European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00100.24F.0625.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Schadenersatz nach Verkehrsunfall, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurswird gemäß
§ 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Am 3. Februar 2021 wurde der Kläger als Fußgänger bei einem Unfall mit dem vom Erstbeklagten gelenkten, von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten LKW verletzt.
[2] Der Kläger erhob gegen die Beklagten vor dem Bezirksgericht Kufstein am 28. Juli 2022 eine auf Zahlung von Schadenersatz und Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus diesem Verkehrsunfall gerichtete Klage (in der Folge: Vorprozess). Mit in der Tagsatzung vom 29. Jänner 2024 mündlich vorgetragenem Schriftsatz vom 22. Jänner 2024 dehnte der Kläger sein Klagebegehren (unter anderem) um ein Rentenbegehren aus. Die Beklagten sprachen sich wegen Überschreitung der bezirksgerichtlichen Zuständigkeit gegen diese Klagsänderung aus. Das Bezirksgericht gab mit Urteil vom 9. Februar 2024 dem Zahlungsbegehren teilweise statt, wies das Feststellungsbegehren ab und ließ die Klagsänderung im Hinblick auf das Rentenbegehren mit in das Urteil aufgenommenem Beschluss nicht zu. Der Kläger erhob fristgerecht Berufung (unter anderem) gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens und bekämpfte in diesem Rechtsmittel ausdrücklich auch den in das Urteil aufgenommenen Beschluss über die Nichtzulassung der Klagsänderung. Über das Rechtsmittel des Klägers wurde noch nicht entschieden.
[3] Mit Klage vom 2. Februar 2024 begehrte der Kläger – soweit für das Revisionsrekursverfahren von Bedeutung – die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus dem Verkehrsunfall und die Zahlung einer 14 Mal pro Jahr auszuzahlenden, wertgesicherten monatlichen Rente von 1.000 EUR im Zeitraum 3. Februar 2021 bis 1. Dezember 2032.
[4] Die Beklagten wandten die Streitanhängigkeit der nunmehr eingeklagten Ansprüche ein.
[5] Soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung bejahten die Vorinstanzen übereinstimmend das Vorliegen von Streitanhängigkeit für das Feststellungs- und das Rentenbegehren und wiesen die Klage in diesem Umfang zurück.
[6] Das Rekursgericht ging davon aus, dass Streitanhängigkeit jedenfalls mit dem Vortrag des die Klagsänderung beinhaltenden Schriftsatzes in der mündlichen Verhandlung im Vorprozess eingetreten sei. Ob sich die Beklagten gegen die Zulässigkeit der Klagsänderung ausgesprochen hätten, sei für die Frage der Streitanhängigkeit ohne Bedeutung.
[7] Gegen die Bejahung der Streitanhängigkeit für das Feststellungs- und das Rentenbegehren richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers, der das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen nicht aufzeigt:
Rechtliche Beurteilung
[8] 1. Nach § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs eingebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. Derselbe („nämliche“) Anspruch liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn nicht nur die Parteien ident sind, sondern der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RS0039347). Entscheidend für die Bejahung von Streitanhängigkeit ist, dass zur Zeit der Entscheidung des Prozessgerichts ein zweiter Prozess mit identem Streitgegenstand noch anhängig ist (RS0112945). Das Hindernis der Streitanhängigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Es führt zur Zurückweisung der späteren Klage. Ein Verstoß gegen das Prozesshindernis verwirklicht einen Nichtigkeitsgrund (RS0039233).
[9] 2. Die Frage, ob eine Prozessvoraussetzung gegeben ist oder ihr Mangel ein Prozesshindernis bildet, ist nach dem Sachverhalt und der Rechtslage zu beurteilen, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung über die Prozesseinrede bestehen (RS0046564 [T1]). Entscheidend ist damit der Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz (6 Ob 230/18v Pkt 2.2; 7 Ob 79/22a Rz 25 mwN).
[10] 3. Die Streitanhängigkeit wird bei der schriftlichen Klagserweiterung spätestens mit dem Vorbringen in der mündlichen Streitverhandlung begründet (vgl dazu 2 Ob 36/21i Rz 1 mwN).
[11] 4. Der Kläger zieht im Revisionsrekurs nicht in Zweifel, dass das im Vorprozess und im gegenständlichen Verfahren jeweils erhobene Feststellungs- und Rentenbegehren ident sind.
[12] 4.1. Im Hinblick auf das im Vorprozess von Beginn an gegenständliche Feststellungsbegehren, das das Erstgericht im Vorprozess mit vom Kläger insoweit bekämpftem Urteil nicht rechtskräftig abgewiesen hat, kann das Vorliegen von Streitanhängigkeit keinem Zweifel unterliegen.
[13] 4.2. Im Hinblick auf das Rentenbegehren steht der Kläger – ohne Auseinandersetzung mit der unter Punkt 3. dargestellten Judikatur – auf dem Standpunkt, dieses sei wegen fehlender Zustimmung der Beklagten niemals streitanhängig geworden. Damit vermengt er aber die Frage der Streitanhängigkeit mit jener der Zulässigkeit der Klagsänderung (vgl 2 Ob 36/21i Rz 2). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass Streitanhängigkeit ungeachtet fehlender Zustimmung der Beklagten zur Klagsänderung (spätestens) mit dem Vortrag des Schriftsatzes in der mündlichen Verhandlung eingetreten sei und bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Zulässigkeit der Klagsänderung fortdauere, ist durch höchstgerichtliche Rechtsprechung gedeckt (vgl 7 Ob 146/57; RS0005087; vgl 6 Ob 230/18v).
[14] 4.3. Für eine Unterbrechung des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Vorprozess besteht vor dem Hintergrund der zu Punkt 2. dargestellten Rechtsprechung kein Anlass.
[15] 5. Insgesamt war der außerordentliche Revisionsrekurs damit zurückzuweisen.
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