OGH 9ObA55/23p

OGH9ObA55/23p27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R* J*, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei V* GmbH, *, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 49,57 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2023, GZ 10 Ra 14/23m‑20, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 21. November 2022, GZ 1 Cga 53/22b‑14, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00055.23P.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 154,03 EUR (darin 25,67 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten als Arbeiter im Kraftwerk F* beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Kollektivvertrag für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmungen (kurz: KV) Anwendung.

[2] Die Normalarbeitszeit des Klägers war von Montag bis Donnerstag verteilt. Am Sonntag, den 13. 2. 2022, wurde der Kläger im Rahmen seiner Rufbereitschaft zu einem Einsatz ins Kraftwerk gerufen. Dieser dauerte von 16:05 Uhr bis 18:00 Uhr. Für diese Arbeiterhielt der Kläger eine Überstundenvergütung von 100 %.

[3] Mit der vorliegenden Klage begehrt der Klägerfür diesen Arbeitseinsatz zusätzlich 49,57 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen seit 1. 4. 2022, gestützt auf den im KV normierten Zuschlag von 100 % für die Sonntagsarbeit.

[4] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass dem Kläger nach dem KV für seinen Arbeitseinsatz am 13. 2. 2022 kein zusätzlicher doppelter Zuschlag für die Sonntagsarbeit zustehe.

[5] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen zu.

[6] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Der Kläger beantragt in seinerRevisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision der Beklagten ist zulässig (RS0042819; RS0109942), sie ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Im Verfahren ist unstrittig, dass der Kläger am 13. 2. 2022 Überstundenarbeit geleistet hat, wofür ihm, weil er diese an einem Sonntag geleistet hat, nach Abschnitt XVIII Punkt 6 lit c) KV ein Zuschlag von 100 % gebührt. Uneins sind sich die Parteien nur darüber, ob dem Kläger für diese Sonntagsarbeit nach Abschnitt XVIII Punkt 7 lit a) KV zusätzlich ein Zuschlag von 100 % gebührt.

[10] 2. Für die Beantwortung dieser Frage sind folgende Regelungen im Kollektivvertrag für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen relevant:

XVIII. Zulagen und Zuschläge

Überstundenzuschläge, Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit

6.  Als Überstunde gilt jede Arbeitszeit, welche außerhalb der auf Grundlage der geltenden wöchentlichen Normalarbeitszeit, Abschnitt VI Punkt 1, sowie der Mehrarbeit gemäß Abschnitt VIa vereinbarten täglichen Arbeitszeit liegt. Bei anderer Verteilung der Normalarbeitszeit im Sinne des Abschnittes VI, Punkte 16–23, liegen Überstunden erst dann vor, wenn die aufgrund der anderen Verteilung der Normalarbeitszeit auf die einzelnen Wochen vereinbarte tägliche Arbeitszeit sowie die Mehrarbeit gemäß VIa überschritten werden.

...

c)  Für Überstunden, die nicht in die Zeit von 19 bis 6 Uhr fallen und nicht Sonn- oder Feiertagsüberstunden sind, gebührt ein Zuschlag von 50 %. Für die 11. und 12. Stunde an einem Tag gebührt, ausgenommen Arbeitsstunden im Rahmen gleitender Arbeitszeit, ein Zuschlag von 100 %. Dies gilt auch bei gleitender Arbeitszeit, sofern Überstunden angeordnet werden.

Fallen die Überstunden in die Zeit von 19 Uhr bis 6 Uhr, oder sind diese an Sonn- oder Feiertagen zu leisten, gebührt ein Zuschlag von 100 %.

...

7. a)  Für Sonntagsarbeit gebührt ein Zuschlag von 100 %.“

[11] 3. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen. Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0008807; RS0008782; RS0010088). In erster Linie ist der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, welche die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Normen besessen haben, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (RS0010088 [T3]). Den Kollektivvertragsparteien ist dabei zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (RS0008828). So wie es aber nicht Sache der Rechtsprechung ist, eine unbefriedigende Regelung des Gesetzes zu korrigieren, darf auch einem Kollektivvertrag nicht zu diesem Zweck eine Deutung gegeben werden, die dem klaren und unzweideutig formulierten Wortlaut der Norm zuwiderliefe (RS0010088 [T31]).

[12] 4.1. Zutreffend sind die Vorinstanzen übereinstimmend davon ausgegangen, dass der KV schon nach seinem Wortlaut für Überstunden, die an einem Sonntag geleistet werden, einen doppelten Zuschlag von 100 % vorsieht. Zum einen normiert Abschnitt XVIII Punkt 6 lit c) KV einen Zuschlag von 100 % für an einem Sonntag geleistete Überstunden und zum anderen sieht Abschnitt XVIII Punkt 7 lit a) KV für Arbeiten am Sonntag einen Zuschlag von 100 % vor. Der Zuschlag für die Sonntagsarbeit in Abschnitt XVIII Punkt 7 lit a) KV unterscheidet nicht zwischen einer sonntäglichen Leistung innerhalb der Normalarbeitszeit oder der Erbringung von Überstundenarbeit. Der Sonntagszuschlag von 100 % gebührt für jede Sonntagsarbeit. Die Kollektivvertragsparteien wollen hier offenkundig mit dem Zuschlag von 100 % für die Sonntagsarbeit (auch wenn sie nicht Überstundenarbeit ist) die Beeinträchtigung der dem Arbeitnehmer im Regelfall gebührenden Wochenendruhe, in die gemäß § 3 Abs 1 ARG der Sonntag zu fallen hat, abgelten. Die geleistete Überstundenvergütung (bzw der gewährte Zuschlag) bezweckt dagegen im Regelfall bloß die absolute Arbeitsbelastung ab einer bestimmten Arbeitszeitgrenze bzw Arbeitszeitlänge besonders abzugelten (vgl etwa 9 ObA 121/19p [Pkt I.9.]). Die KV-Regelung stuft die Mehrarbeit betreffend bestimmter Arbeitszeiten als besonders belastend ein, wobei die finanzielle Mehrbelastung des Arbeitgebers wohl auch dazu dienen soll, den Arbeitgeber dazu anzuhalten, wirklich nur in begründeten Fällen davon Gebrauch zu machen (vgl RS0051870). Hätten die Kollektivvertragsparteien dies nicht gewollt, hätten sie wohl – wie in § 5 Abs 10d des gleichnamigen Angestelltenkollektivvertrags vorgesehen – beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge eine Deckelung mit dem höchsten Zuschlag festgelegt.

[13] 4.2. Der Revisionswerbern ist zuzugestehen, dass die Regelungen des hier anzuwendenden Kollektivvertrags zu den Überstunden die Sonntagsarbeit schon mit einem höheren Zuschlag besonders berücksichtigt. Dies ändert aber nichts daran, dass die Kollektivvertragsparteien offensichtlich in der Mehrarbeit am Sonntag, aber auch in der Zeit zwischen 19:00 Uhr bis 6:00 Uhr und an Feiertagen eine besondere Arbeitsbelastung erblicken. Daraus kann aber für den verständigen Leser nicht jedenfalls geschlossen werden, dass die Kollektivvertragsparteien im Fall der qualifizierten Sonntagsüberstunden keinen weiteren Zuschlag für Sonntagsarbeit gewähren wollen. Dies zeigt auch der vom Berufungsgericht aufgezeigte Vergleich mit der Regelung zur Feiertagsarbeit: Dazu wurde nämlich von den Kollektivvertragsparteien in Abschnitt XVIII Punkt 8 lit a) und b) im Unterschied zur Sonntagsarbeit ausdrücklich geregelt, dass für Arbeiten, die an Feiertagen innerhalb der für diesen Kalendertag vorgesehenen Normalarbeitszeit geleistet werden, zum Feiertagsarbeitsentgelt (nach § 9 Abs 5 ARG: „doppeltes Entgelt“) ein Zuschlag von 50 % gebührt (insgesamt 150 % „Zuschlag“) und Überstunden an gesetzlichen Feiertagen mit einem Zuschlag von 100 % entlohnt werden (insgesamt 200 % „Zuschlag“). Das zusätzliche gesetzliche Feiertagsentgelt deckt daher nicht die Entlohnung für die qualifizierten Feiertagsüberstunden ab, sondern wird dafür nach dem klaren Wortlaut des Abschnitts VIII Punkt 6 lit c) iVm Punkt 8 lit b) ein (weiterer) Zuschlag von 100 % gewährt. Dem Text des KV kann aber nicht entnommen werden, dass die Kollektivvertragsparteien beabsichtigen, die Sonntagsarbeit anders abgelten zu wollen als die Feiertagsarbeit, zeigt sich doch auch im höheren Überstundenzuschlag, dass die Kollektivvertragsparteien diese Überstundenarbeiten – mit einem Tätigwerden im Zeitraum 19:00 Uhr bis 6:00 Uhr – als mit einer besonderen Mehrarbeitsbelastung verbunden ansehen und zwar unabhängig von der für Sonn- und Feiertagsarbeit im Allgemeinen gewährten höheren Entlohnung. Wie bereits erwähnt dient diese Abgeltung gerade einem anderen Zweck, nämlich der Abgeltung der besonderen Freizeitbeeinträchtigung bzw Beeinträchtigung von (Mindest‑)Ruhezeiten.

[14] 5. Dassfürdas Nebeneinanderbestehen von Überstundenzuschlägen und der besonderen Sonntagsentlohnung die verschiedenen Zwecke dieser Zuschläge sprechen, hat der Oberste Gerichtshof auch bereits bei der Auslegung von (vergleichbarer) Bestimmungen in anderen Kollektivverträgen in den Vordergrund seiner Ausführungen gerückt (vgl 14 Ob 31/86; 9 ObA 214/88, 9 ObA 287/90).

[15] 6. Die in den Kollektivverträgen für Elektrizitätsunternehmen unterschiedliche Behandlung der Vergütung von Überstundenarbeit, die an einem Sonntag geleistet wird, für Arbeiter und Angestellte ist auch im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes nicht per se unsachlich. So wie es dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums unbenommen ist, für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen Unterschiedliches zu regeln, um seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl 9 ObA 131/19h), muss dies auch für die Kollektivvertragsparteien gelten. Eine völlige Angleichung von Arbeitern und Angestellten hat auch der Gesetzgeber (bislang) nicht vorgenommen. Für eine analoge Anwendung einzelner Regelungen in anderen Kollektivverträgen bleibt schon aufgrund der unterschiedlichen persönlichen Geltungsbereiche der genannten Kollektivverträge kein Raum (vgl RS0098756 [T12, T14]).

[16] Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

[17] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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