OGH 7Ob82/24w

OGH7Ob82/24w22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* M*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch die Themmer Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2023, GZ 3 R 159/23h‑24, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 21. August 2023, GZ 43 Cg 45/22y‑19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00082.24W.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Parteien bestand ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2017) zugrunde lagen, die auszugsweise lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Art 17.2.1, Art 18.2.1 und Art 19.2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Art 17.2.4, Art 23.2.1 und Art 24.2.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. […]

Artikel 19

Schadenersatz‑ und Straf-Rechtsschutz für den Privat‑, Berufs‑ und Betriebsbereich

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschadens.“

[2] Der Kläger begehrt mit seinem Haupt- und (dem nahezu sinngleichen) Eventualbegehren die Feststellung der Versicherungsdeckung. Er habe am 17. 11. 2019 einen Porsche Cayenne 3.0 um 36.200 EUR privat erworben. Der darin verbaute Motortyp EA897 sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden und entspreche nicht den gesetzlichen Bestimmungen. Die Beklagte habe für die Geltendmachung eines deliktischen Schadenersatzanspruchs gemäß §§ 874, 1295 ABGB gegen die Herstellerin des PKW Deckung zu gewähren.

[3] Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung.

[4] Das Erstgericht traf die Feststellung, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Kläger den Porsche Cayenne 3.0 tatsächlich zum angeblichen Zeitpunkt (am 7. 11. 2019) zum behaupteten Preis (um 36.200 EUR) gekauft habe. Es wies das Haupt- und Eventualbegehren ab. Der Kläger habe den Eintritt des Versicherungsfalls im Sinn des Art 2.3 ARB nicht nachgewiesen.

[5] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es dem Hauptklagebegehren stattgab. Die Beweisrüge zu der getroffenen Negativfeststellung müsse mangels rechtlicher Relevanz nicht behandelt werden. Die Ansicht, der Kläger müsse bereits im Deckungsprozess beweisen, das Fahrzeug am 7. 11. 2019 um 36.200 EUR gekauft zu haben, werde nicht geteilt. Die Frage, ob der Kläger das Fahrzeug tatsächlich wie von ihm vorgebracht erworben habe, betreffe die Erfolgsaussichten des Haftpflichtprozesses. Gelinge ihm im Haftpflichtprozess dieser Beweis nicht, werde er nicht erfolgreich sein. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[6] Mit Beschluss vom 27.3. 2024 änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Die Beklagte bestreite die Richtigkeit der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht in ihrer Zulassungsbeschwerde und habe auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach der Versicherungsnehmer die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen müsse. Der Beklagten sei es gelungen, aufzuzeigen, dass das Berufungsgericht in einem maßgeblichen Punkt von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei.

[7] Die Beklagte begehrt in der von ihr gegen das Berufungsurteil erhobenen Revision die Abänderung dahin, das Klagebegehren abzuweisen.

[8] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist in dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Sinn zulässig, sie ist auch mit dem – im Abänderungsantrag enthaltenen – Aufhebungsantrag berechtigt.

[10] 1.1 Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats trifft für das Vorliegen des Versicherungsfalls nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).

[11] 1.2. Hier behauptet der Kläger, während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel‑PKW erworben zu haben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) sowie eine Haftung für Spät‑ und Dauerfolgen gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.

[12] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt zur Deckungspflicht in der Rechtsschutzversicherung für Klagen gegen Autohersteller wegen Abgasmanipulationssoftware in Diesel‑Fahrzeugen Stellung genommen (7 Ob 32/18h = RS0114001 [T9]; 7 Ob 206/19y). Es handelt sich dabei um die Deckung für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden, bei denen nach Art 2.3. ARB (hier 2017) der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften als Versicherungsfall gilt. Nach dieser Bestimmung liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

[13] Ein zeitlich lange vorangehender Gesetzes‑ oder Pflichtenverstoß, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des Versicherungsnehmers adäquat kausal begründet haben, kann den Versicherungsfall erst auslösen und damit den Zeitpunkt des Verstoßes in Bezug auf den konkreten Versicherungsnehmer in der Rechtsschutzversicherung festlegen, wenn dieser erstmals davon betroffen, das heißt in seinen Rechten beeinträchtigt wird oder worden sein soll. Dies ist im Fall des serienmäßigen Einbaus eines nicht rechtskonformen Bauteils in eine Sache der Zeitpunkt des Erwerbs der mangelhaften Sache durch den Versicherungsnehmer. Erst damit beginnt sich auch die vom Rechtsschutzversicherer in Bezug auf den Versicherungsnehmer konkret übernommene Gefahr zu verwirklichen (RS0114001; 7 Ob 32/18h).

[14] Davon ausgehend ist die Frage, ob und wann der Kläger ein Diesel‑Fahrzeug erworben haben will, für die Beurteilung, ob ein Versicherungsfall während des versicherten Zeitraums eingetreten ist, von erheblicher Bedeutung.

[15] 1.4. Hätte die Beweisrüge des Klägers Erfolg, könnte eine für ihn günstigere Feststellung getroffen werden. In Wahrnehmung dieses Umstands war daher das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und ihm die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

[16] 1.5. Im Hinblick darauf, dass schon der Eintritt des Versicherungsfalls als wesentliche Voraussetzung für die Deckungspflicht der Beklagten nicht feststeht, erübrigt sich derzeit ein weiteres Eingehen auf die übrigen von der Beklagten erhobenen Einwendungen.

[17] 2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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