OGH 6Ob236/23h

OGH6Ob236/23h21.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. B*, vertreten durch Hon.‑Prof. Dr. Clemens Thiele, Rechtsanwalt in Salzburg gegen die beklagten Parteien 1. K* V* GmbH & Co KG, *, 2. K* M* GmbH & Co KG, FN *, beide *, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung/Löschung und Schadenersatz, über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. November 2023, GZ 1 R 173/23a‑18, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 9. Oktober 2023, GZ 9 Cg 127/22k‑14, abgeändert wurde in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00236.23H.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Datenschutzrecht, Persönlichkeitsschutzrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs im Verfahren gegen die erstbeklagte Partei wird Folge gegeben.

Dem Revisionsrekurs im Verfahren gegen die zweitbeklagte Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten:

„1. Das Landesgericht Salzburg ist zur Verhandlung und Entscheidung im Verfahren gegen die erstbeklagte Partei örtlich unzuständig.

Die Klage gegen die erstbeklagte Partei wird zurückgewiesen.

2. Die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit wird im Verfahren gegen die zweitbeklagte Partei verworfen.“

3. Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagten sind Medieninhaberinnen (die Erstbeklagte der Printausgabe, die Zweitbeklagte des Onlineportals einer Zeitung). Sie haben ihren Sitz nicht im Sprengel des Erstgerichts.

[2] Der Kläger, der unstrittig im Sprengel des Erstgerichts wohnt und arbeitet, begehrt aufgrund von Veröffentlichungen der Beklagten in ihren Zeitungen am 2. 11. 2022 in der im Sprengel des angerufenen Gerichts erschienenen (Bundesland-)Ausgabe von den Beklagten die Beseitigung und Löschung von Bildnis und Begleittext, die Setzung aller angemessenen Maßnahmen, um andere Verantwortliche (so etwa Suchmaschinenbetreiber) darüber zu informieren, dem Kläger davon und über die Löschung Mitteilung zu machen, es zu unterlassen, Abbildungen von ihm ohne seine Einwilligung zu veröffentlichen, wenn durch eine Fotomontage und/oder durch den Begleittext Behauptungen, wie sie darin enthalten sind, aufgestellt werden sowie Schadenersatz in Höhe von 10.000 EUR zu leisten. Diese Ansprüche gründete der Kläger auf §§ 81 ff UrhG, §§ 16, 20, 43, 1330 ABGB sowie §§ 1, 2 DSG iVm Art 17, 82 DSGVO.

[3] Gegenstand des Revisionsrekursvefahrens ist die Frage der örtlichen Zuständigkeit, die der Kläger wegen der Erstveröffentlichung im Sprengel des Erstgerichts, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt und den beanstandeten Inhalt auch abgerufen habe, auf § 92b JN und § 29 Abs 2 DSG stützte.

[4] Die Beklagten wendeten örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Eine Zuständigkeit in einem Druckwerk nach § 92b JN scheide von vornherein aus. Der ausschließliche Gerichtsstand nach § 83c JN verdränge den Wahlgerichtsstand nach § 29 Abs 2 DSG. Überdies sei diese Norm aufgrund des Medienprivilegs (§ 9 Abs 1 DSG) nicht anwendbar.

[5] Das Erstgericht sprach seine örtliche Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück, weil der ausschließliche Gerichtsstand nach § 83c JN die Wahlgerichtsstände nach § 92b JN und § 29 Abs 2 DSG verdränge.

[6] Das Rekursgericht verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. § 29 Abs 2 DSG sei eine besondere Zuständigkeitsnorm. Sie verdränge den Zuständigkeitstatbestand des § 83c JN, weil sie Unionsrecht konkretisiere. Der Kläger könne danach das Landesgericht anrufen, in dessen Sprengel er seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz habe. Ob zusätzlich noch der Zuständigkeitstatbestand des § 92b JN gegeben sei, sei nicht mehr relevant.

[7] Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob § 29 Abs 2 DSG bei einer „datenschutzrechtlichen Schadenersatzklage“ § 83c Abs 1 JN vorgeht, fehle.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig und im Verfahren gegen die erstbeklagte Partei berechtigt. Im Verfahren gegen die zweitbeklagte Partei ist der Revisionsrekurs jedoch nicht berechtigt.

[9] 1. Die Beklagten wiederholen im Revisionsrekurs ihre Auffassung, es sei wegen des Medienprivilegs § 29 Abs 2 DSG gar nicht anwendbar. Mit der Entscheidung des Rekursgerichts werde der Gerichtsstand nach § 83c JN seines Charakters als ausschließlicher Gerichtsstand beraubt, wenn ein Kläger einen Teil seiner primär auf andere Bestimmungen gestützten Ansprüche zusätzlich auf Datenschutz stütze. Der Kläger habe seinen Unterlassungsanspruch auch gar nicht auf einen Verstoß gegen das Recht auf Datenschutz gestützt.

[10] Der Kläger bestreitet dies und hält dagegen, dass § 83c Abs 1 JN Gerichtsständen nach anderen gesetzlichen Vorschriften den Vorrang einräume.

[11] Auf seine Behauptung des Bestehens einer Niederlassung (wie in der Klage vorgetragen) kommt er in der Revisionsrekursbeantwortung nicht zurück. Derartiges trägt auch der festgestellte Sachverhalt nicht. Darauf und auf die gegen das Neuerungsverbot verstoßende Behauptung, die Erstbeklagte sei durch Zurverfügungstellung ihrer Printinhalte für den Onlineauftritt der Zweitbeklagten verantwortlich (womit sie offenbar auf eine Stellung der Erstbeklagten als Verantwortliche nach Art 4 Z 7 DSGVO auch für die Online‑Ausgabe abzielt), ist nicht einzugehen.

[12] 2. Es trifft nicht zu, dass der Kläger seinen Unterlassungsanspruch „dezidiert nur auf §§ 78, 81 UrhG, §§ 16 ff, 43 und 1330 ABGB“ zurückgeführt hätte. Vielmehr hat er sämtliche seiner Begehren und insbesondere auch seinen Unterlassungsanspruch (auch) „auf das immer anwendbare, mit unmittelbarer Drittwirkung ausgestattete Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 DSG“ gestützt. Dazu hat er dargelegt, dass zur Verarbeitung im Sinne der DSGVO auch die Speicherung, Verwendung, Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder andere Form der Bereitstellung zählen.

[13] Entgegen der Ansicht der Beklagten bedarf es keiner Bewertung, weil ein Bewertungsausspruch bei einer Verletzung im Grundrecht auf Datenschutz nicht vorzunehmen ist (vgl RS0042418 [T17]).

3. Zu den in Betracht kommenden Gerichtsständen:

3.1. § 83c JN

[14] Nach § 83c Abs 1 JN ist (seit 1. 1. 1993; BGBl 1992/756 – ZVN 1993), wenn „in dem im § 51 Abs. 1 Z 8b und Abs. 2 Z 9 und 10 angeführten Streitigkeiten Personen geklagt [sind], deren Unternehmen sich im Inland befindet oder die mit Rücksicht auf ihre Tätigkeit bei einem im Inland befindlichen Unternehmen in Anspruch genommen werden, [...] hiefür – soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften bestehen – ausschließlich das Gericht zuständig, in dessen Sprengel dieses Unternehmen liegt, ...“

[15] Streitigkeiten nach § 51 Abs 1 Z 8b und Abs 2 Z 9 und 10 JN (welche Bestimmung die sachliche Zuständigkeit regelt) umfassen Streitigkeiten nach § 1330 ABGB wegen einer Veröffentlichung in einem Medium (§ 1 Abs 1 Z 1 MedienG; Z 8b leg cit), Streitigkeiten aus den Rechtsverhältnissen, die sich auf den Schutz und den Gebrauch von Erfindungen, Mustern, Modellen und Marken beziehen, insoweit hiefür nicht andere gesetzliche Vorschriften bestehen (Z 9 leg cit), und Streitigkeiten wegen unlauteren Wettbewerbs – sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt –, nach dem Urheberrechtsgesetz, nach den §§ 28 bis 30 des Konsumentenschutzgesetzes und nach Artikel V des Zinsenrechts‑Änderungsgesetzes, BGBl I 2002/118 (Z 10 leg cit).

[16] Unter die zuletzt genannte Bestimmung der Z 10 leg cit fallen damit auch auf einer Verletzung des Bildnisschutzes nach § 78 UrhG beruhende Unterlassungsansprüche nach § 81 UrhG, Beseitigungsansprüche nach § 82 UrhG und Ansprüche auf Schadenersatz gemäß § 87 UrhG (Simotta in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 51 JN Rz 147).

[17] § 83c JN normiert einen ausschließlichen Gerichtsstand, aber keinen Zwangsgerichtsstand (Mayr in Rechberger/Klicka 5 § 83c JN Rz 8; Simotta in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 83c JN Rz 2). Die Bestimmung tritt nach Abs 1 leg cit zudem für die ihr unterfallenden Streitigkeiten auch hinter andere (speziellere) gesetzliche Vorschriften („soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften bestehen“) zurück.

3.2. § 29 Abs 2 DSG

[18] 3.2.1. Gemäß Art 79 Abs 2 DSGVO sind für Klagen gegen einen Verantwortlichen oder gegen einen Auftragsverarbeiter im Sinne der DSGVO die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter eine Niederlassung hat. Es können solche Klagen aber auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dem die betroffene Partei ihren Aufenthaltsort hat. § 79 Abs 2 DSGVO regelt allein die internationale, nicht aber auch die (nationale) örtliche Zuständigkeit (Jahnel, Kommentar zur Datenschutz‑Grundverordnung Art 79 DSGVO [Stand 1. 12. 2020, rdb.at] Rz 38; Leupold/Schrems in Knyrim, DatKomm [66. Lfg] Art 79 DSGVO Rz 57).

[19] Die örtliche Zuständigkeit wird im nationalen Recht im Datenschutzgesetz normiert. Nach § 29 Abs 2 DSG ist für Klagen auf Schadenersatz in erster Instanz das mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen betraute Landesgericht zuständig, in dessen Sprengel der Kläger (Antragsteller) seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz hat. Klagen (Anträge) können aber auch bei dem Landesgericht erhoben werden, in dessen Sprengel der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz oder eine Niederlassung hat (§ 29 Abs 2 DSG).

[20] 3.2.2. Allerdings nimmt das Medienprivileg in § 9 Abs 1 DSG Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Sinne des Mediengesetzes ganz pauschal von fast allen Bestimmungen der DSGVO, so etwa der (gesamten) Kapitel II bis VII (Art 5 bis 76) sowie IX DSGVO (Art 85 bis 91 DSGVO), und des Datenschutzgesetzes aus, soweit sie Daten zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes verarbeiten. Mit dieser Bestimmung machte der österreichische Gesetzgeber von der Öffnungsklausel des Art 85 Abs 2 DSGVO Gebrauch (vgl 6 Ob 205/22y [Rz 75]; 6 Ob 129/21w [Rz 41]).

[21] Das Medienprivileg nach § 9 Abs 1 DSG bewirkt damit (soweit im vorliegenden Verfahren von Belang), dass die im Datenschutzgesetz verankerte Norm über die Zuständigkeit gemäß § 29 Abs 2 DSG in einem Verfahren gegen eine Medieninhaberin keine Anwendung findet, soweit diese Daten zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes verarbeitete.

[22] Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 14. 12. 2022, G 287, 288/2022 (VfSlg 20589), § 9 Abs 1 DSG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit 30. 6. 2024 in Kraft tritt.

[23] § 9 Abs 1 DSG ist daher (mit Ausnahme des Anlassfalls) bis zur vom Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist – oder bis zur Novellierung – auf alle Sachverhalte, die sich bis zum Fristablauf ereignet haben, weiterhin – auch nach Fristablauf – unangreifbar (Muzak, B‑VG6 Art 140 Rz 23) anzuwenden (Rohner in Knyrim, DatKomm Art 85 DSGVO [69. Lfg] Rz 31 mwN). Die unter Fristsetzung (bei Höchstfrist nach § 64a VfGG) aufgehobene Vorschrift steht insofern – vorübergehend – einem verfassungsgemäß einwandfreien Bestandteil der Rechtsordnung gleich (Grabenwarter/Frank, B‑VG Art 140 [Stand 20. 6. 2020, rdb.at] Rz 73). Eine neuerliche Überprüfung dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof ist ausgeschlossen (Grabenwarter/Frank aaO Rz 25 [„Immunisierung“]).

[24] Die Frage, ob das Medienprivileg (auch) unionsrechtswidrig ist, wird im Verfahren in der Hauptsache aufzugreifen und zu klären sein. Zweck des Zuständigkeitsstreits ist es, – soweit möglich – rasch die Voraussetzungen für die Durchsetzung eines Anspruchs durch Abführung des gerichtlichen Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter zu klären. Im hier zu beurteilenden Zwischenstreit ist allein maßgeblich, ob eine aus § 9 Abs 1 DSG folgende Unanwendbarkeit der in § 29 Abs 2 DSG verankerten Zuständigkeitsregelung zu einem unionsrechtswidrigen Zustand führt, weil ansonsten die Sicherstellung des in Art 79 Abs 1 DSGVO vorgesehenen (hinreichend) wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes gefährdet wäre. Dies ist klar zu verneinen. Ganz abgesehen davon, dass im vorliegenden reinen „Binnensachverhalt“ die örtliche Zuständigkeit ausreichend abgesichert ist (haben doch beide Beklagten ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland [und zwar im selben Gerichtssprengel]), würde ein (allfälliges) Fehlen einer örtlichen Zuständigkeit eines inländischen Gerichts durch § 28 JN aufgefangen.

[25] Im Zuständigkeitsstreit müssen daher die (wegen der einschränkungslosen Ausnahme der Anwendung der Kapitel II bis VII [Art 5 bis 76 DSGVO] und IX DSGVO [Art 85 bis 91 DSGVO] und des Datenschutzgesetzes als Ganzes durchaus beachtlichen [Jahnel, Kommentar zur Datenschutz-Grundverordnung Art 85 DSGVO {Stand 1. 12. 2020, rdb.at} Rz 30 ff]) Bedenken gegen die Vereinbarkeit von § 9 Abs 1 DSG mit dem Unionsrecht im Hinblick die (Nicht-)Anwendung anderer Bestimmungen als § 29 Abs 2 DSG nicht geprüft werden, zumal diese für die Lösung der Zuständigkeitsfrage nicht anzuwenden sind. Die sich im Zuständigkeitsstreit allein ergebende Auswirkung der Geltung von § 9 Abs 1 DSG, dass ein Kläger gehalten sein kann, den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter im Sinne der DSGVO vor einem anderen inländischen Gericht als dem seines Aufenthalts zu klagen, ist nicht unionsrechtswidrig.

[26] 3.2.3. Schon an dieser Stelle kann somit festgehalten werden, dass der Kläger die Zuständigkeit nach § 29 Abs 2 DSG nicht für sich in Anspruch nehmen kann.

3.3. § 92b JN

[27] Der Kläger hat sich aber auch auf die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 92b JN berufen.

[28] Nachdem aufgrund der fortschreitenden technischen Entwicklung Persönlichkeitsrechtsverletzungen vermehrt über elektronische Kommunikationsnetze erfolgen, wurde zur Verfolgung der dadurch beeinträchtigten Interessen mit der Zivilverfahrens-Novelle 2022 (BGBl I 2022/61) in § 92b JN (für – wie hier – nach dem 30. 4. 2022 eingebrachte Klagen) ein neuer Gerichtsstand geschaffen. Streitigkeiten wegen Verletzung eines Persönlichkeitsrechts in einem elektronischen Kommunikationsnetz können seither auch bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.

[29] § 92b JN setzt voraus, dass sich die Streitigkeit auf eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz bezieht. Maßgeblich dafür sind elektronische Verarbeitungs- und Speichervorgänge. Erfasst sind Verletzungen von Persönlichkeitsrechten im und über das Internet, egal auf welche Art und Weise (Internetseite, WhatsApp‑Gruppe, Abrufbarkeit in Apps), solange die Abrufbarkeit in einem elektronischen Kommunikationsnetz gegeben ist oder war (vgl Kustor/Prossinger in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 92b JN Rz 2 mit Verweis auf das Verständnis in ErläutRV 481 BlgNR 27. GP  10 anlässlich des HiNBG; BGBl I 2020/148; Pierer, Das Mandatsverfahren nach § 549 ZPO, MR 2021, 27).

[30] 4.1. Für den vorliegenden Fall ist nun der Aspekt besonders zu beachten, dass der Kläger mit seiner Klage (über sämtliche angezogenen Normen allein) eine vermeintliche Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte verfolgt und dabei sämtliche seiner Ansprüche aus der (bloß in verschiedenen Medien erfolgten) Veröffentlichung des bearbeiteten Bildes mit wortgleichem Begleittext ableitet.

[31] 4.2. So hat etwa auch der (von den Beklagten in den Vordergrund gestellte) Bildnisschutz nach § 78 UrhG den Schutz eines Persönlichkeitsrechts zum Inhalt. Diese Bestimmung nimmt unter den Streitigkeiten, wie sie dem Gerichtsstand des § 83c JN unterstellt sind (Lauterkeitsrecht und Immaterialgüterrecht), insofern eine besondere Stellung ein, als dabei – anders als etwa bei Herstellung eines Werks im Sinne des Urheberrechtsgesetzes – Schutzgegenstand nicht dieses, also die Abbildung an sich, ist, sondern die damit verbundenen Interessen des Abgebildeten (6 Ob 14/16a). § 78 UrhG begründet mangels einer schöpferischen oder zumindest Leistungsschutz rechtfertigenden Handlung des Abgebildeten gerade kein Immaterialgüterrecht im Sinne des Urheberrechts (RS0077106; 4 Ob 146/09p). Vielmehr handelt es sich bei dieser Bestimmung um eine Sonderregelung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht iSd § 16 ABGB (6 Ob 57/06k – Ernst‑Happel Briefmarke; 6 Ob 256/21h [besondere Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts]), die letztlich systemwidrig in das Urheberrechtsgesetz aufgenommen wurde (4 Ob 146/09p).

[32] Zweifelsohne ist (neben dem „allgemeinen“ Persönlichkeitsrecht nach § 16 ABGB, dem Namensrecht nach § 43 ABGB und dem Recht auf Schutz der Ehre in § 1330 ABGB) auch das Recht auf Datenschutz ein Persönlichkeitsrecht (Schweiger in Knyrim, DatKomm DSGVO [57. Lfg] Art 82 Rz 11) und ein Grundrecht nach Art 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (4 Ob 84/19k [ErwGr 1.4]).

[33] 4.3. Datenschutzverletzungen ziehen nicht nur den Anspruch auf Schadenersatz nach sich. Die in Art 79 Abs 1 DSGVO gebrauchte Wendung „wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelf“ ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtsbehelf nur dann wirksam ist, wenn er geeignet ist, eine Rechtsverletzung oder ihre Fortdauer zu verhindern oder dem Verletzten eine angemessene Wiedergutmachung zu verschaffen (6 Ob 35/21x [Urteil vom 15. 4. 2021] zum Anspruch auf Unterlassung, wenn trotz einer bereits erfolgten Löschung der rechtswidrig verarbeiteten Daten nach wie vor eine Rechtsverletzung droht [Rz 47]; vgl 6 Ob 91/19d zum Löschungsanspruch).

[34] Alle Begehren des Klägers haben daher ihre Grundlage (auch) in datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

[35] 4.4. Zum Umstand, dass der Kläger mit seiner Klage allein die angebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts verfolgt, tritt der Aspekt hinzu, dass für die Berechtigung jedes der geltend gemachten Begehren – gleichgültig auf welcher der herangezogenen Rechtsgrundlagen – die Beurteilung des Bildes samt Begleittext maßgeblich ist.

[36] 4.5. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist dann, wenn ein und derselbe Tatbestand (ein einheitlicher Lebenssachverhalt) verschiedenen Gesetzesnormen unterstellt werden kann, das angerufene Gericht zuständig, wenn es die Zuständigkeit auch nur hinsichtlich einer der anzuwendenden konkurrierenden Normen besitzt (RS0045485 [T11]; 3 Ob 232/17i; 4 Ob 154/12v; Mayr in Rechberger/Klicka 5 § 41 JN Rz 6; Scheuer in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ I § 41 JN Rz 10). Es genügt also, dass das angerufene Gericht bloß aufgrund eines der sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt ableitbaren Rechtsgründe zuständig ist (RS0045485 [T9]; 3 Ob 232/17i). Maßgebliche Voraussetzung ist insofern, dass über einen einheitlichen Sachverhalt zu entscheiden ist, in Ansehung dessen verschiedene Rechtsgründe das nach dem Urteilsbegehren angestrebte Ergebnis tragen könnten (4 Ob 154/12v). Ein Wahlrecht des Klägers besteht auch dann, wenn es sich um eine nicht prorogierbare Zuständigkeit handelt (RS0045485 [T4, T12]).

[37] Diese zur sachlichen Zuständigkeit ergangene Rechtsprechung kann auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Die ihr zugrunde liegenden Überlegungen treffen nämlich auch für die Frage der örtlichen Zuständigkeit zu. Es soll der Kläger nicht gezwungen sein, auf Anspruchsgrundlagen zu verzichten, nur um einen von ihm gewünschten Gerichtsstand zu erreichen. Eine Verneinung des Wahlrechts würde ihm zudem bei nachträglicher Hinzuziehung weiterer Anspruchsgrundlagen zur Einbringung einer weiteren Klage zwingen (so schon überzeugend 1 Ob 948/52 mit dem Argument, dass die Zuständigkeitsvorschriften Ordnungsvorschriften seien und nicht angenommen werden könne, dass um ihretwillen eine so grundsätzliche Schlechterstellung eines Klägers stattfinden sollte, wie sie eintreten würde, wenn sich der Kläger bei konkurrierenden Rechtsgründen auf einen dieser Rechtsgründe festlegen müsste). Die Führung mehrerer Verfahren führt zur Vervielfachung der Kosten und birgt zudem die Gefahr divergierender Entscheidungen in sich. Dagegen bewirkt die Konzentration bei einem Gericht, dass ein Gesamtersatz zugesprochen werden kann und die Gefahr von „Doppelentschädigung“ vermieden wird.

[38] Der Schutz von Persönlichkeitsrechten wurde in den letzten Jahren verstärkt (insbesondere mit dem HiNBG; BGBl I 2020/148; siehe zur Gewährung von immateriellem Schadenersatz in Hinkunft [für nach dem 16. 2. 2024 gesetzte verletzende Handlungen; § 28 Abs 5 ECG] § 16 ECG idF DSA‑Begleitgesetz; BGBl 2023/182). Diese Entwicklung zeigt, dass der Gesetzgeber dem Schutz von Persönlichkeitsrechten zunehmend größeren Stellenwert beimisst und ihn effektiver ausgestalten möchte. Zum effektiven Rechtsschutz gehört auch die Ausgestaltung eines leichten Zugangs zu Gericht.

[39] 4.6. Nachdem der Kläger sämtliche seiner Ansprüche (denkmöglich) auch auf sein Grundrecht auf Datenschutz und die DSGVO gestützt hat und über einen einheitlichen Sachverhalt zu entscheiden ist, in Ansehung dessen verschiedene Rechtsgründe das nach dem Urteilsbegehren angestrebte Ergebnis (auch hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens) tragen könnten (vgl 4 Ob 154/12v), genügt es, wenn die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts in Ansehung dieses Rechtsgrundes vorliegt.

[40] 5.1. Entfällt die Anwendung des § 29 DSG (wie zuvor gezeigt), verbleibt dem Kläger für die Verfolgung seiner Ansprüche aus der Verletzung eines Persönlichkeitsrechts (also auch für Eingriffe in sein Recht auf Datenschutz, deren Berechtigung erst im Hauptverfahren zu prüfen ist) der Gerichtsstand nach § 92b JN, vorausgesetzt die Verletzung des Rechts auf Datenschutz als eine Verletzung eines Persönlichkeitsrechts fand in einem elektronischen Kommunikationsnetz statt. Er kann das Gericht, in dessen Sprengel das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, in Anspruch nehmen. Dass die zuletzt genannte Qualifikation im vorliegenden Fall auf das angerufene Erstgericht zutrifft, wurde von den Parteien gar nicht in Zweifel gezogen.

[41] 5.2. Die Zweitbeklagte hat das Bild samt Begleittext in einem elektronischen Kommunikationsnetz veröffentlicht (Online‑Ausgabe). Beim Verfahren gegen die Zweitbeklagte handelt es sich also um eine Streitigkeit wegen der Verletzung eines Persönlichkeitsrechts in einem elektronischen Kommunikationsnetz. Damit ist im Verfahren gegen die Zweitbeklagte für den Rechtsgrund der behaupteten Datenschutzverletzung die Zuständigkeit nach § 92b JN gegeben. In Ansehung der Klage gegen die Zweitbeklagte (als Ganzes) ist das Erstgericht örtlich zuständig.

[42] 5.3. Im Verfahren gegen die Erstbeklagte (als Medieninhaberin der Printausgabe) mangelt es hingegen an der vom Kläger behaupteten Zuständigkeit nach § 92b JN (und wie schon erörtert nach einer solchen gemäß § 29 Abs 2 DSG). Eine – vom Kläger behauptete – „zwingende Streitgenossenschaft nach §83c Abs 2 JN“ liegt nicht vor, weil diese voraussetzen würde, dass für die Beklagten „auf Grund des Abs 1 [dieser Bestimmung] der Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten begründet ist“. Dies ist aber nicht der Fall. Für beide Beklagten besteht in Ansehung des § 83c Abs 1 JN die Zuständigkeit desselben Gerichts, zumal beide Unternehmen „im Sprengel“ desselben Gerichts „lieg[en]“ (vgl § 83c Abs 1 JN).

[43] Zusammenfassend ist der Revisionsrekurs (nur) im Verfahren gegen die Erstbeklagte erfolgreich. Das Verfahren gegen die Zweitbeklagte wird vor dem Erstgericht weiterzuführen sein.

[44] 6. Die Kostenentscheidung ist dem Erstgericht aufzutragen (1 Ob 119/14b; 3 Ob 213/22b; RS0124588). Im Verfahren gegen die Zweitbeklagte steht dem Kläger nur ein Kostenersatz für die Kosten des Zwischenstreits zu. Die Erstbeklagte hat dagegen Anspruch auf Ersatz aller auf sie entfallenden Kosten. Das Begehren auf Beseitigung/Löschung wurde vom Kläger mit 5.000 EUR im Verfahren gegen die Erstbeklagte und mit 16.000 EUR im Verfahren gegen die Zweitbeklagte bewertet. Der Kläger begehrt die Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 10.000 EUR von den Beklagten zur ungeteilten Hand, während die Unterlassungsverpflichtungen jede Beklagte gesondert treffen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eingehender Berechnungen.

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