doch – wie zu Punkt 2. dargelegt – § 1418 Satz 2 ABGB grundsätzlich nicht auf Naturalunterhalt. Damit kann die Judikatur, wonach Umstandsänderungen während des Monats erst mit dem nächsten Monatsersten zu berücksichtigen seien, auf die Änderung der Umstände nach der Haushaltstrennung, wodurch sich die Naturalunterhaltspflicht in eine Geldunterhaltspflicht wandelt und Unterhalt nicht geleistet wird, nicht übertragen werden.

[16] 4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen und des Vaters hätte zur Folge, dass das Kind für den Zeitraum von gut 20 Tagen keinen Geldunterhaltsanspruch hätte und der Vater seiner Geldunterhaltspflicht nicht nachkommen müsste. Das Kind geht (erkennbar) davon aus, dass der Vater seiner Naturalunterhaltspflicht bis zu seinem Auszug am 10. 9. 2023 entsprach. Für den danach liegenden Zeitraum leistete er aber weder Geld- noch Naturalunterhalt. Ein Zeitraum, in dem ein Unterhaltspflichtiger überhaupt keinen Unterhalt zu leisten hat, ist aber der Unterhaltsregelung des § 231 ABGB fremd.

[17] 5. Dem Kind steht daher für den Zeitraum 10. 9. 2023 bis 30. 9. 2023 der begehrte Geldunterhalt in der unstrittigen Höhe von 360 EUR zu. Für den rückständigen Geldunterhalt gebühren nach der Rechtsprechung wie für jede Geldforderung Verzugszinsen, die dem Geldunterhaltsberechtigten ab Fälligkeit der einzelnen Unterhaltsforderung – also gemäß § 1418 Satz 2 ABGB grundsätzlich ab dem jeweiligen Monatsersten – zustehen (RS0032015; 1 Ob 155/20f [Rz 30] mwN, SZ 2021/24). Bei Entstehen des Geldunterhaltsanspruchs während eines Monats ist stattdessen auf den ersten Tag der Geldunterhaltspflicht abzustellen. Entsprechend dem Begehren des Kindes stehen Verzugszinsen für den (noch) strittigen Geldunterhalt daher ab 10. 9. 2023 zu.

[18] 6. Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben und die Geldunterhaltsverpflichtung des Vaters entsprechend dem Revisionsrekursbegehren des Kindes zu erhöhen.

[19] 7. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Stellt der Unterhaltspflichtige während eines Monats – etwa durch Ausziehen aus der gemeinsamen Wohnung – die Leistung von Naturalunterhalt ein, wird dadurch für den verbleibenden Teil des Monats Geldunterhalt fällig.

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