OGH 8Ob41/24y

OGH8Ob41/24y25.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* H*, vertreten durch Mag. Dr. Martin Steinbüchler, Rechtsanwalt in St. Florian, gegen die beklagte Partei K* H*, vertreten durch Mag. Willibald Berger, Rechtsanwalt in Marchtrenk, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Februar (richtig:) 2024, GZ 15 R 455/23x‑26, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00041.24Y.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht schied mit in der Tagsatzung vom 21. 8. 2023 mündlich verkündetem Urteil die Ehe der Streitparteien aus dem Verschulden des Beklagten. Nachdem ihm am 31. 8. 2023 das Tagsatzungsprotokoll zugestellt worden war, erhob der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. 9. 2023 Widerspruch dagegen. Er habe entgegen dem Protokoll weder ausgesagt, dass die in der Scheidungsklage gegen ihn erhobenen Vorwürfe richtig seien, noch vor Gericht von einer „Geliebten“ oder davon gesprochen, in einer „Beziehung“ zu einer anderen Frau gestanden zu sein. In diesen Punkten sei „unrichtig protokolliert“ worden, mithin das „Protokoll unrichtig“. Der Beklagte regte zugleich an, die Übertragung des Protokolls insofern zu ändern, als die Unrichtigkeiten richtiggestellt werden.

[2] Am 5. 9. 2023 fasste das Erstgericht den Beschluss, den Widerspruch gegen das Protokoll zu „verwerfen“. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Protokoll richtig sei.

[3] Am 11. 9. 2023 meldete der Beklagte die Berufung an. Am folgenden Tag wurde ihm der Beschluss vom 5. 9. 2023 zugestellt.

[4] In seiner gegen das Scheidungsurteil erhobenen Berufung relevierte der Beklagte den Beschluss auf „Verwerfung“ seines Widerspruchs nicht als Verfahrensmangel; einen Rekurs gegen den Beschluss vom 5. 9. 2023 erhob er nicht.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Weil der Kläger es unterlassen habe, noch in der Verhandlung vor Unterfertigung des Protokolls die Protokollierung zu rügen und gegen sie Widerspruch zu erheben, sei davon auszugehen, dass das Protokoll nach § 215 ZPO (aF; richtig: § 211 ZPO nF; Anm) über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung vollen Beweis liefere. Der in der Berufung gerügte Verfahrensmangel – unterbliebene Manuduktion des in der erstgerichtlichen Verhandlung noch anwaltlich unvertretenen Beklagten – liege nicht vor. Ebenso seien die erhobene Tatsachenrüge und die Rechtsrüge unberechtigt. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

[6] In der gegen das Berufungsurteil erhobenen außerordentlichen Revision releviert der Beklagte als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, ob ein erst nach der Verhandlung gegen eine unrichtige Protokollierung erhobener Widerspruch ausnahmsweise dennoch rechtzeitig sei, wenn die Partei aus tatsächlichen Gründen den Widerspruch nicht in der Verhandlung erheben konnte (wofür der Rechtsmittelwerber ins Treffen führt, er sei in der Tagsatzung noch anwaltlich unvertreten gewesen und zudem der deutschen Sprache nicht mächtig).

[7] Damit bringt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Vorinstanzen gehen – wie der Revisionswerber – zutreffend davon aus, dass es sich im vorliegenden Fall grundsätzlich um einen Widerspruch wegen unrichtiger Protokollierung (nunmehr geregelt in § 210 Abs 1 ZPO idF der ZVN 2022, BGBl 2022/61 – vormals § 212 Abs 1 und 2 ZPO), nicht wegen unrichtiger Übertragung des Protokolls in Vollschrift (nunmehr geregelt in § 210 Abs 2 ZPO; vor der ZVN 2022: § 212 Abs 5 ZPO) handelt. Sowohl die in Abs 1 Satz 1 der auf den Fall bereits anzuwendenden Vorschrift des § 210 ZPO idnF vorgesehene Rüge gegen eine unrichtige Protokollierung als auch der für den Fall, dass die Rüge erfolglos bleibt, in Satz 5 leg cit vorgesehene Widerspruch müssen nach dem insofern klaren Gesetzeswortlaut noch in der Tagsatzung erfolgen.

[9] Ein verspäteter Protokollswiderspruch ist nach allgemeiner Ansicht zurückzuweisen (4 Ob 69/82 = Arb 10.115 = RS0037267 [T2]; 6 Ob 281/06a [Pkt 4.3.]; Iby in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/3 [2015] § 212 ZPO Rz 4; ebenso – bereits zur neuen, inhaltlich aber unveränderten Rechtslage – Trenker in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON [2023] § 210 ZPO Rz 6 mwH). Demgegenüber darf aufgrund der – nun in § 211 Abs 1, vormals in § 215 Abs 1 ZPO fußenden – Funktion eines (rechtzeitig erhobenen) Protokollswiderspruchs, die volle Beweiskraft des Protokolls zu verhindern und die in § 498 Abs 2 ZPO vorgesehene Kognition des Berufungsgerichts auszulösen (vgl RS0037287 [T1]), das Erstgericht keine den Protokollswiderspruch abweisende oder ihn „verwerfende“ Entscheidung treffen (Iby in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/3 [2015] § 212 ZPO Rz 6/1;Trenker in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON [2023] § 210 ZPO Rz 5; iglS RS0037287). Letzteres tat hier aber das Erstgericht. Sein Beschluss entsprach damit nicht dem Gesetz.

[10] Der Beschluss blieb jedoch unbekämpft.

[11] Der Eintritt der formellen Rechtskraft heilt grundsätzlich die bis dahin allenfalls unterlaufenen Verfahrensverstöße und schneidet damit deren Wahrnehmung ab (6 Ob 80/06t [Pkt 5.4.]; 5 Ob 50/20v [Pkt 3.2.] ua). Auch einem – hier vorliegenden – verfahrensgestaltenden Beschluss, der weder prozessbeendend wirkt noch das zu entscheidende Rechtsverhältnis neu gestaltet und der damit an sich nicht materiell‑rechtskräftig werden kann, kommt eine – auf das laufende Verfahren beschränkte und nur das Prozessgericht und das Rechtsmittelgericht erfassende – (verfahrensrechtliche) Bindungswirkung zu (10 Ob 10/06b [Pkt 3.3.] mwH; Fasching, Lehrbuch2 [1990] Rz 1589; Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht5 [2021] Rz 957 ua). Dies gilt auch bei Unrichtigkeit des rechtsgestaltenden Beschlusses (RS0041790; M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 III/2 [2017] Vor §§ 425 ff ZPO Rz 8 [in FN 7]). Hat demnach – wie hier – das Erstgericht zwar verfehlt, aber unangefochten geblieben und damit rechtskräftig, die „Verwerfung“ des Protokollswiderspruchs beschlossen, so liegt iSd § 211 Abs 1 ZPO nF kein solcher Widerspruch mehr vor. Die in der Zulassungsbeschwerde genannte, oben wiedergegebene Rechtsfrage stellt sich hier demnach nicht; sie erweist sich – mangels Entscheidungsrelevanz (RS0088931) – als nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO.

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