European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00008.23V.0322.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.071,70 EUR (darin 511,95 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger war seit 1. 1. 1991 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und seit 1. 4. 2015 infolge Verschmelzung der Unternehmen bei der Beklagten als Pilot beschäftigt.
[2] Auf das Dienstverhältnis findet der Kollektivvertrag für das Bordpersonal 2015 (KV‑Bord) der Beklagten Anwendung, der folgende für das Verfahren relevante Regelungen enthält:
„ 39. Versetzung
Eine örtliche Versetzung, die den Zeitraum von 13 Wochen übersteigt, kann nur im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer durchgeführt werden und ist vertraglich zu regeln. (…)
65.9 (...) Umschulung bzw. Zuteilung zu einzelnen Flugzeugtypen auf Senioritätsränge des Verwendungsbereichs 'Mainline'
65.9.1 Sind Stellen in einem Senioritätsrang des Verwendungsbereiches 'Mainline' zu besetzen, so sind zunächst jene Stellen auszuschreiben, die innerhalb dieses Senioritätsranges durch Umschulungen besetzt werden sollen. Die Besetzung erfolgt aus dem Kreis der Bewerber nach aufsteigender Reihenfolge der Senioritätsnummern aus der Senioritätsliste 'M'. (...)
68. Objektiv betriebsbedingte Kündigung und Wiedereinstellung
68.1 Objektiv betriebsbedingte Kündigungen erfolgen – unter Würdigung sozialer Umstände – in aufsteigender Reihenfolge der Kündigungsnummern unabhängig von Senioritätsrang und Flugzeugtype. (…)
68.2 Kündigungsreihenfolge bzw. Kündigungsnummer
Die Kündigungsnummer ergibt sich aus der fortlaufenden Reihung aller Piloten in der absteigenden Reihenfolge ihrer Senioritätsdaten (jüngstes Senioritätsdatum zuerst). (...)
69. (Teil-)Betriebsübergang, (Teil-)Betriebsstilllegung (…)
69.2 Auch bei Teil-Betriebsstilllegungen ist bei einem erforderlichen Personalabbau Punkt 68. anzuwenden.“
[3] Der Kläger besitzt einen Einzelvertrag mit der Zusicherung des Dienstortes Innsbruck und der Funktion eines Kapitäns. Er befand sich zuletzt im „Senioritätsrang R3“ und war auf der Homebase in Innsbruck auf einem Turbopropflugzeug Dash 8 eingesetzt.
[4] Die Beklagte schloss bis Oktober 2020 aus betrieblichen Gründen und wirtschaftlichen Erwägungen ihre Bundesländerbasen. Im Jänner 2019 informierte der Vorstand der Beklagten alle Mitarbeiter, dass die damals 18 Dash 8‑Flugzeuge ausgeflottet würden. Die Dash 8‑Kapitäne wurden von der Beklagten in der Folge mehrmals aufgefordert, sich auf die ausgeschriebenen M3‑Positionen (Kapitän A320 bzw E195) zu bewerben. Dabei stellte die Beklagte klar, dass bei allen neu ausgeschriebenen Stellen der Dienstort in Wien liegt und Bewerbungen nur dann angenommen werden, wenn dieser Dienstort akzeptiert wird. Die Ausflottung der Dash 8 war mit 31. 5. 2021 beendet.
[5] Die Beklagte setzte den Kläger seit 1. 6. 2021 nicht mehr ein und stellte ihn außer Dienst, da es keine seinem Typerating entsprechenden Flugzeuge mehr gab.
[6] Der Kläger hat bis 31. 5. 2021 bei Bewerbungen ausdrücklich als Bedingung den Beibehalt der Homebase Innsbruck angegeben; danach verwendete er die Formulierung „unter Einhaltung aller Verträge“. Ab November 2021 wurde seine Bewerbung uneingeschränkt abgegeben.
[7] Mit Schreiben vom 14. 9. 2021 wurde der Kläger von der Beklagten zum 31. 3. 2022 gekündigt. Er begehrt die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis zur Beklagten aufrecht fortbestehe. Die Kündigung sei rechtsunwirksam, weil die Beklagte die im Kollektivvertrag vorgesehene Reihung bei der Vornahme betriebsbedingter Kündigungen nach Senioritätsdaten (jüngstes Datum zuerst) nicht eingehalten habe. Da im Unternehmen zahlreiche gegenüber dem Kläger senioritätsjüngere Piloten beschäftigt seien und die Kündigung mit wirtschaftlicher Notwendigkeit begründet worden sei, erweise sie sich als nichtig. Das im Kollektivvertrag vereinbarte Verfahren zur Bestimmung des zu kündigenden Dienstnehmers bewirke eine Selbstbindung der Beklagten und schränke deren freies Kündigungsrecht in zulässiger Weise ein. Die Beklagte habe den Dash 8‑Piloten nur angeboten, sich freiwillig auf M1‑Positionen degradieren zu lassen. Umschulungen auf M3‑Positionen seien lediglich den senioritätsjüngeren A320‑Piloten angeboten worden. Diese Ausschreibungspraxis sei kollektivvertragswidrig. Es könne dem Kläger nicht zum Vorwurf gemacht werden, sich auf solche Ausschreibungen nicht beworben zu haben.
[8] Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, der Kläger habe sich entgegen den Ausschreibungen auf M3‑Positionen nur unter Vorbehalt seiner Homebase Innsbruck beworben, selbst nachdem er 2020 darauf hingewiesen worden sei, dass es sich um die voraussichtlich letzte Ausschreibung auf M3 handeln würde und im Übrigen mit Personalabbau zu rechnen wäre. Da der Kläger die Umschulungsangebote nicht wirksam angenommen habe, sei er für die Beklagte nach der Ausflottung der Dash 8 nicht mehr einsetzbar. Die Kündigung sei nicht objektiv betriebsbedingt erfolgt, sondern durch das subjektive Verhalten des Klägers, der die Umschulungschancen abgelehnt habe. Die Kündigungsbeschränkung nach Senioritätsrang sei nicht anzuwenden, ein allfälliges Zuwiderhandeln begründe auch keine Unwirksamkeit der Kündigung. Im Übrigen stelle sich die Frage einer Reihung der zu Kündigenden auch deswegen nicht, weil die Regelung des Punkt 68.1. des KV nur innerhalb des selben Verwendungsbereichs anzuwenden sei. Im Anlassfall seien aber alle letzten Dash 8‑Piloten des Verwendungsbereichs „Regional“ gekündigt worden.
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe sich mehrfachen Angeboten der Beklagten, ihn so umzuschulen, dass seine weitere Verwendung im Betrieb möglich gewesen wäre, widersetzt. Letztlich sei die Kündigung daher nicht betriebsbedingt, sondern in seinen persönlichen Verhältnissen begründet, und als zulässige Änderungskündigung zu qualifizieren.
[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zum Vorliegen einer betriebsbedingten Kündigung im Sinn von Punkt 68. KV‑Bord noch nicht Stellung genommen habe.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig, weil die als erheblich angesprochene Rechtsfrage in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits geklärt ist.
[12] In der Entscheidung 8 ObA 92/22w hat der erkennende Senat über einen völlig gleich gelagerten Sachverhalt ausgeführt:
„[...] 4. Da die Kündigung des Klägers darauf zurückzuführen ist, dass sich die Beklagte aus betriebswirtschaftlichen Gründen zur Schließung der Standorte in den Bundesländern und zur Ausflottung der Flugzeuge des Typs Dash 8 entschlossen hat, handelt es sich [...] um eine objektiv betriebsbedingte Kündigung im Sinne des Verständnisses des § 105 Abs 2 ArbVG in der Folge einer (Teil‑)Betriebsstilllegung. Eine andere Frage ist aber die Auslegung des Begriffs der 'betriebsbedingten Kündigung' im Sinne des KV-Bord und in welcher Form bei der Schließung eines Standorts für den erforderlichen Personalabbau nach Punkt 69.2 KV‑Bord das Senioritätsprinzip gilt.
5. Die Rechtsansicht des Klägers, dass er erst nach allen anderen für die Beklagte tätigen dienstjüngeren Piloten gekündigt werden dürfe, würde dazu führen, dass er faktisch nicht gekündigt werden könnte. Der Oberste Gerichtshof hat im Übrigen bereits zu 9 ObA 52/95 zu einem Senioritätsprinzip in einer früheren Regelung darauf hingewiesen, dass sich der Schutz des Senioritätsprinzips nur auf den Fall einer Kündigung wegen Pilotenüberschusses bezieht, im Übrigen aber ein freies Kündigungsrecht des Dienstgebers besteht.
6. Angesichts der Schließung des Standorts [...] würde es auch keinen Sinn machen, wenn die Beklagte anstelle des Klägers dienstjüngere Piloten am Standort in Wien kündigen würde, obwohl dort gar kein Pilotenüberschuss besteht und diese Piloten zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs benötigt werden, der Kläger aber gar nicht bereit ist, von dort aus zu arbeiten. Nach dem Wortlaut des Punkt 69.2 KV-Bord gilt das Senioritätsprinzip im Fall einer (Teil-)Betriebsstilllegung für den 'erforderlichen' Personalabbau. Beim Kläger wäre eine Kündigung aber gar nicht 'erforderlich' gewesen, vielmehr wurden ihm verschiedenste Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Da der Kläger sich der von der Beklagten angeordneten Verlegung des Dienstorts nach Wien widersetzt hat und die Versetzung ohne seine Zustimmung auch nicht möglich war, kann er sich nicht auf seine Seniorität gegenüber Piloten berufen, die in Wien beschäftigt und vom erforderlichen Personalabbau gar nicht betroffen sind.
7. Eine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger unter Bei[be]haltung des bisherigen Dienstorts auf einen anderen Flugzeugtyp umzuschulen, lässt sich dem Kollektivvertrag nicht entnehmen. Nach Punkt 65.9 Bord‑KV sind die durch Umschulung zu besetzenden Stellen vielmehr auszuschreiben und aus dem Kreis der Bewerber nach dem Senioritätsprinzip zu besetzen. Die Beklagte hat dem Kläger auch tatsächlich die Möglichkeit eingeräumt, eine solche Stelle zu erlangen, was dieser aber aufgrund der damit verbundenen Verlegung seines Dienstorts abgelehnt hat. Die den Ausschreibungsbedingungen widersprechende Bewerbung des Klägers musste die Beklagte nicht berücksichtigen. Ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten ist darin nicht erkennbar.“
[13] Soweit sich die Revision darauf beruft, der Kläger hätte aufgrund seiner Seniorität jedenfalls Anspruch auf Berücksichtigung bei der Ausschreibung von Umschulungen für Kapitänsstellen auf der A320 oder E195 gehabt und habe dafür bei der Beklagten im Kündigungszeitpunkt auch ein Bedarf bestanden, übergeht sie die nicht mehr anfechtbare Feststellung, dass der Kläger sich jeweils bei seinen Bewerbungen der Verlegung seines Dienstorts widersetzt bzw sich auf die letzte Ausschreibung vor der Kündigung gar nicht mehr beworben hatte.
[14] Wenn die Revision geltend macht, dass die Kündigung des Klägers gerade wegen seines Bestehens auf Einhaltung seiner dienstvertraglichen Rechte ausgesprochen wurde, macht sie den Anfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geltend, über den im vorliegenden Feststellungsverfahren aber nicht zu befinden ist. Eine Berufung auf § 879 ABGB ist dem Arbeitnehmer bei den unter § 105 Abs 3 Z 1 und 2 ArbVG fallenden (materiellen) Anfechtungssachverhalten grundsätzlich verwehrt (RS0018163). Die Beurteilung unter diesem Gesichtspunkt ist dem anhängigen Parallelverfahren über die Kündigungsanfechtung vorbehalten (vgl 8 ObA 92/22w).
[15] Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.
[16] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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