OGH 2Ob141/23h

OGH2Ob141/23h25.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Mag. Siegfried Berger, Mag. Harald Brandstätter, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, gegen die beklagte Partei t*, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Abgabe einer Willenserklärung (Streitwert 15.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 20. April 2023, GZ 22 R 79/23f‑21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 10. Jänner 2023, GZ 6 C 162/21w‑17, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00141.23H.0725.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.316,40 EUR (darin 219,40 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke. Eines dieser Grundstücke umgibt das 33 m2 große Grundstück der Beklagten, auf dem sich ein von ihr betriebenes Kleinkraftwerk befindet. Die Klägerin plant, den sich auf ihrer Liegenschaft befindlichen desolaten Schlachthof, der an das Kraftwerk grenzt, abzutragen und dort eine Wohnhausanlage zu errichten.

[2] Die Beklagte hat mit Blick auf den weiteren Bestand des Kraftwerks Bedenken gegen das Wohnhausprojekt. Das betrifft eine gesicherte Zufahrt bzw die Rohrleitung sowie befürchtete Einwände der Bewohner wegen Lärm und Erschütterungen durch das Kraftwerk. Die Beklagte fordert von der Klägerin unter anderem eine Zufahrt zum Kraftwerk im Weg einer Grundabtretung und eine „vernünftige“ Abstandsregelung bezüglich der Wohnhausanlage. Letzteres wurde von ihr zuletzt mit mindesten einem Meter konkretisiert.

[3] Die Klägerin bot der Beklagten den Abschluss eines „Dienstbarkeitsvertrags“ an, mit dem sie sich zur Duldung des Kraftwerks und zur Setzung von (in einem Messbericht empfohlenen) baulichen Schutzmaßnahmen verpflichten würde. Diese Schutzmaßnahmen wurden mit Blick auf die Emissionen des Kraftwerks (Lärm und Erschütterungen) empfohlen, unter anderem auch ein Abstand zur Wohnanlage von mindestens 0,6 Meter. Die Klägerin war auch bereit, die Beklagte hinsichtlich allfälliger Ansprüche der zukünftigen Bewohner gegen Emissionen des Kraftwerks schad- und klaglos zu halten. Die Klägerin will der Beklagten aber keine Grundstücke abtreten oder verkaufen.

[4] Eine Einigung zwischen den Streitteilen kam nicht zustande.

[5] Die Klägerin reichte 2018 bei der Gemeinde als Baubehörde das Projekt zur Errichtung der Wohnhausanlage ein. Die Baubehörde bewilligte im gleichen Jahr (trotz des Einspruchs der Beklagten) die Änderung des bisherigen Bebauungsplans rechtskräftig. Das Verfahren über den 2019 eingebrachten Antrag der Klägerin auf Änderungen und Anpassung (Höhenentwicklung) der Bauplatzerklärung aus dem Jahr 1974 wird von der Gemeinde bislang nicht weitergeführt, weil die Beklagte die dafür erforderliche Zustimmung verweigert.

[6] Die Klägerin begehrt die Beklagte zur Zustimmung der Änderung des Bauplatzes vor der Baubehörde zu verpflichten. Der Beklagten entstünden dadurch keine Nachteile. Ihre Verweigerung sei „schikanös und sittenwidrig“, zumal die Klägerin Vorkehrungen dafür getroffen habe, dass die geplante Wohnhausanlage und das Kraftwerk nicht wechselseitig von Emissionen betroffen seien. Die Einhaltung von Mindestabständen sei nicht Gegenstand des Bauplatzerklärungsverfahrens. Nachbarrechte seien nur im Baubewilligungsverfahren zu prüfen.

[7] Die Beklagte wandte ein, dass sie als Nachbarin ein Abwehrrecht gegen heranrückende Wohnbebauung habe. Die Einforderung eines Mindestabstands sei nicht schikanös. Die begehrte Bauplatzerklärung würde den Wohnbau ermöglichen, der von der Beklagten nicht erwünscht sei. Sie bestehe darauf, dass ihr die Zufahrtsfläche zum Kraftwerk gegen angemessenes Entgelt übertragen werde. Die Druckrohrleitung führe von der Straße zum Kraftwerk, dieser Bereich dürfe nicht verparkt werden, was durch eine Zufahrt im Wege einer Servitut nicht abgedeckt sei.

[8] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es sei in Gesamtschau von einer schikanösen Rechtsausübung der Beklagten auszugehen, weil ein krasses Missverhältnis der Interessen der Klägerin zu den Interessen der Beklagten anzunehmen sei. Die Klägerin habe ohne Unterschriftsleistung der Beklagten keine Möglichkeit, die Bauplatzerklärung von 1974 jemals zu ändern. Die Beklagte habe hingegen sämtliche Möglichkeiten, ihre Forderungen und Interessen durchzusetzen.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Klage ab.

[10] Von den beiden Alternativen des § 1295 Abs 2 ABGB sei hier lediglich eine allfällige sittenwidrige Schädigung der Beklagten, nicht aber ein Rechtsmissbrauch zu prüfen. Ein Rechtsmissbrauch setze voraus, dass das Recht gegenüber dem Geschädigten zustehe. Mit ihrer Weigerung übe die Beklagte aber kein subjektives Recht aus. Damit könne auch dahinstehen, ob zwischen den von der Beklagten verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen der Klägerin ein krasses Missverhältnis bestehe.

[11] Die Beklagte erfülle nicht den Tatbestand der 1. Alternative des § 1295 Abs 2 ABGB. Dieser setze voraus, dass ihr Verhalten den Grundprinzipien der Rechtsordnung widerspreche. Der Tatbestand der Sittenwidrigkeit sei ein restriktiv einzusetzendes Regulativ, das nur in krassen Fällen erfüllt sei. Ein derartiges, den Grundprinzipien der Rechtsordnung widersprechendes Verhalten könne in der Verweigerung der Zustimmung zur gemeinsamen Antragstellung im Verfahren zur Änderung der bestehenden Bauplatzerklärung nicht erblickt werden. Von einer sittenwidrigen absichtlichen Schädigung bei Wahrnehmung der allgemeinen Handlungsfreiheit könne nach den Feststellungen aber keine Rede sein. Die Beklagte versuche zwar, die leidige Situation der Klägerin zu ihren Gunsten auszunutzen und (auch) die von ihr angestrebte Regelung betreffend die Zufahrt zum Kraftwerk zu erreichen. Das könne aber noch nicht als sittenwidrig qualifiziert werden, zumal die Beklagte durchaus achtenswerte Motive für ihr Ansinnen ins Treffen führe (zB eine stets freizuhaltende Zufahrt zum Kraftwerk).

[12] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Klärung zu, ob im Falle der Verweigerung der Zustimmung zur gemeinsamen Antragstellung in einem Verfahren zur Bauplatzerklärung auch Rechtsmissbrauch im Sinne der zweiten Alternative des § 1295 Abs 2 ABGB vorliegen könne und deshalb eine Interessenabwägung vorzunehmen sei, obwohl die Beklagte kein subjektives (Nachbar‑)Recht gegenüber der Klägerin ausübe.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.

[14] 1. Die Klägerin stützt die Zulässigkeit des Rechtsmittels in Anknüpfung an die Zulässigkeitsfrage des Berufungsgerichts im Wesentlichen auf den Umstand, dass die Streitteile in einer Rechtsbeziehung stünden und daher entgegen der krassen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts sehr wohl das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs (iSd § 1295 Abs 2 2. Alternative ABGB) zu prüfen und die damit verbundene Interessensabwägung vorzunehmen sei.

[15] 2.1 Die damit aufgeworfene Frage ist nicht präjudiziell. Selbst wenn man sich dem klägerischen Standpunkt anschließt, dass bei Weigerung der Beklagten– entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – (auch) der Tatbestand des Rechtsmissbrauchs iSd 2. Alternative des § 1295 Abs 2 ABGB zu prüfen sei, wäre für die Klägerin nämlich nichts gewonnen.

[16] 2.2 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist Rechtsmissbrauch nicht nur dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RS0026265 [T33]; RS0025230 [T7]; RS0026271 [T20, T23, T24]). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0025230 [T8]; RS0026271 [T26]).

[17] 2.3 Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt der festgestellte Sachverhalt weder die Beurteilung zu, dass die Beklagte die Zustimmung zur Bauplatzänderung aus Schädigungsabsicht oder aus überwiegenden unlauteren Motiven verweigert, noch dass sie damit widerrechtliche Vorteile zum Nachteil der Klägerin zu erlangen sucht. Bemüht sich der Betreiber eines Kraftwerks dessen ungestörten Betrieb dadurch zu sichern, dass weder der Bestand der Anlage durch Ansprüche von Anrainern noch die Zufahrt und Rohrleitung durch die künftigen Bewohner beeinträchtigt werden, kann darin kein unlauteres Motiv erblickt werden.

[18] 2.4 Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung 5 Ob 119/20s. Diese Entscheidung ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die im dortigen Fall angestrebte Zustimmung auf § 16 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG (und nicht auf § 1295 Abs 2 ABGB) gestützt werden konnte. Zudem standen die Parteien durch das Wohnungseigentum in Rechtsgemeinschaft. Aus dem Umstand, dass eine Änderung des Bauplatzes von allen dadurch betroffenen Eigentümern erwirkt werden muss, lässt sich aber nicht ableiten, dass die Eigentümer (außerhalb einer einvernehmlichen Vorgangsweise) deshalb Streitgenossen sind und eine Rechtsgemeinschaft bilden.

[19] 2.5 Das Ergebnis hängt damit nicht davon ab, ob hier (auch) die 2. Alternative des § 1295 Abs 2 ABGB zu prüfen ist. Bei dieser Sachlage käme somit der Lösung der als erheblich angesehenen Rechtsfrage nur theoretische Bedeutung zu. Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt aber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus (RS0088931).

[20] 3. Auch die Ausführungen zur sittenwidrigen absichtlichen Schädigung iSd 1. Alternative des § 1295 Abs 2 ABGB werfen keine erhebliche Rechtsfrage auf. Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042881 [T3, T6, T8]); das Berufungsgericht hat bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten und die von der Judikatur entwickelten Grundsätze beachtet. Eine krasse Fehlbeurteilung zeigt das Rechtsmittel nicht auf.

[21] 4. Die Revision ist somit ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht zurückzuweisen.

[22] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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