OGH 8ObA87/23m

OGH8ObA87/23m25.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Mag. Johannes Mutz, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch die Klein, Wuntschek & Partner RAe GmbH in Graz, wegen 27.958 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 9. November 2023, GZ 6 Ra 20/23t‑26, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 24. Februar 2023, GZ 31 Cga 95/22g‑18, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00087.23M.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.007,02 EUR (darin 501,17 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.692,90 EUR (darin 361,15 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war seit dem Jahr 1987 als Greenkeeper am Golfplatz in K* beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis waren die Bestimmungen der Kärntner Landarbeitsordnung (K‑LAO) und des Kollektivvertrags für die Dienstnehmer der Betreiber von Golfanlagen anzuwenden. Im Jahr 2017 wurde das Dienstverhältnis von der A* GmbH übernommen, welche von der Betreiberin der Anlage mit der Pflege des Golfplatzes beauftragt worden war. Die am Golfplatz beschäftigten Dienstnehmer wurden während der Wintermonate mit Wiedereinstellungszusagen abgemeldet. Auch als das Dienstverhältnis des Klägers am 9. 2. 2020 durch Zeitablauf endete, wurde ihm von der A* GmbH die Wiedereinstellung vorbehaltlich der Verschiebung des Termins aus „witterungsbedingten bzw wirtschaftlichen Gründen“ zum Saisonanfang am 1. 4. 2020 zugesagt.

[2] Am 27. 3. 2020 wurde über das Vermögen der Betreiberin der Anlage das Konkursverfahren eröffnet. Als der Kläger am 1. 4. 2020 seine Arbeit antreten wollte, wurde ihm von der A* GmbH eine Wiedereinstellungsvereinbarung „für voraussichtlich Anfang Mai“ angeboten. Am 9. 4. 2020 erklärte der Kläger – vertreten durch die Landarbeiterkammer – das Arbeitsverhältnis nicht wieder aufnehmen zu wollen und verlangte die Auszahlung der Abfertigung, weil ihm der Beklagte, der die Anlage ab 15. 4. 2020 pachtete, bereits den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags zugesagt hatte. Tatsächlich war der Kläger ab 15. 4. 2020 für den Beklagten tätig und verrichtete die gleiche Arbeit wie zuvor für die A* GmbH.

[3] Mit 30. 11. 2020 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers zum Beklagten einvernehmlich aufgelöst. Die A* GmbH wurde mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. 12. 2020 zu 24 Cga 28/20z gegenüber dem Kläger zur Zahlung einer Abfertigung von 27.958 EUR verpflichtet. Am 27. 11. 2021 wurde über das Vermögen der A* GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.

[4] Der Kläger begehrt nunmehr vom Beklagten eine Abfertigung von 27.958 EUR sA. Aufgrund des Betriebsübergang sei der Beklagte ungeachtet der saisonal bedingten Unterbrechung des Dienstverhältnisses in das Arbeitsverhältnis eingetreten, sodass er für die Abfertigung hafte.

[5] Der Beklagte wendet ein, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers im Zeitpunkt des behaupteten Betriebsübergangs bereits beendet gewesen sei, weil der Kläger eine Fortsetzung dieses Arbeitsverhältnisses abgelehnt habe.

[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Beklagte sei schon deshalb nicht in das Arbeitsverhältnis eingetreten, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers im Zeitpunkt des behaupteten Betriebsübergangs bereits beendet gewesen sei. Im Übrigen habe der Beklagte weder ein Unternehmen noch einen Betrieb übernommen, sodass auch eine Haftung nach § 6 Abs 1 AVRAG bzw § 1409 ABGB ausscheide.

[7] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass der Klage stattgegeben wurde. Der Betriebsübergang habe nach § 3 AVRAG dazu geführt, dass die Wiedereinstellungsverpflichtung auf den Erwerber übergegangen sei. Da der Eintritt in das Dienstverhältnis nach § 3 AVRAG zwingend sei, habe der Kläger auf seine Rechte nicht verzichten können, sodass ungeachtet der Erklärung des Klägers, das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen zu wollen, von einem durchgehenden Arbeitsverhältnis auszugehen sei.

[8] Gegen dieses Urteil wendet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil im Sinn einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Rechtsmittelbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts im Hinblick auf die Frage zulässig, ob der Übernehmer eines Betriebs für Abfertigungsansprüche haftet, wenn der Arbeitnehmer eine Wiedereinstellungszusage des Übergebers abgelehnt hat; sie ist auch berechtigt.

[11] 1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs führt eine Wiedereinstellungszusage des Arbeitgebers nach echter Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses zu einer Option des Arbeitnehmers zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen (RS0127858). Dieses neue Arbeitsverhältnis entsteht naturgemäß erst dann, wenn der Arbeitnehmer von seinem Optionsrecht Gebrauch macht (9 ObA 35/19s). Da der Kläger gegenüber seinem damaligen Arbeitgeber ausdrücklich erklärt hat, dass er die Option nicht wahrnehme, wurde das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt.

[12] 2. Die Erklärung des Arbeitnehmers, eine Wiedereinstellungszusage nicht in Anspruch zu nehmen, lässt seine Ansprüche aus der Beendigung des Dienstverhältnisses unberührt (RS0047284). Dies gilt selbst dann, wenn er seinem Arbeitgeber mitteilt, dass er ein neues Arbeitsverhältnis antreten werde (8 ObA 22/08f). Die Ablehnung der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hat deshalb nach § 9 Abs 6 AlVG dazu geführt, dass der Abfertigungsanspruch des Klägers gegenüber seinem früheren Arbeitgeber fällig wurde. Geht ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser nach § 59 Abs 1 K‑LAO ebenso wie nach § 3 Abs 1 AVRAG als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Die Regelungen zum Betriebsübergang sind insofern relativ zwingend, als davon zum Nachteil des Arbeitnehmers nicht abgewichen werden kann, doch kann der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auf den durch die Eintrittsautomatik gewährleisteten Schutz verzichten und Ansprüche aus der Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend machen (RS0111017; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 3 Rz 129 mwN). Der Arbeitnehmer kann nämlich nicht dazu verhalten werden, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat (RS0111017 [T2]). § 59 Abs 2 K‑LAO sieht dementsprechend ausdrücklich vor, dass der Arbeitnehmer erklären kann, sein Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen, woraufhin das Arbeitsverhältnis endet und dem Arbeitnehmer arbeitsrechtliche Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung zustehen.

[13] 4. Wohl aber kann die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der unmittelbar anschließende Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem Übernehmer – wie der Kläger zutreffend ausführt – als Umgehungsgeschäft nach § 879 ABGB unwirksam sein (Kietaibl, Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Betriebsübergängen, ZAS 2010/20, 114; Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3 AVRAG Rz 69 f). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im zeitlichen Zusammenhang zum Betriebsübergang, wenn der Arbeitnehmer mit dem Übernehmer einen neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, deshalb nur wirksam, wenn die Neubegründung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer insgesamt günstiger ist als der gesetzlich vorgesehene Übergang auf den Übernehmer (RS0102122; RS0118202).

[14] 5. Ob die Weiterbeschäftigung zu verschlechterten Bedingungen erfolgt, ist nach der Rechtsprechung im Rahmen eines Gesamtgünstigkeitsvergleichs zu beurteilen (RS0118202). Der Oberste Gerichtshof hat schon darauf hingewiesen, dass dem Arbeitnehmer nicht jede Dispositionsmöglichkeit genommen werden darf, sodass in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen ist, wenn der Arbeitnehmer durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Auszahlung der Abfertigung erreichen kann (9 ObA 17/03w). Dementsprechend ist auch im vorliegenden Fall entscheidungswesentlich, dass der Kläger durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Abfertigungsanspruch erlangen konnte, der aufgrund der 25 Jahre übersteigenden Dauer seines Arbeitsverhältnisses nach § 52 Abs 1 K‑LAO und § 20 des Kollektivvertrags zwölfMonatsentgelte betragen hat. Demgegenüber wäre der Kläger bei Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses insofern fortdauernd an seinen neuen Arbeitgeber gebunden gewesen, als er im Fall seiner Kündigung seinen Abfertigungsanspruch nach § 62l Abs 2 K‑LAO und § 20 des Kollektivvertrags verloren hätte. Damit ist die Erklärung des Beklagten, das bisherige Arbeitsverhältnis ungeachtet der Wiedereinstellungszusage nicht fortsetzen zu wollen, wirksam, sodass dieses Arbeitsverhältnis auch nicht auf die Beklagte übergehen konnte.

[15] 6. Das Berufungsgericht hat sich auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gestützt, wonach der Übernehmer an eine Wiedereinstellungszusage des Übergebers nach einer saisonal bedingten Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses gebunden ist, sodass alle vom Arbeitnehmer beim Übergeber und beim Übernehmer zurückgelegten Arbeitszeiten als Einheit anzusehen sind (RS0113901). Damit ist für den Kläger aber nichts gewonnen, weil diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar ist, nachdem der Kläger die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses ausdrücklich abgelehnt und stattdessen Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht hat.

[16] 7. Schließlich beruft sich der Kläger darauf, dass die Beklagte auch unabhängig vom Übergang des Dienstverhältnisses für die Abfertigung des Klägers haften würde, weil sie zu Nachforschungen verpflichtet gewesen sei und die Abfertigungsansprüche des Klägers deshalb kennen hätte müssen. Richtig ist, dass der Übergeber und der Übernehmer für Verpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind, nach § 62 Abs 1 K‑LAO und § 6 Abs 1 AVRAG solidarischhaften, wobei hinsichtlich der Haftung des Übernehmers § 1409 ABGB anzuwenden ist. Dies kann dazu führen, dass der Übernehmer auch für Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen haftet, die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits beendet waren (RS0112978). Die Haftung des Übernehmers ist aber nach § 1409 ABGB mit dem Wert des übernommenen Vermögens oder Unternehmens beschränkt. Nach ständiger Rechtsprechung besteht deshalb keine Haftung nach § 1409 ABGB, wenn ein Betrieb – wie dies auch im vorliegenden Fall zutrifft – aufgrund eines bloßen Pachtvertrags übernommen wurde (RS0033168; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 6 Rz 35). Dies entspricht auch der Regelung in § 38 Abs 5a UGB.

[17] 8. Im Ergebnis besteht damit keine Haftung des Beklagten für den Abfertigungsanspruch des Klägers, sodass die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen war.

[18] 9. Die Kostenentscheidungberuht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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