OGH 2Ob24/24d

OGH2Ob24/24d21.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2020 verstorbenen D*, zuletzt *, wegen Bestellung eines Verlassenschaftskurators, über die Revisionsrekurse der Witwe S*, vertreten durch Mag. Alexander Vajda, Rechtsanwalt in Wien, und des Sohnes R*, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. November 2023, GZ 44 R 421/23x‑111, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 9. August 2023, GZ 25 A 31/20s‑91, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00024.24D.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

 

Begründung:

[1] Der 2020 verstorbene Erblasser hinterlässt einen Sohn, eine Tochter und seine Ehefrau.

[2] Die Witwe gab 2021 gestützt auf ein Testament aus dem Jahr 2003 eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab.

[3] Der Sohn gab 2022 zunächst eine bedingte Erbantrittserklärung als Nacherbe zum gesamten Nachlass auf den Überrest und 2023 gestützt auf das Testament aus dem Jahr 2003 und eine weitere letztwillige Verfügung aus dem Jahr 2008 eine bedingte Erbantrittserklärung (als Erbe) zur Hälfte des Nachlasses ab. In der Tagsatzung vor dem Gerichtskommissär am 11. 7. 2023 schränkte er seine Erbantrittserklärung als Nacherbe zum halben Nachlass ein, behielt sich aber die Ausdehnung auf den gesamten Nachlass für den Fall des Unterliegens im „Erbrechtsstreit“ vor. Am selben Tag schlossen der Sohn und die Witwe (als Vertreter des Nachlasses) mit der Tochter ein Pflichtteilsübereinkommen unter der Bedingung der abhandlungs- und pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung.

[4] Über Antrag der Tochter bestellte das Erstgericht anschließend einen Verlassenschaftskurator, weil einander widersprechende Erbantrittserklärungen vorlägen, keine ordnungsgemäße Vertretung der Verlassenschaft bestehe und eine solche im Hinblick auf den Abschluss des Pflichtteilsübereinkommens bzw eine allenfalls mögliche Pflichtteilsklage notwendig sei.

[5] Das Rekursgericht teilte im Wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichts und gab einem Rekurs des Sohnes und der Witwe nicht Folge. Aufgrund der widersprechenden Erbantrittserklärungen sei ein Verfahren über das Erbrecht einzuleiten. Das Erbrecht des Sohnes und der Witwe sei nicht hinreichend ausgewiesen. Ihnen könne daher nicht die Vertretung überlassen bleiben. Dass in einem Teilbereich Einigkeit über die Vertretung bestehe, mache im Hinblick auf den Zweck des § 173 Abs 1 AußStrG, rasch Klarheit über die Vertretung des Nachlasses zu schaffen, die Kuratorbestellung nicht entbehrlich. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage zu, ob bei anhängigem Verfahren über das Erbrecht die Bestellung eines Verlassenschaftskurators auch bei Einigkeit der Erbansprecher über die zu besorgende Vertretungsangelegenheit (hier: Abschluss eines Pflichtteilsübereinkommens) geboten sei.

[6] Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionsrekurse des Sohnes und der Witwe mit dem Abänderungsantrag, den Antrag auf Bestellung eines Verlassenschaftskurators abzuweisen oder den Bestellungsbeschluss ersatzlos zu beheben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Der Verlassenschaftskurator beantragt, die Revisionsrekurse zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revisionsrekurse sind aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] Die Revisionsrekurswerber argumentieren, das Pflichtteilsübereinkommen sei ohnehin von allen als Erbe in Betracht kommenden Personen im Einvernehmen abgeschlossen und es sei auch der Antrag gestellt worden, dieses zu genehmigen. Es bedürfe daher keiner Vertretung des Nachlasses durch einen Kurator, dessen Bestellung aufgrund der auflaufenden Kosten den Nachlassinteressen zuwiderlaufe. Überdies lägen – nach Ansicht der Witwe – keine widerstreitenden Erbantrittserklärungen vor, weil die ursprüngliche Erbantrittserklärung des Sohnes nicht mit jener der Witwe in Widerspruch stehe und er diese nicht durch eine spätere widerrufen habe können.

Dazu hat der Fachsenat erwogen:

[10] 1. Gemäß § 810 Abs 1 ABGB idF FamErbRÄG 2004 kommt dem erbantrittserklärten Erben, der sein Erbrecht hinreichend ausgewiesen hat, das Recht auf die Benützung, Verwaltung und Vertretung der Verlassenschaft ex lege zu, solange das Verlassenschaftsgericht nichts anderes anordnet. Mehrere – hinreichend ausgewiesene – Erben üben das Recht gemeinsam aus, soweit sie nichts anderes vereinbaren (2 Ob 27/17k Pkt 1.). Nachträgliche Änderungen – wozu auch das Neuhinzukommen weiterer Erbansprecher zählt – können damit grundsätzlich auch zu einer Änderung der Vertretungsverhältnisse der Verlassenschaft führen. Es obliegt dann gemäß § 810 Abs 1 Satz 1 HS 2 ABGB dem Verlassenschaftsgericht erforderlichenfalls anderes anzuordnen. Demgemäß sieht die Ausführungsbestimmung des § 173 Abs 1 AußStrG nicht nur bei Uneinigkeit über Vertretungshandlungen (erster Fall), sondern auch bei einzuleitendem Verfahren über das Erbrecht (zweiter Fall), also den Fall der Uneinigkeit über das Erbrecht, vor, dass „erforderlichenfalls“ mit der Bestellung eines Verlassenschaftskurators vorzugehen ist (2 Ob 243/07k = RS0123138).

[11] 2. Hier liegen aufgrund der (nachträglichen, später auch wieder geänderten) auf das Testament aus dem Jahr 2003 und eine weitere letztwillige Verfügung aus dem Jahr 2008 gestützten Erbantrittserklärung des Sohnes zur Hälfte des Nachlasses und jener der Witwe gestützt auf das Testament aus dem Jahr 2003 zum gesamten Nachlass einander widerstreitende Erbantrittserklärungen vor. Soweit die Witwe argumentiert, der Sohn habe seine zuerst abgegebene Erbantrittserklärung (Nacherbe auf den Überrest), die mit jener der Witwe nicht in Widerspruch stehe, nicht mehr widerrufen können, sodass die spätere – letztlich erneut abgeänderte – Erbantrittserklärung (als Erbe) zur Hälfte des Nachlasses unbeachtlich sei, ist Folgendes zu entgegnen:

[12] Die Erklärung, eine Erbschaft auszuschlagen, kann ebenso wenig wie eine Erbantrittserklärung (§ 806 ABGB) widerrufen werden (RS0013043; Welser, Erbrechts-Kommentar § 806 ABGB Rz 1). Nach der Rechtsprechung ist aber auch eine trotz zuvor erfolgter Erbsausschlagung abgegebene Erbantrittserklärung grundsätzlich nicht zurückzuweisen, sondern es ist – bei Vorliegen einander widerstreitender Erbantrittserklärungen – das Verfahren über das Erbrecht einzuleiten (6 Ob 3/09y Pkt 5.6.). Diese Überlegungen sind auch auf den hier vorliegenden Fall übertragbar, bei dem eine zunächst mit der Erbantrittserklärung der Witwe vereinbarte, in eine mit dieser in Widerspruch stehende Erbantrittserklärung „geändert“ wurde. Über die Wirksamkeit des Widerrufs bzw der Änderung der Erbantrittserklärungen des Sohnes ist im Verfahren über das Erbrecht zu entscheiden, sodass die Voraussetzungen des § 173 Abs 1 zweiter Fall AußStrG vorliegen.

[13] 3. Die (partielle) Einigkeit der potentiellen Erbansprecher bedeutet auch nicht, dass die Bestellung eines Verlassenschaftskurators nicht erforderlich wäre. Vielmehr betonen schon die Gesetzesmaterialien, dass insoweit eine klare und einfache, wenngleich auch recht strikte Regelung vorgesehen werden sollte, weil hier Einfachheit vor Billigkeit im Einzelfall treten soll, gehe es doch um eine möglichst klare, Streitigkeiten hintanhaltende Abgrenzung auch im wesentlichen Interesse des Verkehrsschutzes (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP  110). Immer dann, wenn Vertretungshandlungen im Zusammenhang mit einem Nachlass anstehen, sind daher schon aus Gründen der Rechtssicherheit klare Vertretungsverhältnisse zu schaffen (RS0123140). § 173 Abs 1 AußStrG stellt gerade im Fall der Uneinigkeit der Beteiligten über das Erbrecht (zweiter Fall), bei dem von einem nicht hinreichenden Erbrechtsausweis auszugehen ist (vgl schon 3 Ob 198/50; Welser in Rummel / Lukas , ABGB 4 § 810 Rz 26; Spitzer, Benützung, Verwaltung und Vertretung des Nachlasses, NZ 2006, 33 Pkt D.1.; Verweijen in Schneider/Verweijen , AußStrG § 173 Rz 6), nicht darauf ab, ob auch in Bezug auf anstehende Vertretungsmaßnahmen Uneinigkeit besteht. Im Interesse einer – von den Gesetzesmaterialien betonten – einfachen, klaren und auch dem Verkehrsschutz dienenden Regelung ist daher auch dann die Kuratorbestellung erforderlich, wenn sich die Erbansprecher bei einzuleitendem Verfahren über das Erbrecht in Bezug auf eine anstehende Vertretungshandlung einig sind.

[14] 4. Das Entstehen von Kuratorkosten stellt kein Beurteilungskriterium dar.

[15] 5. Ein Kostenersatz findet gemäß § 185 AußStrG nicht statt.

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