OGH 2Nc95/23b

OGH2Nc95/23b14.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda sowie Dr. Kikinger und die Hofrätinnen Mag. Fitz und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. M*, vertreten durch Mag. Johannes Polt, Rechtsanwalt in Horn, und 2. V*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.300 EUR sA und Feststellung, aufgrund der Befangenheitsanzeige des * vom 4. Dezember 2023 im Rekursverfahren zu AZ *, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020NC00095.23B.1214.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die von * in der Rechtssache AZ * angezeigten Gründe sind nicht geeignet, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger macht gegen den Erstbeklagten als Verkäufer und die Zweitbeklagte als Fahrzeugherstellerin Ansprüche aufgrund des Erwerbs eines Kraftfahrzeugs geltend, dessen Motor mit einer Vorrichtung zur Manipulation der Abgaswerte ausgestattet war. Die Rekurse der Beklagten gegen den zweitinstanzlichen Beschluss sind beim *Senat des Obersten Gerichtshofs angefallen.

[2] * ist Mitglied dieses Senats. Er gibt bekannt, dass er 2011 ein Fahrzeug bei einem Vertragshändler gekauft habe, das sich als „abgasmanipuliert“ herausgestellt habe. Das Software‑Update sei 2017 durchgeführt worden. Er habe bisher keine Ansprüche geltend gemacht und fühle sich subjektiv nicht befangen. Der Wagen sei mittlerweile verkauft und er beabsichtige aus diesem Grund nicht, Ansprüche geltend zu machen. Er erachte sich daher auch objektiv nicht mehr als befangen, dennoch zeige er seine objektive Befangenheit an.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Befangenheitsanzeige ist unbegründet:

[4] 1. Der Oberste Gerichtshof ging in den– denselben Richter betreffenden – Entscheidungen 2 Nc 3/20v, 2 Nc 33/20f, 2 Nc 15/22m und 2 Nc 29/22w bisher davon aus, dass aufgrund der bis dato angezeigten Umstände (Eigentum an einem manipulierten Fahrzeug; allenfalls noch beabsichtigte Geltendmachung von Ansprüchen, sollten sich die Kläger mit bestimmten Rechtsstandpunkten durchsetzen) der Anschein der Befangenheit besteht.

[5] 2. Auf Grundlage des nun bekannt gegebenen, anders gelagerten Sachverhalts ist die Annahme auch eines objektiven Anscheins der Befangenheit nicht mehr gerechtfertigt. Dies aus folgenden Gründen:

[6] 3. Ein zureichender Grund, die Unbefangenheit eines Richters iSv § 19 Z 2 JN in Zweifel zu ziehen, liegt nach ständiger Rechtsprechung zwar schon dann vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10]; RS0045949 [T2, T6]), dies auch dann, wenn der Richter tatsächlich (subjektiv) unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]). Dabei ist zur Wahrung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzuwenden (vgl RS0045949). Zu beachten ist jedoch, dass die Vermutung für die Unparteilichkeit des Richters spricht, solange nicht Sachverhalte dargetan werden, die das Gegenteil annehmen lassen (RS0046129 [T1, T2]).

[7] 4. Zur Problematik möglicher Befangenheit im Zusammenhang mit „Dieselfällen“ hat der erkennende Senat in zahlreichen Entscheidungen (etwa 2 Nc 2/20x, 2 Nc 6/20k uva) folgende Grundsätze vertreten:

[8] Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass aufgrund vergleichbarer Sachverhalte bei verschiedenen Gerichten eine große Zahl von Zivilverfahren gegen Hersteller und gegen Vertragshändler von Kraftfahrzeugen bestimmter Marken anhängig ist. Wegen des hohen Marktanteils besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dafür zuständige Richter ebenfalls ein betroffenes Kraftfahrzeug erworben haben. Im Allgemeinen könnte das den Anschein der Befangenheit nur dann begründen, wenn der Richter selbst Ansprüche gegen den Hersteller oder einen Vertragshändler geltend macht oder (erfolglos) geltend gemacht hat. Denn in diesem Fall bestünde jedenfalls objektiv der Verdacht, dass der Richter wegen seiner eigenen Betroffenheit nicht unvoreingenommen an die Sache herangehen könnte (vgl EGMR 21. 6. 2018, n° 5734/14, Aviso Zeta AG). Hingegen ließe sich aus dem Nichterheben von Ansprüchen keinesfalls ein „Statement“ dahin ableiten, dass der Richter Ansprüche für aussichtslos hielte und auch nicht bereit wäre, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Auch die bloße Möglichkeit, dass er entgegen seinem bisherigen Verhalten zukünftig doch noch Ansprüche geltend machen könnte, wird mangels weiterer Indizien nicht ausreichen, den Anschein der Befangenheit zu begründen.

[9] 5. Selbst wenn man an einen Richter des Obersten Gerichtshofs wegen des Präjudizcharakters höchstgerichtlicher Entscheidungen einen besonders strengen Maßstab anlegen will, lassen die neuen Ausführungen des * keinen Anschein der Befangenheit mehr befürchten.

[10] Der anzeigende Richter gibt auf Grundlage objektivierbarer Daten (Alter des Fahrzeugs, erfolgte Weiterveräußerung) bekannt, nicht (mehr) zu beabsichtigen, auch nur allenfalls Ansprüche erheben zu wollen. Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Besorgnis zu verneinen, dass sich * bei seinem Mitwirken an Entscheidungen nicht allein von sachlichen Motiven leiten lassen könnte (vgl auch 2 Nc 65/23s).

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