OGH 10ObS135/23k

OGH10ObS135/23k16.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*, Polen, vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Wienerbergstraße 15–19, 1100 Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2023, GZ 7 Rs 69/23 b‑114, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00135.23K.0416.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

1. Die Revision wird, soweit sie die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts betrifft, als absolut unzulässig zurückgewiesen.

2. Im Übrigen wird die außerordentliche Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld für ihren am 24. Jänner 2014 geborenen Sohn J* (Variante „12 + 2“ nach § 5c KBGG in der Fassung BGBl I 2009/116). Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang siehe 10 ObS 5/22s).

[2] Die Klägerin wohnte im klagsgegenständlichen Zeitraum zwar mit ihrem Sohn und dem Vater an der Adresse ul. C*. Der Vater und das Kind waren dort auch („zum ständigen Aufenthalt“) gemeldet. Die Klägerin war während dieser Zeit (konkret vom 21. November 2005 bis 12. März 2015) an einer anderen Adresse („zum ständigen Aufenthalt“) gemeldet. Erst nach dem Tod ihrer Schwiegermutter (der Eigentümerin der von der Klägerin und ihrer Familie bewohnten Liegenschaft) meldete sich auch die Klägerin an der Adresse ul. C* an.

[3] Nach dem Einwohnerevidenzgesetz der Republik Polen (künftig kurz: EEG) kann ein polnischer Staatsbürger seinen Daueraufenthalt bzw befristeten Aufenthalt entweder in Papier‑ oder elektronischer Form bei der für den Standort der Immobilie zuständigen Gemeindebehörde anmelden. Bei der Anmeldung ist unter anderem eine vom Eigentümer oder einem anderen Subjekt, das einen Rechtstitel an den Räumlichkeiten hat, ausgestellte Bestätigung des Aufenthalts in den Räumlichkeiten beizulegen (Art 28 Abs 1 und 2 EEG). Die Anmeldung erfolgt nur zu Evidenzzwecken und dient dazu, die Tatsache des Aufenthalts einer Person an dem Ort zu bestätigen, an dem sie gemeldet ist (Art 28 Abs 4 EEG). Lassen die angegeben Daten Zweifel aufkommen, entscheidet die Gemeindebehörde durch Verwaltungsentscheidung über die An- oder Abmeldung (Art 31 Abs 1 polnisches EEG).

[4] Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung in Polen ist für die Anmeldung an einer bestimmten Adresse keine Zustimmung des Liegenschaftseigentümers erforderlich. Die Behörde stellt im Zweifel fest, ob der Antragsteller in den Räumlichkeit, in denen er sich anmelden will, wohnt und dort sein Lebensinteresse konzentriert ist. Die Anmeldung durch eine Verwaltungsentscheidung ersetzt die Bestätigung des Aufenthalts nach Art 28 Abs 2 EEG.

[5] Die Vorinstanzen wiesen die auf Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld gerichtete Klage mangels der Voraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG in der Fassung BGBl I 2009/116 ab. Polen verfüge über ein mit dem österreichischen Melderecht vergleichbares System, das eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ auch gegen den Willen des Liegenschaftseigentümerszulasse. Der Einwand der Klägerin, aufgrund der Verweigerung der Zustimmung durch ihre Schwiegermutter sei ihr eine Meldung am Aufenthaltsort des Kindes rechtlich unmöglich gewesen, sei daher unberechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[6] In ihrer außerordentlichen Revision spricht die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO an.

[7] 1. Soweit die Klägerin die Entscheidung des Berufungsgerichts im Kostenpunkt bekämpft, übergeht sie, dass die zweitinstanzliche Kostenentscheidung ausnahmslos unanfechtbar ist (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO; RS0044233 [T36]; RS0053407 [T16]; RS0044228).

[8] 2. Die Klägerin meint, die Vorinstanzen seien zu Unrecht davon ausgegangen, dass Polen über ein Melderecht verfüge, das mit dem österreichischen vergleichbar sei. Selbst wenn man von der Vergleichbarkeit ausgehe, sei die von den Vorinstanzen angenommene Möglichkeit, die Bestätigung des Liegenschaftseigentümers durch eine Entscheidung der Gemeindebehörde zu ersetzen, nach der Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofs verfassungswidrig.

[9] 3. Soweit die Klägerin die Vergleichbarkeit der beiden Meldesysteme bezweifelt, übergeht sie, dass sie die vom Erstgericht bereits in seinem Urteil im ersten Rechtsgang vertretene Ansicht, wonach die (grundsätzliche) Vergleichbarkeit gegeben sei, in ihrer dagegen erhobenen Berufung nicht bekämpft hat. Diese Frage war im ersten Rechtsgang daher weder vom Berufungsgericht (RS0043338; RS0043352 [T26, T30]) noch vom Obersten Gerichtshof zu prüfen (10 Ob 49/23p Rz 26; vgl RS0043480 [insb T22]; RS0043573 [insb T31, T36] ua). Sie ist abschließend erledigt und kann im zweiten Rechtsgang nicht wieder aufgerollt werden (RS0042031; RS0007010 [T14]; RS0042014 [T3] ua).

[10] 4. Was die Möglichkeit einer „Ersatzvornahme“ vergleichbar mit § 8 Abs 1 MeldeG anlangt (vgl 10 ObS 5/22s Rz 14), ist der Oberste Gerichtshof nicht dazu berufen, für die Einheitlichkeit oder Rechtsfortbildung fremden Rechts Sorge zu tragen oder Leitlinien zum richtigen Verständnis dieses Rechts zu entwickeln (RS0042940 [T8]; RS0042948 [T20]; RS0080958 [T2]). Die Revision wäre daher nur dann zulässig, wenn das ausländische Recht unzutreffend ermittelt oder eine in seinem ursprünglichen Geltungsbereich in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre oder wenn grobe Subsumtionsfehler vorlägen, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssten (RS0042940 [T9]; RS0042948 [T23]; 3 Ob 19/24a Rz 1 ua).

[11] Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

[12] Im Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs vom 27. Mai 2002 wurde die Vorgängerbestimmung des Art 28 Abs 2 EEG als verfassungswidrig erachtet, weil darin die Vorlage eines Nachweises (in Form der Bestätigung durch den Liegenschaftseigentümer) der Berechtigung zum Aufenthalt in den Räumlichkeiten, in denen die Anmeldung erfolgen soll, vorgesehen war. Wenn der Rechtstitel zum Aufenthalt in den Räumlichkeiten zivilrechtlicher Natur war und der Eigentümer die Bestätigung verweigerte, konnte diese nur durch eine Entscheidung eines ordentlichen Gerichts ersetzt werden. Die Notwendigkeit, für eine „Ersatz“‑Bestätigung ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht führen zu müssen, obwohl die Einwohnerevidenz nur der Erfassung des faktischen und nicht des rechtlichen Zustands diene, erachtete der polnische Verfassungsgerichtshof als nicht verhältnismäßig, weil dieses Prozedere im Vergleich zur Besonderheit der Meldepflicht zu schwerfällig und übermäßig langwierig sei (Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs, K 20/01).

[13] Warum diese Bedenken entgegen der festgestellten Anwendungspraxis der polnischen Verwaltungsgerichte auch auf die (nunmehrigen) Art 28 ff EEG zutreffen sollen, obwohl nach diesen nur mehr der (faktische) Aufenthalt in den Räumlichkeiten bestätigt werden muss und die Weigerung des Liegenschaftseigentümers, die Bestätigung zu erteilen, durch die Gemeindebehörde ersetzt werden kann, klärt die Klägerin nicht auf.

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