OGH 7Ob18/24h

OGH7Ob18/24h22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* GmbH, *, vertreten durch die Grünbart Lison Wiesner‑Zechmeister Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch Mag. Bernhard Scharmüller, Rechtsanwalt in Linz, wegen 1.003.033,84 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. November 2023, GZ 2 R 159/23z‑50, womit das Zwischenurteil des Landesgerichts Linz vom 4. September 2023, GZ 1 Cg 161/20x‑46, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00018.24H.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wirdFolge, jener der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie als Teilzwischenurteil lauten:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 445.085,09 EUR samt Zinsen in Höhe von 9,2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. Oktober 2017 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im darüber hinausgehenden Umfang (557.948,75 EUR) werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Insoweit sind die Kosten des Revisionsverfahrens weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen der T* GmbH und der Beklagten bestand eine Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung, der unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebshaftpflichtversicherung EURO TOP 2004 (AHVB 2004 idF 07/2012) sowie die Besonderen Bedingungen zur Betriebshaftpflichtversicherung zu Grunde lagen. Diese lauten auszugsweise:

ALLGEMEINE BEDINGUNGEN FÜR DIE BETRIEBSHAFTPFLICHTVERSICHERUNG

[...]

Artikel 2

VERSICHERUNGSFALL

1. Definition

Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, welches aus dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Artikel 3, Punkt 1) erwachsen oder erwachsen könnten.

[...]

Artikel 3

LEISTUNGSVERSPRECHEN DES VERSICHERERS

1. Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer

1.1 die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögenschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen. [...]

2. Begriffsbestimmungen

[…]

2.2 Sachschäden sind Beschädigung oder Vernichtung von körperlichen Sachen und deren Folgen. […]

2.3 Folgen aus Personen- und/oder Sachschäden werden als abgeleitete Vermögensschäden bezeichnet.

2.4 Reine Vermögensschäden sind Schäden, die weder auf einen Personenschaden, noch auf einen Sachschaden zurückzuführen sind.

3. Abgrenzung zum Leistungsversprechen

Das Leistungsversprechen des Versicherers gemäß Punkt 1. umfasst somit nicht:

3.1 Ansprüche auf Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung;

3.2 Ansprüche auf Gewährleistung für Mängel (zB auch Entgelt für mangelhaft erbrachte Leistungen);

[…]

Artikel 8

AUSSCHLÜSSE VOM VERSICHERUNGSSCHUTZ

[…]

9. Schäden an eigener Leistung

Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden, die an den vom Versicherungsnehmer (oder in seinem Auftrag oder für seine Rechnung von Dritten) hergestellten oder gelieferten Arbeiten oder Sachen infolge einer in der Herstellung oder Lieferung liegenden Ursache entstehen.

[…]“

[2] Über das Vermögen der T* GmbH (in der Folge Schuldnerin oder Versicherungsnehmerin) wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter anerkannte das Absonderungsrecht der Klägerin an der Entschädigungsforderung der Schuldnerin gegenüber der Beklagten als Haftpflichtversicherer gemäß § 157 VersVG, welches vom Insolvenzgericht zur Kenntnis genommen wurde.

[3] Die Klägerin beauftragte die Schuldnerin im Jahr 2016 über eine öffentliche Ausschreibung mit dem Abteufen einer Tiefenbohrung zur Gewinnung von Thermalwasser beim Projekt „M* TH 3“.

[4] Im Rahmen des Abteufens im Juli 2017 kam es zu einer Havarie im unteren Bereich der Ankerrohrtour, dem obersten Rohrstrang (von 0 bis 550 m Tiefe) der (einzubringenden) Verrohrung (sogenanntes „Casing“). Der Verstoß der Schuldnerin gegen die „good oilfield practices“ führte zum Rohrkollaps und damit zum Scheitern der Bohrung.

[5] Das Bohrloch musste infolge der Havarie aufgegeben und mit Zement verfüllt werden. Dabei verblieben die für die Ankerrohrtour verwendeten Rohre, die im Eigentum der Klägerin standen, im Bohrloch. Die Klägerin kaufte für eine erneute Tiefenbohrung (Projekt „M* TH 3.1“) ein nahegelegenes Grundstück. Die auf der bisherigen Bohrlokation errichteten Schallschutzelemente mussten bis zum Beginn der neuen Bohrung vorgehalten werden. Diese Vorhaltekosten waren aus technischer Sicht notwendig, sie wären aber auch bei einer – untauglichen – Sanierung angefallen. Wegen der durch den Vorfall verursachten Verzögerung entstanden der Klägerin Mehrkosten in Form eines „Wärmesorgungsaufwands“.

[6] Die Klägerin begehrt aus dem Versicherungsvertrag insgesamt 1.003.033,84 EUR. Die Forderung setze sich aus dem Ersatz der Kosten der Verfüllung der Bohrung (318.355,35 EUR), des Werts der Rohre (57.004,74 EUR), der Vorhaltekosten für die Lärmschutzwände (23.154,84 EUR), der Kosten des Grundstücksankaufs (69.725 EUR) und ihres Mehraufwands für die Wärmeversorgung wegen der verzögerten Fertigstellung (534.793,91 EUR) zusammen. Sämtliche Kostenpositionen seien von der Grunddeckung der Haftpflichtversicherung umfasst. Der Wertersatz für die Casing‑Rohre sei außerdem von der Umweltsanierungskostenversicherung sowie von Art 2.2. der Besonderen Bedingungen zur Betriebshaftpflichtversicherung, Klausel 81GB6001, gedeckt.

[7] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie wendete – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, die Ausführung der bedungenen Leistung sei in der Betriebshaftpflichtversicherung nicht versichert. Sämtliche von der Klägerin geltend gemachten Kosten seien Erfüllungssurrogate und daher nicht von der Grunddeckung umfasst. Auch Art 2.2. der Klausel 81GB6001 könne aus diesem Grund nicht greifen. Die Deckung aus der Umweltsanierungskostenversicherung scheide aus, weil eine Umweltstörung nur bei einer Beeinträchtigung des Erdreichs durch Immissionen in Frage komme.

[8] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren hinsichtlich sämtlicher geltend gemachter Ersatzansprüche dem Grunde nach zu Recht bestehe. Der Insolvenzverwalter habe das Absonderungsrecht der Klägerin an der Entschädigungsforderung der Schuldnerin gegenüber der Beklagten gemäß § 157 VersVG anerkannt. Da dieses Anerkenntnis des Insolvenzverwalters mit Beschluss des Insolvenzgerichts zur Kenntnis genommen worden sei, nehme die Klägerin die Stellung der Versicherungsnehmerin (Schuldnerin) ein. Sämtliche Kostenpositionen (Wertersatz für Casing‑Rohre; Verfüllungskosten des Bohrlochs; Wärmeversorgungsmehraufwand; Vorhaltekosten für Schallschutzwände und Kosten des Ersatzgrundstücks) seien von der Grunddeckung umfasst.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es sprach mit Teil- und Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren im Umfang von 375.360,09 EUR dem Grund nach zu Recht besteht und wies das Mehrbegehren von 627.673,75 EUR sA ab. Der Wertersatz für die Beschädigung der Casing‑Rohre und die Kosten für die Verfüllung des Bohrlochs seien von der Versicherung gedeckte Mangelfolgeschäden. Die übrigen geltend gemachten Schäden würden hingegen innerhalb des Erfüllungsinteresses der Versicherungsnehmerin liegen. Sie seien zwangsläufig mit der Verbesserung verbundene Erfüllungssurrogate, für die in der Betriebshaftpflichtversicherung keine Deckung bestehe.

[10] Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben bzw diese abgewiesen werde. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

[11] Beide Parteien beantragen in ihren vom Obersten Gerichtshof freigestelltenRevisionsbeantwortungen, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu ihrnicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revisionen sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, jene der Klägerin ist – teilweise im Sinn des Aufhebungsantrags – berechtigt, jene der Beklagten ist hingegen nicht berechtigt.

I. Revisionsgegenstand

[13] Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Klägerin die Beklagte direkt in Anspruch nehmen könne, wurde von der Beklagten schon in ihrer Berufung nicht bekämpft, sodass auf diese selbständig zu beurteilende Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof nicht mehr einzugehen ist (RS0043338 [T13]).

[14] Im Revisionsverfahren ist lediglich strittig, ob die von der Klägerin geltend gemachten Kostenpositionen Erfüllungssurrogate im Sinn von Art 3.3. AHVB 2004 darstellen. Bezüglich des Wertersatzes für die Casing‑Rohre ist weiters strittig, ob der Risikoausschluss gemäß Art 8.9. AHVB 2004 zur Anwendung kommt (zur Ergänzung des Sachverhalts vgl RS0121557 [T3, T8]).

II. Umfang der Haftpflichtversicherung

[15] 1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[16] 2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; vgl RS0080068).

[17] 3.1. Bei der Haftpflichtversicherung ist der Versicherer gemäß § 149 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat. Der Deckungsanspruch des Haftpflichtversicherten ist durch das versicherte Risiko spezialisiert und von dem vom Geschädigten erhobenen Anspruch abhängig (RS0081015).

[18] 3.2. In der Betriebshaftpflichtversicherung ist die Ausführung der bedungenen Leistung grundsätzlich nicht versichert (RS0081685), soll doch das Unternehmerrisiko nicht auf den Versicherer übertragen werden (RS0081518 [T4, T7, T8]). Demgemäß umfasst nach Art 3.3. AHVB 2004 das Leistungsversprechen des Versicherers nicht:

- Ansprüche auf Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung (Art 3.3.1 – Erfüllungsklausel) sowie

- Ansprüche auf Gewährleistung für Mängel (Art 3.3.2 – Gewährleistungsklausel):

[19] 3.3. Die Betriebshaftpflichtversicherung erstreckt sich somit nicht auf die Ausführung der bedungenen Leistung und auf Erfüllungssurrogate (RS0081685 [T1]), also auf diejenigen Schadenersatzansprüche, durch die ein unmittelbares Interesse am eigentlichen Leistungsgegenstand eines abgeschlossenen Vertrags geltend gemacht wird (7 Ob 46/13k; 7 Ob 30/18i; 7 Ob 81/19s). Entscheidend ist dabei nicht die rechtliche Grundlage, aus der der Anspruch hergeleitet wird (v. Rintelen in Beckmann/Matusche‑Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch3 § 26 Rz 38). Maßgeblich ist vielmehr, ob die Kosten durch den Versicherungsnehmer oder Dritte aufgewendet werden müssen, um den Dritten in den Genuss der vertragsgerechten Leistung des Versicherungsnehmers zu bringen und/oder ob sie das Zurückbleiben der tatsächlichen Leistung hinter dem Versprochenen kompensieren sollen (Lücke in Prölss/Martin, VVG31 AHB Abs 1 Z 1 Rz 51; vgl RS0081685 [T2]).

[20] Der Versicherungsschutz umfasst somit nur jenen Schaden, der über das Erfüllungsinteresse des Dritten an der Leistung des Versicherten hinausgeht (RS0081898). Die Kosten für die von einem Dritten vorgenommene Verbesserung der mangelhaften Leistung des Versicherten fallen daher ebenfalls nicht in die Betriebshaftpflichtversicherung (RS0081685). Unter „Ansprüche aus der Gewährleistung für Mängel“ fallen nicht nur die Kosten der Behebung des Mangels an sich, sondern auch jene der vorbereitenden Maßnahmen, die zur Mängelbehebung erforderlich sind (RS0021974) sowie Schadenersatzansprüche, die an die Stelle der Gewährleistung treten (sie surrogieren), also den an sich mit Gewährleistungsbehelfen zu liquidierenden Mangel vergüten (7 Ob 46/13k mwN).

[21] Die Vertragserfüllungsleistung ist ebenso wie die an ihre Stelle tretende Ersatzleistung am Leistungsgegenstand, also an dem orientiert, das zu leisten der Versicherungsnehmer vertraglich vereinbart hat. Entscheidend für den Versicherungsschutz ist also, welchen Inhalt der Vertrag hat (7 Ob 46/13k; vgl auch Lücke in Prölss/Martin, VVG31 AHB Abs 1 Z 1 Rz 51; v. Rintelen in Beckmann/Matusche‑Beckmann, VR‑Handbuch³ § 26 Rn 37). Ausgeschlossen sind damit all diejenigen Ansprüche, die das Zurückbleiben der tatsächlichen Leistung hinter dem Versprochenen ausgleichen sollen (v. Rintelen in Beckmann/Matusche‑Beckmann, VR‑Handbuch³ § 26 Rn 37; Prölss, Schadensersatzansprüche aus §§ 463, 480 Abs 2, 538, 635 BGB in der Haftpflichtversicherung VersR 1967, 432 [435]).

[22] 3.4. Gedeckt sind hingegen Schadenersatzansprüche aus mangelhafter Vertragserfüllung (Mangelfolgeschäden, Begleitschäden), die jenseits des Erfüllungsinteresses des Gläubigers liegen (7 Ob 30/18i; 7 Ob 81/19s). Mangelfolgeschäden sind Schäden, die sich nicht unmittelbar auf die Erstellung des Werks beziehen, sondern daraus resultieren, dass die mangelhafte Leistung an anderen Vermögenswerten Schäden hervorrief (RS0114204 [T4]). Ein Mangelfolgeschaden liegt vor, wenn dem Werkbesteller durch den Mangel weitere Nachteile entstehen. Bei einem Mangelfolgeschaden handelt es sich weder um einen Erfüllungsanspruch, noch um ein Erfüllungssurrogat im Sinne der AHVB, bezieht sich doch der Schaden nicht unmittelbar auf das Leistungsinteresse. Der Mangelfolgeschaden betrifft weder einen „reinen“ Erfüllungsanspruch noch einen Schadenersatzanspruch, der der Erreichung des unmittelbaren Leistungsinteresses dient und im Fall der gänzlichen oder teilweisen Nichterfüllung an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tritt (RS0114204 [T5]).

III. Revision der Klägerin

[23] 1. Ob die begehrten Mehrkosten für die Wärmeversorgung sowie die Kosten für das Vorhalten der Schallschutzwände die Erfüllung von Verträgen oder die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung betreffen, kann auf Basis des festgestellten Sachverhalts nicht beurteilt werden:

[24] 1.2. Zu den begehrten Mehrkosten für die Wärmeversorgung steht lediglich fest, dass diese der Klägerin infolge des Misslingens der Tiefenbohrung entstanden sind. Ob sich diese Kosten unmittelbar auf die Mangelbehebung (hier durch Neuerrichtung des Werks auf einer nahegelegenen Liegenschaft) beziehen oder ob es sich dabei um Folge- oder Begleitschäden der mangelhaften Werkleistung handelt, die sich nicht unmittelbar auf die (vertraglich vereinbarte) Leistung beziehen, kann daraus nicht abgeleitet werden.

[25] 1.3. Zu den von der Klägerin weiters geltend gemachten Vorhaltekosten der Lärmschutzwände stellte das Erstgericht fest, dass diese aus technischer Sicht notwendig waren und auch bei einer Sanierung angefallen wären. Auch daraus kann die entscheidende Frage, ob das „Vorhalten“ der Lärmschutzwände ein Erfüllungssurrogat darstellt, nicht beantwortet werden, weil völlig unklar bleibt, ob diese Maßnahme überhaupt Teil des vereinbarten Erfüllungsanspruchs war. Der Umstand, dass diese Kosten „auch bei einer Sanierung angefallen wären“ hilft für die Zuordnung dieser Leistung schon deshalb nicht weiter, weil eine Sanierung im konkreten Fall technisch gar nicht möglich war.

[26] 2. Die Kosten für den Ankauf des Grundstücks stellen einen gedeckten Schaden dar. Wie dargelegt, ist für den Versicherungsschutz entscheidend, welchen Inhalt der Vertrag zwischen der Klägerin und der Schuldnerin hatte. Es steht zwar nicht fest, ist aber unstrittig, dass die Klägerin das Grundstück für die Bohrung beigestellt hat, sodass dieses nicht Gegenstand des von der Klägerin mit der Schuldnerin geschlossenen Vertrags war. Damit diente auch der (notwendige) Ankauf des zweiten Grundstücks, um die misslungene Bohrung neu durchführen zu können, nicht der Erreichung des unmittelbaren Leistungsinteresses, sondern ist ein gedeckter Folge- bzw Begleitschaden.

IV. Revision der Beklagten

[27] 1.1. Die Vorinstanzen waren der Ansicht, die Beschädigung der Casing‑Rohre sei von der Grunddeckung der Versicherung umfasst. Diese seien zwar für die Vertragsleistung beigestelltes Material, die Lieferung der Rohre gehöre aber nicht zur Vertragsleistung der Versicherungsnehmerin. Sie hätten der Klägerin gehört und seien von der Versicherungsnehmerin so beschädigt worden, dass sie aus wirtschaftlicher Sicht unwiederbringlich verloren seien. Es handle sich daher um einen gedeckten Mangelfolgeschaden. Diese Ansicht teilt der Fachsenat:

[28] 1.2. Im vorliegenden Fall war die Versicherungsnehmerin mit dem Abteufen einer Tiefenbohrung beauftragt. Dabei handelt es sich um einen Werkvertrag. Bei diesem schuldet der Auftragnehmer im Rahmen der getroffenen Vereinbarung ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes Werk. Erreicht die Leistung die vereinbarte Beschaffenheit oder Eigenschaft nicht, ist sie mangelhaft und löst Gewährleistungsansprüche aus. Das Erfüllungsinteresse des Bestellers umfasst die Neuherstellung des Werks und die Beseitigung von Mängeln (Lücke in Prölss/Martin, VVG31 AHB Abs 1 Z 1 Rz 53).

[29] 1.3. Die Versicherungsnehmerin war zur Beschaffung der bei der Bohrung einzusetzenden Rohre vertraglich nicht verpflichtet, sondern wurden diese von der Klägerin bereitgestellt. Da sich die Erfüllungsersatzleistung an der von der Versicherungsnehmerin vertraglich geschuldeten Leistung orientiert, handelt es sich demzufolge bei der Beschädigung der Rohre um die Schädigung „anderer Vermögenswerte“ und damit um einen Mangelfolgeschaden (vgl Piontek, r+s 2019, 387 [388]; Schimikowski, Nacherfüllung und Mangelfolgeschaden in der BHV, r+s 2020, 191 [193 f]; Lücke in Prölss/Martin, VVG31 AHB Abs 1 Z 1 Rn 53).

[30] 1.4. Der Wertersatz für die Casing‑Rohre ist daher gemäß Art 3.1. AHVB 2004 vom Versicherungsschutz umfasst. Da die Casing‑Rohre von der Versicherungsnehmerin der Beklagten weder hergestellt noch geliefert wurden, greift der Risikoausschluss gemäß Art 8.9. AHVB 2004 ebenfalls nicht.

[31] 2. Auch die Kosten für die Verfüllung der Rohre hat das Berufungsgericht zutreffend als gedeckt angesehen. Dabei handelt es sich um Kosten für die Sanierung der beschädigten Liegenschaft, also einer Naturalrestitution. Diese Kosten betreffen ein sonstiges Rechtsgut der Klägerin und mussten nicht aufgewendet werden, um die Klägerin in den Genuss der geschuldeten Leistung zu bringen. Für die Durchführung einer mangelfreien Tiefenbohrung an anderer Stelle war es nämlich nicht erforderlich, das havarierte Bohrloch zu verfüllen. Hat die mangelhafte Werkleistung des Versicherungsnehmers bereits Folgeschäden an anderen Sachen angerichtet, dann sind diese Schäden gedeckt und nur jene Kosten ausgeschlossen, die für die Beseitigung des Mangels selbst aufgewendet werden (vgl 7 Ob 190/16s). Das von der Beklagten in der Revision angeführte Beispiel, wonach die Beseitigung eines lagemäßig nicht dem behördlichen Konsens entsprechenden Bauwerks vor dessen Fertigstellung in die Erfüllungspflicht des ausführenden Werkunternehmers falle, ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, weil in diesem Beispiel – anders als hier – zur Mängelbeseitigung sehr wohl zunächst erforderlich ist, das Bauwerk zu entfernen, um den geschuldeten bauordnungskonformen Zustand herzustellen.

V. Ergebnis und Kosten

[32] 1. Die Revision der Klägerin ist daher – teilweise im Sinn des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags – berechtigt, jene der Beklagten ist hingegen nicht berechtigt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern und aufzuheben, weil Teile des Klagebegehrens auch dem Grunde nach noch nicht spruchreif waren.

[33] 2. Die Kostenentscheidung bezüglich des Teilzwischenurteils bleibtgemäß § 52 Abs 4 ZPO der Endentscheidung vorbehalten. Bezüglich des Aufhebungsbeschlusses beruht der Kostenvorbehalt auf § 52 Abs 1 ZPO.

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