OGH 10ObS59/23h

OGH10ObS59/23h12.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Athanasia Toursougas‑Reif, Rechtsanwältin in Pöls‑Oberkurzheim, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. April 2023, GZ 6 Rs 58/22 d‑60, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00059.23H.0312.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Im vorliegenden dritten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang vgl die Entscheidung 10 ObS 119/20b des Obersten Gerichtshofs) wiesen die Vorinstanzen die auf Gewährung einer Invaliditätspension ab 1. 2. 2019 gerichtete Klage neuerlich ab, weil der Berufsschutz als Kfz‑Mechaniker genießende Kläger trotz seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls auf die Tätigkeiten als Kfz‑Kundendienstbetreuer und als qualifizierter Qualitätskontrollor/Fertigungsprüfer verweisbar sei, wofür eine innerbetriebliche Anlernzeit von maximal sechs Monaten ausreiche.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.

[3] 1. Für die Prüfung der Erhaltung des Berufsschutzes durch Verweisung ist die genaue Feststellung der im Verweisungsberuf auszuübenden Tätigkeiten erforderlich (RS0112425), der dafür verwertbare Teil der Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten des erlernten (angelernten) Berufs sowie der zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und der Umstände, unter denen sie erworben werden können (10 ObS 119/20b [Rz 27] mwN).

[4] Nachschulungszeiten, die das Ausmaß von sechs Monaten übersteigen, sind nach der Rechtsprechung im Allgemeinen nicht mehr als zumutbar anzusehen (RS0050900 [T22]; RS0050891 [T22]). Die Rechtsfrage der Zumutbarkeit einer notwendigen Nachschulung ist im jeweiligen Einzelfall unter Zugrundelegung der konkreten Situation des betroffenen Versicherten (persönliche, geistige, und psychische Eignung sowie bisherige Berufslaufbahn) individuell zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (10 ObS 77/23f [Rz 8]; vgl RS0130076).

[5] 2. Im Zusammenhang mit der erforderlichen Nachschulungszeit und der Verweisbarkeit des Klägers zeigt die Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[6] 2.1. Die außerordentliche Revision rügt eine nur oberflächliche Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit den in der Berufung beanstandeten Ausführungen des Sachverständigen für Berufskunde, die der Feststellung der Dauer der erforderlichen Nachschulung zugrunde liegen, weil die geänderten Ausbildungsinhalte des vom Kläger absolvierten Lehrberufs des Kfz‑Mechanikers und des seit 2001 bestehenden Lehrberufs des Kfz‑Technikers nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.

[7] Zwar liegt ein Mangel des Berufungsverfahrens vor, wenn das Berufungsgericht sich mit einer Verfahrens- und Beweisrüge des Berufungswerbers nicht oder nur unvollständig befasst hat (RS0043086 [T13]; RS0043144 [T7]), dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat vielmehr bei der Behandlung der Beweisrüge ausführlich auf die Gesamtheit der Feststellungen – zur Weiterentwicklung des Berufsbilds und der Ausbildungsinhalte sowie zu den vom Kläger erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten – Bezug genommen und auf dieser Grundlage die Feststellung zu der für den Kläger maßgeblichen Nachschulungsdauer übernommen. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, die eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung begründen könnte, wird in diesem Zusammenhang daher nicht aufgezeigt.

[8] 2.2. Entgegen dem Vorbringen der außerordentlichen Revision liegen auch keine sekundären Feststellungsmängel im Hinblick auf die für die Ausübung des Berufs des qualifizierten Fertigungsprüfers/Qualitätskontrollors verwertbaren Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers vor.

[9] Soweit das Erstgericht dazu auf die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Kfz‑Technikers – und nicht eines Kfz‑Mechanikers – Bezug nahm, ergeben sich die vom Kläger als gelerntem Kfz-Mechaniker verwertbaren Kenntnisse und Fähigkeiten hinreichend aus der Zusammenschau der Feststellungen zu den konkreten Lehrinhalten und deren Veränderung mit den Anforderungen des Verweisungsberufs. Es liegt auf der Hand, dass der Kläger jene Fähigkeiten, von denen feststeht, dass er sie nicht erworben hat, auch nicht in einem Verweisungsberuf verwerten kann; das ändert aber nichts an der Verwertbarkeit seiner als Kfz‑Mechaniker tatsächlich erworbenen, unverändert erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten.

[10] 2.4. Soweit in der außerordentlichen Revision gerügt wird, für den Verweisungsberuf des qualifizierten Fertigungsprüfers/Qualitätskontrollors fehle die Feststellung der relevanten Industriesparte, hat bereits das Berufungsgericht in den Feststellungen zum Einsatz in der metallver‑ und ‑bearbeitenden Industrie, der Automobilzulieferindustrie und der Kfz-Ersatzteilproduktion eine ausreichende Brancheneinschränkung erkannt. Mit diesen Argumenten setzt sich die außerordentliche Revision nicht auseinander, sodass keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt wird.

[11] 2.5. Das Berufungsgericht hat sich mit der in der Berufung erhobenen Verfahrensrüge, mit der der Kläger das Unterbleiben einer neuerlichen Untersuchung durch den Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie beanstandete, auseinandergesetzt und einen Verfahrensmangel mit der wesentlichen Begründung verneint, dass der Sachverständige eine solche nach mehreren Gutachtensergänzungen und -erörterungen nicht für erforderlich erachtet und der Kläger sein Vorbringen dennoch nicht weiter konkretisiert habe. Da sich das Berufungsgericht mit dem gerügten Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens auseinandergesetzt hat, liegt ein Mangel des Berufungsverfahrens nicht vor (vgl RS0043144).

[12] 2.6. In diesem Zusammenhang liegt auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor, steht doch fest, dass es (nur) bei Eindosierung der vom Kläger eingenommenen Medikamente zu einer Reaktionsverminderung kommen kann, der Kläger die Medikamente allerdings bereits jahrelang einnimmt und Konzentrations- oder Aktionsverspätungen auch nicht objektivierbar waren.

[13] Soweit gerügt wird, die Feststellung zur mangelnden Fahrtüchtigkeit bei der Einnahme eines bestimmten Medikaments in „hohen Dosen“ bleibe unklar, wird damit schon deshalb keine für die Lösung des vorliegenden Falls relevante Rechtsfrage aufgezeigt, weil für den zweiten von den Vorinstanzen angenommenen Verweisungsberuf des qualifizierten Fertigungsprüfers/Qualitätskontrollors das Lenken von Kraftfahrzeugen nicht erforderlich ist.

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