OGH 13Os85/23h

OGH13Os85/23h18.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * C* wegen Verbrechen nach § 3g VG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 13. Juli 2023, GZ 9 Hv 29/22v‑34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00085.23H.1018.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * C* mehrerer Verbrechen nach § 3g VG (A), mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (B und C 2) und eines Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (C 1) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er (im Urteil detailliert beschrieben) in G*

A) sich auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise vorsätzlich im nationalsozialistischen Sinne betätigt, indem er

1) am 16. September 2022 in Hörweite zahlreicher Passanten mehrmals lautstark die nationalsozialistischen Parolen „Heil Hitler“ und „Sieg Heil“ rief und

2) am 7. Oktober 2022 in Anwesenheit zumindest einer anderen Person mehrmals die nationalsozialistische Parole „Sieg Heil“ rief und dabei mehrmals durch Ausstrecken des rechten Armes in einem Winkel von etwa 45 Grad den „Hitlergruß“ darbot,

B) am 27. Mai 2022 BezInsp * W*, Asp * P* und eine Krankenschwester durch diverse Äußerungen vorsätzlich mit zumindest einer Verletzung an ihrem oder am Körper einer Sympathieperson gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, weiters

C) am 5. April 2023 seine Mutter E*

1) durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper vorsätzlich zur Veranlassung seines Umzugs in die Türkei zu nötigen versucht (§ 15 StGB), sowie

2) gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er gegenüber Polizeibeamten äußerte: „Die dumme Mutter, die werde ich noch vernichten!“, wobei er in der Absicht handelte, dass die Drohung E* zur Kenntnis gelangt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 10a und 11 (richtig) lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Bestimmung des § 252 Abs 3 StPO ist nicht mit Nichtigkeit bewehrt und fällt daher nicht in den Schutzbereich des § 345 Abs 1 Z 4 StPO. Davon ausgehend erübrigt sich eine Antwort auf die Kritik, das Erstgericht habe den Angeklagten nach einer mit Zustimmung der Parteien erfolgten Verlesung von Protokollen über die Vernehmung von Zeugen nicht befragt, ob er darüber etwas zu bemerken habe.

[5] Nach § 305 Abs 1 erster Satz StPO sind die (in demselben Jahr noch nicht beeidigten) Geschworenen vom Vorsitzenden zu beeidigen. Ein diesbezügliches Versäumnis zeigt die Verfahrensrüge (Z 3) mit ihrem Vorbringen betreffend * H*, welche nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung kein Mitglied des Geschworenengerichts, sondern lediglich Ersatzgeschworene war (ON 33 S 2 und 21), nicht auf.

[6] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS‑Justiz RS0118780 [T13, T16 und T17]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 470 und 490).

[7] Hievon ausgehend weckt die Tatsachenrüge (Z 10a) weder mit dem Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten in Bezug auf die Einnahme von MDMA und Ritalin (ON 33 S 5) noch mit jenem auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.‑Prof. Dr. W*, wonach der Angeklagte an einer alkohol‑ und drogenkonsum‑bedingten schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung leide (ON 33 S 16 ff iVm ON 21 S 2 ff), beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen durch Verneinung der Zusatzfrage in Richtung Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) getroffenen Feststellungen (US 3, 5, 7, 9, 10 f, 12 f).

[8] Die Geltendmachung materieller Nichtigkeit im geschworenengerichtlichen Verfahren verlangt den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§§ 260 Abs 1 Z 2, 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 342 StPO) vorgenommenen Subsumtion (RIS‑Justiz RS0101148 und RS0101403).

[9] Diese Anforderung verfehlt die Rechtsrüge (Z 11 lit a), indem sie unter Bestreitung der im Wahrspruch festgestellten subjektiven Tatseite zum Schuldspruch A vorbringt, das Verhalten des Angeklagten erfülle bloß den Verwaltungsstraftatbestand des Art III Abs 1 Z 4 EGVG.

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[11] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).

[12] Hinzugefügt sei, dass das Schöffengericht beim Strafausspruch verfehlt von einer Erweiterung der von § 3g VG eröffneten Strafbefugnis nach § 39 StGB, nämlich einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe, ausging (US 17). Denn in Ansehung der unter § 3g VG subsumierten Taten (Schuldspruch A) ergeben sich aus den Entscheidungsgründen keine rückfallsbegründenden Vortaten im Sinn des § 39 Abs 1 StGB oder des § 39 Abs 1a StGB. Die Voraussetzungen des § 39 Abs 1 und 1a StGB liegen zwar auf der Basis des Strafzumessungssachverhalts hinsichtlich der § 107 Abs 1 StGB und §§ 15, 105 Abs 1 StGB subsumierten Taten (Schuldspruch B und C) vor (US 16 f). Bei Zusammentreffen mehrerer konkurrierender strafbarer Handlungen bestimmt sich die Obergrenze des Strafrahmens aber nach jenem Gesetz, das die – unter Berücksichtigung der zwingend anzuwendenden (vgl RIS‑Justiz RS0133600) Strafschärfungsbestimmungen des § 39 Abs 1 und 1a StGB – höchste Strafobergrenze androht (vgl [zu § 302 StGB und § 107 StGB], 14 Os 69/21k, SSt 2021/53; RIS‑Justiz RS0133826 [T1]). Demnach wäre bei der Strafbemessung (ausgehend von den Entscheidungsgründen) aufgrund der in § 3g VG angedrohten (gegenüber § 105 Abs 1 StGB oder § 107 Abs 1 StGB jeweils iVm § 39 StGB ohnedies) höheren Obergrenze von einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen gewesen. Da dieser nicht geltend gemachten Nichtigkeit des Strafausspruchs (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO, vgl RIS‑Justiz RS0125294 [zu § 39 Abs 1 StGB] und RS0125243 [ua zu § 28 StGB]) im Rahmen der Entscheidung über die vom Angeklagten ergriffene Berufung, in der dieser Umstand auch aufgezeigt wird, Rechnung getragen werden kann (RIS‑Justiz RS0119220; Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 29), bedarf es insoweit keiner amtswegigen Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO.

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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