OGH 15Os28/24t

OGH15Os28/24t15.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin FI Jäger in der Strafsache gegen M* S* und Ü* C* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 2. November 2023, GZ 64 Hv 138/23d‑40, ferner über die Beschwerde des Angeklagten S* gegen einen gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörungder Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00028.24T.0515.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – M* S* der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I.A.1. und 2.) sowie Ü* C* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat

I. S*

A. nachgenannte Personen schwer am Körper zu verletzen versucht, und zwar

1. am 12. August 2023 in S* C* durch einen (von diesem jedoch abgeblockten) Schlag mit einer Bierflasche, fünf bis sechs Faustschläge gegen den Kopf und Beißen in die Brust, wodurch C* einen Bluterguss im Bereich der Brust, Schwellungen sowie eine Prellung im Bereich des Kopfes erlitt,

2. am 8. September 2023 in Se* S* E*, indem er versuchte, mit einer vollen Bierflasche wuchtig in Richtung dessen Kopf zu schlagen, was jedoch aufgrund erfolgreicher Abwehr misslang;

II. C* am 12. August 2023 in S* S* durch „Nehmen in den Schwitzkasten“, Würgen sowie Versetzen von Faustschlägen Rötungen, Kratzer und einen Bluterguss zugefügt und dadurch am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*, die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten C* und die angemeldete, jedoch nicht ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4] Letztere war bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, weil weder bei der Anmeldung noch in der Ausführung des Rechtsmittels Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurden (§ 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*:

[5] Der Unvollständigkeit der Beweiswürdigung (Z 5 zweiter Fall) zu I.A.1. monierenden Mängelrüge ist zu erwidern, dass die Tatrichter sowohl die Aussage des Zeugen D* Ci*, soweit sie sich auf Wahrnehmungen (nicht „Eindrücke“; US 8 letzter Absatz [RIS-Justiz RS0097545]) bezog, als auch die Deponate beider Angeklagter – darunter die Behauptung des Nichtigkeitswerbers, mit der Flasche nur gedroht zu haben, um einen Angriff abzuwehren (US 9) – berücksichtigten (US 7 ff). Zu einer umfangreicheren Erörterung einzelner Aussageteile waren sie mit Blick auf das Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verpflichtet (vgl RIS-Justiz RS0106642).

[6] Dass das Schöffengericht aus diesen Angaben andere Schlüsse zog und deren Überzeugungskraft anders bewertete als der Beschwerdeführer, etwa indem es seine Verantwortung als Schutzbehauptung einstufte, stellt keinen Begründungsmangel (RIS‑Justiz RS0099455), sondern einen – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht bekämpfbaren (RIS‑Justiz RS0099419) – Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) dar (vgl RIS-Justiz RS0104976 [T1]).

[7] Entgegen der weiteren, eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) reklamierenden Rüge ist die Ableitung der Feststellung zum bedingten Vorsatz des Beschwerdeführers zu I.A.1., seinem Kontrahenten eine schwere Körperverletzung zuzufügen (US 6), aus dem objektiven Tatgeschehen (US 9) – dem Versuch, C* mit einer Bierflasche zu schlagen, wobei es diesem gelang, den Schlag noch in der Ausholbewegung etwa auf Höhe seines Kopfes abzublocken (US 5), – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).

[8] Der Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) zu I.A.2. zuwider können Feststellungen nicht „aktenwidrig“ im Sinn dieser Anfechtungskategorie sein (vgl RIS-Justiz RS0099524 [T1, T10]). Aus welchem konkreten Beweismittel fehlerhaft zitiert worden sein sollte, wird nicht dargetan (RIS-Justiz RS0124172 [T8, T9]).

[9] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) vermisst zu I.A.1. und 2. jeweils klärende Feststellungen zum Vorliegen einer Notwehrsituation (§ 3 StGB).

[10] Dabei nimmt sie jedoch nicht die zu I.A.1. eine solche Situation ausdrücklich verneinenden Urteilsannahmen (disloziert auf US 8; RIS-Justiz RS0098574) in den Blick. Auch zu I.A.2. orientiert sich die Rüge nicht an den Konstatierungen zum – keine Notwehrlage für den Nichtigkeitswerber begründenden – Verhalten des E* (US 6), sondern versucht, diese im Sinn des eigenen Standpunkts zu verändern und durch urteilsfremde Annahmen zu ergänzen, weshalb sie insgesamt nicht prozessförmig zur Ausführung gelangt (RIS-Justiz RS0099810 [T4, T21, T25]).

[11] Dies gilt auch für die gegen die Unterstellung der Tatgeschehen nach § 84 Abs 4 StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10), die die jeweiligen Feststellungen zum bedingten Vorsatz des Beschwerdeführers, C* und E* schwer am Körper zu verletzen (US 6, 9 f), außer Acht lässt.

[12] Mit der Behauptung, das Schöffengericht habe nicht alle Milderungsgründe nach § 34 StGB berücksichtigt und durch den Ausspruch einer derartig hohen unbedingten Freiheitsstrafe gegen allgemeine Grundsätze des § 32 StGB verstoßen, wird – der Sanktionsrüge (Z 11) zuwider – keine Nichtigkeit geltend gemacht, sondern ein Berufungsvorbringen erstattet (vgl RIS-Justiz RS0099869 [T12, T13]).

[13] Dem Vorbringen zum Strafrahmen ist zu erwidern, dass nach den Feststellungen (US 4) die Rückfallvoraussetzungen nach § 39 Abs 1a StGB vorlagen, weshalb die Strafobergrenze sich von fünf auf siebeneinhalb Jahre Freiheitsstrafe erhöhte. Die Begehung vorsätzlicher strafbarer Handlungen unter Anwendung von Gewalt unter Einsatz von Waffen (US 5 f: Bierflaschen als Schlagwaffen im funktionalen Sinn; RIS-Justiz RS0134002) führte zur Anhebung der Strafuntergrenze von sechs Monaten auf ein Jahr (§ 39a Abs 1 Z 4 und Abs 2 Z 3 StGB). Inwiefern das Schöffengericht in diesem Zusammenhang „gegen die Bestimmungen der Strafbemessung in unvertretbarer Weise verstoßen“ haben sollte, ist nicht ersichtlich.

[14] Schließlich widerspricht die erschwerende Wertung sämtlicher einschlägiger Vorstrafen auch im Fall der Strafschärfung nach § 39 StGB nicht dem Doppelverwertungsverbot nach § 32 Abs 2 erster Satz StGB. Denn dieses stellt allein auf für die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) relevante Umstände ab (vgl RIS‑Justiz RS0130193), während § 39 StGB eine reine, den Strafsatz nicht bestimmende Strafrahmenvorschrift darstellt (11 Os 115/23f [Rz 4 f]).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten C*:

[15] Der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) zuwider erklärte das Schöffengericht deutlich und bestimmt, aufgrund welcher Beweismittel es zu den Feststellungen zu I.A.1. gelangte (US 7 ff).

[16] Mit der auf seine eigenen – im Urteil berücksichtigten (US 7 f) – Angaben gestützten Behauptung, die Tatrichter seien „auf die konkrete Situation“, in der der Beschwerdeführer dem Angeklagten S* zwei Schläge versetzt hat, nicht eingegangen, wird keine Außerachtlassung eines erheblichen Beweismittels bei der Beweiswürdigung zur Feststellung einer entscheidenden Tatsache (Z 5 zweiter Fall) geltend gemacht, sondern diese nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung angegriffen.

[17] Auch dieser Nichtigkeitswerber lässt bei seiner Rechtsrüge (Z 9 lit b) die Urteilsannahmen zum Nichtvorliegen einer Notwehrsituation (US 8) unberücksichtigt, weshalb sie nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt wurde (RIS-Justiz RS0099810 [T21]).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten waren daher ebenso bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Die Entscheidung über die Berufungen und die (implizite) Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[19] Die Kostenentscheidung, die die gänzlich erfolglose Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 8), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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