OGH 2Nc65/23s

OGH2Nc65/23s19.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Heinisch Weber Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 76.342,55 EUR sA, über die Befangenheitsanzeige des * im Verfahren zu AZ * den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020NC00065.23S.0919.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die von * im Verfahren zu AZ * angezeigten Gründe sind nicht geeignet, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen.

 

Begründung:

[1] Das im Spruch genannte Verfahren ist im * Senat des Obersten Gerichtshofs angefallen, dessen Mitglied * ist. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ein Schadenersatzanspruch des Klägers aufgrund des Erwerbs eines von der Beklagten hergestellten, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs.

[2] * führt in seiner Anzeige möglicher Befangenheit aus, dass er seit 2011 Eigentümer eines V* sei, in dem ein Motor * verbaut sei.

[3] Während seiner Tätigkeit als Richter am Landes‑ und Oberlandesgericht * habe der zuständige Ablehnungssenat zwar mehrfach – erstmals 2016 – den Anschein einer Befangenheit angenommen, jedoch im Jänner 2021 unter Verweis auf die Entscheidung 2 Nc 6/20k seine Linie geändert und den Anschein der Befangenheit verneint.

[4] * führt aus, dass er bislang weder eine Klage gegen den Händler noch die Herstellerin erhoben und sich auch keiner Sammelklage angeschlossen habe. Er beabsichtige auch nicht, dies zu tun und sehe sich in der Lage, unbefangen zu entscheiden. Sein Fahrzeug weise mittlerweile rund 200.000 gefahrene Kilometer auf, seit 2016 sei er alleine rund 100.000 Kilometer gefahren. Er habe vor, das Fahrzeug wie bisher weiter zu nutzen, ohne Ansprüche geltend zu machen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Befangenheitsanzeige ist nicht begründet:

[6] 1. Ein zureichender Grund, die Unbefangenheit eines Richters iSv § 19 Z 2 JN in Zweifel zu ziehen, liegt nach ständiger Rechtsprechung zwar schon dann vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10]; RS0045949 [T2, T6]), dies auch dann, wenn der Richter tatsächlich (subjektiv) unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]). Dabei ist zur Wahrung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzuwenden (vgl RS0045949). Zu beachten ist jedoch, dass die Vermutung für die Unparteilichkeit des Richters spricht, solange nicht Sachverhalte dargetan werden, die das Gegenteil annehmen lassen (RS0046129 [T1, T2]).

[7] 2. Zur Problematik möglicher Befangenheit im Zusammenhang mit „Dieselfällen“ hat der erkennende Senat in zahlreichen Entscheidungen (etwa 2 Nc 2/20x, 2 Nc 6/20k uva) folgende Grundsätze vertreten:

[8] Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass aufgrund vergleichbarer Sachverhalte bei verschiedenen Gerichten eine große Zahl von Zivilverfahren gegen Hersteller und gegen Vertragshändler von Kraftfahrzeugen bestimmter Marken anhängig ist. Wegen des hohen Marktanteils besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dafür zuständige Richter ebenfalls ein betroffenes Kraftfahrzeug erworben haben. Im Allgemeinen könnte das den Anschein der Befangenheit nur dann begründen, wenn der Richter selbst Ansprüche gegen den Hersteller oder einen Vertragshändler geltend macht oder (erfolglos) geltend gemacht hat. Denn in diesem Fall bestünde jedenfalls objektiv der Verdacht, dass der Richter wegen seiner eigenen Betroffenheit nicht unvoreingenommen an die Sache herangehen könnte (vgl EGMR 21. 6. 2018, n° 5734/14, Aviso Zeta AG). Hingegen ließe sich aus dem Nichterheben von Ansprüchen keinesfalls ein „Statement“ dahin ableiten, dass der Richter Ansprüche für aussichtslos hielte und auch nicht bereit wäre, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Auch die bloße Möglichkeit, dass er entgegen seinem bisherigen Verhalten zukünftig doch noch Ansprüche geltend machen könnte, wird mangels weiterer Indizien nicht ausreichen, den Anschein der Befangenheit zu begründen.

[9] 3. Selbst wenn man an einen Richter des Obersten Gerichtshofs wegen des Präjudizcharakters höchstgerichtlicher Entscheidungen einen besonders strengen Maßstab anlegen will, lassen die Ausführungen des * keinen Anschein der Befangenheit befürchten:

[10] Der im vorliegenden Fall seine mögliche Befangenheit anzeigende Richter gibt – durch objektivierbare Daten wie das Alter des Fahrzeugs und den an die erwartbare Gesamtlaufleistung bereits nahe heranreichenden Kilometerstand untermauert – nachvollziehbar bekannt, auch in Zukunft keine Ansprüche gegen Händler oder Herstellerin geltend machen, sondern das Fahrzeug weiter nutzen zu wollen. Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Besorgnis zu verneinen, dass sich * bei seinem Mitwirken an Entscheidungen nicht allein von sachlichen Motiven leiten lassen könnte.

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