OGH 10Ob19/23a

OGH10Ob19/23a31.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch die Mag. Günther Novak‑Kaiser Rechtsanwalt GmbH in Murau, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 106.724,57 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2023, GZ 3 R 206/22x‑33, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. Juli 2022, GZ 23 Cg 89/21a‑26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00019.23A.1031.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.369,70 EUR (darin enthalten 394,95 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte schloss mit M* eine als „Vorvertrag“ bezeichnete Vereinbarung, um eine von diesem verfolgte Geschäftsidee zu verwirklichen. Dafür sollte der Beklagte M* seine beiden Liegenschaften für zehn Jahre zur Nutzung überlassen und sie überdies als Sicherheit für notwendige Kreditmittel zur Verfügung stellen. Im Gegenzug räumte M* dem Beklagten das Recht ein, Anteile an zwei Gesellschaften, die für die Umsetzung des Geschäftskonzepts neu gegründet werden sollten, zu erwerben und als Geschäftsführer angestellt zu werden.

[2] Zur Finanzierung seines Konzepts wandte sich M* an die klagende Bank, wobei er stets von einem Finanzierungsbedarf von 700.000 EUR sprach. Da ein Kredit dieser Größenordnung von einer positiven Risikoeinschätzung der zuständigen Abteilung abhing, schlug der Kundenbetreuer der Klägerin vor, zunächst (bis zum Abschluss der Prüfung) ein geringeres Kreditvolumen in Anspruch zu nehmen und damit die beiden Gesellschaften zu gründen.

[3] In der Folge gewährte die Klägerin M* einen Kredit von 100.000 EUR. Der Beklagte bestellte seine beiden Liegenschaften zum Pfand, ohne dass die Klägerin (ein Mitarbeiter) vorher ein Aufklärungsgespräch mit ihm führte. Der Beklagte hatte seine Informationen ausschließlich von M*, der ihm unter Darstellung seines Businessplans erklärt hatte, dass er einen Kredit über 700.000 EUR benötige und auch erhalten werde, ihm vorerst aber nur 100.000 EUR gewährt worden seien, damit „begonnen werden“ könne.

[4] Die Klägerin stellte letztlich keine weiteren Kreditmittel zur Verfügung. Den ihm gewährten Kredit (über 100.000 EUR) konnte M* nicht bedienen; in der Folge wurde das Schuldenregulierungsverfahren über sein Vermögen eröffnet.

[5] Das Erstgericht wies die Hypothekarklage der Klägerin ab, weil sie ihre Warn- und Aufklärungspflichten gegenüber dem Beklagten verletzt habe.

[6] Das Berufungsgericht gab der Klage hingegen im Umfang von 100.000 EUR sA statt. Die Klägerin habe keine Aufklärungspflicht gegenüber dem Beklagten getroffen, da dieser der (präsumtive) Geschäftspartner des Kreditnehmers gewesen sei und sie überdies ein Informationsbedürfnis des Beklagten auch nicht annehmen habe müssen.

[7] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil seine Rechtsansicht allenfalls von den in der Entscheidung zu 7 Ob 260/06w formulierten Grundätzen abweiche.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision des Beklagten ist mangels darin angesprochener Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

[9] 1. Zur Frage der vorvertraglichen Aufklärungspflicht einer Bank gegenüber Interzedenten (auch) außerhalb des Anwendungsbereichs des § 25c KSchG besteht bereits umfangreiche höchstgerichtliche Rechtsprechung. Danach sind Banken nur in Ausnahmefällen verpflichtet, Interzedenten vor der Haftungsübernahme über die Vermögensverhältnisse des Schuldners aufzuklären (vgl RS0026779). Diese haben vielmehr die erforderlichen Informationen grundsätzlich selbst einzuholen und auf deren Grundlage ihr finanzielles Risiko einzuschätzen (RS0026488 [T9]). Dies gilt erst recht, wenn der Bürge in einer besonderen Nahebeziehung zum Schuldner steht und von diesem selbst alle näheren Auskünfte fordern und erlangen kann (RS0026779 [T10]).

[10] Eine Warn‑ und Aufklärungspflicht der Bank besteht jedoch ausnahmsweise dann, wenn sie vor Vertragsabschluss Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners hat und diesem gerade wegen der von einem Dritten geleisteten Sicherheit trotzdem einen Kredit gewährt (RS0042562; RS0026488), wenn die Bank aufgrund ihrer Kenntnis der wirtschaftlichen Situation des Hauptschuldners von vornherein weiß, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Hauptschuldner zur Kreditrückzahlung nicht in der Lage sein wird (RS0026805) oder sonst eine für den Bürgen besonders gefährliche Situation erkennen musste (RS0042562). Auch in diesen Fällen besteht eine Warn- und Aufklärungspflicht der Bank jedoch nur dann, wenn sie überdies damit rechnen muss, dass dem Sicherungsgeber dieser Umstand nicht ebenfalls bewusst ist (RS0026805 [T5]; RS0026488 [T3]). Ein Eigeninteresse des Mithaftenden an der Kreditgewährung, etwa weil er wirtschaftlich am finanzierten Projekt beteiligt ist oder durch die Kreditmittel auf andere Weise begünstigt wird, schließt somit Schutz- und Sorgfaltspflichten im Allgemeinen aus (8 Ob 5/11k). Diese Grundsätze gelten insbesondere auch für die Pfandbestellung (4 Ob 164/18y; 7 Ob 176/16g ua).

[11] 2. Die Beratungs‑ und Aufklärungspflichten von Banken sind grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls und bilden daher in der Regel keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0106373; RS0111165 [T3]). Eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, die ungeachtet dessen aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifen ist, zeigt der Beklagte nicht auf.

[12] 2.1. Unabhängig davon, ob man ihn nun – wie das Berufungsgericht – als „Geschäftspartner“ von M* qualifiziert und wie man den Inhalt des „Vorvertrags“ rechtlich einordnet, kommt darin ein nicht unbeträchtliches wirtschaftliches Eigeninteresse des Beklagten am Projekt des Kreditnehmers und damit auch an der Kreditgewährung zum Ausdruck. Er sicherte sich nicht nur ein Aufgriffsrecht an Anteilen der zu gründenden Gesellschaften und damit die Möglichkeit, an einem wirtschaftlichen Erfolg des Projekts zu partizipieren, sondern als künftiger Geschäftsführer auch einen Einfluss auf die Geschäftsgebarung. Wie sich aus den Feststellungen des Erstgerichts ableiten lässt, legte M* das der Klägerin (im E-Mail vom 4. Juni 2020 [Beilage ./5]) auch offen. Davon, dass der Beklagte ein „gewöhnlicher Realschuldner“ war, der für den Kredit eines anderen nur eine Sicherheit geben sollte, kann angesichts dessen keine Rede sein. Wenn das Berufungsgericht daher davon ausgeht, die Klägerin habe in dieser Situation keine weiteren Schutz‑ und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Beklagten getroffen, bedarf das keiner Korrektur. Der Beklagte legt im Übrigen auch nicht näher dar, warum vor dem Hintergrund der „existierenden Rechtsprechung“ Aufklärungspflichten logisch und klar sein sollen.

[13] 2.2. Dem steht auch nicht die Entscheidung zu 7 Ob 260/06w entgegen. Zwar weist der dort beurteilte Sachverhalt insofern Ähnlichkeiten zum vorliegenden Fall auf, als ebenfalls bereits Kredite vergeben wurden, obwohl die Ausfinanzierung des betriebenen Projekts und damit der Bestand des Unternehmens vor Aufnahme des Betriebs noch nicht gesichert war. In dieser Konstellation nahm der Oberste Gerichtshof eine Aufklärungs‑ und Warnpflicht der Bank gegenüber Pfandbestellern an, die am Projekt wirtschaftlich nicht beteiligt waren. Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, ist das hier gerade nicht der Fall. Mit seinem kursorischen und nicht näher konkretisierten Hinweis, diese Entscheidung sei auch im Anlassfall „analog anwendbar“, vermag der Beklagte die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.

[14] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41,  50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).

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