OGH 6Ob228/23g

OGH6Ob228/23g17.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache in der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Stephan Briem, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Mag. Dr. F*, 2. B*, beide vertreten durch Beurle Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, wegen 18.883,91 EUR sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. September 2023, GZ 1 R 104/23d‑69, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 25. April 2023, GZ 36 Cg 68/20g‑64, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00228.23G.0117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.759,58 EUR (darin 293,26 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Haftung der Beklagten als leitende Organe von Gesellschaften wegen Darlehensgewährungen an eine Aktiengesellschaft und dem Abschluss von damit im Zusammenhang stehenden Rangrücktritts- sowie Zinsfreistellungs‑ und Besserungsvereinbarungen.

[2] Der Kläger war an der diese Darlehen gewährenden Kommanditgesellschaft als atypisch stiller Gesellschafter beteiligt. Er meldete in dem über das Vermögen der Kommanditgesellschaft im Oktober 2017 eröffneten Sanierungsverfahren, wie der Großteil der atypisch stillen Gesellschafter, seine Forderungen an. Die Sanierungsquote betrug 20 %. Mit seiner Klage begehrt er Schadenersatz (80 %) in Höhe der Differenz zwischen dem im Sanierungsverfahren der Kommanditgesellschaft anerkannten und dem später tatsächlich ausbezahlten Betrag.

[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klage übereinstimmend ab.

[4] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil seine Entscheidung „als im Widerspruch zu 6 Ob 58/20b stehend angesehen werden könnte und zudem aufgrund der Vielzahl möglicher Geschädigter in der vorliegenden Gesellschaftskonstruktion in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgeh[e]“.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):

[6] 1. Der bloße Umstand, dass zu lösende Fragen in einer Vielzahl von Fällen auftreten mögen, bewirkt entgegen der Ansicht der Revision nicht ohne Weiteres deren Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0042816).

[7] Bei der Frage der Haftung der leitenden Organmitglieder handelt es sich vor dem Hintergrund der Beurteilung unternehmerischen Ermessens regelmäßig um eine Frage des Einzelfalls (§ 502 Abs 1 ZPO). Die Revision wäre daher nur dann zulässig, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung durch das Berufungsgericht zu korrigieren ist (siehe 6 Ob 58/20b [ErwGr 2.] zur Haftung von Aufsichtsräten; 8 ObA 109/20t [Rz 52 ff] „grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls“; allgemein vgl RS0044088). Dies ist hier nicht der Fall.

[8] 2. Der vom Berufungsgericht erwähnten Entscheidung 6 Ob 58/20b, anlässlich der es die Einhaltung der Sorgfaltspflicht der Geschäftsführung einer Aktiengesellschaft zu prüfen galt, lag ein in wesentlichen Punkten anderer Sachverhalt (aus dem sich auch ein anderes Ergebnis der Beurteilung ergab) zugrunde. In jenem Fall hatte die Gewährung (unbesicherter) Darlehen nicht zum Unternehmensgegenstand gehört, es lag darin für die damals zu beurteilende Gesellschaft ein völlig unüblicher Vorgang, und es war auch nicht zu sehen gewesen, welchen Vorteil die Gesellschaft davon hatte, einem Geschäftspartner, der im Zeitpunkt der Zustimmung zur Gewährung des Darlehens bereits eine offene Verbindlichkeit in beträchtlicher Höhe gegenüber der Aktiengesellschaft gehabt hatte, ein Darlehen zu gewähren.

[9] Im gegenständlichen Fall war die Kommanditgesellschaft über eine zwischengeschaltete Gesellschaft selbst an der Aktiengesellschaft als Hauptaktionärin zu 95,82 % beteiligt, und es steht fest, dass die behauptete erforderliche Absicherung der Liquidität dieser Aktiengesellschaft durch die Gewährung unbesicherter Darlehen ab dem Jahr 2009, um stille Reserven realisieren zu können, insbesondere die vorhandenen Liegenschaften und Beteiligungen zu verwerten, aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar ist. Wenn nun aber – wie ebenfalls feststeht – die Aktiengesellschaft hier keine namhaften anderen Verbindlichkeiten hatte (als jene gegenüber ihrer Hauptaktionärin, der Kommanditgesellschaft) und stille Reserven (in Form von Hotels und Liegenschaften) vorhanden waren, so lag bei ex–ante–Betrachtung in der möglichen Realisierung der stillen Reserven durch die Darlehensgewährung zur Abdeckung der Verbindlichkeiten ein Vorteil der Kommanditgesellschaft (Gläubigerin), durch den sich der vorliegende Sachverhalt von dem der Entscheidung 6 Ob 58/20b zugrundeliegenden wesentlich unterscheidet. Ein Abweichen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung liegt daher nicht vor, und es zeigt die Revision auch insofern keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[10] 3. Die Revision erblickt überdies einen Widerspruch in der berufungsgerichtlichen Entscheidung zu dem zu 6 Ob 204/16t ergangenen Urteil. Es mag zutreffen, dass der Oberste Gerichtshof darin für die Annahme einer Mitunternehmerschaft auf die Voraussetzung, dass der stille Gesellschafter an der Unternehmerinitiative teilnimmt, abstellte (die hier aus den erstgerichtlichen Feststellungen nicht abgeleitet werden kann). Die Revision vermag aber nicht darzulegen, inwiefern sich diese Qualifikation gegenständlich als entscheidungserheblich und präjudiziell erweisen sollte, käme die Business Judgment Rule doch auch bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen, die sich auf das Fremdkapital auswirken, zur Anwendung und wurde eine Haftung der Beklagten vom Berufungsgericht auch nicht mit dem Argument einer Mitunternehmerschaft der Kläger verneint. Vielmehr ging das Berufungsgericht auf Basis der vertraglichen Gleichstellung des stillen Gesellschafters mit einem Kommanditisten (insofern zugunsten des Klägers) davon aus, dass im Verhältnis zwischen den Streitteilen eine Haftung eines schuldhaft handelnden Geschäftsführers der Komplementärgesellschaft einer GmbH & Co KG für Vermögensschäden bei Verletzung vertraglicher Pflichten, bei Verletzung absolut geschützter Rechte und bei Verletzung von Schutzgesetzen sowie auch im Fall einer deliktischen sittenwidrigen Schädigung seiner Vermögensbeteiligung an der Kommanditgesellschaft grundsätzlich denkbar wäre.

[11] 4. Zum Haftungsgrund der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung enthielt schon die Berufung keine Ausführungen; darauf kann der Kläger, weil insofern ein nicht bekämpfter „selbstständiger Teilbereich“ der Entscheidung des Erstgerichts vorliegt, in der Revision nicht zurückgreifen (vgl Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 503 ZPO Rz 186; RS0043573 [T33]).

[12] 5. Auch in den weiteren Ausführungen wird eine erhebliche Rechtsfrage mit dem bloßen, ohne Auseinandersetzung mit Judikatur oder Lehre bleibenden Hinweis auf die Personalunion des Erstbeklagten als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und Vorstandsvorsitzender der Aktiengesellschaft sowie auf den Bezug eines überhöhten Gehalts als Vorstandsvorsitzender (ab dem Jahr 2014; bis einschließlich 2013 bezog er als Vorstandsvorsitzender keine Vergütung) nicht angesprochen. Das Berufungsgericht stützte sich insoweit auf bereits ergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0016303 [T3–T5]), mit der sich der Kläger nicht befasst. Auch in diesem Punkt bedarf die Entscheidung des Berufungsgerichts daher keiner Korrektur im Einzelfall.

[13] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 iVm 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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