European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140NS00028.24I.0619.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Das Hauptverfahren ist vom Bezirksgericht Innsbruck zu führen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
[1] Mit beim Bezirksgericht Innsbruck am 27. September 2011 zu AZ 9 U 404/11s (nunmehr AZ 10 U 221/20z) eingebrachtem Strafantrag legte die Staatsanwaltschaft * L* ein am 29. Juli 2011 in Innsbruck begangenes, als Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB beurteiltes sowie ein am 27. Juni 2011 in Klagenfurt und am 29. Juli 2011 in Innsbruck begangenes, als das Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 6 iVm ON 1 S 1).
[2] Das Bezirksgericht Innsbruck veranlasste mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 die Übersetzung und Abfertigung eines Rechtshilfeersuchens (ON 1 S 2) sowie am 9. November 2011 die Ausschreibung des Genannten zur Aufenthaltsermittlung im Inland und brach das Verfahren sodann gemäß § 197 Abs 1 StPO ab (ON 1 S 3 und ON 12 f).
[3] In dieses Hauptverfahren wurden im weiteren Verlauf mehrere (ausschließlich) gegen den Angeklagten L* geführte Verfahren einbezogen (ON 1 S 3 bis 7), in denen dem Angeklagten weiteres zwischen 20. Oktober 2023 und 15. Jänner 2024 gesetztes, als in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallende Vergehen beurteiltes Verhalten zur Last gelegt wird.
[4] Am 7. März 2024 erklärte sich das Bezirksgericht Innsbruck mit „Beschluss“ (vgl aber RIS‑Justiz RS0129801 [T2] und RS0123445 [T5]) zur Führung des Hauptverfahrens für unzuständig und überwies die Akten dem Bezirksgericht Klagenfurt mit der Begründung, dass die „gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründende“ (zeitlich) erste dem Angeklagten vorgeworfene Tat im Sprengel des Bezirksgerichts Klagenfurt begangen worden sei (ON 1 S 9).
[5] Nachdem sich das Bezirksgericht Klagenfurt unter Hinweis auf § 37 Abs 3 StPO ebenfalls für unzuständig hielt, legte esdie Akten gemäß § 38 StPO dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor (ON 47).
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[6] Primärer Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren gegen einen (wie hier) Erwachsenen ist gemäß § 36 Abs 3 erster Satz StPO der Ort, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte.
[7] Werden in bezirksgerichtlichen Verfahren nacheinander mehrere Anklagen in Bezug auf (hier:) subjektiv konnexe Straftaten erhoben, sind die Verfahren – im Fall der Rechtswirksamkeit der Anklagen und gleichzeitiger Anhängigkeit der Hauptverfahren – gemäß § 37 Abs 3 StPO (zur Anwendbarkeit im gegenständlichen Fall vgl § 514 Abs 35 StPO) nach Maßgabe des § 37 Abs 2 erster Satz oder Abs 3 zweiter Halbsatz StPO zu verbinden (vgl RIS‑Justiz RS0123444; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 7, 7/1 und 7/3; Bauer, WK‑StPO § 450 Rz 9). Damit kommt (soweit gegenständlich relevant) die Verfahrensverbindung unter Gerichten gleicher Ordnung primär jenem mit Sonderzuständigkeit zu, im Übrigen ist aber unter gleichrangigen Gerichten (anders als bei § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO) nicht die frühere Straftat entscheidend, sondern kommt das Verfahren dem Gericht zu, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (§ 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO).
[8] Rechtswirksamkeit einer Anklage liegt im Verfahren vor dem Bezirksgericht vor, wenn das angerufene Bezirksgericht die Hauptverhandlung anordnet (vgl § 450 StPO). Als „Anordnung der Hauptverhandlung“ (und solcherart Bejahung der Prozessvoraussetzungen) ist aber nicht nur die (erstmalige) Ausschreibung derselben (vgl § 221 Abs 1 [iVm § 447] StPO), sondern jedes Treffen einer Verfügung oder Fassen eines Beschlusses anzusehen, welches das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen nicht infrage stellt (RIS-Justiz RS0132157 [T1, T2]; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 4 und 9; zur Rechtswirksamkeit von Strafanträgen in Verfahren vor dem Bezirksgericht vgl auch 11 Ns 35/18p und 14 Ns 29/19d).
[9] Vorliegend wurde der beim Bezirksgericht Innsbruck am 27. September 2011 eingebrachte Strafantrag durch die eingangs genannten, die Prozessvoraussetzungen implizit bejahenden Verfügungen des Bezirksgerichts Innsbruck zuerst rechtswirksam. Das Hauptverfahren gegen L* ist daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahmeder Generalprokuratur – vom Bezirksgericht Innsbruck zu führen.
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