European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00063.22W.0622.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die 2016 geborene L* lebt bei ihrem Vater. Die Mutter war zu einem monatlichen Geldunterhaltsbeitrag von 238 EUR verpflichtet. Sie lebt mit ihrem Lebensgefährten und der im Jänner 2022 geborenen Tochter im gemeinsamen Haushalt. Bis zum 11. April 2022 bezog sie Wochengeld; seit dem 12. April 2022 bezieht sie Kinderbetreuungsgeld von 14,53 EUR täglich.
[2] Die Mutter beantragte, sie ab Februar 2022 von ihrer Unterhaltspflicht für L* zu befreien, weil jeglicher Geldunterhalt ihre Belastungsgrenze übersteigen würde.
[3] Die Vorinstanzen setzten den von der Mutter für L* zu leistenden monatlichen Geldunterhalt ab Mai 2022 auf 150 EUR herab. Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es sei eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung, ob es die Gestaltung im Einzelfall rechtfertige, die Belastungsgrenze der Mutter im vorliegenden Fall zu unterschreiten.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Revisionsrekurs der Mutter ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[5] 1. Nach ständiger Rechtsprechung können die Bestimmungen der Exekutionsordnung (§§ 291b, 292b) als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung herangezogen werden; die Grenze des § 291b EO kann jedoch im Hinblick auf § 292b EO nicht als Untergrenze der Belastung des Unterhaltsschuldners bei der Unterhaltsbemessung herangezogen werden. Vielmehr kann die Unterhaltsbemessung darüber hinaus gehen (RIS‑Justiz RS0047455 [T1]; vgl RS0125931), wobei allerdings die wirtschaftliche Existenz des Unterhaltspflichtigen nicht gefährdet werden darf (vgl RS0047455). In besonderen Ausnahmefällen kann auch unter das niedrigste Existenzminimum in Höhe von 75 % des allgemeinen Grundbetrags herabgegangen werden (RS0047455 [T13]). Auch dabei können aber allgemeingültige Formeln oder Berechnungsmethoden für die Belastungsgrenze nicht aufgestellt werden (vgl RS0047455 [T15]; jüngst 6 Ob 32/22g [Rz 19] mwN). Es ist jeweils im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen am ehesten tragfähige Lösung zu treffen (RS0047455 [T4]; RS0008667 [T2]).
[6] 2. Als ein Ausnahmefall, in dem auch unter das niedrigste Existenzminimum herabgegangen werden kann, wurde der – auch hier vorliegende – Fall angesehen, dass der Unterhaltspflichtige einen geringeren Geldbedarf hat, wenn üblicherweise aus dem Existenzminimum abgedeckte Kosten für Verpflegung oder Unterkunft durch einen mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebenden und über eigene Einkünfte verfügenden Ehepartner oder Lebensgefährten anteilig getragen werden (6 Ob 184/06m; 9 Ob 41/18x mwN; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 [2019] Rz 591).
[7] 3. Die Entscheidung der Vorinstanzen, die Mutter für den Zeitraum, in dem sie bloß pauschales Kinderbetreuungsgeld anlässlich der Geburt ihres zweiten Kindes bezieht, zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 150 EUR für die im Haushalt des Vaters lebende ältere Tochter (die Antragstellerin) zu verpflichten, wobei die Vorinstanzen das Einkommen des im selben Haushalt mit der Mutter lebenden Lebensgefährten und Vaters des jüngeren Kindes mitberücksichtigten, bewegt sich innerhalb des den Vorinstanzen eingeräumten Ermessensspielraums.
[8] Angesichts der Notwendigkeit, eine nach den gegebenen Umständen am ehesten tragbare Regelung zu treffen, ist in der Entscheidung, die Unterhaltspflicht der Mutter nicht weiter herabzusetzen, keine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zu erblicken, die geeignet wäre, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuwerfen.
[9] Auf die Abweisung des Herabsetzungsantrags der Mutter für die Dauer ihres Wochengeldbezugs wird im Revisionsrekurs nicht mehr eingegangen.
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