OGH 14Os52/23p

OGH14Os52/23p27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Obergruber LL.M. in der Strafsache gegen * A* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. März 2023, GZ 163 Hv 85/22y‑68, weiters über die Beschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der diesbezüglichen Probezeit sowie auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider LL.M., des Angeklagten sowie seines Verteidigers Dr. Vallender zu Recht erkannt:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und der gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO und § 494a Abs 1 Z 2 und 6 StPO gefasste Beschluss aufgehoben und es wird in diesem Umfang

I. in der Sache selbst erkannt:

* A* wird für die ihm zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich (richtig:) ein Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB, ein Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und jeweils ein Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, § 84 Abs 2 StGB und des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 28 Abs 1, § 39 Abs 1a, § 39a Abs 2 Z 4 (iVm Abs 1 Z 4) StGB und § 19 Abs 4 Z 1 JGG nach § 87 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von

drei Jahren

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die von A* vom 26. Oktober 2022, 20.49 Uhr, bis zum 1. März 2023, 10.00 Uhr, erlittene Vorhaft auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II. der

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00052.23P.0627.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

1. Die A* mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. März 2020, AZ 152 Hv 23/20x, gewährte bedingte Strafnachsicht wird widerrufen.

2. Vom Widerruf der dem Genannten mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Jänner 2022, AZ 153 Hv 42/21z, gewährten bedingten Strafnachsicht wird abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Mit ihren Beschwerden werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteilwurde * A* „zweier“ Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (I.), eines Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (II.) und jeweils eines Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, § 84 Abs 2 erster Fall StGB (III.) und des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB (IV.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I. am 24. Oktober 2022 sich, wenn auch nur fahrlässig, durch den Gebrauch eines berauschenden Mittels und durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch

1. * C* gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er vor der Wohnung des Genannten mit einem Küchenmesser von 11 cm Klingenlänge in dessen Richtung „fuchtelte“,

2. versucht eine fremde Sache zu zerstören oder zu beschädigen, indem er mit voller Wucht mehrfach gegen die Wohnungstür des C* trat,

somit Handlungen begangen, die ihm außer diesem Zustand zu 1. als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB und zu 2. als Vergehen der Sachbeschädigung nach §§ 15, 125 StGB zugerechnet worden wären;

II. am 26. Oktober 2022 C* absichtlich schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er mit einem Küchenmesser von 11 cm Klingenlänge zwei Stichbewegungen gegen ihn ausführte und ihm dadurch eine Stichwunde im Bereich der linken Hüfte und einen oberflächlichen Schnitt am linken Oberarm zufügte;

III. am 27. Oktober 2022 dem Anstaltsarzt Dr. * F*, der an A* eine medizinische Zugangsuntersuchung durchführen wollte, sohin einen Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben, vorsätzlich am Körper verletzt, indem er diesem einen Fußtritt gegen dessen linke Hüfte und Unterbauch versetzte, wodurch der Genannte stürzte und Abschürfungen am rechten Knie und am rechten Sprunggelenk sowie eine Bauch- und Knöchelprellung erlitt;

IV. am 9. November 2022 dadurch, dass er sich mit ausgestreckten Armen auf den Justizwachebeamten * L*, der vor ihm versuchte, die Halterung des Zwischengitters zu lösen, stürzte, einen Beamten während einer Amtshandlung tätlich angegriffen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Den Sanktionsausspruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Zu Schuldspruch I:

[4] Indem die Beschwerde (nominell Z 5 vierter Fall) die Feststellung zum bewussten, aber nicht gewollten Versetzen in den Vollrausch jener zur Absicht des Angeklagten, C* in Furcht und Unruhe zu versetzen (US 5), gegenüberstellt und daran die Behauptung knüpft, es sei unklar wie der Angeklagte im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit „irgendeine Handlung für ernstlich möglich halten konnte“, bringt sie den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt zurDarstellung (vgl RIS‑Justiz RS0099413). Im Übrigen stehen die Feststellungen zur Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagtenim Zeitpunkt der Begehung der Rauschtaten nicht im Widerspruch (Z 5 dritter Fall [vgl RIS‑Justiz RS0119089]) zur konstatierten subjektiven Tatseite (vgl Plöchl in WK² StGB § 287 Rz 26).

[5] Der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider erfordert der subjektive Tatbestand des § 287 Abs 1 StGB nicht, dass sich der Täter vorsätzlich in einen Rausch versetzt; bloße Fahrlässigkeit genügt (vglRIS‑Justiz RS0095966; Plöchl in WK² StGB § 287 Rz 18, 24).

Zu Schuldspruch II:

[6] Das Erstgericht stützte die Feststellungen zum Tathergang insbesondere auf die hinsichtlich der Ausführung von Stichen geständige Verantwortung des Angeklagten sowie auf die Tatschilderungen des Opfers und des Bruders des Angeklagten(US 8 ff). Dass diese Begründung den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (vgl erneut RIS‑Justiz RS0099413), vermag die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) mit dem ohne Rücksicht auf die Erwägungen der Tatrichter erstatteten (vgl aber RIS‑Justiz RS0119370) Vorbringen, es sei „unzureichend begründet“, wie es zum Ziehen des Messers aus der Hosentasche des Angeklagten gekommen sei, nicht darzulegen.

[7] Sofern die Beschwerde die Feststellungen zur Tatausführung mit dem Einwand in Zweifel ziehen will, dass der Angeklagte keinen Grund gehabt hätte, ein Messer bei sich zu führen, zumal das Opfer zur Aussprache in die Wohnung des Angeklagten gekommen sei, bekämpft sie nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung die Beweiswürdigung des Erstgerichts.

[8] Entgegen der (der Sache nach) einen Rechtsfehler mangels Feststellungen behauptenden Rechtsrüge (Z 9 lit a) stellt das Motiv für die Tatbegehung keine für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache dar (vgl RIS‑Justiz RS0088761).

[9] Soweit die Beschwerde eine rechtliche Unterstellung der Urteilskonstatierungen nach § 83 Abs 1 StGB anstrebt (Z 10), übergeht sie die Feststellungen zur auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) gerichteten Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Angeklagten (US 6; vgl aber RS0099810).

Zu Schuldspruch III:

[10] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit b, nominell Z 5 vierter Fall) mit der Behauptung, der Angeklagte habe sich – seiner vom Erstgericht eingehend erörterten, als Schutzbehauptung verworfenen (US 8 und 10 f) Verantwortung folgend – gegen die zwangsweise Verabreichung einer Spritze gewehrt, der Sache nach Notwehr gegen einen rechtswidrigen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit geltend macht (§ 3 Abs 1 StGB) und dazu das Fehlen von Feststellungen zu diesen Umständen moniert, nimmt sie nicht am Urteilssachverhalt Maß (vgl erneut RIS‑Justiz RS0099810), wonach der Angeklagte zur Erstuntersuchung vorgeführt wurde, er am Gang völlig unvermittelt den Anstaltsarzt attackierte und ihm erst danach aufgrund dieser Vorkommnisse wegen Gefahr im Verzug eine Injektion verabreicht wurde (US 6 und 11).

Zu Schuldspruch IV:

[11] Dem Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell Z 5 vierter Fall) zuwider genügen die Urteilskonstatierungen, wonach sich der Angeklagte mit beiden Händen auf den Justizwachebeamten stürzte und ihn zu Boden brachte (US 7), zur rechtlichen Annahme eines tätlichen Angriffs iSd § 270 Abs 1 StGB (vgl RIS‑Justiz RS0095909).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.

[13] Bleibt zu bemerken, dass auch die Begehung mehrerer strafbedrohter Handlungen im Rahmen eines (einzigen) Rausches nur ein einziges – und nicht wie vom Erstgericht angenommen mehrere (US 4) – Vergehen nach § 287 Abs 1 StGB begründet (RIS‑Justiz RS0095936). Da dieser Subsumtionsfehler den angewendeten Strafrahmen nicht tangierte, sich daher in concreto nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirkte, sah sich der Oberste Gerichtshof nicht zu amtswegiger Wahrnehmung veranlasst (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 f). Angesichts dieser Klarstellung bestand bei der Entscheidung über die Straffrage (siehe sogleich) keine Bindung an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch (RIS‑Justiz RS0118870 [insb T24]).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

[14] Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft auf, dass der Strafausspruch mit Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO behaftet ist, weil das Erstgericht bei der Sanktionsfindung ausdrücklich von einem – sich hier nach den allgemeinen Strafgesetzen richtenden (§ 19 Abs 4 Z 1 JGG) – Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 87 Abs 1 StGB) ausging (US 16), dabei aber die Bestimmung des § 39a Abs 1 Z 4 StGB, welche die Strafuntergrenze zwingend erhöht (vgl 12 Os 7/21b, 11 Os 16/22w [Rz 12]), unbeachtet ließ. Danach kommt es zu einer Änderung des Strafrahmens, wenn der Täter die Tat unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe (im funktionalen Sinn [vgl RIS‑Justiz RS0134002]) begeht, wobei an die Stelle der Androhung einer Freiheitsstrafe, deren Mindestmaß ein Jahr beträgt, gemäß § 39a Abs 2 Z 4 StGB die Androhung eines Mindestmaßes von zwei Jahren Freiheitsstrafe tritt.

[15] Da der Angeklagte das ihm zur Last gelegte Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB unter Einsatz eines Küchenmessers mit einer Klingenlänge von 11 cm (vgl dazu RIS‑Justiz RS0093928 [insbes T3, T51, T69]) beging, liegen die Voraussetzungen des § 39a Abs 1 Z 4 StGB vor.

[16] Demgemäß waren – ebenfalls im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und der gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO und § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefasste Beschluss aufzuheben und in diesem Umfang wie aus dem Spruch ersichtlich in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).

[17] Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung war – über die Anwendung des § 39a Abs 2 Z 4 (iVm Abs 1 Z 4) StGB hinaus – zu berücksichtigen, dass aufgrund zweier Vorverurteilungen aus den Jahren 2020 und 2022 zu Freiheitsstrafen wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen die Rechtsgüter „Leib und Leben“ (§ 27 Abs 2a SMG; vgl dazu RIS‑Justiz RS0091972) und „Freiheit“ (§ 107 Abs 1 und 2 StGB; US 5, ON 53) auch die Voraussetzungen des § 39 Abs 1a StGB vorlagen (vgl zur rechtsgutbezogenen Auslegung dieser Bestimmung 15 Os 119/22x [verstärkter Senat]; RIS‑Justiz RS0134087), sodass nach § 87 Abs 1 StGB von einem Strafrahmen von zwei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen war (vgl zur kumulativen Anwendung der §§ 39, 39a StGB RIS‑Justiz RS0134046).

[18] Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungs-erwägungen (§ 32 Abs 3 StGB) fiel die einen abnormen Geisteszustand nicht erreichende Persönlichkeitsstörung (US 14, ON 40.2, 61 und 65) zu Gunsten, die Tatbegehung innerhalb zweier Probezeiten zum Nachteil (RIS‑Justiz RS0090597, RS0090954) des Angeklagten ins Gewicht.

[19] Als erschwerend wertete der Oberste Gerichtshof die Vorstrafen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB), den raschen Rückfall (RIS‑Justiz RS0091041, RS0091749) und die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), als mildernd hingegen das Alter unter 21 Jahren (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB) und den Umstand, dass die Tat zu II. beim Versuch blieb (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).

[20] Davon ausgehend entsprach unter Berücksichtigung des Handlungs-, Gesinnungs- und Erfolgsunwerts der Taten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren dem Unrechts- und Schuldgehalt derselben sowie der Täterpersönlichkeit.

[21] Aufgrund der wiederholten Delinquenz und des raschen einschlägigen Rückfalls nach der letzten Verurteilung scheiterte die Gewährung (teil-)bedingter Strafnachsicht (§ 43 Abs 1, § 43a StGB iVm § 19 Abs 2, § 5 Z 9 JGG) an der dafür notwendigen Annahme zukünftigen Wohlverhaltens.

[22] Die Anrechnung der Vorhaftzeiten beruht auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB. Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 Abs 1 StPO – auch im (hier vorliegenden) Fall der Strafneubemessung (RIS‑Justiz RS0091624; Lässig, WK‑StPO § 400 Rz 1) – der Vorsitzende des Gerichts, das in erster Instanz erkannt hat, mit Beschluss zu entscheiden.

[23] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

 

Zur Entscheidung über den Widerruf bedingter Strafnachsichten:

[24] Die mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. März 2020, AZ 152 Hv 23/20x, gewährte bedingte Strafnachsicht war aus spezialpräventiven Gründen zusätzlich zur Verhängung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu widerrufen, weil der Angeklagte nun zum zweiten Mal wegen (auf gleicher schädlicher Neigung beruhender) strafbarer Handlungen während offener Probezeit verurteilt wurde. Einem Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Jänner 2022, AZ 153 Hv 42/21z, gewährten bedingten Strafnachsicht stand das Verschlechterungsverbot entgegen, weil die Staatsanwaltschaft bei Anmeldung der in der Folge nicht ausgeführten Beschwerde nur auf „den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien gemäß § 494a Abs 4 und 6 StPO vom 1. 3. 2023 hinsichtlich M* A*“ Bezug nahm (ON 71), die Anfechtungsrichtung ihres Rechtsmittels aber nicht erkennen ließ und damit nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Nachteil des Angeklagten Beschwerde erhoben hat (§ 498 Abs 2 StPO; vgl Ratz, Verfahrensführung und Rechtsschutz² Rz 299; Stricker in LiK‑StPO § 88 Rz 2; Tipold, WK‑StPO § 88 Rz 2; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes BGBl I 2004/19 13 Os 125/07t; zum Verschlechterungsverbot RIS‑Justiz RS0100700 [insb T10], RS0115529; Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 498 Rz 10). Die wiederholte Delinquenz innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums machte aber die Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre zur längeren Aufrechterhaltung einer verhaltenssteuernden Wirkung nach Verbüßung der nunmehr verhängten Freiheitsstrafe notwendig. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Beschwerden auf diese Entscheidung zu verweisen.

[25] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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