OGH 7Ob145/23h

OGH7Ob145/23h22.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* F*, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J* Š*, vertreten durch Mag. Michael Gruner, Dr. Robert Pohle, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtvom 14. Juni 2023, GZ 39 R 9/23x‑22, womit das Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 9. November 2022, GZ 6 C 407/22h‑15, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00145.23H.1122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 502,70 EUR (darin enthalten 83,78 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin einer Wohnung in * Wien, * (in der Folge auch Eigentumswohnung). Dabei handelt es sich um die Ehewohnung. Die Klägerin und ihr geschiedener Ehegatte (in der Folge auch Ex-Mann) sind darüber hinaus je zur Hälfte Miteigentümer der Liegenschaft in * Wien, * samt darauf errichtetem Einfamilienhaus (in der Folge Liegenschaft oder Einfamilienhaus).

[2] Der geschiedene Ehegatte der Klägerin bewohnt das Einfamilienhaus etwa seit Jahreswechsel 2019/2020. Damals war er aufgrund einer außerehelichen Beziehung aus der Ehewohnung ausgezogen. Bereits vor diesem Zeitpunkt hielt er sich des öfteren auf der Liegenschaft auf. Die Klägerin hielt sich nur gelegentlich dortauf. Anlässlich des Auszugs zum Jahreswechsel 2019/2020 wurde zwischen der Klägerin und ihrem Ex‑Mann die zukünftige Benutzung der Ehewohnung sowie des Einfamilienhauses nicht thematisiert.

[3] Im Jänner 2020 tauschte die Klägerin das Türschloss zur Ehewohnung. Im Zuge des daraufhin eingeleiteten Besitzstörungsverfahrens holte ihr Ex-Mann seine restlichen Sachen ab; seit diesem Zeitpunkt bewohnt die Klägerin die Eigentumswohnung, ihr geschiedener Ehegatte das Einfamilienhaus.

[4] Im Jahr 2020 erfuhr die Klägerin erstmals definitiv davon, dass die Beklagte die Lebensgefährtin ihres geschiedenen Ehegatten ist. Ab 1. Jänner 2020 konnte die Klägerin das Einfamilienhaus nicht betreten, weil ihr Ex‑Gatte das Schloss gewechselt hatte. Nachdem sie von ihm mehrfach erfolglos Schlüssel zum Haus gefordert hatte, klagte sie ihn im August 2021 auf Duldung des Zutritts und Aushändigung der Schlüssel. Das Bezirksgericht L* gab dieser Klage Ende Juni 2021 statt.Letztlich erhielt sie die Schlüssel im Mai 2022.

[5] Auch nach Rechtskraft des Scheidungsurteils im August 2021 fanden zwischen der Klägerin und ihrem Ex‑Gatten keine Gespräche über die Benützung des Einfamilienhauses statt. Mittlerweile wurde ein gerichtliches Aufteilungsverfahren eingeleitet. Die Klägerin erhält kein Entgelt für die Benützung der Liegenschaft durch ihren geschiedenen Gatten, er trägt aber die Betriebskosten. Die Klägerin hat nie ihre Zustimmung zur Benützung der Liegenschaft durch die Beklagte erteilt.

[6] Die Klägerinbegehrt mit ihrer am 19. Mai 2022 eingebrachten Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr die Liegenschaft EZ * binnen vierzehn Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben.

[7] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Es liege eine Benützungsregelung vor, wonach der Ex‑Gatte der Klägerin die Liegenschaft allein benutzen dürfe. Die Aufnahme einer nahestehenden Person, wie insbesondere einer Lebensgefährtin sei von dessen Recht auf Benützung der Liegenschaft zu Wohnzwecken abgeleitet und davon gedeckt. Schließlich habe die Klägerin kein Interesse an der Mitbenützung des Einfamilienhauses, weil ein gemeinsames Wohnen mit ihrem Ex-Gatten dort ohnehin nicht in Betracht komme. Letztlich sei die Klageführung rechtsmissbräuchlich, weil es der Klägerin nur darauf ankomme, das Familienleben ihres Ex‑Gatten und seine Beziehung zur Beklagten zu stören.

[8] Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Da zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Gatten keine Benützungsvereinbarung bestehe, könnten beide Miteigentümer zwar die gesamte Liegenschaft benützen, eine Benützung der gesamten Liegenschaft durch Dritte, sofern diese über bloße Besuche hinausgehe, sei allerdings ohne Zustimmung der Klägerin nicht zulässig, sodass die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin als titellose Benützerin anzusehen sei.

[9] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung Folge. Das Erstgericht habe eine Benützungsregelung zwischen den ehemaligen Ehegatten zutreffend verneint. Zutreffend weise die Beklagte aber darauf hin, dass sich das Erstgericht nicht mit anderen Formen des Gebrauchs der gemeinsamen Sache auseinandergesetzt habe, aufgrund dessen die Klägerin nicht gegen die Beklagte durchdringen könne. Der einzelne Miteigentümer dürfe die Sache auch ohne Rücksprache mit den anderen benützen und im Rahmen der Verkehrsübung durch dritte Personen, insbesondere Familienangehörige, Gäste etc benützen lassen. Die Aufnahme von Lebensgefährten in den eigenen Haushalt zum gemeinsamen Wohnen entspreche der Verkehrsübung. Die Nutzung der Liegenschaft durch die Beklagte sei somit von dem aus dem Miteigentumsrecht abgeleiteten Gebrauchsrecht ihres Lebensgefährten gedeckt. Insofern sei das Eigentumsrecht der Klägerin beschränkt. Die Klage sei daher abzuweisen.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

[11] In der vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu diesem keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[13] 1.1. Eine schon in erster Instanz unterlaufene Nichtigkeit, die auf das Urteil des Berufungsgerichts durchschlägt und vom Berufungsgericht nicht – auch nicht in den Entscheidungsgründen – verneint wurde, kann in der Revision geltend gemacht bzw sonst von Amts wegen berücksichtigt werden (RS0042925 [T5, T11, T12]).

[14] 1.2. Für die Beurteilung, ob eine Rechtssache im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist, kommt es auf den Wortlaut des Entscheidungsbegehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Sachverhaltsbehauptungen an (RS0013639 [T1, T11 ua]).

[15] 1.3. Bei Anhängigkeit eines Aufteilungsverfahrens können auch Ansprüche gegenüber Dritten – bei entsprechender Rechtsgestaltungsbefugnis des Aufteilungsgerichts – ins Außerstreitverfahren fallen. Die Frage, ob einem Dritten Benützungsrechte an einem zur Aufteilungsmasse gehörigen Gegenstand zustehen, ist hingegen nicht im Aufteilungsverfahren zu klären. Klagt also – wie hier – ein geschiedener Ehegatte einen Dritten auf Räumung einer in die Aufteilungsmasse fallenden Wohnung, die nicht Ehewohnung ist, ist der streitige Rechtsweg zu wählen (4 Ob 273/97v = RS0108791; Gitschthaler in Schwimann/Kodek 5 § 85 EheG Rz 10; Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR2 § 85 EheG Rz 13; Garber in Klang³ § 85 EheG Rz 61).

[16] 1.4. Räumungsklagen wegen titelloser Benützung nach eigenmächtiger Änderung der bestehenden Gebrauchsordnung fallen auch nicht unter § 838a ABGB (10 Ob 53/08d; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas 4 § 838a ABGB Rz 4 mwN).

[17] 1.5. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend von der Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs ausgegangen.

[18] 2. Unter Miteigentum versteht man die Teilung des Rechts an der ungeteilten Sache nach Bruchteilen dergestalt, dass jedem Miteigentümer die gleichen Befugnisse an der Sache zustehen, er aber über seinen Anteil nach Belieben verfügen kann. Es steht daher jedem Miteigentümer grundsätzlich auch das Recht auf Benutzung der gemeinsamen Sache zu (RS0044145).

[19] 3.1. Einigen sich die Miteigentümer auf eine bestimmte Aufteilung der Benützung, liegt eine vertragliche Benützungsvereinbarung vor. Dabei werden die Benützungsverhältnisse durch Zuweisung der gemeinschaftlichen Sache oder körperlich begrenzter Teile der Sache zur ausschließlichen Benützung durch einen Teilhaber dauernd oder zumindest für eine bestimmte (längere) Zeit vertraglich geregelt (RS0009664; RS0013577). Sie kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch schlüssig zustande kommen, was etwa bei langjähriger und von allen Miteigentümern unwidersprochen gehandhabter Übung angenommen wird (RS0013638 [T3, T5]; vgl dazu H. Böhm/Palma in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 828 Rz 30; Klausberger in Klang³ § 828 ABGB Rz 9). Im Zweifel ist nicht eine so weitgehende Bindung, sondern bloß eine nicht bindende faktische Gebrauchsregelung anzunehmen (RS0009664 [T1]).

[20] 3.2. Den Vorinstanzen ist zuzustimmen, dass eine schlüssige Benützungsvereinbarung dergestalt, dass der geschiedene Ehegatte der Klägerin das Einfamilienhaus zur Gänze allein nutzen darf, nicht vorliegt. Der Ex‑Gatte ist Ende 2019/Anfang 2020 aus der Ehewohnung ausgezogen. Weder damals und auch zu keinem späteren Zeitpunkt wurde die künftige Nutzung der Ehewohnung und des Einfamilienhauses zwischen den Beiden thematisiert. Nachdem die Klägerin Anfang des Jahres 2020 das Einfamilienhaus nicht betreten konnte, forderte sie ihren Ex‑Gatten zur Aushändigung der Schlüssel auf. Diese bekam sie jedoch erst nach einer erfolgreichen Klagsführung gegen ihn im Jahr 2022. Es mag daher zwar sein, dass die Klägerin bisher faktisch die Nutzung des Einfamilienhauses durch ihren Ex‑Gatten geduldet hat, es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Rechtsfolgewillen der Klägerin.

[21] 4. Eine faktische Benützungsordnung liegt vor, wenn die Miteigentümer die Benützung der gemeinsamen Sache formlos handhaben, ohne dass im Hinblick auf die gelebte Praxis ein Rechtsfolgewille besteht (Klausberger in Klang³ § 828 ABGB Rz 9; H. Böhm/Palma in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 828 Rz 30).

[22] 4.1. Grundsätzlich ist jeder Teilhaber berechtigt, die gemeinschaftliche Sache auch ohne vorherige Absprache mit den übrigen Teilhabern zu benützen. Bei beschränkter Gebrauchsmöglichkeit (zB Einfamilienhaus – 4 Ob 269/99h) darf jeder Teilhaber die gemeinschaftliche Sache derart gebrauchen, dass er hiedurch den Gebrauch durch die anderen nicht beeinträchtigt. Dabei ist nicht auf abstrakte Gebrauchsmöglichkeiten anderer Miteigentümer abzustellen, sondern auf den konkreten Gebrauch durch den anderen Bedacht zu nehmen (RS0013211 [T7]; RS0013197 [T4]; Sprohar-Heimlich in Schwimann/Kodek 5 § 828 ABGB Rz 28).

[23] 4.2. Eigenmächtige Veränderungen tatsächlicher oder rechtlicher Natur an der Substanz oder auch bloß am Gebrauch sowie Verfügungen eines Teilhabers, die in das Anteilsrecht zumindest eines weiteren eingreifen würden, sind rechtswidrig und geben dem anderen Abwehrrechte (1 Ob 128/06i; 10 Ob 53/08d; 1 Ob 145/12y; Sprohar‑Heimlich in Schwimann/Kodek 5 § 829 ABGB Rz 9; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas 4 § 828 ABGB Rz 12). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die bisherige Benützung der gemeinschaftlichen Sache auf einer vereinbarten oder richterlichen Benützungsregelung oder einer bloß faktischen Gebrauchsordnung beruht (10 Ob 53/08d). Gestattet sind lediglich Änderungen der Benützungsart, die die anderen Miteigentümer nicht beeinträchtigen (1 Ob 128/06i; Sprohar‑Heimlich in Schwimann/Kodek 5 § 828 ABGB Rz 29). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Veränderung ist die bisherige Ausübung des Mitbesitzes (1 Ob 213/07s; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas 4 § 828 ABGB Rz 9). Ohne Beanspruchung eines konkreten Gebrauchs durch den klagenden Miteigentümer liegt aber keine titellose Benützung durch die anderen Miteigentümer vor (1 Ob 213/07s; 9 Ob 85/00s; 4 Ob 162/20g).

[24] 4.3. In Verfahren, die der Wahrung des Gesamtrechts dienen, ist jeder Teilhaber (Miteigentümer) allein und ohne Zustimmung der übrigen sowie ohne richterliche Ermächtigung klagebefugt (vgl RS0013417; Sailer/Painsi in KBB7 § 828 ABGB Rz 7; Sprohar‑Heimlich in Schwimann/Kodek 5 § 828 ABGB Rz 21). Dazu gehört etwa die Erhebung einer Räumungsklage gegen titellose Benützer (5 Ob 561/93; 10 Ob 53/08d; Sailer/Painsi in KBB7 § 828 ABGB Rz 7; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas 4 § 828 ABGB Rz 13). Allerdings steht dem Miteigentümer dieses Recht nur insoweit zu, als er sich nicht in Widerspruch zu anderen Miteigentümern setzt (5 Ob 46/22h; RS0012114 [T1, T23]; RS0012137 [T10]). In diesem Sinn entspricht es auch der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Negatorienklage (§ 523 ABGB), dass dem Eingriff eines Dritten die Eigenmacht schon dann fehlt, wenn nur ein Teilhaber den Eingriff gestattet hat (2 Ob 155/08w mwN; 5 Ob 60/20i; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas 4 § 833 ABGB Rz 1; Sprohar‑Heimlich in Schwimann/Kodek 5 § 833 ABGB Rz 6; Gamerith in Rummel³ § 833 ABGB Rz 1; aM 7 Ob 703/87; 6 Ob 119/04z; Apathy, Der possessorische Schutz gegenüber Eigenmächtigkeiten eines Miteigentümers, JBl 1977, 341 [352];Klausberger in Klang³ § 833 ABGB Rz 15, wofür insbesondere Vertrauensschutzüberlegungen sprechen (vgl H. Böhm/Palma in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 833 Rz 9). Die zitierte Rechtsprechung zu § 523 ABGB muss mangels eines sachlichen Unterschieds auch für die Räumungsklage gelten (vgl schon 3 Ob 135/14w; 3 Ob 21/13d [obiter]). Den anderslautenden Entscheidungen 7 Ob 703/87 und 6 Ob 119/04z kann insoweit nicht gefolgt werden.

[25] 4.4. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der ehemalige Gatte der Klägerin den bestehenden Zustand aufrecht erhalten und weiterhin mit der Beklagten als Lebensgefährtin im Einfamilienhaus zusammenleben will. Mit ihrer Klage setzt sich die Klägerin als Hälfteeigentümerin in Widerspruch zum Verhalten des anderen Miteigentümers, sodass ihr Klagebegehren gegen die Beklagte als Dritte scheitern muss.

[26] 5. Die Revision der Klägerin ist daher erfolglos.

[27] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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