OGH 7Ob41/24s

OGH7Ob41/24s17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* G*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. Oktober 2023, GZ 1 R 164/23y‑14, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 1. Juni 2023, GZ 9 C 668/22h‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00041.24S.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2001) zu Grunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruchs zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Rechtsschutz , ist er verpflichtet,

[...]

1.4 alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht oder die Kostenerstattung durch Dritte ganz oder teilweise verhindert; sowie alles zu unternehmen, was eine gänzliche oder teilweise Kostenerstattung durch Dritte ermöglicht.

1.5 bei der Geltendmachung oder Abwehr von zivilrechtlichen Ansprüchen außerdem

[...]

1.5.3 soweit seine Interessen nicht unbillig, insbesondere durch drohende Verjährung beeinträchtigt werden, vor der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen die Rechtskraft eines Strafverfahrens oder eines anderen Verfahrens abzuwarten, das tatsächliche oder rechtliche Bedeutung für den beabsichtigten Rechtsstreit haben kann, oder vorerst nur einen Teil des Anspruchs geltend zu machen und die Geltendmachung der verbleibenden Ansprüche bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Teilanspruch zurückzustellen.

[…]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

2.1 dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikels 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

[…]“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

[3] 1. Der Kläger erwarb während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel‑Pkw und suchte bei der Beklagten um Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Händlerin und die Herstellerin an. Nach Deckungszusage gegenüber der Händlerin führt der Kläger gegen diese bereits ein Verfahren.

[4] Aufgrund der Ablehnung der Deckung gegenüber der Herstellerin begehrt er hier die Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB, § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) sowie für eine Haftung für Spät‑ und Dauerfolgen gegen die Herstellerin, wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.

[5] 2.1. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs‑ oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann (insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand; RS0116448, RS0117144). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).  Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen hat, dass eine klare Gesetzeslage oder bereits gelöste Rechtsfragen sehr wohl die Annahme rechtfertigen können, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolge besteht (vgl 7 Ob 112/23f mwN).

[6] 2.2 Die Beklagte meint, dass gefestigte Rechtsprechung dahin bestehe, dass gegen die Herstellerin lediglich ein Ersatzanspruch in einer Bandbreite von 5 % bis 15 % und kein Feststellungsbegehren in Frage komme, weshalb (zumindest teilweise) keine Erfolgsaussichten bestünden.

[7] Ein weiteres Eingehen erübrigt sich hier schon deshalb, weil die Beklagte, die für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands Beweis zu führen hat (RS0107031 [T3]; 7 Ob 112/23f), im erstgerichtlichen Verfahren allenfalls fehlende Erfolgsaussichten nicht mit einer bereits gefestigten Judikatur begründete.

[8] 3. Die Leistungsfreiheit der Beklagten wegen einer Verletzung der Kostenschonungsobliegenheit (Art 8.1.4 ARB) und der Warteobliegenheit (Art 8.1.5.3 ARB) haben die Vorinstanzen – nicht korrekturbedürftig – verneint:

[9] 3.1 Die Ausführungen der Beklagten, vor dem Hintergrund, dass der Kläger bereits einen (gedeckten) Prozess gegen die Händlerin führe, erweise sich ein weiterer Prozess gegen die Herstellerin als „völlig unnötig“, können wohl nur dahin verstanden werden, dass durch die Führung getrennter Prozesse gegen mehrere Anspruchsgegner die Kostenschonungsobliegenheit verletzt werde. Hier übersieht die Beklagte aber, dass der Kläger ohnedies eine Geltendmachung der Ansprüche gegen Händlerin und Herstellerin in einem Prozess beabsichtigte. Dass dies unterblieb, folgt allein aus der – unberechtigten – Ablehnung der Deckung gegenüber der Herstellerin durch die Beklagten, womit diese schon keine Verletzung der Obliegenheit durch den Kläger darlegte. Es erübrigt sich daher auch auf die Frage von Art und Umfang der Prüfung einer Verletzung der Kostenschonungsobliegenheit im Deckungsprozess einzugehen.

[10] 3.2 Hinsichtlich der eingewandten Verletzung der Warteobliegenheit orientierten sich die Vorinstanzen mit ihren Ausführungen, wenn es – wie hier – um die Deckung der Kosten erst künftig zu führender gerichtlicher Verfahren gehe, sei auf eine Warteobliegenheit nicht schon im Rahmen des Deckungsprozesses, sondern erst dann Bedacht zu nehmen, wenn der Versicherungsnehmer tatsächlich Klage erhebe und dafür Kostendeckung vom Versicherer verlange, an der bereits bestehenden Judikatur (RS0127365 = 7 Ob 109/11x).

[11] Hier führt die Beklagte ausschließlich ins Treffen, dass der Kläger – ohne die Beendigung des Verfahrens gegen die Händlerin abzuwarten – bereits Klage gegen die Herstellerin erhoben habe. Eine entsprechende Behauptung wurde im erstgerichtlichen Verfahren nicht aufgestellt. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf Beilage./7 stützt, übergeht sie, dass diese von einem Zeitpunkt nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz datiert und erstmals mit der Berufung vorgelegt wurde; sie ist demnach unbeachtlich.

[12] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[13] 5.Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO; der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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