OGH 9Ob100/22d

OGH9Ob100/22d28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Thunhart in der Rechtssache des Antragstellers M*, vertreten durch Dr. Schartner Rechtsanwalt GmbH in Altenmarkt, gegen die Antragsgegner 1. M* und 2. I*, beide *, beide vertreten durch Linsinger & Partner Rechtsanwälte OG in St. Johann im Pongau, wegen Einräumung eines Notweges (Streitwert: 6.000 EUR), über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 8. September 2022, GZ 53 R 115/22a‑65, mit dem dem Rekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau, GZ 30 Nc 23/18b‑56, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00100.22D.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

I. Die am 28. 11. 2022 eingebrachte „Mitteilung samt Urkundenvorlage des Antragstellers“ wird zurückgewiesen.

II. Der Revisionsrekurs des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller ist schuldig, den Antragsgegnern binnen 14 Tagen die mit 688,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] I. Auch nach dem Außerstreitgesetz steht jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu (RS0007007). Die nachträglich am 28. 11. 2022 eingebrachte „Mitteilung samt Urkundenvorlage“ des Antragstellers war daher zurückzuweisen (vgl RS0041666).

[2] II. Die EZ 83 KG *, agrargemeinschaftliche N*alpe, steht im (grundbücherlichen) Eigentum der Agrargemeinschaft N*alpe in *. Dem Antragsteller kommen als Eigentümer der Liegenschaft „G*gut“, EZ 26 *, 2/5 Anteile an dieser Agrargemeinschaft und den Antragsgegnern als Hälfteeigentümer der Liegenschaft „W*gut“, EZ 23 *, 3/5 Anteile daran zu. Die Antragsgegner sind auch Hälfteeigentümer der EZ 375 *, in der das Grundstück 388 eingetragen ist, sowie der EZ 24 *, in der die Grundstücke 480 und 481 eingetragen sind.

[3] Der Antragsteller begehrt gegenüber den Antragsgegnern die immerwährende und grundbücherlich einzuverleibende Dienstbarkeit der Duldung des Gehens und Fahrens mit Fahrzeugen jeglicher Art zugunsten der notleidenden Liegenschaft EZ 83 * auf näher gekennzeichneten Teilflächen der genannten Grundstücke der Liegenschaften EZ 375 und EZ 24 nach dem Notwegegesetz (NWG). Er habe keine andere Möglichkeit (mehr), zu dem von ihm genutzten Teil der Agrargemeinschaft zuzufahren. Die Antragsgegner bestritten dies.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass dem Antragsteller eine auffallende Sorglosigkeit im Sinn des § 2 NWG anzulasten sei.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Eine Agrargemeinschaft sei die Gesamtheit der jeweiligen Eigentümer der sogenannten Stammsitzliegenschaften, an deren Eigentum ein Anteilsrecht an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden sei sowie allfälliger weiterer Personen, denen persönliche (walzende) Anteilsrechte zustehen. Grundstücke der Agrargemeinschaft, zu deren alleinigen Bewirtschaftung der Kläger berechtigt sei, seien nicht „Grundstücke der Stammsitzliegenschaft des Klägers“. Mit dem Eigentum an einer Stammsitzliegenschaft sei nur ein bestimmtes Anteilsrecht an einer Agrargemeinschaft verbunden, nicht aber das Eigentum an bestimmten ihrer Grundstücke. Der Antragsteller sei nicht Eigentümer des notleidenden Grundstücks. Die Einräumung eines Notweges setze voraus, dass (ua) kein Bringungsrecht nach dem [gemeint: früheren, vgl Art 151 Abs 63 Z 4 B‑VG] Güter‑ und Seilwege‑Grundsatzgesetz erwirkt werden könne. Hier stehe es dem Antragsteller aber frei, ein Bringungsrecht nach dem Salzburger Güter‑ und Seilwegegesetz zu erwirken, weshalb der Antrag auf Einräumung eines Notweges zwar zulässig, aber sachlich nicht gerechtfertigt sei. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteige. Es ließ den Revisionsrekurs nachträglich gemäß § 63 Abs 3 AußStrG zu, weil zu klären sei, ob die Möglichkeit der Einräumung eines Bringungsrechts amtswegig aufgegriffen werden dürfe und ob dieses auch das Recht des Viehtriebs abdecke.

[6] In seinem Revisionsrekurs beantragt der Antragsteller die Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses im Sinn einer Antragsstattgabe.

[7] Die Antragsgegner beantragen, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm keine Folge zu geben.

[8] Der Revisionsrekurs ist mangels einer entscheidungswesentlichen Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig.

[9] Der Antragsteller ist zusammengefasst der Ansicht, dass die Bedürfnisse, die der begehrte Notweg decken soll (Viehtrieb), nicht durch die Einräumung eines Bringungsrechts gedeckt werden könnten. Die vom Rekursgericht angenommene sachliche Unzulässigkeit hätte auch nicht amtswegig aufgegriffen werden dürfen. Ihn treffe keine auffallende Sorglosigkeit im Sinn des § 2 NWG.

[10] Auf diese Fragen kommt es hier jedoch nicht an:

[11] 1. Nach § 1 Abs 1 NWG kann der Eigentümer für eine Liegenschaft, welche der für die Zwecke einer ordentlichen Bewirtschaftung oder Benützung nötigen Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz entbehrt, sei es, dass eine Wegeverbindung gänzlich mangelt oder dass sie unzulänglich erscheint, in jenen Fällen, in denen für die Befriedigung des Wegebedürfnisses nicht die Voraussetzungen der Enteignung oder unentgeltlichen Gestattung nach § 365 ABGB oder nach sonstigen hiefür erlassenen Gesetzen eintreten, die gerichtliche Einräumung eines Notweges über fremde Liegenschaften nach Maßgabe dieses Gesetzes begehren.

[12] 2. Zur Antragstellung auf Einräumung eines Notweges berechtigt sind nur der Eigentümer und der Bauberechtigte der notleidenden Liegenschaft, nicht aber sonstige dinglich oder obligatorisch Berechtigte (vgl §§ 1, 9 Abs 1 NWG; 8 Ob 71/15x; Egglmeier‑Schmolke in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 1 NWG Rz 2 mwN; Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 9 NWG Rz 1 ff mwN [Stand 1. 10. 2017, rdb.at]; Höfle, Notwegerecht [2009] 132 mwN). Steht die notleidende Liegenschaft im Miteigentum, dürfen die Miteigentümer im Sinn des § 828 ABGB den Antrag auf Einräumung eines Notweges nur gemeinsam stellen; die bloße Mehrheit, wie bei einer Maßnahme der ordentlichen Verwaltung nach § 833 ABGB, reicht nicht aus, weil es bei dem Notwegeantrag um eine „Verfügung über die gemeinschaftliche Sache“ geht (Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 9 NWG Rz 4 mwN).

[13] 3. Im vorliegenden Fall steht die notleidende Liegenschaft EZ 83, *, agrargemeinschaftliche N*alpe, im Eigentum der Agrargemeinschaft N*alpe in *, an der den Antragsgegnern als Eigentümer des W*guts drei Anteile und dem Antragsteller als Eigentümer des G*guts zwei Anteile zukommen.

[14] Eine Agrargemeinschaft ist die Gesamtheit der jeweiligen Eigentümer der sogenannten Stammsitzliegenschaften, an deren Eigentum ein Anteilsrecht an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden ist, sowie allfälliger weiterer Personen, denen persönliche (walzende) Anteilsrechte zustehen. Ihr liegt historisch ein deutsch‑rechtliches Nutzungsrecht zugrunde, das nicht einzelnen Personen, sondern bestimmten Höfen zugute kommen soll (3 Ob 49/20g; 1 Ob 231/18d; 9 Ob 35/11d je mwN). Die Agrargemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass der jeweilige Eigentümer eines Hofs zur land‑ oder forstwirtschaftlichen Nutzung berechtigt wird und die Anteile am Gemeinschaftsgut mit dieser „Stammsitz‑“(„Rücksitz‑“)Liegenschaft realrechtlich verbunden sind (vgl RS0013176; Rassi, Grundbuchsrecht³ Rz 4.25 [Stand 1. 6. 2019, rdb.at]). Mit dem Eigentum an einer Stammsitzliegenschaft ist folglich (nur) ein bestimmtes Anteilsrecht an einer Agrargemeinschaft verbunden, nicht aber das Eigentum an bestimmten ihrer Grundstücke (1 Ob 68/19k; RS0013354 [T7]; RS0024421 [T6]). Eine Agrargemeinschaft ist also – worauf bereits das Rekursgericht hingewiesen hat – kein Miteigentumsverhältnis im Sinn der §§ 825 ff ABGB (RS0013354 [T6]), sondern eine Sachgemeinschaft (RS0013176) bzw eine realrechtlich zweckgebundene Gemeinschaft (RS0013176 [T1]). Im vorliegenden Fall kommt ihr aufgrund ihrer körperschaftlichen Organisation (vgl § 37 Abs 2 Salzburger Flurverfassungs‑Landesgesetz 1973, sbg LGBl 1973/1, FLG) auch unstrittig Rechtsfähigkeit zu.

[15] Der Antragsteller ist folglich nicht (Mit‑)Eigentümer der notleidenden Liegenschaft, sondern (bloß) Eigentümer einer Stammsitzliegenschaft der Agrargemeinschaft N*alpe, in deren Eigentum die notleidende Liegenschaft unstrittig steht. Damit scheitert der Anspruch auf Einräumung eines Notweges aber bereits an der mangelnden Eigentümerstellung des Antragstellers an der notleidenden Liegenschaft.

[16] 4. Auf die Frage, ob entgegen der Aufzählung in § 3 NWG, wonach der Notweg in der Servitut des Fußsteigs, Viehtriebs oder Fahrwegs, oder in der Erweiterung solcher bereits bestehender Wegerechte, besteht, die Servitut des Viehtriebs nicht mehr nach dem NWG einzuräumen ist, weil sie als landwirtschaftliches Bringungsrecht nach den Güter‑ und Seilwegegesetzen der Länder abgedeckt werden kann (vgl Höfle, Notwegerecht 39 [FN 167] und 109 f; Egglmeier, Notweg und Rechtsprechung, bbl 1998, 62 und FN 79; dies in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 3 NWG Rz 1; Neumayer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 3 NWG Rz 2 f [Stand 1. 10. 2017, rdb.at]) muss im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden.

[17] 5. Da die Vorinstanzen den Antrag des Antragstellers zu Recht abgewiesen haben und von ihm keine entscheidungswesentliche Rechtsfrage von der Qualität des § 62 AußStrG aufgezeigt wird, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

[18] 6. Die Kostenentscheidung beruht, da der Antragsteller nicht Eigentümer des notleidenden Grundstücks im Sinn des § 25 NWG ist, auf § 78 Abs 1 und 2 AußStrG iVm § 9 Abs 3 NWG; die Antragsgegner haben auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Für die vor der nachträglichen Zulassung des Revisionsrekurses durch das Rekursgericht verfrüht beim Erstgericht am 11. 10. 2022 eingebrachte (erste) Revisionsrekursbeantwortung steht den Antragsgegnern gemäß der analog anzuwendenden Bestimmung des § 508 Abs 5 Satz 2 ZPO kein Kostenersatzanspruch zu (vgl Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 69 AußStrG Rz 34; zur vergleichbar analogen Anwendung des § 508a Abs 2 letzter Satz ZPO in den Fällen des § 71 AußStrG s RS0124792).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte