OGH 9Ob41/18x

OGH9Ob41/18x28.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder 1. D* S*, geboren am * 2006, und 2. S* S*, geboren am * 2009, beide vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirk 21, Franz-Jonas-Platz 12, 1210 Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. Februar 2018, GZ 45 R 571/17d‑61, mit dem infolge Rekurses des Vaters R* W*, der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 2. Oktober 2017, GZ 2 Pu 228/16x‑53, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E122464

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im Umfang des rechtskräftigen Zuspruchs einer monatlichen Unterhaltsleistung von 220 EUR an den mj D* S* und von 180 EUR an den mj S* S*, jeweils ab 1. Dezember 2016, unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben.

Die Pflegschaftssache wird in diesem Umfang (weiterer Unterhaltsbetrag von 25 EUR je Kind ab 1. Dezember 2016) zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Die mj Kinder D*, geboren am * 2006, und S*, geboren am * 2009, befinden sich in Pflege und Erziehung der Mutter.

Der unterhaltspflichtige Vater dieser Kinder, R* W*, ist weiters gegenüber seinem im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn R* W*, geboren am * 2014, sorgepflichtig. Der Vater ist mit Y* W* verheiratet.

Seit 1. 7. 2015 war der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von je 150 EUR an D* und S* verpflichtet. Der Unterhaltsbemessung lag ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters von 1.230 EUR sowie dessen Sorgepflichten für seinen weiteren Sohn R* und seine Ehegattin zugrunde.

Über Antrag der Kinder D* und S* erhöhte das Erstgericht den vom Vater ab 1. 12. 2016 zu leistenden Unterhalt auf 245 EUR für D* und 205 EUR für S*. Seiner Unterhaltsbemessung legte es ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von 1.407 EUR sowie die Sorgepflicht für den mj R* zugrunde.

Das Rekursgericht gab dem dagegen gerichteten Rekurs des Vaters teilweise Folge und setzte den vom Vater ab 1. 12. 2016 zu leistenden Unterhalt mit 220 EUR für den mj D* und mit 180 EUR für den mj S* fest. Mit den vom Erstgericht festgesetzten Unterhaltsbeträgen sowie dem zur Belastungskontrollrechnung in einen Geldunterhaltsanspruch umzurechnenden Naturalunterhaltsanspruch des mj R* verbliebe dem Vater nur ein Betrag von 777 EUR. Da dieser Betrag aber das im Jahr 2016 hier maßgebliche einkommensabhängige Unterhaltsexistenzminimum von 855,23 EUR unterschreite, seien die vom Erstgericht festgesetzten monatlichen Unterhaltsbeträge anteilsmäßig um je 25 EUR zu kürzen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu, weil es insofern von der ständigen Rechtsprechung abgewichen sei, als es bei der Unterhaltsfestsetzung nicht berücksichtigt habe, dass sich das niedrigste Unterhaltsexistenzminimum bei Vorliegen einer Partnerschaft in Form einer Haushaltsgemeinschaft verringere.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig und im Sinne des im Abänderungsantrag auch enthaltenen Aufhebungsantrags (vgl RIS-Justiz RS0041774 [T1]) berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat dem Unterhaltsschuldner ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (RIS-Justiz RS0008667). Die Bestimmungen der Exekutionsordnung können als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen. Die Unterhaltsbemessung kann im Hinblick auf § 292b EO zwar über die Grenze des § 291b EO hinausgehen, jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige nicht so weit belastet wird, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre (RIS-Justiz RS0047455). Nur in besonderen Ausnahmefällen kann daher auch unter das – vielfach als „absolute Belastungsgrenze“ bezeichnete – niedrigste Unterhaltsexistenzminimum in Höhe von 75 % des allgemeinen Grundbetrags (§ 291b Abs 2 iVm § 291a Abs 1 EO) herabgegangen werden (RIS-Justiz RS0125931; 1 Ob 160/09z [verst Senat]; 6 Ob 81/10w; 9 Ob 61/15h; 9 Ob 72/15a; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 590). Als ein solcher Ausnahmefall wurde der – hier auch von den Revisionsrekurswerbern geltend gemachte – Fall angesehen, dass der Unterhaltspflichtige einen geringeren Geldbedarf hat, wenn üblicherweise aus dem Existenzminimum abgedeckte Kosten für Verpflegung oder Unterkunft durch einen mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebenden und über eigene Einkünfte verfügenden Ehepartner oder Lebensgefährten anteilig getragen werden (6 Ob 184/06m; 1 Ob 160/09z; 9 Ob 61/15h; 9 Ob 72/15a; 8 Ob 75/17p; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8, 85 ff und Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 591).

Ob dies hier der Fall ist, kann aufgrund der vorliegenden Sachverhaltsfeststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Fest steht, dass der unterhaltspflichtige Vater wieder verheiratet ist. Seinen Angaben vom 13. 6. 2017 (AS 141) zufolge bezieht seine Ehegattin Notstandshilfe in Höhe von 970 EUR monatlich. Im Rekurs vom 14. 10. 2017 (ON 54) erklärte der Vater, dass seine Ehegattin im fünften Monat schwanger sei. Dass der Vater mit seiner Ehegattin im gemeinsamen Haushalt lebt, ist zwar naheliegend, den bisherigen Verfahrensergebnissen lässt sich dies aber nicht mit Sicherheit entnehmen. Aufgrund des im Außerstreitverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 16 Abs 1 AußStrG) hätte das Erstgericht zufolge der vorliegenden Anhaltspunkte von Amts wegen Erhebungen über die Lebensverhältnisse des unterhaltspflichtigen Vaters und gegebenenfalls seiner Ehegattin pflegen und entsprechende Feststellungen treffen müssen.

Im fortzusetzenden Verfahren wird daher zu erheben sein, ob und in welchem Umfang sich der unterhaltspflichtige Vater durch seine konkrete Wohnsituation (mit seiner Ehegattin) Kosten der Unterkunft und allenfalls auch der Verpflegung erspart. Leben der unterhaltspflichtige Vater und dessen Ehegattin im gemeinsamen Haushalt, dann wird zu prüfen sein, ob die Ehegattin (unter Berücksichtigung ihrer Sorgepflichten) über Eigenmittel in einer Höhe verfügt, die sie in die Lage versetzen, zu den gemeinsamen Wohnungs- und Haushaltskosten beizutragen. Erst danach kann eine Entscheidung darüber getroffen werden, wie sich dies auf die äußerste Belastungsgrenze und damit auch auf die Höhe der Unterhaltspflichten des Vaters gegenüber D* und S* auswirkt.

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