OGH 2Ob201/23g

OGH2Ob201/23g25.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2022 verstorbenen F*, zuletzt *, über den Revisionsrekurs des M*, vertreten durch Mag. Roland Schlegel, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 19. Juli 2023, GZ 13 R 134/23p‑36, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Güssing vom 26. April 2023, GZ 2 A 461/22i‑26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00201.23G.1025.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I.

Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Union wird zurückgewiesen.

II.

1. Die Revisionsrekursbeantwortung der Verlassenschaft wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Der 2022 im Sprengel des Erstgerichts verstorbene Erblasser war österreichischer Staatsbürger.

[2] In einem Testament vom 23. 10. 2006 setzten sich der Erblasser und seine bereits 2018 verstorbene Ehefrau wechselseitig zu Erben ein und bestimmten den Antragsteller zum Nacherben nach dem Letztversterbenden.

[3] Am 5. 2. 2022 errichtete der Erblasser ein eigenhändiges Testament, in dem er frühere Verfügungen widerrief und zwei Freunde als Erben einsetzte.

[4] Mit weiterer eigenhändiger Verfügung vom 14. 9. 2022 samt Zusatz vom selben Tag widerrief er erneut sämtliche früheren Verfügungen und traf Verfügungen zu Gunsten eines Vereins. In sämtlichen letztwilligen Verfügungen wählte er deutsches Erbrecht.

[5] Die Mitteilung des Todesfalles langte am 27. 9. 2022 beim Erstgericht ein, das anschließend das Verlassenschaftsverfahren eröffnete. Bereits am 28. 9. 2022 gab die Tochter des Erblassers aufgrund des Gesetzeseine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab.

[6] Mit Schreiben vom 14. 11. 2022 teilte das Amtsgericht Starnberg am See mit, dass auch dort ein Verlassenschaftsverfahren eröffnet worden sei, weil der Erblasser im Sprengel einen Wohnsitz gehabt und in Deutschland Grundbesitz hinterlassen habe. Es ersuchte unter Hinweis auf die österreichische Staatsbürgerschaft des Erblassers und dessen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich um Mitteilung, ob sich das Erstgericht gemäß Art 4 EuErbVO für zuständig erkläre.

[7] Nach einer Mitteilung des Gerichtskommissärs übermittelte das Amtsgericht mit Schreiben vom 1. 12. 2022 eine Eröffnungsniederschrift vom 20. 10. 2022 samt beglaubigter Abschriften der drei Testamente des Erblassers und erklärte das Verfahren (damit) für abgeschlossen.

[8] Mit Schreiben vom 1. 2. 2023 begehrtder Antragsteller, mit dem Verlassenschaftsverfahren innezuhalten oder gemäß Art 17 EuErbVO über die Zuständigkeit zu entscheiden, sollte das Erstgericht der Meinung sein, zuerst angerufen worden zu sein. Er sei aufgrund des Testamentes vom 23. 10. 2006 Alleinerbe und als Neffe des Erblassers auch aufgrund des Gesetzes berufen. Er habe aufgrund der Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens auch in Deutschland wegen unklarer Lage beim zuerst einschreitenden deutschen Gericht eine Entscheidung über die Zuständigkeit beantragt. Das Erstgericht habe daher das gegenständliche Verfahren „innezuhalten“. Sollte das Erstgericht die Ansicht vertreten, früher angerufen worden zu sein, habe dieses über die Zuständigkeit zu entscheiden.

[9] Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Der Antragsteller sei weder nach österreichischem noch nach deutschem Recht Partei des Verlassenschaftsverfahrens und daher auch nicht berechtigt, einen Antrag auf Entscheidung über die Zuständigkeit zu stellen.

[10] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Erbantrittserklärung habe der Antragsteller nicht abgegeben. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise dennoch zu gewährende Parteistellung lägen nicht vor. Ob er das Erbe tatsächlich antreten wolle, sei seinem Antrag nicht zu entnehmen. Er sei auch nicht aufgrund nicht seiner Sphäre zuzurechnenden Gründen an der Abgabe einer Erbantrittserklärung gehindert worden. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage der Parteistellung eines potentiellen Erben im Verfahren über die Zuständigkeit nach der EuErbVO zu.

[11] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem (erkennbaren) Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die inhaltliche Entscheidung über seinen Antrag aufzutragen. Hilfsweise wird die Aufhebung (nur) der Entscheidung des Rekursgerichts beantragt.

[12] Die Verlassenschaft beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

[14] Der Antragsteller argumentiert, er habe deshalb keine Erbantrittserklärung abgegeben, weil der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers tatsächlich in Deutschland gewesen sei, sodass deutsche Gerichte international zuständig seien und deutsches Erbrecht zur Anwendung komme. Dieses kenne aber keine Erbantrittserklärung. Bei Abgabe einer Erbantrittserklärung würde er die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts und die Anwendung österreichischen Erbrechts „anerkennen“. Im Hinblick auf die offene Frage der internationalen Zuständigkeit sei unsicher, ob es überhaupt zu einer Abhandlung in Österreich nach österreichischem Erbrecht komme. Ihm sei daher auch ohne Abgabe einer Erbantrittserklärung Parteistellung zu gewähren.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

Zu I.:

[15] Nach ständiger Rechtsprechung besteht kein verfahrensrechtlicher Anspruch, die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 267 AEUV zu beantragen, ein solcher Antrag ist zurückzuweisen (RS0058452). Ein Vorabentscheidungsersuchen zum „Parteibegriff“ der EuErbVO ist schon deshalb nicht angezeigt, weil sich diese schon aus nationalem Recht ergibt und insoweit keine Auslegungszweifel in Bezug auf die EuErbVO vorliegen (vgl dazu Pkt II.).

Zu II.:

[16] 1. Der Verlassenschaft kommt in dem über sie abgewickelten Nachlassverfahren keine Parteistellung zu (RS0006384). Die von ihr eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung war daher zurückzuweisen. Weitere Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

[17] 2. Nach ständiger Rechtsprechung wird der potenzielle Erbe grundsätzlich erst mit Abgabe seiner Erbantrittserklärung Partei des Verlassenschaftsverfahrens. Vorher hat er keinen Einfluss auf den Gang des Verlassenschaftsverfahrens und keine Rekurslegitimation. Dem liegt der tragende Gedanke zugrunde, es könne nicht angehen, dass jemand einerseits die Erbantrittserklärung mit ihren weitreichenden Rechtsfolgen vorerst oder überhaupt unterlässt, andererseits aber Einfluss auf das Abhandlungsverfahren nehmen will (2 Ob 85/20v Rz 5 mwN).

[18] 3. Die Rechtsprechung erkennt aber Ausnahmen dieses Grundsatzes für folgende Fälle an:

[19] 3.1 Im Verfahren zur Feststellung der Erbhofqualität wird das rechtliche Interesse des potentiellen Erben schon vor seiner Erbantrittserklärung bejaht, weil ihm die Möglichkeit offenstehen muss, nur im Fall der Feststellung der Erbhofeigenschaft seine Erbantrittserklärung (als Anerbe) abzugeben (2 Ob 32/19y Pkt 3.1 mwN).

[20] 3.2 Obwohl sie keine Erbantrittserklärung abgegeben haben, kommt nach herrschender Rechtsprechung potentiellen Erben dennoch Parteistellung und Rekurslegitimation zu, wenn zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten ist. Begründet wird dies damit, dass ihnen als Beteiligten das Rekursrecht gegen Entscheidungen des Abhandlungsgerichts zukommt, mit denen anstelle der Abhandlung durch Einantwortung aufgrund von Erbantrittserklärungen in anderer Form über Besitz und Rechte an einzelnen Verlassenschaftsstücken Anordnungen getroffen werden. Das betrifft vor allem das Unterbleiben der Abhandlung und die Überlassung an Zahlungs statt (2 Ob 32/19y Pkt 3.2 mwN).

[21] 3.3 Generell wird dem potentiellen Erben auch dann Parteistellung und Rekurslegitimation in jenen Fällen eingeräumt, in denener sein aktives Interesse am Erbantritt bekundet hat und die Abgabe einer Erbantrittserklärung aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen unterblieben ist. Als derartige Gründe wurden etwa Verfahrensfehler angesehen, wie beispielsweise eine unrichtigerweise unterbliebene Aufforderung zur Abgabe einer Erbantrittserklärung oder keine entsprechende Belehrung durch den Gerichtskommissär (2 Ob 85/20v Rz 6 mwN). Aber auch der Umstand, dass sonst aufgrund des Verfahrensstands noch keine Veranlassung für den potentiellen Erben zur Abgabe einer Erbantrittserklärung bestanden hat, kann ein derartiger Grund sein (2 Ob 32/19y Pkt 3.3 mwN). Für eine ausnahmsweise zu bejahende Parteistellung vor Erbantrittserklärung müssen aber beide Voraussetzungen (Interessenbekundung und Unterbleiben der Erbantrittserklärung aus nicht in der Sphäre des potenziellen Erben liegenden Gründen) kumulativ vorliegen (2 Ob 85/20v Rz 7; RS0007926 [T20]).

[22] 4. Sein Interesse am Erbantritt hat der Antragsteller bereits in seinem ersten, an das Erstgericht gerichteten Schreiben ausreichend kundgetan, hat er sich doch darauf berufen, aufgrund des Testaments, aber auch des Gesetzes Erbe zu sein.

[23] 5.1 Aufgrund des Ablebens des Erblassers nach dem 16. August 2015 (Art 83 Abs 1 EuErbVO) kommt die EuErbVO zur Anwendung.

[24] 5.2 Die EuErbVO verfolgt im Grundsatz das Ziel, den Gleichklang zwischen lex fori und lex causae umzusetzen, indem sowohl bei der internationalen Zuständigkeit als auch dem anzuwendenden Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpft wird (Schauer in Deixler‑Hübner/Schauer, EuErbVOKommentar² Vor Art 4 ff Rz 1). Dennoch kann es im Einzelfall (vgl bspw Rechtswahl nach Art 22 EuErbVO) dazu kommen, dass ein international zuständiges Gericht ein fremdes Erbstatut anzuwenden hat.

[25] In diesem Zusammenhang bestimmt § 181a AußStrG, dass die Bestimmungen über die Erbantrittserklärung und die Einantwortung bei fremdem Erbstatut nur soweit anzuwenden sind, als es der Schutz der Rechte der Beteiligten und der Rechtsübergang nach dem anwendbaren Recht erfordern. Diese „Generalklausel“ soll ein „passendes“ Verfahren ermöglichen, wenn der Erbgang nicht nach österreichischem Recht erfolgt (2 Ob 214/21s Rz 22 mwN). Wenn eine Verlassenschaftsabhandlung in Österreich durchzuführen ist und der Verstorbene etwa wirksam deutsches materielles Erbrecht gewählt hat, so ist eine Erbantrittserklärung in Österreich überflüssig, weil das deutsche materielle Erbrecht keine Erbantrittserklärung kennt. Der Erbe erwirbt die Verlassenschaft ohne weitere Erklärung, wenn er nicht innerhalb bestimmter Fristen den Erwerb der Verlassenschaft unwiderruflich ausschlägt (Schatzl/Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 181a Rz 4; vgl auch Fucik in Deixler‑Hübner/Schauer, EuErbVO‑Kommentar² § 181a AußStrG Rz 6 [Maßgeblichkeit des Erbstatuts]).

[26] 5.3 Die bisher unterbliebene Abgabe einer Erbantrittserklärung durch den Antragsteller resultiert aus dessen Rechtsstandpunkt, dass aufgrund des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in Deutschland deutsche Gerichte international zuständig seien (Art 4 EuErbVO) und auch deutsches Erbrecht zur Anwendung komme (Art 21 EuErbVO). Vor diesem Hintergrund und Verfahrensstand bestand für den Antragsteller aber noch keine Veranlassung, eine – nach deutschem Erbrecht nicht vorgesehene – Erbantrittserklärung abzugeben. Ihm ist vielmehr aufgrund ausreichender Interessebekundung im Verfahren zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit Parteistellung und Rekurslegitimation einzuräumen.

[27] 6. Da die Vorinstanzen inhaltlich zur internationalen Zuständigkeit nicht Stellung genommen haben, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, auf diese Frage (inhaltlich) einzugehen (RS0007037 [T16, T17]).

[28] 7. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und dem Erstgericht die inhaltliche Behandlung des Antrags auf Entscheidung über die Zuständigkeit aufzutragen.

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