OGH 24Ds3/23k

OGH24Ds3/23k10.1.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 10. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann als weitere Richterin und die Rechtsanwälte Mag. Vas und Dr. Niederleitner als Anwaltsrichter in Gegenwart von Mag. De Rijk als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 17. Oktober 2022, GZ D 4/21‑19, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Kammeranwalts Dr. Müller, jedoch in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0240DS00003.23K.0110.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen – auch einen rechtskräftigen (Teil‑)Freispruch enthaltenden – Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er „die Bestimmungen der § 9 RAO, § 10 RAO, § 10a RAO, § 10 RL‑BA 2015 und § 21 RL‑BA 2015 verletzt“, indem er

(1./) im [Schuldenregulierungs‑]Verfahren AZ * des Bezirksgerichts Feldkirch sowohl den dortigen Schuldner Dr. S* A* als auch die Verbotsberechtigten Dr. K* A* und H* A* vertreten hat,

(2./) in den Verfahren (a./) AZ * des Landesgerichts Innsbruck und (b./) AZ * des Bezirksgerichts Feldkirch Dr. K* A* und H* A* vertreten hat, obwohl er gleichzeitig auch Dr. S* A* vertreten hat, „in dessen Insolvenzverfahren der Masseverwalter in diesen Verfahren Klage eingebracht hatte“,

(3./) im Verfahren AZ * des Bezirksgerichts Feldkirch als Vertreter des Dr. K* A* und der H* A* Exekution gegen die Masse des Dr. S* A* führte, obwohl er Dr. S* A* im Schuldenregulierungsverfahren AZ * des Bezirksgerichts Feldkirch vertreten hat,

(4./) entgegen den schriftlichen Treuhand-bestimmungen und trotz des Umstands, dass das Grundgeschäft für die Treuhandvereinbarung zu diesem Zeitpunkt „relativ nichtig“ war, am 1. Juli 2021 aus einem Treuhandkonto Treuhanderläge iHv 1.136.140,17 Euro, 675,17 CHF und 65.394 Euro überwiesen hat, sowie

(5./) am 22. November 2021 beim Landesgericht Feldkirch eine Klage gegen Rechtsanwalt Dr. * F* eingebracht hat, ohne vorher gemäß § 21 RL‑BA 2015 den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer um Vermittlung angerufen zu haben.

[3] Der Disziplinarbeschuldigte wurde hierfür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße iHv 3.500 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen die Verurteilung richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe (§ 49 letzter Satz DSt); letztere wurde nicht ausgeführt.

[5] Dem Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu:

[6] Die in Bezug auf den Schuldspruchpunkt 5./ erhobene – vor der Rechtsrüge zu behandelnde (Ratz, WK‑StPO § 476 Rz 9) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld stellt mit dem Hinweis darauf, dass laut „beiliegendem Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck“ (gemeint: vom 19. Oktober 2022, AZ *) rechtskräftig festgestellt worden sei, „dass sich der Disziplinarbeschuldigte gegenüber dem Dr. F* […] nicht schadenersatzpflichtig gemacht hat“, keine tatsächlich getroffenen Feststellungen des Erkenntnisses in Frage und orientiert sich damit nicht an den entsprechenden gesetzlichen Anfechtungskriterien.

[7] Der Erledigung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist voranzustellen:

[8] Das in § 10 RAO und § 10 RL‑BA kodifizierte Verbot der Verletzung der Treuepflicht wegen Interessenkollision ist Ausfluss der in § 9 Abs 1 RAO normierten allgemeinen Pflicht des Rechtsanwalts zur Interessenwahrung und Rechtsbetreuung gegenüber seinem Klienten. Die damit festgelegte Treue stellt eine der Säulen des Rechtsanwaltsberufs dar und verlangt, die übernommene Vertretung dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten (Rohregger in Engelhart et al, RAO11 § 10 RAO Rz 5 ff).

[9] Das heißt aber auch, dass sich der Rechtsanwalt nach dem Selbstverständnis der Anwaltschaft von jeglicher Kollision weitestgehend fernzuhalten hat. Ob bzw wann eine Kollision vorliegt, ist sowohl begrifflich als auch aus Sicht der rechtspolitisch dahinterstehenden Zielsetzung weit zu interpretieren (RIS‑Justiz RS0054995 [T13], RS0117715). Das gilt sowohl für die in § 10 RAO bei der echten (materiellen) Doppelvertretung (zu den Begriffen Rohregger in Engelhart et al, RAO11 § 10 RAO Rz 9 ff; RIS‑Justiz RS0054995) genannte „zusammenhängenden Sache“ als auch bei der Frage der „Gegenpartei“: Sachen hängen iSd § 10 RAO schon dann zusammen, wenn ein Interessenkonflikt zweier Parteien vorliegt oder wenn er sich (objektiv betrachtet) abzeichnet. Dabei genügt schon die bloße Gefahr eines Interessenkonflikts, um von einer Doppelvertretung zu sprechen (RIS‑Justiz RS0054995 [T29], RS0117715 [T3]; 20 Ds 9/21k). Auch die „Gegenpartei“ iSd § 10 RAO ist nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur auf die formal (prozess-)beteiligten Parteien beschränkt, abzustellen ist vielmehr darauf, ob zwischen Personen widerstreitende Interessen bestehen oder ob die Gefahr droht, dass derartige widerstreitende Interessen bestehen könnten. Ob aus der Doppelvertretung im konkreten Fall für die eine oder andere Partei ein Nachteil entstehen konnte, ist unerheblich (RIS‑Justiz RS0096650).

[10] Das Verbot der Doppelvertretung ist eine Vorschrift des öffentlichen Standesrechts, von der die Partei den Rechtsanwalt nicht befreien kann (RIS‑Justiz RS0055029). Die Zustimmung einer Partei kann einen Rechtsanwalt daher nicht vom Vorwurf der Doppelvertretung entschuldigen (RIS-Justiz RS0109463).

[11] Davon ausgehend entbehrt die unter Hervorhebung der Einlassung des Disziplinarbeschuldigten zum Schuldspruchpunkt 1./ aufgestellte Behauptung der Rechtsrüge, es liege insoweit „kein disziplinarrechtliches Fehlverhalten“ des Disziplinarbeschuldigten vor, einer methodengerechten Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565, RS0099620); die Rüge übergeht zudem die bezughabenden – zutreffenden – Rechtsausführungen des Disziplinarrats (s ES 13 ff).

[12] Ebenso wenig erklärt das Vorbringen zu Schuldspruchpunkt 2./a./, weshalb die (behauptetermaßen: mangelnden) Erfolgsaussichten der von Rechtsanwalt Dr. F* als Insolvenzverwalter im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Dr. S* A* am 12. April 2021 beim Landesgericht Innsbruck (zu AZ *) eingebrachten Klage gegen Dr. K* A* und H* A* Einfluss auf die insoweit festgestellte Doppelvertretung (ES 6 f iVm ES 5) haben sollte (vgl im Übrigen auch hier die zutreffenden rechtlichen Erwägungen des Disziplinarrats auf ES 15).

[13] Es ist auch – der gegen die Schuldspruchpunkte 3./ und 2./b./ gerichteten Rüge zuwider – irrelevant, dass der genannte Masseverwalter die im Verfahren AZ * des Landesgerichts Innsbruck angefallenen Kosten (Kostentitel über 2.506,59 Euro) hätte „freiwillig“ zahlen können.

[14] Die gegen den Schuldspruchpunkt 5./ gerichtete Argumentation verneint eine Berufspflichtenverletzung, weil eine Anrufung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer um Vermittlung in concreto „völlig sinnlos gewesen“ wäre und kein Ergebnis gebracht hätte. Sie vernachlässigt dabei aber die verpflichtende Natur des § 21 Abs 2 RL‑BA 2015.

[15] Angemerkt sei, dass die zu Schuldspruchpunkt 4./, zu dem kein Berufungsvorbringen erstattet wurde, vorgelegte (nachträgliche) Bestätigung vom 5. Oktober 2023 (ON 10), wonach die Vertragsparteien mit der Auszahlung des Kaufpreises vor Verbücherung des Eigentumsrechts einverstanden „waren“, an der Tatbestandsmäßigkeit des festgestellten Verhaltens nichts zu ändern vermag.

[16] Der Berufung wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld war daher nicht Folge zu geben.

[17] Die – nicht ausgeführte – Berufung wegen Strafe (§ 49 letzter Satz DSt) bietet keinen Grund für eine Herabsetzung der Sanktion.

[18] Im Hinblick auf die vom Disziplinarrat zutreffend angeführten Erschwerungsgründe, namentlich das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und die nicht unbeträchtliche Vorstrafenbelastung, ist auch bei Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer eine Herabsetzung der ohnehin im unteren Bereich der Sanktionsmöglichkeit angesiedelten (vgl § 16 Abs 1 Z 2 DSt) Geldbuße nicht vertretbar.

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