OGH 1Ob47/24d

OGH1Ob47/24d23.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG, *, vertreten durch die Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 710.153,78 EUR (Revisionsinteresse 385.230,93 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2024, GZ 5 R 192/23d‑33, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00047.24D.0423.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Gesamtrechtsvorgängerin der Klägerin war Generalunternehmerin eines Anlagenbauprojekts. Sie bediente sich zur Vertragserfüllung mehrerer in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässiger Subunternehmer. Die Bezirksverwaltungsbehörde verhängte über Vorstandsmitglieder der Klägerin Verwaltungsstrafen wegen Verstößen gegen das AuslBG und das AVRAG, weil bestimmte Subunternehmer rechtswidrig Arbeitskräfte an die Klägerin überlassen hätten. Das Bundesverwaltungsgericht hob die Strafbescheide auf und stellte die Verwaltungsstrafverfahren ein.

[2] Im Zusammenhang mit dem angestrebten Einsatz von Arbeitskräften einer bestimmten Subunternehmerin erteilte ein Organ des Arbeitsmarktservice („AMS“) der Klägerin die Auskunft, dass dies als unzulässige Arbeitskräfteüberlassung zu qualifizieren sei. Die Klägerin könne diese Personen aber selbst anstellen, wofür die erforderlichen Bewilligungen erteilt werden würden. Obwohl die Klägerin die Rechtsansicht der Behörde nicht teilte (was sie deren Organ mitteilte), entsprach sie deren „Empfehlung“ und stellte die Arbeitnehmer der ausländischen Subunternehmerin selbst an.

[3] Mit ihrer auf Amts- und Staatshaftung gestützten Klage begehrt die Klägerin einerseits den Ersatz der in den Verwaltungsstrafverfahren angefallenen und von ihr getragenen Kosten von 324.922,85 EUR sowie andererseits den Ersatz der Lohnnebenkosten für die aufgrund der ihrer Ansicht nach unvertretbar unrichtigen (unionsrechtswidrigen) Rechtsauskunft des AMS angestellten Arbeitnehmer der Subunternehmerin in Höhe von 385.230,93 EUR.

[4] Das Erstgericht sprach aus, dass das auf Ersatz der Verfahrenskosten in Höhe von 324.922,85 EUR gerichtete Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Das aus einer unrichtigen Rechtsauskunft des AMS abgeleitete Begehren auf Ersatz der Lohnnebenkosten von (richtig) 385.230,93 EUR wies es wegen Verjährung ab.

[5] Das nur von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte den klageabweisenden Teil des Ersturteils und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[6] Die Verjährungsfrist habe zu laufen begonnen, sobald der Klägerin – neben den aus der Rechtsauskunft des AMS resultierenden wirtschaftlichen Nachteilen – auch deren behauptete Unrichtigkeit bekannt geworden sei. Dies sei spätestens im August 2016 der Fall gewesen, weil der Klägerin zu diesem Zeitpunkt ein Rechtsgutachten vorgelegen sei, aus dem sich die im nunmehrigen Amtshaftungsprozess behauptete Unionsrechtswidrigkeit der Behördenauskunft ergeben habe. Dass das AMS seine Auskunft auf Grundlage einer unionsrechtswidrigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs erteilt habe, von der dieser erst später abgegangen sei, habe den Beginn der Verjährungsfrist nicht hinausgeschoben und lasse die Behördenauskunft auch nicht unvertretbar erscheinen.

[7] Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine solche Rechtsfrage auf.

1. Zur behaupteten Amtshaftung:

[9] 1.1. Amtshaftungsansprüche verjähren gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 AHG drei Jahre nach Ablauf jenes Tages, an dem dem Geschädigten der Schaden bekannt wurde, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft der rechtsverletzenden Entscheidung. Für den Fristbeginn kommt es neben der Kenntnis vom Schaden darauf an, wann der Geschädigte ohne nennenswerte Mühe auf das Verschulden eines Organs schließen konnte (RS0050355). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss so weit bekannt sein, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524), wobei es auf die Kenntnis vom objektiven Sachverhalt und nicht auf dessen richtige rechtliche Qualifikation ankommt (RS0050355 [T5]). Mit dem Wissen, nun selbst aktiv werden zu müssen, weil weitere Klarheit nicht mehr zu gewinnen ist, beginnt die Verjährungsfrist (1 Ob 56/13m mwN). Der Geschädigte darf nicht warten, bis sein Prozessrisiko auf ein Minimum reduziert ist (RS0034524 [T6]) oder er im Rechtsstreit zu gewinnen glaubt (RS0050338 [T12]). Wann eine ausreichende Kenntnis der maßgeblichen Umstände besteht, hängt jeweils vom Einzelfall ab (RS0034524 [T23, T41]).

[10] 1.2. Die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhen auf diesen Grundsätzen. Dass sie im vorliegenden Fall unrichtig angewandt worden wären, zeigt die Revision nicht auf.

[11] 1.2.1. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen (sowie dem Klagevorbringen) vertrat die Klägerin bereits bei einer Besprechung mit einem Organ des AMS im Oktober 2015, dass es sich bei der beabsichtigten Beschäftigung von Arbeitnehmern der Subunternehmerin um eine zulässige Entsendung von Arbeitskräften und um keine – nach Ansicht der Behörde unzulässige – Arbeitskräfteüberlassung handle. Gerade im Abweichen von diesem rechtlichen Standpunkt der Klägerin besteht deren im Amtshaftungsverfahren erhobener Vorwurf einer unvertretbar unrichtigen Rechtsansicht der Behörde. Die rechtliche Qualifikation der Tätigkeit von Arbeitnehmern der Subunternehmerin in Österreich war auch Gegenstand des gegen Vorstandsmitglieder der Klägerin geführten Verwaltungsstrafverfahrens. Dort lag diesen (sowie der nunmehrigen Klagevertreterin) spätestens im August 2016 ein Rechtsgutachten vor, aus dem sich die behauptete unvertretbare Unrichtigkeit der Rechtsansicht (auch) des AMS ergab. Damit begegnet es im Einzelfall aber keinen Bedenken, dass die Vorinstanzen den Beginn der Verjährungsfrist spätestens mit diesem Zeitpunkt annahmen.

[12] 1.2.2. Mit ihrem Argument, die Verjährungsfrist habe erst mit Kenntnis von jener Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. 8. 2017 zu Ra 2017/11/0068 zu laufen begonnen, in der dieser von seiner bisherigen – der Auskunft des AMS zugrunde gelegten – Rechtsprechung abgegangen sei, verkennt die Klägerin, dass sie mit der Klageführung nicht solange zuwarten durfte, bis sie im Rechtsstreit mit Sicherheit zu gewinnen glaubte.

[13] 1.2.3. Die Entscheidung zu 1 Ob 70/07m steht der Beurteilung der Vorinstanzen nicht entgegen. Dort leitete eine Geschädigte Amtshaftungsansprüche aus einer ihrer Ansicht nach gesetzwidrigen Verordnung ab. Diese wurde vom Verfassungsgerichtshof aus formalen Gründen aufgehoben, weshalb die behauptete „inhaltliche“ Gesetzwidrigkeit, aus der Amtshaftungsansprüche abgeleitet wurden, nicht geprüft wurde. Der Fachsenat ging davon aus, dass die Amtshaftungsklägerin diese Frage daher selbst zu prüfen gehabt hätte. Dass der Verfassungsgerichtshof die inhaltliche Gesetzwidrigkeit der Verordnung später in einem – eine gleichlautende andere Verordnung betreffenden – Verfahren bejahte und sich die Klägerin erst dadurch zur Erhebung ihrer Amtshaftungsklage veranlasst sah, habe den Beginn der Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG nicht hinausgeschoben.

2. Zur behaupteten Staatshaftung:

[14] 2.1. Die Revisionsbehauptung, wonach auch der Verwaltungsgerichtshof, dessen vom AMS zugrunde gelegte Rechtsprechung bis zur „Judikaturwende“ dem Unionsrecht widersprochen habe, der Beklagten zuzurechnen sei, zielt auf eine Staatshaftung wegen höchstgerichtlicher Entscheidungen ab. Diese wäre jedoch vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen (1 Ob 215/16y mwN). Die Revision stützt sich aber auch darauf, dass Organe des AMS eine unionsrechtswidrige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs angewandt und aus diesem Grund gegen Unionsrecht verstoßen hätten. Da über ein unionsrechtswidriges Verhalten von Vollzugsorganen auch dann die ordentlichen Gerichte entscheiden, wenn dem ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorausging (1 Ob 215/16y mwN), müsste dies auch dann gelten, wenn das unionsrechtswidrige Verhalten eines solchen Organs auf unionsrechtswidrigen Entscheidungen eines Höchstgerichts beruhte. Aufgrund der vom Berufungsgericht vertretbar angenommenen Verjährung auch des behaupteten Staatshaftungsanspruchs ist darauf aber nicht weiter einzugehen.

[15] 2.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH obliegt es den Mitgliedstaaten, das Verfahren für jene Klagen auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (EuGH 24. 3. 2009, C‑445/06 , Danske Slagterier, Rz 31 mwN; vgl auch VfGH A30/04 zur Verjährung von Staatshaftungsansprüchen). Angemessene Ausschlussfristen für die Geltendmachung solcher Rechte sind mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar und nicht geeignet, deren Ausübung praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (etwa EuGH 17. 11. 1998, C‑228/96 , Aprile, Rn 19; 11. 7. 2002, C‑62/00 , Marks & Spencer, Rn 35). Eine dreijährige Verjährungsfrist für aus dem Unionsrecht resultierende Ansprüche wurde vom EuGH ebenso als angemessen angesehen (etwa 11. 7. 2002, C‑62/00 , Marks & Spencer, Rn 35), wie eine einjährige Verjährungsfrist für unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche (EuGH 10. 7. 1997, C‑261/95 , Palmisani, Rn 28).

[16] 2.3. Da Staatshaftungsansprüche am ehesten mit Amtshaftungsansprüchen vergleichbar sind, ist § 6 AHG auf diese analog anzuwenden (RS0119433; VfGH A30/04). Dass die in Abs 1 normierte dreijährige Verjährungsfrist mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz und der dazu ergangenen Judikatur des EuGH vereinbar ist, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats (1 Ob 51/15d; 1 Ob 82/23z ua). Dass die Frist zu laufen beginnt, sobald der Geschädigte Kenntnis vom anspruchsbegründenden Sachverhalt hat, begegnet keinen unionsrechtlichen Bedenken, erachtete es der EuGH in der Rechtsache Palmisani (aaO Rn 29) doch als maßgeblich, dass – worauf auch § 6 Abs 1 AHG abstellt – eine Verjährungsbestimmung dem Einzelnen dennoch ermöglicht, seine Rechte in vollem Umfang zu erkennen.

[17] 2.4. Davon ausgehend kann zur Verjährung des Staatshaftungsanspruchs auf die Ausführungen zur Verjährung des Amtshaftungsanspruchs verwiesen werden.

[18] 3. Da sich diese bereits dem Berufungsurteil zugrunde liegende Beurteilung schon aus den in der bisherigen Judikatur entwickelten Leitlinien ergibt, ist insoweit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen. Die Revision ist daher zurückzuweisen, ohne dass eine inhaltliche Beurteilung der im Revisionsverfahren strittigen Ansprüche erforderlich wäre.

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